Rebellion ist gerechtfertigt

Samira Akbarian hat eine brillante Studie über gewaltfreien Widerstand und zivilen Ungehorsam geschrieben.

Falter, Dezember 2024

Gewaltfreier Widerstand, der Regeln und Gesetze bricht, ist eine große Erfolgsgeschichte. Das gilt in demokratischen Rechtsstaaten, in denen es spektakuläre symbolische Regelübertretungen schaffen, unterdrückte Themen auf die Tagesordnung zu bringen. Das gilt sogar in Diktaturen: Untersuchungen zeigen, dass von den „erfolgreichen“ und „teilweise erfolgreichen“ Kampagnen die strikt gewaltfreien viel öfter erfolgreich sind als die gewaltsamen. Weil durch den „David-gegen-Goliath“-Effekt die öffentliche Meinung sogar in Diktaturen häufig zugunsten der Protestierenden kippt. Repression gegen gewalttätige Rebellionen lässt sich leichter „rechtfertigen“, während umgekehrt, Repression gegen friedliche Protestler Regimes erst recht in Bedrängnis bringt.

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„Ziviler Ungehorsam“ in demokratischen Rechtsstaaten kann Themen in den Fokus rücken, die sonst ignoriert werden würden, etwa bei Straßenblockaden oder menschlichen Schutzringen gegen Abschiebungen, für den Klima-Schutz (wie bei den Aktionen der „Letzten Generation“) oder wie bei den Kampagnen der Tierschützer. Freilich, die positive Resonanz ist nicht automatisch garantiert.

Die 34jährige Frankfurter Juristin und Staatsrechtlerin Samira Akbarian hat sich nun dem Thema „Recht brechen“ in Demokratien angenommen, nicht weniger als „eine Theorie des zivilen Ungehorsams“ entworfen und dafür prompt mehrere Preise abgeräumt. In ihrer brillanten Untersuchung durchschreitet sie nicht nur historische Exempel wie die US-Bürgerrechtsbewegung, die Occupy-Bewegungen nach der Finanzkrise oder die Klima-Proteste, sie beleuchtet das Thema aus den verschiedenen Perspektiven: den juristischen, den diskurs-theoretischen, den moralphilosophischen Blickwinkeln.

Ziviler Ungehorsam bricht zunächst einmal Regeln. Damit verstoßen sie gegen das Gesetz und könnten als problematisch angesehen werden, da sie ganz offensichtlich demokratische Verfahren nicht akzeptieren. Diese Gesetze sind schließlich demokratisch zustande gekommen. Dennoch, so Akbarian, agieren sie meist im Rahmen des Rechts: denn erstens kann man Gesetze ändern, zweitens verändert sich deren Interpretation. Und zu dieser permanenten Neuinterpretation leistet der zivile Ungehorsam seinen Beitrag. Insbesondere geht es zivil Ungehorsamen oft „gerade darum, die durch die Verfassung ausgestalteten Gerechtigkeitsprinzipien zu verwirklichen“, formuliert sie – also etwa Freiheit oder Gleichheit.

Das ist alles keine überhochmetzte Rechts-Scholastik. So proklamiert das deutsche Grundgesetz: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung.“ Gerichte haben diesen Artikel 20 zunehmend so interpretiert, dass Klimaschutz zwingend ist und ziviler Ungehorsam durch die Rechtsordnung gebilligt. Und zwar insbesondere dann, wenn vor allem auf die öffentliche Meinung abgezielt und ein Tatbestand der „Nötigung“ nicht erfüllt wird. Das Recht ist veränderbar und fluide. Ganz ähnlichen Mustern folgte auch die US-Bürgerrechtsbewegung.

Ziviler Ungehorsam übt nicht Gewalt aus, ihn definiert, dass er den eigenen Körper passiv einsetzt und „die eigene Verletzlichkeit als Protestmittel“ einsetzt (Aktbarian). Er ist damit in doppelten Wortsinn zivil: Bürgerinnen und Bürger üben ihn aus, und das auch noch auf „zivile“ Weise.

Samira Akbarian: Recht brechen. Eine Theorie des zivilen Ungehorsams. C. H. Beck-Verlag, München, 2024. 172 Seiten. 16,40 Euro.

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