Amerika lügt, Amerika ist ein Hochstapler

Michael Harriot hat eine zornige, lustige, schnoddrige und böse Geschichte des schwarzen Amerika geschrieben.

Falter, Literaturbeilage, Oktober 2024

„Würde man aus Vergangenheit und Gegenwart Amerikas ein fühlendes Wesen erschaffen wollen“, eines, das die dunklen Wahrheiten, die Geschichte, die Identität der Vereinigten Staaten verkörpert, ätzt Michael Harriot, „es wäre wie Donald Trump.“ Es würde alle hassen, die nicht weiß sind. Es würde sich für ein einzigartiges mental stabiles Genie halten. „Donald Trump ist Amerika.“

„Er lügt… genau wie Amerika lügt.“ Die Geschichte der Nation, ihrer Bedeutsamkeit, dass sie ein Leuchtturm des Guten sei, all das ist „das Hirngespinst einer kollektiven weißen Fantasie. Amerika ist ein Hochstapler.“

Michael Harriot, Journalist, Reporter, Kommentator, TV-Pundit, Polemiker und Autor mit einem Hang zum Comedyhaften hat die Geschichte Amerikas geschrieben – und in gewissem Sinne neu geschrieben. Als Gewaltgeschichte von weißer Vorherrschaft und weißer Superioritätsgefühle, als Geschichte einer Nation, die nicht nur von Gewalt vergiftet ist, sondern von Genozid, Ausrottung, Sadismus, Habgier und vom Hang, sich das alles in geschönten, doppelt „weißgewaschenen“ Tönen zu erzählen. Zugleich ist es eine Gegengeschichte des schwarzen Amerika, von Leid, aber auch von Widerstand, Mut, Selbstbehauptung und Überlebensgeschick.

Das ist gewiss nicht vollends neu. Die Ausrottung der indigenen Bevölkerung, die Gewaltgeschichte, die Versklavung von Millionen Schwarzen, aus Afrika hergebracht, die rassistische Brutalität bis in unsere Tage, all das ist vielfach beschrieben, genauso wie die heldenhaften Kämpfe, der Bürgerrechtsbewegungen, von Rosa Parks bis Martin Luther King bis Malcolm X oder die große Geschichte schwarzen Geisteslebens, mit Giganten wie William E. B Du Bois, der schon um 1900 Weltruhm erlangt hatte und etwa Max Weber ein paar spannende Ecken des Landes zeigte.

Das Buch liest sich packend, ist dann dennoch ein Fall für sich und von einer Eigentümlichkeit, die es erschwert zu sagen, was das eigentlich ist: Ein populärwissenschaftliches Geschichtsbuch, befeuert von Jahrhunderten schwarzer Verwundungen? Ja, das auch. Zugleich auch ein Buch, als wäre es extra für Teens und Twentysomethings geschrieben, im schnoddrigen und oft auch scherzhaften Ton des Influencer-Sounds. Und ein bisschen ist es „Critical Whiteness Theory“, nur ohne Theorie.

All das macht das Buch eigentümlich. Das Buch ist gut, aber seltsam. Das beginnt schon damit, dass es immer wieder private Storys einflechtet, dass ein – realer oder fiktiver ? – Onkel als Erzähler in die Geschichte springt, dass es zwischendurch Exkurse zu allen möglichen Abschweifungen gibt, Fragebögen, um das Gelernte lustig abzuprüfen, und sogar Kochrezepte, die aber auch ihre kulturhistorische Bedeutung haben.

„Geschichte wird von den Siegern geschrieben, aber von Rebellen gemacht“, formuliert Harriot. Und noch die Überschreibungen der Geschichte werden von der dominanten Kultur verfasst. Heute wird die Sklaverei eben als eine „Verirrung der Zeit“ erzählt, der Geschichtslauf als Abfolge humanitärer Reformen, bei denen weiße Humanisten und gewaltlose schwarze Pazifisten langsam, mühsam, aber zum gemeinsamen Vorteil die Welt besser gemacht haben. Harriot nennt das „die Schulbuchversion des Bürgerrechtskampfes, wie sie in unserem Kollektiven, weißgewaschenen Gedächtnis existiert“.

