Dialektik des Widerstandes

Die Barbarei zu bekämpfen ist nötig und unumgänglich, zugleich aber auch zuwenig.

taz, das Schlagloch, November 2024

„Fühlt Euch nicht in die Ecke gedrängt, eingeengt. Bewegt Euch, so gut ihr könnt, durch diese Welt um euch herum“, schrieb Patti Smith am Tag nach der Trump-Wahl. Und endete: „Zurück an die Arbeit.“ Es war ein erster, schneller Versuch, mit dem Schock zurande zu kommen, den sie mit vielen teilt. Dieser depressiven Erstarrung. Erst heilen, erst Selfe-Care, aber dann eben auch: „Zurück an die Arbeit.“ Ist das trotzig, kämpferisch? Oder einfach, „zurück an die Arbeit“, was ja auch heißt, zurück zum Eigenen, sich nicht behindern lassen, nicht beirren von Umständen, die womöglich so lähmen, dass einem die Fähigkeit abhandenkommt, diese Umstände zu ändern.

Die Welt geht gerade bisschen den Bach herunter, Krieg, Krise, Verrücktheit, das Regressive, die Angst, negative Nachrichten schlagen in unsere Hirne ein. Von der „Nachrichtenerschöpfung“ sprechen schon die Zeitdiagnostiker. Die Abfolge an schlechten Nachrichten trägt selbst zu einer Atmosphäre der Dauergereiztheit bei, sie produziert auch einen Groll, der Ursache der nächsten schlechten Nachrichten wird.

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Diese Rasanz, mit der kippt, was man an Status Quo erreicht zu haben glaubte, an eh nur halbwegs modernen, progressiven, pluralistischen Demokratien. Rechtsextreme werden bei Wahlen Nummer eins, wie in Österreich, in Italien, der ethnonationalistische Autoritarismus bringt selbst Trump wieder ins Präsidentenamt. Jetzt auch noch Neuwahlen in Deutschland, deren Ausgang ungewiss ist, aber dass die Dinge einen fulminant erfreulichen Lauf nehmen werden, ist dann doch eher unwahrscheinlich. „Zurück an die Arbeit“, das heißt auch: nicht „trotz alledem“, sondern gerade deswegen.

Bloß, was ist das für eine Arbeit, an die wir zurück sollen? Die Verteidigung der demokratischen Institutionen, um das Schlimmste zu verhindern? Eine ehrenwerte und nötige Sache, gewiss. Man soll die Verhinderung des Schlimmsten nicht verächtlich machen. Wir kennen diese falsche, höhnische Frage, was es denn zu verteidigen gäbe in dieser Welt, die viel mehr unperfekt als perfekt ist. Andererseits: Die dauernde Defensive ist auch eine Falle. Man steht leicht ohne nennenswerte sonstige Ziele da, wenn man nur mehr das Schlimmste verhindern will und nur mehr auf die Gefahr starrt, die es abzuwenden gilt. Mehr noch: Man wird mit dem Institutionengefüge identifiziert, mit dem Status Quo, dem, was sie „das System“ nennen. Wer in diese Falle tappt, steht schon fast auf verlorenem Posten. Man scheitert dann selbst an der Verteidigung dieser Institutionen, gerade weil man nur mehr als Verteidiger dieser Institutionen wahrgenommen wird – eine Art von trauriger Dialektik.

Wer nur verteidigt, verteidigt schlecht. Jeder spürt das. Widerstand ist notwendig, und zugleich viel zu wenig.

Es war nicht der einzige Grund, warum Kamala Harris verlor – die Misogynie war ein anderer, die Geschichte ihrer überstürzten Kür ein weiterer, dass sie „Regierungskandidatin“ war ein dritter –, aber es war einer der Gründe: hier stand eine erfolgreiche Frau, Westküsten-Starjuristin, frühere Anwältin, ehemalige Generalstaatsanwältin, in Designer-Hosenanzügen, der Uniform der zeitgenössischen Erfolgskultur, mit Perlenketten, und repräsentierte schon von Bildsprache und Bodylanguage die Eliten-Kultur der Upper-Upper-Classes. Also ein „System“, das viele Verlierer und Verwundete produziert. Und die als zentrale Botschaft hat: Verteidigt den Status Quo gegen den Sturmlauf der Barbaren.

Wir stehen – soweit zur „Arbeit“, die wir vor uns haben – beinahe überall vor dem selben Problem. Der rechtsextreme Autoritarismus hat die Hegemonie, er bestimmt die Themen, das, worüber diskutiert wird, er setzt den Takt, und die anderen reagieren nur mehr darauf, sogar dann, wenn er nur in der Minderheit ist. Und er beutet jede Schwäche und jede Inkonsequenz schonungslos aus. Die rechten Strategen haben das gut erkannt, nämlich, dass man keine Wahlen gewinnt, bevor man nicht die Themensetzung bestimmt. Sie haben das in ihrer verquasten Sprache „Metapolitik“ genannt und die Bearbeitung des „vorpolitischen Raumes“.

Freilich gibt es natürlich nie einen Kampf um die Hegemonie, der nicht vom Gegenüber mitbestimmt wird: denn es gibt keine Position, die sich nicht über die Gegnerschaft zu anderen Positionen definiert. Um das in Carl Schmitts Worten zu sagen, des großen Säulenheiligen der zeitgenössischen radikalen Rechten: Es gibt keine politischen Begriffe, die keine Dissoziation, also Gegnerschaft artikulieren.

Bei den Rechten ist das etwa die Multikulturalität, nicht nur in Hinblick auf die ethnische Multikulturalität der Einwanderergesellschaft, sondern auch in Hinblick auf die Werte- und Lebensstil-Diversity heutiger Gesellschaften mit ihrem „Leben und leben lassen“ und ihrem „Anything Goes“. Die ganzen Gender-Fragen, die „Kulturkampf“-Triggerthemen. Auch ihre Thematiken kommen nicht aus dem Nichts, sondern aus einem Kontra, aus Gegnerschaft.

Die Gegenwart lehrt uns, dass die Abwehr der Barbarei nicht gelingen wird, wenn sie rein defensiv bleibt. Gegenwart und Geschichte lehren, dass man einerseits das Verstunkene, das Verstockte, das Autoritäre und Repressive angreifen, dabei aber auch ein Bild künftiger besserer Lebensweisen entstehen lassen muss. In neuen Gemeinschaften, im Brodelnden, Elektrisierenden des Neuen, in der Kunst, in der Literatur, in der Poesie, in den Wissenschaften, in der Architektur, mit Rationalismus, mit Stilrevolutionen, in der Verbesserung von Stadtteilen, in den kleinen Utopien hier und da, der Freude an der Freiheit. Tausende Impulse, jede für sich scheinbar unwichtig, die sich in Summe aber zu gesellschaftlichen Atmosphären addieren. Das ist die Arbeit einer freien Zivilgesellschaft, die vordergründig überhaupt nichts mit Wahlkämpfen zu tun hat, bei der aber jede und jeder ihren kleinen Beitrag leistet, dass dann Wahlen anders ausgehen. „Arbeit“ im vorpolitischen Raum. Gewissermaßen ein Antifaschismus, der nicht dauernd auf die Faschisten starrt. Vielleicht sollten wir Patti Smiths Aufmunterung so verstehen: Zurück jeweils an die Arbeit, die jeder von uns am besten kann.

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