„Ein Zeitalter der Solidarität“

Vergangene Woche hatte ich das Vergnügen, eine Stunde lang mit dem deutschen Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz über die Wirtschaftskrise und Anti-Krisen-Politik zu sprechen – eine Veranstaltung des Bruno-Kreisky-Forum.

Gerade hatte die deutsche Bundesregierung ein 130 Milliarden Euro Konjunkturpaket verabschiedet, da durften wir den Architekten der deutschen Wirtschaftsrettung, Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz, zum digitalen Gespräch im Bruno Kreisky Forum begrüßen. Hier ein paar der Schlüsselpassagen des Gesprächs. Das ganze Gespräch kann man hier im Falter-Radio nachhören.

Über das Vorgehen in einer Krise, die es so noch nie gab und für die es kein Drehbuch gibt:

Zunächst ist das eine Krise, die uns noch einmal zeigt, wie sehr wir als Menschen verletzlich sind. Diese Verletzlichkeit wurde uns vor Augen geführt, aber auch die Notwendigkeit der Solidarität.

Es war notwendig, schnell zu handeln und mit einem großen Paket gegen die Krise vorzugehen, denn sonst verlieren alle an Vertrauen. In einer solchen Lage darf man sich nicht reintasten. Hätten wir ein bisschen was gemacht, und dann noch einmal ein bisschen was gemacht, hätte das auch funktioniert, aber es hätte das notwendige Vertrauen nicht erzeugt.

In Deutschland – aber auch in Europa – gibt es Erstaunen. Es ist schon von einem „neuen Olaf Scholz“ die Rede, oder, wie etwa in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, vom „geheimen Olaf Scholz“, der jetzt zum Vorschein komme. Aber auch von einer historischen Wende der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik, wie es sie seit der Ära Karl Schillers nicht mehr gegeben hat.

Ich war immer und bin auch jetzt entlang der keynesianischen Denktraditionen überzeugt, dass man in guten Zeiten darauf achten muss, dass man die Kraft dann hat, wenn man sie braucht.

Zum Vorwurf, dass Deutschland zu sehr auf Austerität gesetzt hat im vergangenen zehn Jahren, sowohl was Investitionen im Land selbst betrifft als auch hinsichtlich der Anti-Krisen-Politik in Europa nach der Finanzkrise.

Das Argument stimmt, dass die öffentlichen Investitionen nicht genug waren in den vergangenen Jahren. Es ist auch wichtig, dass wir uns völlig klar darüber sind, dass es längst nicht mehr deutsche, italienische oder österreichische Volkswirtschaften gibt, sondern dass wir eine europäische Volkswirtschaft sind. Wenn wir ein Unternehmen in Deutschland retten, dann retten wir auch Filialen in Europa und Beschäftigung und damit Kaufkraft in anderen Ländern. Genauso gilt, dass wir in den Nationalstaaten niemals unsere Volkswirtschaften stabilisieren können, wenn das unsere Partner in Europa nicht auch schaffen. Deshalb haben wir für ein massives Paket – oder eine Reihe massiver Pakete – der Europäischen Union geworben. Deutschland und Frankreich sprechen sich für ein Paket zum europäischen Wiederaufbau in der Größe von 500 Milliarden Euro aus. Es soll aus dem EU-Haushalt finanziert werden, es geht eben nicht darum, dass die Mitgliedsstaaten neuen Kredite aufnehmen. Denn wenn Deutschland jetzt mit einem Schuldenstand von unter 60 Prozent des BIP startet und am Ende dieser Krise vielleicht knapp über 80 Prozent liegt, dann ist das kein so großes Problem, aber es ist schon schwieriger für Länder, die jetzt schon bei 120 oder 170 Prozent liegen. Ich sage: das ist ein gemeinsames Problem von uns allen. Lasst uns das von Anfang an als gemeinsame Sache begreifen.

Zu den sogenannten „sparsamen Vier“, die dieses Programm ursprünglich bekämpft haben:

Wir müssen uns verständigen in Europa. Dass da am Anfang nicht alle einer Meinung sind, ist nicht schlimm, wichtig ist ja, dass wir uns am Ende einig sind. Und da nehme ich schon wahr, dass auch die, die Skepsis äußern, das mit dem Unterton der Konstruktivität tun, der es möglich scheinen lässt, dass wir uns am Ende verständigen.

