Nein, es ist keiner „Radikalisierung aller Seiten“ am Trump-Attentat schuld. Sondern die Klimavergiftung & Gewaltverherrlichung der Rechtsextremisten.
Zackzack, Juli 2024
Das war nun also wirklich nicht Oarschknapp, sondern Ohrknapp. Ein Attentäter mit einem Präzisions-Sturmgewehr, wie man es in den USA an jeder Ecke zu kaufen bekommt, hat einen Anschlag auf den ehemaligen Präsidenten und nunmehrigen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump verübt. Präsident Joe Biden hat das Attentat verurteilt und das auch noch unfallfrei, man hatte ja schon Sorgen, er könnte den Anschlag auf „President Putin“ verdammen. Für Trump ist das zum Glück noch glimplich ausgegangen, nicht aber für einige seiner Anhänger – ein Toter, mehrere Schwerverletzte ist die Bilanz.
Über den Schützen weiß man nicht viel, seine Motive liegen im Dunkeln. Er war seit Jahren registrierter Wähler der Republikaner (in den USA Voraussetzung dafür, bei parteiinternen Vorwahlen teilnehmen zu dürfen). Er war 20 Jahre alt, ein Alter, wo sich in wenigen Jahren viel im Kopf verändern kann. Fotos zeigen ihn eher als Nerd mit Brille, in der Schule wahrscheinlich ein Außenseiter (bei seiner Abschlussfeier hat er eine Urkunde bekommen, aber nur wenige haben applaudiert), und er hat sich für Codes und Mathematik interessiert. Man darf ihn sich als Schrulli vorstellen, und man darf an diese Vorstellung weitere Vorstellungsreihen anknüpfen (ein junger Mr. Seltsam, der im Internet viel seltsames Zeug liest und sich dadurch in irgendeinen Wahn heineinschraubt…) aber im Grunde ist das alles nur Phantasiererei. Man weiß nichts. Schulkollegen beschreiben ihn als extrem intelligent, etwas rechtsgerichtet – aber nicht besonders auffällig und radikal –, und offenbar hat er auch in einem Alten- und Rehabilitationsheim gearbeitet. Er soll in sich gekehrt gewesen sein.
Propaganda und Manipulation
Das hat die Propagandarührer vom extremistischen Republikaner-Flügel aber nicht daran gehindert, das Attentat sofort auszuschlachten und zu missbrauchen. Die Demokraten seien schuld, die Linken, sie hätten zwar nicht den Abzug betätigt, aber doch irgendwie die Waffe entsichert. Indem sie Trump als gefährlich, als Verächter des Rechtsstaates hinstellen, als einen, der schon einmal einen Putsch gemacht hat, als einen, der mit seinen Think-Tanks schon Pläne in der Schublade hat – 1000 Seiten – für eine Art Diktatur („Project 2025“). Als einen, den man an der Wahlurne stoppen muss.
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Auch konservativ-liberale Kommentatoren tappen in diese Falle, und beklagen, dass „die Polarisierung“ und „die Radikalisierung von beiden Seiten“ Schuld seien, und das Verhängnis der „politischen Gewalt“. Als hätten sich in den letzten Jahren beide großen Parteien in den USA radikalisiert.
Die dumme These von den „beiden Seiten“
Als wären die schlimmen Finger, die das Klima vergiften, genauso schuldig wie jene, die vor der Klimavergiftung der schlimmen Finger warnen.
Als wäre das Problem der liberalen Gesellschaften, dass sich alle radikalisieren. Trump und Biden, Höcke und Scholz, Nepp und Ludwig, die Obamas und die rechten Waffennarren – alle furchtbar radikal. Merkt ihr selber, wie absurd dieser „Bothsidismus“ ist, oder? Faschisten und Demokraten, traurig, wie polarisiert die sind. Das Gegenteil ist ja der Fall: Während die Linksparteien immer „rechter“ wurden (nämlich immer un-radikaler), wurden die Rechtsparteien immer „rechtsradikaler“.
Biden hat sich also genauso radikalisiert wie Trump? Das Umfeld der Demokratenführung hat sich genauso radikalisiert wie die Kamarilla um Trump? Wer so etwas auch nur in den Raum stellt, ist entweder ein bewusster Propagandist der Extremisten – oder deren nützlicher Idiot.
Politische Gewalt hat keinen Platz, sagen jetzt alle unisono. Fein, dass sich da plötzlich alle einig sind, aber als Trumps Horden einen Putsch anzettelten, das Parlament stürmten und dabei fünf Menschen ums Leben kamen, war vom Ekel vor „politischer Gewalt“ noch wenig zu merken.
