Die Grünen sollten sich wehren

Die ÖVP erdrückt den kleinen Koalitionspartner mit ihren permanenten populistischen Provokationen.

Langsam werden die politischen Verrenkungen der Grünen ein bisschen unschön. Hatte die Kogler-Partei schon mit dem Koalitionsvertrag genug zu Schlucken gehabt, führt die ÖVP den Regierungspartner jetzt schon seit drei Wochen jeden Tag mit einer neuen Provokation vor. Oft sind das ja nur Ankündigungen wie die vom Innenminister, dessen seltsame Ideen selten länger als einen Tag überleben. Aber auch Ankündigungen, die schon am nächsten Tag vom Tisch sind, ergeben in Summe ein Trommelfeuer, bei dem die Grünen dauernd als defensiv erscheinen. Und in der U-Ausschuss-Causa haben die Grünen nicht nur mit der ÖVP den Ausschuss ein bisschen sehr kastriert – sie haben das auch noch unnötigerweise im Fernsehen verteidigt. Wozu? Wenn die ÖVP ihre Postenschiebereien nicht aufgeklärt haben will, soll sie das selbst den Bürgern sagen.

Für die Grünen kann all das sehr gefährlich werden. Irgendwann wird die Parteibasis rebellieren, wenn man dauernd gedemütigt wird. Noch gefährlicher: Irgendwann kippt die Stimmung bei den Wählern. Noch sind die Grünen auf einer Woge. Die Meinung, die Grünen wären über den Tisch gezogen worden, wird nur von wenigen Menschen geteilt. Aber so etwas kann schnell kippen. Irgendwann ist es das berühmte eine Mal zuviel. Das ist die größte Gefahr für die Grünen.

Wer aber jetzt auf den Grünen herum hackt, der sollte eines nicht vergessen: Es ist die ÖVP von Sebastian Kurz, die sich – wieder einmal – verantwortungslos verhält. Sie macht nicht nur dem eigenen Koalitionspartner das Leben schwer. Sie ruiniert ja auch noch das Klima im Land. Sie überflutet seit drei Wochen das Land mit ihrer rechtspopulistischen Kampagne, mit Ausländer da, Islam hier, Kopftuch da, in Lager einsperren hier, Kopftuch, Islam, illegale Migration, Willkürhaft… Sie spielt diese abgenudelte Schallplatte, weil sie sich daran gewöhnt hat, damit ein leichtes Spiel zu haben. Permanenter Wahlkampf statt ordentliches Regieren. Drei Wochen hat es gedauert, dass man sich nach der sachlich-stillen Übergangsregierung zurück sehnt, nach einer Pause von den täglichen Aufhetzereien.

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Versierte politische Beobachter wie etwa der BILD-Chefredakteur und Kurz-Biograf Paul Ronzheimer hatten schon am Wahlabend die Vermutung geäußert, dass Kurz eine Regierung mit den Grünen anstreben und er dann auch die permanente Anti-Ausländer-Kampagne aufgeben werde. Die Hälfte dieser Voraussage hat sich als falsch heraus gestellt. Die ÖVP will weiter auf nichts anderem herumreiten, egal wie hoch der Preis für den Koalitionspartner und auch für das Land ist.

Wohlmeinende Kommentatoren flehen jetzt Sebastian Kurz an, er solle erkennen, dass er die Grünen „überleben lassen“ muss. Appelle an die Vernunft oder auch nur die Handschlagqualität der Kurz-ÖVP werden aber nicht viel nützen. Sebastian Kurz ändert sich nicht mehr. Die Grünen werden wohl eher damit anfangen müssen, sich gegen die brutale Überwältungsstrategie der ÖVP zu wehren. Sie müssten der ÖVP eigene Themen vor die Füße knallen. Man kann auch Kanzler fies vor sich her treiben. Man braucht nur Mut und die dazugehörige Härte.

„Österreich“, 27. 1. 2020

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