Zur Gefahr, dass dennoch ökonomische Ungleichgewichte in der Europäischen Union wachsen, weil die stärkeren Länder eher ihre Unternehmen retten können als andere Länder:

Diese Gefahr besteht, aber sie ist eben noch einmal ein Argument dafür, dass die starken Volkswirtschaften gut beraten sind, europäische Solidarität zu üben. Erstens würde uns jeder vorwerfen, dass wir nur an uns denken. Zweitens würde es gar nicht aufgehen. Denn keine Nation kann auf den wirtschaftlichen Erfolg der anderen Länder verzichten. Deshalb ist es ganz wichtig, dass es dort aufwärts geht und es keine langanhaltende Stagnation gibt. Deswegen haben wir alle, Deutschland, und ich sage es ausdrücklich, auch Österreich, ein Interesse daran, dass es den anderen Ländern gut geht.

War die Politik der nördlichen EU-Länder nach 2010 falsch war?

Ich glaube, dass es nicht nötig war, so vorzugehen. Es wurde auch viel zu moralisch argumentiert, weil in der deutschen Sprache Schuld und Schulden das gleiche Wort sind. Das ist einer der Gründe, warum wir manchmal auf eine bestimmte Weise auftreten. Aber: Wenn wir jetzt eine Billion zur Stabilisierung der EU auflegen, geht das nicht ohne eine bessere Union. Man kann nicht solche Programme auflegen und gleichzeitig so tun als wären wir 27 komplett unverbundene Staaten. Der politische Preis dafür ist weiteres Zusammenwachsen der europäischen Staaten.

Das 130-Milliarden-Euro-Konjunkturprogamm der deutschen Regierung wurde von vielen bejubelt, aber es gibt auch leise Kritik, dass es zu wenig auf Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Klimaschutz setzt:

Die Kritik ist völlig legitim, und wer behauptet, dass er in solcher Situation alles richtig macht, der ist unglaubwürdig, weil man ja mit unzähligen Unsicherheiten operiert. Dennoch glaube ich, dass die Kritik nicht zutrifft. Die Senkung der Mehrwertsteuer ist eine große Sache, weil sie sehr massiv ist, plötzlich und unerwartet kommt und zeitlich befristet ist. Ohne die zeitliche Befristung wäre sie keine effektive Maßnahme. Denn die Zielsetzung ist ja, dass die Konsumenten und Unternehmen schnell reagieren. Das ist genau das, was ein Konjunkturprogramm bewirken soll. Was die Maßnahmen in Richtung Klimaschutz betrifft, glaube ich schon, dass sie sehr ambitioniert sind. Aber Konjunkturkrisenbekämpfung findet ja im Jahr 2020 und 21 statt. Wir müssen alle bewegen, dass jetzt etwas passiert, aber zugleich sind für die Transformationsperspektive des kommenden Jahrzehntes bereits die richtigen Andeutungen gemacht.

Über die wachsenden Ungleichheiten der vergangenen Jahrzehnte:

Wir haben nur deshalb eine Chance, gut durch diese Krise zu kommen, weil wir einen intakten Sozialstaat haben, der seine Stabilisierungsfunktion wahrnimmt. Aber wir müssen aus dieser Krise lernen, dass jetzt ein Zeitalter der Solidarität gefragt ist. Wie sehr wir als Menschen miteinander verbunden sind, haben wir an vielen Beispielen erlebt. Wir müssen uns für die guten Perspektiven eines jeden und jeder in unserer Gesellschaft alle zusammen verantwortlich fühlen. Wie es dem Anderen geht, das muss unser gemeinsames Thema sein, das ist nicht nur das Problem dessen, der es hat. Es ist immer auch unseres! Das sollten alle einsehen, die das bisher anders empfunden haben. Ich hoffe, dass auch jemand, der bisher vielleicht wirtschaftsliberal dachte, dass er eh zu viel Steuern zahlt, jetzt auch merkt, dass ihm ein Staat nützt, der handlungsfähig ist und ihm jetzt sein Unternehmen rettet; und akzeptiert, dass sich Solidarität auch im Steuersystem niederschlagen muss, damit das finanziert werden kann. Wir wollen auch, dass jeder sein Leben so führen kann, wie er will, und das fängt damit an, dass die Löhne nicht so gering sein können, wie sie gelegentlich sind. Jetzt feiern alle die Arbeit von Pflegekräften und Leuten im Einzelhandel und sagen, dass das die Helden des Corona-Alltags sind. Aber vergessen wir dabei nicht, welche Löhne denen schon immer gezahlt werden. Und das muss man ändern, und da müssen wir auch bereit sein, die Konsequenzen zu tragen, die das für uns hat, als Verbraucher, das heißt dann auch höhere Preise. Das muss ein solidarischer Staat als sein Thema entdecken.

