Ein 7-Punkte Plan für die SPD

Mittlerweile hat die Sozialdemokratie wenigstens wieder zwei Vorsitzende. Jetzt braucht sie nur mehr eine Idee von Zukunft. So könnte sie aussehen.

Die Zeit, Jänner 2020

Die Sozialdemokraten dümpeln bei zwölf Prozent herum und ihr Hauptproblem ist, dass sie selbst nicht wissen, wofür sie stehen und wofür sie stehen sollen. Sie fragen sich, wie sie wieder in die Lage kommen können, Wahlen zu gewinnen – aber auch, wie sie wieder zu einer lebendigen, energetischen Partei werden können. Diese zwei Dinge sind zwar irgendwie miteinander verbunden, aber auch nicht identisch. Auch Parteien ohne Energie können, mit einer guten Spitzenperson und einem perfekten Marketing, Wahlen gewinnen, wenn sich auch noch ein gutes „Window of Opportunity“ bietet (etwa, wenn das Publikum die Konkurrenz einfach satt hat), aber dadurch wird eine Identitätskrise dann nur temporär übertüncht. Umgekehrt können Parteien, die ganz genau wissen, wofür sie stehen, auch Wahlen verlieren, etwa, wenn ihre klare Kontur Wechselwähler abstößt und es an kraftvollen Führungsfiguren fehlt, die über ihr Kernpotential ausstrahlen können (diese Erfahrung machte beispielsweise gerade die Labour-Party).

Was also müsste geschehen, damit die Sozialdemokratie wieder eine glorreiche Zukunft hat?

Erstens: Die Sozialdemokratie muss immer eine Weltverbesserungspartei sein, aber sie muss auch begreifen, was dieser scheinbar banale Satz heißt. Sie darf sich mit Verhältnissen nicht abfinden, nicht darauf beschränken, sie zu verwalten. Sie wurde zur Staatspartei, also zur staatstragenden Partei, und das ist Teil ihrer Erfolgsgeschichte, aber kann auch zu einem Fluch werden. Dann nämlich, wenn die Bürger und Bürgerinnen das Gefühl haben, dass die Spitzenleute der Sozialdemokratie sich darauf beschränken, Teil des Spiels zu sein – und selbst nicht mehr wollen als am Tisch der Mächtigen ihr Plätzchen zu finden. Als Sozialdemokrat musst du mental immer auch deine Reserviertheit gegenüber den bestehenden Verhältnissen bewahren, was heißt: Selbst wenn du regierst, musst du „regierender Oppositioneller“ oder „oppositioneller Regierender“ sein. Nichts ist tödlicher, als wenn es eine – und sei es auch nur amorphe – Rebellion gegen den Status Quo gibt, die Sozialdemokraten aber als Teil des „Establishments“ angesehen werden, die als Funktionseliten dieses Status Quo agieren.

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Zweitens: Die Sozialdemokraten müssen zu einer diskutierenden Partei werden. Gewiss, Diskussionen können leicht den Eindruck der Zerstrittenheit erwecken. Aber ohne Diskussion kannst du ein paar zentrale Fragen gar nicht klären. Etwa, wohin man will: Wie stellt man, im Zeitalter von Individualismus und ökonomischer Deregulierung, wieder „mehr Solidarität“ her? Wie können zentrale Lebensbereiche den Wettbewerbsmärkten entzogen werden? Wo braucht es Verstaatlichung, Re-Kommunalisierung, wo starke staatliche Regulationen, was kann ein neu gedachtes starkes Genossenschaftswesen übernehmen? Wie können Sozialversicherungen wieder zu den Netzen der Sicherheit werden, die nötig sind, dass die chronischen Risikogefühle aus dem Alltag der Bürger verschwinden? Geht das überhaupt? Und: Wer sind die Leute, für die man überhaupt Politik macht? Die 99 Prozent? Die Reste der alten Arbeiterklasse? Oder eine vielgesichtige Menge „einfacher Leute“, die zwar durch gemeinsame objektive Interessen da und dort verbunden sind, aber wiederum untereinander so unähnlich, dass nicht einfach automatische Solidaritätsgefühle entstehen? Wie aber macht man aus diesem – sehr theoretischen – Wählerpotential eine Anhängerschaft? Über all diese Dinge muss man nicht nur diskutieren, um sie zu klären. Erst in einer Diskussion entstehen die Klärungen und jener Konsens – man kann auch sagen: jene Gewissheiten – die nötig sind, damit jeder einzelne Parteifunktionär die Botschaften der Partei nach außen vertreten kann. Es ist heute modisch geworden, zu sagen, die Sozialdemokratie braucht wider ein Narrativ. Aber ein Narrativ entsteht nicht als „Geschichte“ (also als eine Art „Märchen“), die sich ein genialer Geschichtenerzähler ausdenkt, sondern sie entsteht gewissermaßen von selbst – durch Handlungen, gesellschaftliche Konflikte und im Prozess von Diskussionen. Wer lamentiert, es brauche ein Narrativ, der hat in der Regel keines. Wer aber diskutiert und handelt, der braucht kein Narrativ, weil dieses dann in diesem Prozess entsteht.

