Die Wege des Terror

Der Attentäter wollte uns spalten, schweißt uns aber zusammen.

Die Altstadt von Wien zwischen Judengasse, Friedmann-Platz, Seitenstettengasse, Schwedenplatz: Sie ist seit Tagen der Schauplatz einer ununterbrochenen, stillen Prozession. Ein großer gemeinsamer Akt der Trauer ist aufgrund der Pandemie nicht möglich, weshalb sich über die Tage verteilt Zigtausende durch die engen Gassen schieben; Kerzen aufstellen, Blumen niederlegen. In all der Erregung der letzten Tage ist das der ruhigste Ort des ganzen Landes: die Menschen schweigen, ein paar weinen auch. Das ganze bunte Wien ist da, Wiener aller Klassen, Wiener aller Herkünfte. Die „eingeborenen“ Wiener genauso wie die Austro-Türken, -Jugos, -Syrer.

Der Terror möchte uns spalten, schweißt uns aber zusammen. Und auch die Politik hat weitgehend verantwortungsvoll reagiert. Dass es beim islamistischen Jihadismus nicht um Moslems gegen Nichtmoselms geht, sondern um eine kleine Terrorbande gegen alle anderen – das war die einhellige Botschaft. Nur ein paar wenige Unbelehrbare haben geglaubt, man kann diese Tat zu rechter Partei-Propaganda nützen. Einzelne taten das bereits, als die Toten noch in ihrem Blut lagen.

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Aber das klappte nicht: Die Opfer selbst haben ja allerlei Herkunftshintergründe – und erst recht jene, die heldenhaft geholfen haben in dieser Nacht.

Die allermeisten wissen sehr genau, dass die türkisch- und sonstige muslimischstämmigen Bürgerinnen und Bürger solche widerlichen Taten genauso verabscheuen wie alle anderen, ja, dass sie genauso unter Schock stehen wie alle anderen Wienerinnen und Wiener. In diesen Tagen sind alle durch diesen Schock verbunden, was immer uns sonst an Kleinigkeiten trennen mag.

Genauso ist es aber auch nötig, nicht die Augen davor zu verschließen, dass es eine kleine Gruppe (primär) unter den Einwandercommunities gibt, die für die Botschaften der Jihadisten empfänglich sind. Es sind ja meist Kinder, die bei uns hier aufwachsen, die irgendwann abdriften. Man muss das verstehen lernen, denn man kann nur wirksam etwas bekämpfen, von dem man die Hintergründe versteht.

Zunächst ist es nichts Besonderes, dass junge Leute mit Beginn der Pubertät radikale Botschaften cool finden. Sie fragen sich, wer sie sind, haben eine Identitätskrise, entwickeln eine Ablehnung gegen die Welt, in der sie leben. Sie halten sie für falsch, für schlecht. Bis zu einem gewissen Grad haben sie damit ja nicht einmal unrecht. Sie entwickeln eine Anti- und Protesthaltung. Oft kann das die Stimmung einer ganzen Generation werden. Das unterscheidet muslimische Kids noch nicht so sehr von nichtmuslimischen. Aber es kommt etwas hinzu: Viele muslimische Buben – es ist vor allem ein Problem junger Männer –, fühlen sich diskriminiert, respektlos behandelt, kommen dann in die Pubertät, wissen nicht, wer sie sind. Und genau an diesem Punkt sind Ideologen zur Stelle, die ihnen sagen: Ihr seid unterdrückt, weil der Islam unterdrückt ist. Ihr werdet hier nie dazu gehören. Das sollt ihr auch nicht anstreben. Denn die westliche Gesellschaft ist ohne Werte, sie ist schlecht. Der Islam ist die Lösung.

Diese Botschaft ist einfach. Letztlich ist es auch nur eine der „Verschwörungstheorien“. Geraten junge Leute einmal in dieses Fahrwasser, werden sie einer Gehirnwäsche unterzogen. Und irgendwann ist es für sie dann auch plausibel, dass man diese Schlechtigkeit der Welt mit Gewalt bekämpfen muss.

Der Terrorist vom Schwedenplatz war auch irgendwann so ein Junge. Er stammt aus einer westlich orientierten Familie. Er hat auch gegen seine Familie, seine Mutter rebelliert.

Wer einmal in einem Wahnsystem drinnen ist, ist schwer heraus zu holen. Am besten, man verhindert, dass jemand da hineingerät.

(Österreich, November 2020)

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