Zeit für Profis

Dilettantismus machte Österreich zum Katastrophengebiet. Wie konnte es zu diesem Desaster kommen?

Wir Österreicher sind Bewohner eines kleinen Landes, und das führt manchmal dazu, dass wir uns klein und unbedeutend fühlen, weshalb wir es besonders feiern, wenn wir einmal in irgendetwas besser als die anderen sind. Wir sind zwar ein irrelevantes Zwergenland, wollen aber gerade deshalb respektiert und anerkannt werden. „Wir sind wer in der Welt“, das reden wir uns gerne ein. Manchmal auch zu recht – man denke an Leistungen von Österreichern und Österreicherinnen in der Wissenschaft, der Kunst, oder auch an international hoch respektierte Regierungschefs von Kreisky bis Vranitzky.

Jetzt sind wir wieder einmal Spitzenreiter im internationalen „Wettbewerb“, aber darauf können wir uns leider gar nichts einbilden. Österreich ist das Land mit den relativ zur Bevölkerung meisten Corona-Infizierten auf der ganzen Welt. Fast jeder vierte Test, der überhaupt durchgeführt wird, ist positiv. Auch das ist Weltrekord.

Die bittere Wahrheit: Wir sind im Augenblick der Seuchen-Hotspot der ganzen Welt. Unser perfektes Gesundheitssystem schafft es gerade noch die Dämme zu halten.

Wie konnte es zu dieser Katastrophe kommen?

Die Regierenden haben ratlos und mit permanent widersprüchlichen Botschaften reagiert. Nachdem man im Frühjahr wahrscheinlich ein wenig zu viel Panik geschürt hat, wurde hinterher umgeschaltet und gefeiert, dass „wir die Gesundheitskrise so gut überstanden“ haben.

Bei den meisten Bürgerinnen und Bürgern blieb da hängen: Wir haben die Seuche hinter uns.

Verantwortungslose Verharmloser, mögen sie Bakhdi, Hofer, Strache oder sonstwie heißen, haben überdies mit krimineller Desinformation die Lüge unter die Leute gebracht, das Virus sei doch nur „ein harmloses Gripperl“. Und es sind erschreckend viele Menschen darauf reingefallen.

Dann kam noch eines hinzu: Wegen des Wien-Wahlkampfes haben Sebastian Kurz, Karl Nehammer und die ÖVP vor allem auf die rote Stadtregierung hingedroschen, damit aber bei vielen Menschen den Eindruck erweckt: Das Virus trifft eh nur Wiener und Ausländer. Folglich gab es Remidemmi von Oberösterreich über Tirol bis Kärnten – und die fürchterlichen Folgen sieht man jetzt. Zyniker sagen: Es muss eine Art Strategie gewesen sein, aber keine Ahnung welche.

Endgültig verrückt wurde es dann, als man begann, viel zu spät hektische Maßnahmen zu setzen.

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Den ersten Mini-Lockdown vor zwei Wochen verkündete man ausgerechnet so, dass noch hunderttausende Halloween-Partys feiern konnten. Den Hammer-Lockdown jetzt plante man ähnlich genial: zigtausende konnten Samstag zu völlig irrsinnigen Schlussverkäufen in die Einkaufszentren strömen. Dabei wäre beides mit schlauerem Zeitmanagement, wirksamen Verordnungen, Appellen an die Bevölkerung und Druck auf Konzerne zu verhindern gewesen. Man fragt sich, ob unsere Regierungsspitze überhaupt noch irgendeine Ahnung hat, was im Land vorgeht. Oder nehmen wir nur das Chaos bei der Statistik: Weil Infektionszahlen noch immer mit Zeitverzug in die Statistik gemeldet werden, wissen wir bis heute praktisch nicht, ob der Mini-Lockdown, der seit 14 Tagen gilt, überhaupt eine Wirkung hatte.

Österreich war vor drei Jahren ein vielleicht etwas langweiliges, aber wenigstens ordentlich verwaltetes Land. Dann verkündete Sebastian Kurz, es sei „Zeit für Neues“ und viele Landsleute sind ihm auf den Leim gegangen. Seither arbeiten Regierungen nur mehr gegeneinander, es geht alles schief und die Institutionen liegen in Trümmern (wie wir unlängst auch bei Terrorbekämpfung schmerzhaft erfahren mussten).

Ich denke, es wäre jetzt wieder Zeit für Profis.

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