Die ÖVP hat den Wählern versprochen, Kickl vom Kanzleramt fernzuhalten, jetzt unterwirft sie sich ihm. Sie sollte diesen Wählerbetrug stoppen.
Insider, Kolumne, Mitte Jänner 2025
In Österreich haben wir ja die Eigenart, uns die Dinge schönzureden, uns selbst zu belügen, den größten Irrwitz irgendwann einmal als „normal“ anzusehen und uns einzureden, es werde „schon nicht so schlimm kommen“. Aber wenn ein unverhohlener Rechtsextremist wie Herbert Kickl Kanzler wird, dann wird das ein dramatischer Wendepunkt dieser Republik.
Der Anführer der FPÖ hat im Wahlprogramm die Homogenisierung der Bevölkerung versprochen, er sagt „machen wir‘s dem Orban nach“, er hat die grotesken Impfgegner-Demonstrationen angeführt, er ist Putins Pony und Freund der Identitären. Er hat getrommelt, am Wahltag stürzen wir das System und gebrüllt, er habe schon „Fahndungslisten“, was die ÖVP jetzt nicht davon abhält, zu glauben, sie könne sich von Kickls „Fahndungslisten“ auf seine „Ministerlisten“ flüchten. Und Kickl hat ja auch eine Geschichte als Heißsporn und Überzeugungstäter, die jeder kennt.
Dass er es mit der österreichischen Gemütlichkeit halten wird, sobald er im Amt ist, ist eine verrückte Selbsttäuschung. Man kann daran erinnern, dass er schon als Innenminister einen absurden Überfall auf Verfassungsschutz und Spionageabwehr inszenierte. Und man kann ganz aktuell verfolgen, dass er der ÖVP, kaum hat die ihre groteske 180-Grad-Wendung hingelegt, öffentlich ausrichtet, sie müsse sich total unterwerfen, vor ihn in den Staub schmeißen und ihm huldigen.
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Die Konsenskultur in Österreich, die Liberalität der politischen Kultur, aber auch die gemütsmäßige Liberalität hiesigen Alltagslebens – ausgedrückt im Motto „leben und leben lassen“ –, mit einem Kanzler Kickl und seiner harten Rechtsregierung geht das zu Ende.
Bizarr ist der Schwenk der ÖVP, der alle Reste an Glaubwürdigkeit dieser Partei zerstört. Dabei ist man von der ÖVP seit Jahren diesbezüglich genug gewohnt und hat niedrige Erwartungen, angesichts ihrer Leitlinie „Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit“, was nur eine elegantere Version ist von: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“ Wie hatten sie alle gewarnt vor Kickl, wie hatten sie alle geschworen, dass sie nie mit Kickl würden, wie hatten sie ihre Wähler umgarnt, sie als Bollwerk gegen Kickl zu wählen. Alle haben das getan, nicht nur Karl Nehammer, dem sie das Messer in den Rücken rammen mussten, um den Schwenk zur FPÖ hinzubekommen.
Für die Volkspartei wird das existenzbedrohend: ihre eher „rechten“ Anhänger hat sie an die FPÖ verloren, die Wähler der Mitte, die sie mit ihrem gebrochenen Versprechen jetzt vertreibt, sind die nächsten und die Position als gedemütigter Juniorpartner ist sowieso eine Rolle aus der Hölle aus ihrer Sicht. Eigentlich ist es völlig verrückt, was diese Partei gerade macht.
Noch ist es nicht zu spät, diese Geisterbahnfahrt zu beenden. Die FPÖ hatte bei den Wahlen 29 Prozent der Stimmen, eine große Mehrheit der Österreicher lehnt eine Kanzlerschaft von Herbert Kickl ab. Die Parteien der Mitte haben durch eine Abfolge haarsträubender Fehlhandlungen die Dreierverhandlungen zum Scheitern gebracht. Sie sollten sich an der Nase nehmen. Die NEOS etwa sind panisch und unüberlegt aus den Verhandlungen ausgestiegen, haben eine fatale Kettenreaktion ausgelöst. Glauben sie wirklich, dass sie der Liberalität etwas Gutes taten, indem sie das Tor für Kickl weit aufmachten?
Sie alle haben ihren Wählern versprochen, Kickl vom Kanzleramt fernzuhalten. Sie sollten den Wählerbetrug schleunigst beenden.