The Deficit Myth. A Conversation with Stephanie Kelton

Why states can – and must – afford substantial economic stimulus programs.

Mit ihrem Buch „The Deficit Myth“ schaffte es die amerikanische Ökonomin Stephanie Kelton bis auf die Bestsellerlisten der New York Times („Game-Changing“, so das Urteil von Marianna Mazzucatto), sie ist auch die prominenteste Stimme der heiß diskutierten „Modern Monetary Theory“. Sie steigt zudem in den Maschinenraum der Politik. So arbeitete sie als Chef Economist am US-Senate Budget Committee, praktisch als Beraterin von Senator Bernie Sanders. Zuletzt saß sie im Kreis der Wirtschaftsexperten, die für den gewählten Präsidenten Joe Biden ökonomische Vorschläge unterbreiteten. In der Corona-Krise müssen die Regierungen hohe Defizite in Kauf nehmen um Wirtschaft und Firmen zu stabilisieren und hinterher, um die Konjunktur in Gang zu bringen. „Es sind astronomisch anmutende Dollarbeträge, die in die Wirtschaft gepumpt werden – aber es sind immer noch zu wenig. Es bräuchte mehr Mut“, so Kelton.

Mit diesem Urteil ist Kelton noch im Rahmen des keynesianischen Mainstream. Die Modern Monetary Theory geht aber viel weiter. Regierungen mit souveräner Währung, die ihr eigenes Geld emittieren, haben praktisch keine fiskalischen Begrenzungen, so Kelton. Sie können das Geld, das nötig ist, um Wachstum, Wohlfahrt und Vollbeschäftigung herzustellen, einfach durch die Zentralbank produzieren – sie müssen es weder vorher durch Steuern eingenommen haben noch müssen sie auf die Schuldenquote starren wie das Kaninchen auf die Schlange. „Es war ja nicht so, dass die Menschen Geld hatten und der Staat dann Steuern einhob. Es war historisch umgekehrt: Der Staat emittiert Geld und pumpt es in die Wirtschaft, um Produktion und Zahlungskreisläufe in Gang zu setzen. Und einen Teil davon nimmt er mit Steuern wieder ein. Aber er braucht nicht unser Geld, um seine Aufgaben zu erfüllen.“ Kurz: Der Staat muss nicht besteuern, um auszugeben. Umgekehrt. Er gibt aus, um hinterher zu besteuern – sonst hätte ja niemand Geld, um Steuern bezahlen zu können. Volkswirtschaften, die über ihre eigene Währung verfügen und sich in eigener Währung „verschulden“, können nicht Bankrott gehen, können die Zinssätze für die Staatsschulden praktisch selbst bestimmen. Die Höhe der Staatsschuldenquote ist keine besonders relevante Größe, schon gar nicht in einem Umfeld, in dem die Zinssätze bei Null liegen oder real sogar negativ sind. Die Schulden werden uns nicht ruinieren, sondern das Gegenteil, fiskalische Zurückhaltung kann uns ruinieren – wenn langfristige Stagnation daraus resultiert. Droht aber dann nicht Inflation? Inflation, so Kelton, droht dann, wenn die Wirtschaft schon auf Hochtouren läuft, die Produktionskapazitäten ausgelastet sind und Vollbeschäftigung herrscht. Solange das nicht der Fall ist, werden weder Preise noch Löhne inflationär durch die Decke gehen. Kelton fügt hinzu: „Aber letztlich weiß kein ökonomisches Theoriemodell exakt, wann genau Inflation einsetzt, welche Sektoren der Wirtschaft schon überhitzt sind, während andere noch unter ihren Kapazitäten laufen. Wir müssen hier besser werden, aber auch ehrlich sagen – niemand weiß das exakt.“

Während die MMT-Theorie einige wichtige Aspekte für souveräne Volkswirtschaften mit eigener Währung deutlich macht (vor allen gilt das für die USA, Großbritannien, Japan, Australien…), ist die EU und die Eurozone ein Zwitterwesen. Technisch besteht die Eurozone aus souveränen Staaten, die ihre Währung – den Euro – wie eine Fremdwährung benützen. Die Regierungen haben keinen Einfluss auf die Geldpolitik und können im Extremfall sogar Bankrott gehen. „Im Augenblick verhält sich die Europäische Union wie ein souveräner Währungsraum mit den dafür nötigen Institutionen, aber das kann auch wieder anders werden“, so Kelton.

Die größte Gefahr liegt aus ihrer Sicht vor uns: Wenn die Pandemie überwunden ist und schwaches Wachstum wieder einsetzt und die Austeritätsfanatiker trommeln werden, man müsse jetzt wieder sparen. Wenn man dann nicht erfolgreich dagegen hält, dann droht eine langanhaltende Stagnation.

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