Wird Sebastian Kurz zu hart kritisiert? (zb. von mir?)

FS Misik Folge 588 über die Frage, ob wir mit dem jungen Kanzler etwas milder umgehen sollten.

Man wirft mir ja bisweilen vor, ich wäre zu gemein zu Sebastian Kurz, sähe nie das Positive. Ist das wahr? Nun, wollen wir es zumindest einmal versuchen.

Drei Argumente haben Kurz‘ Fürsprecher ja üblicherweise vorzubringen. Erstens: Indem Kurz die ÖVP scharf nach rechts geführt und sich als der „bessere“ Rechtspopulist positioniert hat, habe er den Aufstieg der FPÖ gestoppt, sie auf Platz drei gehalten und damit Österreich gerettet. Das erkennen seine Gegner viel zu wenig an. Zweitens: Dass Kurz gemeinsam mit der FPÖ die liberale, pluralistische Demokratie abschaffen will, sei übertrieben. Er will sein Lager stärken und die Linken schwächen – das ist aber nun einmal durchaus im Rahmen des Üblichen bei einem Regierungswechsel. Drittens: Er bremst die Rechtsextremen eh – halt nur hintenrum. Denn würde er es öffentlich tun, würde die Regierung streiten.

Was ist an den drei Argumenten dran – und sind sie ein Grund, ihm mit Milde und weniger Kritik zu begegnen?

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Du bist doch nicht #VonHier ( = Du gehörst doch nicht hier her!)

FS Misik Folge 587

Heimat ist für viele Leute der Ort, an dem sie gesagt bekommen, dass sie her nicht dazu gehören. Deswegen können viele Menschen mit Migrationsgeschichte die Frage: „Woher bist Du?“ nicht mehr hören – weil sie gerne mit dem Zusatz: „Aber Du bist doch nicht von hier?“ versehen wird. Die Botschaft ist dann nicht selten: „Du gehörst doch gar nicht wirklich hier her!“

Dennoch sollten wir uns wahrscheinlich häufiger die Frage stellen: „Woher kommst Du?“ Denn Herkommen – und auch die Biografie der Vorfahren – sind keine belanglosen Informationen. Sie definieren eine Person nicht, aber sie sind doch relevante Persönlichkeitsmerkmale.

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Und, ja, auch Leute aus der sogenannten autochtonen Bevölkerung stellen sich, wenn sie sich kennen lernen, diese Frage sehr oft. Weil es eben etwas aussagt, ob man aus Herne, Dornbirn, Chemnitz, Spielfeld, Döbling oder Favoriten kommt.

Das Problem ist nicht, dass einer jemanden fragt: wo kommst her? Sondern dass ein Teil derer, die diese Frage gestellt bekommen, mit dieser Frage die Botschaft ins Gesicht gedrückt kriegen, dass sie hier nicht her gehören.

Warum Demagogie zur Verdummung führt

FS Misik Folge 585: Eine Politik der Angst wird simple, dumme Entscheidungen zur Folge haben.

Die amerikanische Philosophin Martha Nussbaum hat ein neues Buch geschrieben mit dem Titel „Königreich der Angst“. Angst frisst sich in unsere Gesellschaften hinein, es wird eine Politik der Angst gemacht: Demagogen schüren die Angst, und die Menschen werden aufgeganselt und verroht, auch verdummt. Angst provoziert simple, aber viel zu dumme Lösungen, die nur zu neuen Problemen führen. Nussbaum: „Wenn wir Angst haben, ziehen wir voreilig Schlüsse und schlagen zu, bevor wir über das Wer und das Wie sorgfältig nachgedacht haben.“ Wir alle wissen: Um eine Sache beurteilen zu können und zu guten Lösungen zu kommen, braucht man

1. eine Menge Informationen

2. ruhige Abwägung aller Folgen und Nebenfolgen

3. Toleranz gegenüber einer beträchtlichen Ungewissheit des Ausgangs.

Nichts schadet einem Land mehr als Demagogie und das Spiel mit der Angst. Und die, die dem Land schaden, nennen sich dann Patrioten.

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Wer sind hier die Phantasten? Die irre Welt von Kurz, Strache & Co.

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FS Misik Folge 584 über FPÖ-Landesparteiobleute, die in den Raum stellen, HC Strache könnte blöd sein und darüber, warum Rechte und Konservative „realitätsfremde Phantasten“ sind.

Anpassung und Gleichschaltung – die Mechanik der Orbanisierung

FS Misik Folge 583

Wir alle erleben in Österreich in Echtzeit, wie sich das öffentliche Klima verschiebt. Wie die Grenzen des Sagbaren verschoben werden. Wie die Mitte nach Rechts rutscht. Wie Anpassung geschieht, und wie sogar so etwas wie ein Klima der Angst entsteht.