Wer wollte noch einmal die Gegner „ausrotten“?
Als ein Attentäter in das Haus von Nancy Pelosi eindrang, der damaligen Demokraten-Anführerin im Repräsentantenhaus, und dort ihren Mann mit einem Hammer schwer verletzte, machte sich Trump noch über die „crazy Nancy Pelosi“ lustig und fragte unter dem Gelächter seiner Anhänger: „Übrigens, wie geht’s eigentlich ihrem Mann?“
Trump selbst stachelte seine Anhänger immer wieder zu Gewalt an. „Wir versprechen euch, die Kommunisten, die Marxisten, die Faschisten und die linksradikalen Schurken auszurotten, die wie Ungeziefer in unserem Land leben und bei Wahlen lügen, stehlen und betrügen“, kündigt er in seinen Wahlkampfreden an.
Der Chef der Heritage-Foundation „versprach“ unlängst sogar eine „Revolution, die unblutig bleibt, wenn die Linke es zulässt“. Umkehrschluss: Wenn sich die Demokraten gegen den autoritären Umbau stellt, dann werde man offenbar auch zu Gewalt greifen. Auf beinahe 1000 Seiten hat sein Think Tank das „Projekt 2025“ skizziert, einen Übergang zu Trump, der ein „Flirt mit der Diktatur“ (so Kritiker) sein solle. Der Präsident solle nicht weiter durch Rechtsstaat und Gewaltenteilung behindert werden. Das Oberste Gericht hat vorsorglich schon entschieden, dass ein Präsident für alle Amthandlungen Immunität genießen solle (also auch zb. für menschenrechtswidrige), zudem soll es künftig möglich sein, hunderttausende Beamte auszuwechseln und durch Speichellecker zu ersetzen. Offenbar war der Verwaltungsapparat den Trump-Leuten in der ersten Amtszeit zu störrisch. Bis ins letzte Glied sollen öffentliche Stellen mit radikalen Trumpisten besetzt werden.
Drohung mit Blutvergießen
Und sein Vordenker droht jetzt damit, dass es „blutig“ werden würde, wenn die Opposition damit nicht einverstanden sein sollte. Das Programm ist so radikal, dass selbst Trump sich davon distanzieren musste und so tat, als habe er damit nichts zu tun.
Jetzt sagen sogar die moderateren Republikaner, es sei an der Zeit „die Temperatur herunterzudrehen“, also die spalterische Aufganselungs-Rhetorik etwas zu drosseln. Man muss dazu leider nüchtern feststellen, dass ihnen das erst eingefallen ist, als eine Kugel das Ohr ihres Kandidaten perforierte, während der ganzen Gewaltorgie ihrer Leute waren sie dazu ziemlich still.
Absurd. Vor allem, da ja viel dafür spricht, dass der radikalisierende Irrsinn, den die Rechtsextremisten seit Jahr und Tag absetzen, auch den Attentäter erst in einen Wahn hineingetrieben hat. Warum sollte sonst ein Republikaner einen anderen Republikaner erschießen wollen? Oder er hatte einfach einen Knall, was ja auch vorkommt (und gegenwärtig am Wahrscheinlichsten ist). Man lernt vielmehr: Wer den Leuten Verschwörungstheorien in den Kopf setzt, läuft Gefahr, dass die durchdrehen. Wer einen Kult der Gewalt das Wort spricht, kann nie ganz ausschließen, dass das in Form von Gestörten wie ein Bumerang zurück kommt.
Wenn zurückkommt, was du gesät hast
Nicht gänzlich ignoriert werden sollte auch: Der Schütze hat mit genau der Waffe geschossen, die bei Waffennarren so beliebt ist; er hat genau deshalb einen so leichten Zugriff auf die mörderische Apparatur, weil die Republikaner das „Recht auf Waffen“ zu ihrer Quasi-Religion gemacht haben. Es ist diese Waffen-Religion, die in Kindergärten, Schulen, Universitäten, in Shopping-Malls jedes Jahr hunderte Menschenleben fordert. Es ist die Gewalt, die sie anbeten, die Härte, das Recht, zur Waffe zu greifen, das sie Tag für Tag feiern, und das sich jetzt gegen ihren Anführer gerichtet hat. Die Gewalt, die jetzt einen der Ihren traf, ist buchstäblich eine „innere Angelegenheit“ der extremen Rechten. Wäre es nach den bösen Linken gegangen, hätte der Typ nie eine Waffe in der Hand gehabt. Die Trump-Leute sollen sich bei der eigenen Nase nehmen. Aber stattdessen kommt nichts als Heuchelei und Propaganda, die weitere Gewalt schüren.