Stunde der Vernünftigen

Regierung, verzweifelt gesucht. In Österreich haben die demokratischen Parteien jetzt ihre zweite Chance.

taz, Februar 2025

Der bittere Kelch einer harten, rechts-autoritären Wende ist an Österreich gerade noch einmal vorbei gegangen. FPÖ-Chef Herbert Kickl ist an seiner eigenen Verbissenheit gescheitert, hat mit den Konservativen keine Einigung erzielt und musste den Regierungsbildungsauftrag zurücklegen. In seiner sektenhaften Anhängerschaft gibt man jetzt „den Globalisten“ die Schuld, die mit ihren bösen Netzwerken und dem sinistren Deep State eine Rechtsregierung verhindert hätten. Auch die WHO sei involviert gewesen, meinen sie, wegen der Impf-Diktatur oder so.

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Aber insgeheim wissen selbst die größten Irrlichter, dass es der Charakter von Herbert Kickl war, der die Rechtspartei ihre Chance auf das Kanzleramt verspielen hat lassen.

Man muss die Feste feiern, wie sie fallen, heutzutage sind schon kleine Freuden selten genug. Aber das politische System Österreichs steht nach bald einem halben Jahr an Koalitionsverhandlungen noch ramponierter da als vorher. Bundespräsident Alexander van der Bellen drückt jetzt auf’s Tempo. Konservative, Sozialdemokraten und liberale Neos, die vor rund sechs Wochen schon einmal in ein Verhandlungsfiasko gestolpert waren, sind wenigstens durch einen heilsamen Schock geläutert. Sie wissen, dass sich die Vernünftigen und Demokraten jetzt wie Erwachsene verhalten müssen und die Zeit für Taktiererei oder die Pflege von Animositäten vorbei ist.

Sie müssen sich zusammenraufen. Am Wahrscheinlichsten: Dass sich Konservative und Sozialdemokraten einigen – sie haben im Parlament gemeinsam eine hauchdünne Mehrheit von einer Stimme –, und sich von den Liberalen oder auch den Grünen stützen lassen. Auch die Grünen könnten wieder zurück im Spiel sein. Werner Kogler, der Parteichef und frühere Vizekanzler, hat in den vergangenen Wochen als einer der wenigen wirkliches staatmännisches Format gezeigt. Er hat alles unternommen, um den Konservativen Brücken zurück zu bauen.

Denkbar ist aber auch eine „Technokraten“-Regierung aus Elder Statesman und -women, Ex-Bankern und allseits anerkannten Politikerinnen und Politikern – quasi eine „Mario-Draghi“-Variante. Eine solche Regierung kann freilich kein bloßes Übergangskabinett sein, es bräuchte auch ausverhandelte parlamentarische Mehrheiten, denn die strauchelnde Wirtschaft und sonstige Kalamitäten verlangen mehr als bloß Verwaltung. Möglich, dass die Parteien eine solche Variante schmackhaft finden: nachdem die Staatsfinanzen aus dem Ruder gelaufen sind und es in jedem Fall einen Konsolidierungskurs braucht, könnte man den Sparkurs einfach ein Technokratenkabinett erledigen lassen.

Aber eine „echte“ Koalitionsregierung wäre sinnvoller. Denn die tiefe Krise des Landes ist auch eine Chance. Das Publikum hat jetzt den Hader und die Konsensunfähigkeit satt. Es könnte eine Stunde der Möglichkeit für Vernünftige, Maßvolle und Demokraten sein. Sie sollten sie nutzen.

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