Volkspartei und Sozialdemokraten sollten mit dem Taktieren und dem Gegeneinander aufhören.
Insider, 2. Oktober 2024
Der Sonntag war ein schwarzer Tag für Österreich. Dass die FPÖ auf Platz eins vorgestoßen ist, ist ein Erdbeben. Es gibt nichts zu beschönigen. Wie der Theaterautor Thomas Köck schon vor dem Wahltag formulierte, das ist „kein Ruck mehr, sondern eine mittlerweile jahrzehntelange Verschiebung sämtlicher demokratischer Grundprinzipien“. Kein Rechtsrutsch, sondern ein „Rechtserdrutsch“.
Die FPÖ hat noch in den allerletzten Wahlkampftagen in vollendeter Radikalität getrommelt: „Am Sonntag bringen wir das System zu Fall.“ Selbst am Tage der Wahlkampf-Schlussveranstaltung wurde bei einem Begräbnis eines Parteifunktionärs das alte SS-Lied gesungen. Spitzenleute der Partei waren mittendrin. Der Parteichef hat den Österreichern in einer Pandemie eine Pferdeentwurmungsmittel empfohlen. Menschen, die es eingenommen haben, sind gestorben. Es gruselt einem, dass 29 Prozent derer, die wahlberechtigt sind und zur Wahl gegangen sind, eine Partei gewählt haben, die sich derart selbst radikalisiert hat.
Dass es so ausging, hängt womöglich sowohl mit dieser Radikalisierung als auch mit dem Gruseln zusammen. Jeder starrte auf die FPÖ, alles drehte sich um sie, das hat ihr am Ende auch noch zusätzlich genützt. Und die Medien haben dazu beigetragen, dass all das zunehmend als „normal“ erschien, weil man sich daran gewöhnte, weil man abstumpfte.
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Die anderen Parteien haben ganz offensichtlich sehr viel falsch gemacht, dass es soweit kommen konnte. Was, darüber wird bestimmt noch genug geredet werden. Es ist sicherlich auch wichtig, darüber zu reden und dies auch selbstkritisch zu tun. Aber noch wichtiger ist folgendes: 29 Prozent haben die FPÖ gewählt, 71 Prozent haben sie nicht gewählt. Die allermeisten von diesen Wählern – weit mehr als zwei Drittel immerhin – lehnen die FPÖ nicht nur ab, sie lehnen sie leidenschaftlich ab.
Unsere Welt ist aus den Fugen, nicht nur in Österreich. Das „System“ von Demokratie, Menschenrechten, Liberalität – das „System“, das die FPÖ zu Fall bringen will – ist durch Verbitterung, Aufganselei, Hang zum Autoritären und zu Autokraten – herausgefordert, nicht nur bei uns. Von Ungarn bis zum Trump-Irrsinn in den USA. Wahrscheinlich geht es in unserer Ära darum, diese Woge des rechten Extremismus zu bremsen, wenn man sie schon nicht stoppen kann.
Es liegt jetzt an den anderen Parteien, sehr verantwortungsvoll zu agieren. Volkspartei, Sozialdemokraten und die anderen demokratischen Parteien der Mitte müssen aufeinander zugehen, das gilt nicht nur, aber ganz besonders für Karl Nehammer und Andreas Babler. Das Wichtigste ist jetzt, eine Regierungsbeteiligung der FPÖ zu verhindern. Mit einem Radikalinski wie Herbert Kickl und seinen extremistischen Gesellen wird eine ultrarechte Regierungsbeteiligung nicht mehr sehr glimpflich ausgehen. Jetzt muss man auf Österreich schauen und die kleinlichen Konflikte zwischen den Parteien der Mitte ad acta legen. Unser Land darf nicht Ungarn werden. Wir haben hier etwas zu verteidigen: den sozialen Frieden, die Prosperität, die Freiheit der Kunst, die Demokratie und einen Geist der Liberalität und Modernität. Spielraum für Fehler gibt es keinen mehr.
Eine Legislaturperiode dauert fünf Jahre. Das ist eine relativ lange Zeit. Wenn die konstruktiven Kräfte zusammenhalten, kann das Land geheilt werden, auch die gesellschaftliche Atmosphäre von Groll, Wut und Verbitterung, die schließlich der Humus ist, auf der der Erfolg Kickls gediehen ist.