Ohne Anstand

Nicht einmal zu ein paar emphatischen Worthülsen können sich Nehammer und Co. durchringen.

Afghanistan fällt nach zwanzig Jahren mühsamem Aufbau einer moderneren Gesellschaft zurück in Chaos, Gewalt und islamistische Despotie. Junge Menschen, die die Freiheit kennen gelernt haben, Frauen, junge Mädchen, Künstler und Künstlerinnen, Journalistinnen und Wissenschaftler, sie alle stehen vor den Trümmern, ohne Zukunft, bangen um ihr Leben.

Aber der österreichische Innenminister ist offenbar der Meinung, wir hier wären die eigentlichen Opfer der Taliban.

Denn die Bedrohten und Verfolgten könnten ja zu uns flüchten – und das ist ja wohl das Allerschrecklichste, was vorstellbar ist.

Kein Wort der Empathie, höchsten eine Floskel der gespielten „Erschütterung“ über das, was in Afghanistan passiert – und dann sofort die Botschaft, dass wir nicht daran denken, irgendjemandem zu helfen. Ja, dass wir alles tun werden, damit niemand, der Hilfe braucht, hier ankommt.

Es ist schon richtig, dass zehn Prozent der jungen Afghanen, die es bis zu uns schafften, mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind. Aber das heißt auch: Neunzig Prozent haben sich völlig gesetzestreu verhalten. Die kleine Gruppe jener, die Verbrechen begehen, wird man hier einsperren müssen. Aber sie kann keine Begründung dafür sein, Hilfesuchende zurück in die Hölle zu treten.

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Auch das Gerede von der „Hilfe vor Ort“ ist letztendlich Humbug. Was soll das denn heißen? Flüchtlingslager im Grenzgebiet, etwa in Pakistan oder dem Iran? Es geht ja nicht um Kriegsflüchtlinge, die „vor Ort“ abwarten, bis sie wieder zurückkehren können. Wer vor dem Taliban-Regime flieht, wird so bald nicht wieder zurückkehren – sondern wird versuchen, sich so schnell wie möglich anderswo ein neues Leben aufzubauen. Und das geht in einem Flüchtlingslager nicht.

Die meisten Vertriebenen werden sowieso in einer der großen Städte der Region bleiben. Dass eine ehemalige „christliche“ Partei angesichts einer solchen Tragödie nichts weiter zu sagen hat als „wir helfen keinem Einzigen“, das spricht Bände. Nicht einmal als Fassade wird minimaler Anstand gezeigt.

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