Drittens: Die Sozialdemokratie braucht einen Gegner. Eine Partei, die von niemanden als Gegner angesehen wird, hat ein Problem. Sie steht offenbar für nichts. Die Gegner der Sozialdemokratie sind: Der Hyperindividualismus, nämlich da, wo er in Egozentrik und eine Ego-Gesellschaft umschlägt. Sowie: Die Feinde von Pluralismus und einer offenen Gesellschaft. Keine Feinde zu haben ist in der Politik keine Tugend, sondern ein Fluch.

Viertens: Wie so oft im Leben braucht es auch eine Quadratur des Kreises. Die Sozialdemokratie muss eine diskutierende Partei sein, aber sie darf auch keine streitende Partei sein. Die Sozialdemokratie besteht aus vielen unterschiedlichen Menschentypen. Linke und Mitte-Links-Leute. Junge Maximalisten und ältere Realisten. Deprimierte Alt-Genossen und geschmeidige Enddreißiger. Basisfunktionäre und Spitzenpersonal. Bürgermeister in kleinen Kommunen und Staatssekretärinnen in Berlin. Politikprofis und Bewegungsamateure. Das Problem an Krisen ist, dass kein Erfolg zusammen schmiedet, sondern jeder glaubt, er habe den richtigen Weg, wie man aus der Krise kommen könnte – was dann erst recht zentrifugale Tendenzen befeuert. Aber eine Partei, die wie ein planloser, zerstrittener Haufen erscheint, frustriert ihre Anhänger und wird keine Wähler und Wählerinnen gewinnen. Sie muss ihre Diskussionen so führen, dass für jeden klar ist: Jeder und jede, die an diesen Diskussionen beteiligt ist, ist ein ordentlicher Sozialdemokrat, der oder die etwas Bedenkenswertes beizutragen hat.

Fünftens und daraus folgend: Die Sozialdemokratie braucht ein breites Zelt, unter dem viele unterschiedliche Haltungen Platz haben. Wer meint, nur er oder sie selbst sowie ihre fünf besten Freunde seien „richtige Linke“, der wird zum Totengräber progressiver Politik.

Sechstens: Eine Sozialdemokratie muss Zukunftsoptimismus ausstrahlen. Man kann es nämlich drehen wie man will: Wer nur Angst vor der Zukunft hat, wer das Gefühl hat, es werde alles nur schlechter und es gibt nicht einen Silberstreif am Horizont, der wird eher rechts, wenn nicht sogar rechtspopulistisch wählen. Deren Botschaft ist dann einfach gewinnender: Fenster zu, Mauern hoch, die Welt ist ein Kampf alle gegen alle und potentielle Konkurrenten muss man sich vom Hals halten. Eine miesepetrische Linke wird nicht gewählt, denn die Botschaft funktioniert einfach nicht: „Wählt uns, mit uns wird es langsamer schlechter.“ Progressive Parteien haben in der Geschichte immer nur dann reüssiert, wenn sie ein paar plausible Pläne hatten, wie der schlechte Status Quo Schritt für Schritt verbessert werden kann und wenn sie dazu auch eine Vision hatten, wie am Ende dieser sukzessiven Verbesserungen eine Gesellschaft stehen kann, die mehr Freiheit, mehr Optionen, mehr Sicherheit und mehr Wohlstand für die Vielen, die „Normalen“ zu verwirklichen vermag. Und sie braucht die Spitzenleute, die so einen Optimismus ausstrahlen können. Wer nur traurig in die Kameras schaut, wird genauso wenig politischen Appeal ausstrahlen, wie jemand, der nur mehr im Kleingedruckten von Gesetzesnovellen spricht.

Siebtens: Die Bürger und Bürgerinnen müssen spüren, dass die Sozialdemokraten „für sie da sind“. Das schaffst du nicht nur mit guten politischen Plänen und kluger Kommunikation allein. Sozialdemokraten müssen vor Ort sein und das betreiben, was man heute neudeutsch „Community Organizing“ nennt. In traditioneller Sprache der Parteikader heißt das: Sie muss natürlich wieder Parteiaufbau betreiben. Wenn du in Stadtvierteln nicht mehr präsent bist, wenn du dich nicht vor Ort und ganz praktisch als „nützlich“ für die Menschen erweist, wird dich kaum mehr jemand wählen.

Ein Gedanke zu „Ein 7-Punkte Plan für die SPD“

  1. Mir fehlt da noch Punkt 8:

    Eine lebendige Sozialdemokratie muss neue Wege der Demokratie gehen, sie erproben und sich nicht auf alte Demokratiemodelle verlassen, die zu seiner Zeit vielleicht das beste war, was ging, inzwischen aber durch den Fortschritt überholt ist. Sie muss mehr Menschen und ihre Expertise in die demokratischen Prozesse einbinden und so die Demokratisierung der Gesellschaft und Wirtschaft voran treiben.

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