Was ist das gefährlichste Lebewesen, dem ein Schwarzer begegnen kann, fragt Harriot? „Ein Amerikaner.“

Noch die freundliche, humanistische Phantasiegeschichte wiederholt auf ihre Weise die Entrechtung, wenn etwa das vorherrscht, was Harriot das „Weiße kämpften für das Ende der Sklaverei“-Narrativ nennt. Noch in dieser Befreiungsgeschichte verlieren die Opfer ihre Identität, denn die Sklaven, die verschleppt wurden, waren keine „Sklaven“, sondern „Ärzte, Priester, Kinder, Ehefrauen und Krieger“, also Menschen mit einer Identität, die bis heute ausgelöscht ist, wenn man sie auf ihr Sklaven-Sein reduziert.

Herriot beschreibt eindrücklich, wie diese Gewalt- und Brutalitätsgeschichte Gemüter und Mentalitäten prägt. Die Ideologie der „White Supremacy“ ist nicht nur mit Überlegenheitsgefühlen vergiftet, sondern mindestens so sehr von Angst: der Schwarze wird als unberechenbares Raubtier imaginiert. Wer sich geknechtete, entrechtete, ihrer Identität beraubter Arbeiter einer anderen Ethnie in großer Zahl ins Land holt, den Familien ihre Kinder, den Menschen ihr Leben stiehlt, macht bald die Erfahrung: die sind gefährlich. Die werden nämlich jede Gelegenheit zum Aufstand wahrnehmen. Aber die Träger der weißen Vorherrschaft sagen sich natürlich nicht, „oh, wir haben Mist gebaut“, sondern phantasieren sich den Schwarzen dann zur Bestie zurecht. Als Stereotyp leben diese Trugbilder dann noch Jahrhunderte fort.

Die Schwarzen wiederum wollen von den Weißen am liebsten in Ruhe gelassen werden, aber die Unrechtserfahrungen und auch das Wissen um dauernde Bedrohtheit, von Willkür, von Ausgeliefertsein schreibt sich in die „Seelen der Schwarzen“ ein (so Du Bois legendärer Titel seines legendären Buches). Immer am Sprung, immer aufmerksam. Jeder Schwarze wird „Experte“ für die Weißen, weil er Bedrohungen schnell erkennen muss. James Baldwin, der große schwarze Erzähler und Essayist, hat einmal über die scheinbare schwarze „Fröhlichkeit“ geschrieben, den immer lustigen Schwarzen, der stets ein Grinsen im Gesicht hat. Was in den Stereotypenschatz der Weißen einging („Schwarze sind oft lustig, immer zu Späßchen aufgelegt …), ist aber zunächst einfach eine Überlebensstrategie. Der Schwarze weiß, ihm schlägt leicht Aggressivität entgegen, er wird – Stichwort: weiße Angst – auch leicht als Bedrohung wahrgenommen. Also lächle, dann lächelt die Welt vielleicht zurück. Eine Strategie, so Baldwin, die leider meist nicht funktioniert.

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„Der Typ war total verrückt. Er war weder reich noch klug noch besonders begabt … und heiratete irgendwann eine portugiesische Adelige“ – in diesem Sound geht die Geschichte los, gemeint ist Christoph Kolumbus, der Seefahrer, der sich ein wenig irrte, dadurch irrtümlich „Amerika“ entdeckte, was natürlich auch mehrfach falsch war. Erstens war es schon entdeckt, zweitens betrat er erst auf seiner vierten Reise „amerikanisches“ Festland (und das auch nur bei Honduras).

Spannend ist Herriots „wahre Geschichte der USA“ besonders da, wo es die unbekannteren Episoden erzählt: wie versklavte Landarbeiter ihre eigenen Gemeinschaften gründeten und damit Ruhe von ihren Besitzern hatten und Freiheitsbewegungen entstanden; wie brutal die „Gegenrevolution“ nach dem Bürgerkrieg wütete, um den Befreiten ihre Rechte wieder zu nehmen; wie die Gesetzlosigkeit herrschte und die Lynchkultur („der Boden glitschig vor Blut“). Es war der Kampf der Schwarzen, so Herriot, der „das kriminelle Unternehmen namens Amerika“ veränderte. „Das Rechtsstaatsprinzip existiert wegen uns.“ Es wurde erkämpft, von zornigen Predigern, brillanten Journalistinnen und Kämpfern, die der Gewalt mit Gegengewalt begegneten. Harriot: „Vielleicht liegt der erste Schritt zur Befreiung in der Loslösung von dem Gedanken, dass Freiheit etwas ist, was weiße Menschen jemanden gewähren können. Ich wollt’s nur mal gesagt haben.“

Michael Harriot: Black as F***. Die wahre Geschichte der USA. Aus dem amerikanischen Englisch von Sabrina Sandmann und Andrea Schmittmann. HarperCollins, Hamburg, 2024. 558 Seiten, 26,80. €

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