Über den Umstand, dass Regierungen in den vergangenen Jahrzehnten da eher wenig dagegen machten:

Wir müssen sicherstellen, dass es nach unten hin eine Absicherung bei den Löhnen gibt, die besser ist, als das heute der Fall ist, weshalb ich für einen höheren Mindestlohn eintrete. Dass manche ihren Lebensunterhalt kaum bestreiten können und nach einem Arbeitsleben keine ausreichende Rente bekommen, dürfen wir nicht hinnehmen. Das ist nicht nur eine monetäre Frage, sondern eine Frage des Respekts. Wir müssen auch den Sozialstaat weiter ausbauen. Und wir müssen immer wieder Perspektiven schaffen, damit niemand Angst haben muss vor Veränderungen.

Über Sicherheitsbedürfnis und den Wunsch nach Veränderung:

Ohne Sicherheit wird sich niemand auf Veränderung einlassen, ohne Veränderung wird aber keine Sicherheit zu haben sein. Wir sollten den Pessimismus und die Vorstellung, dass früher alles besser war, anderen überlassen. Wir brauchen Verbesserung und Veränderung, aber wir dürfen auch nicht zulassen, dass Optimismus nur zur Phrase wird.

Über die Frage, dass Wandel für viele in den arbeitenden Klassen vor allem Stress und oft Verschlechterung bedeutet und viele normale Menschen das Gefühl haben, dass sich für sie niemand interessiert:

Es wäre völlig falsch darüber hinweg zu gehen oder das zu ignorieren. Als jemand der früher als Arbeitsrechtsanwalt arbeitete, habe ich schon immer mitgekriegt, was sich da einschleicht, wachsender Lohndruck, prekäre Arbeitsverhältnisse. Ich bin da wirklich berührt und angefasst, wenn jemand sagt, an mich denkt ja niemand in der Politik. Dieser Eindruck darf einfach nicht entstehen.

Über Aufstiegsoptimismus:

Die Formel vom Aufstieg durch Bildung hatte eine unglaublichen emanzipatorischen Kraft und wurde lange auch richtig verstanden. Aber in der heutigen Welt hat man oft den Eindruck, dass manche meinen, man könne kein gelungenes Leben führen, wenn man „nur“ eine Schlosserlehre gemacht hat. Deshalb halte ich es für falsch, dieses Thema so stark zu machen. Es kann doch nicht sein, dass man als Politiker einem Hilfsarbeiter sagt: Hättest du etwas gelernt, hättest du einen besseren Lohn. Deshalb glaube ich, dass es eine moralische Wende braucht. Wir dürfen nicht mehr akzeptieren, welch schlechte Löhne für manche Arbeiten bezahlt werden.

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2 Gedanken zu „„Ein Zeitalter der Solidarität““

  1. Lieber Robert Misik:

    das war ein wunderbares Gespräch mit Olaf Scholz (nur schade, dass nicht live im BKF….).

    Wie können wir es erreichen, dass unsere Bundesminister/innen Kurz, Aschbacher, Raab, Blümel, Schallenberg und Faßmann da ein wenig hineinhören?

    Viele Grüße
    Heinz Nabielek

  2. Wenn wir damit fertig sind, Scholz ein Denkmal zu setzen, können wir vielleicht wieder zu den Fakten zurückkehren (wobei die jüngsten Ereignisse zeigen, daß so ein Denkmal ja gerne auch mal das wird, was man als einen Deppenmagneten bezeichnet…)
    Scholz hat, als es opportun erschien, die Ideologie der schwarzen Null vertreten, die drauf und dran war, auch das deutsche Gesundheitssystem zu zerstören, Deutschland hatte das Glück des Zu-Spät-Gekommenen.
    Auch schwächt die schwarze Null unser ganzes System und macht uns insgesamt anfälliger für das Entstehen solcher Pandemien.
    Sich jetzt als der große Retter darzustellen, ist wohlfeil, alles Andere als die „Bazooka“(O-Ton Scholz) wäre nicht toleriert worden und hätte die Regierung aus dem Amt gefegt.
    Gut allerdings seine Aussage von der Schulden=Schuld-Mentalität, die in Deutschland tatsächlich weit verbreitet ist.

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