Dafür gibt es in der politikwissenschaftlichen Literatur einen Begriff: Das Overton-Window (das Overton-Fenster), benannt nach dem Forscher Joseph P. Overton. Er stellte sich die verschiedenen potentiell denkbaren politischen Aussagen auf einer Linie vor, mit den Polen des absoluten Radikalismus an beiden Enden. Aber nicht alles davon ist „sagbar“, also als respektable politische Position anerkannt. Das Ziel des rechten Radikalismus etwa ist, diesen Rahmen zu verschieben. Genau das ist der Mechanismus, mit Hilfe dessen man die Demokratie zum Kippen bringen kann.

In eigener Sache:

Und nun ein paar Sätze in eigener Sache: Nach der letzten Folge auf derstandard.at erreichte mich viel Zuspruch, diese Reihe in Eigenregie weiter zu führen. Also versuchen wir es. Damit das aber Sinn hat, braucht es jetzt aber natürlich die Mithilfe der Zuseher – auf den verschiedenen Social Media Kanälen etwa. Die Verbreitung kann nur durch Euch geschehen.

Für nichtkommerzielle Medien ist die Übernahme der Sendung frei, also etwa für Freie Radios oder Ähnliches, bei kommerziellen Medien bitte ich um Kontaktierung.

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„In alter Freund- und Feindschaft.“ Die Farewell-Show

Es ist ein bisschen das Ende einer schönen Wegstrecke, und natürlich auch immer ein wenig mit Wehmut verbunden – aber nach etwas mehr als 11 Jahren endet mit dieser Folge von FS Misik meine Kooperation mit dem „Standard“.

Ich bin ein wenig noch am Überlegen, aber denke, dass ich diese Videoreihe doch weiter machen werde, nur eben einfach hier – und über die diversen Ausspielkanäle wie Facebook, twitter und andere. Ob das gut funktioniert, kann man ja einfach nur ausprobieren. Zwei kurze Anmerkungen dazu: Einerseits ist das Publizistendasein natürlich mein Beruf, und ob genug Leute bereit sind via Crowdfunding etwas beizutragen, dass das nicht nur viel Arbeit für Gotteslohn ist, wird man sehen. Aber natürlich ist das auch nicht alles, was zählt. Ob es über die Crowd möglich sein wird, hier ordentliche Zuseherzahlen zu sichern, spielt mindestens eine ebenso große Rolle. Lohnt ja nur, wenn Leute wirklich Lust haben das zu sehen.

Aber wie gesagt, einfach ausprobieren. Zumindest tendiere ich im Augenblick eher dazu.

Also, see you 🙂

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„Keine Kompromisse“

Sie war doktrinär, liebte Fehden, lag manchmal richtig, sehr oft auch falsch. Dennoch – oder deswegen? – ist Rosa Luxemburg bis heute eine ideale Identifikationsfigur der Linken. Vor 100 Jahren wurde sie ermordet.

Für Zeit-Online, 15. Jänner 2015

Sie ist bis heute das vielleicht größte Idol der Linken, geradezu die ideale Identifikationsfigur für radikale Entschiedenheit: Rosa Luxemburg. Sie stand immer auf der richtigen Seite, etwa, wenn wankelmütig gewordene Sozialdemokraten ihre faulen Kompromisse mit dem herrschenden System machten, sie saß für ihre Überzeugungen jahrelang im Gefängnis, sie wich keinem Konflikt aus und war dennoch keine Menschenschinderin mit Erschießungspelotons wie Lenin oder gar Stalin. Im Gegenteil, ihre Prosa ist voller Zärtlichkeit: „Die Welt muss umgestürzt werden, aber jede Träne, die geflossen ist, obwohl sie abgewischt werden konnte, ist eine Anklage; und ein zu wichtigem Tun eilender Mensch, der aus roher Unachtsamkeit einen Wurm zertritt, begeht ein Verbrechen“, formulierte sie. Am Ende wurde sie auch noch zur Märtyrerin, Opfer eines Meuchelmordes einer rechtsradikalen Soldateska.

Viel mehr an Zutaten zum Idol geht eigentlich kaum.

Exakt 100 Jahre ist das jetzt her, dass Rosa Luxemburg von Freicorpssoldaten in einer geheimen Wohnung aufgestöbert wurde, nachdem die Aufstandsversuche vom chaotischen Januar 1919 in Berlin niedergeschlagen worden waren. Nach kurzem Verhör und Misshandlung im damaligen Hotel Eden bei der Budapester Straße wurde sie in einen Gefangenenwagen geschafft, dort mit einem Gewehrkolben niedergeschlagen und einfach erschossen. Ihre Leiche wurde in Landwehrkanal geworfen, wo sie erst Monate später wieder auftauchte.

Eine Frau, die so endet, und die mit ihrer Kritik so oft so recht hatte – die steht auf einem Sockel, und alles ist glasklar. Aber ist es das denn wirklich? Luxemburgs Gegner – und das waren im Laufe der Zeit so ziemlich alle -, hatten sehr oft unrecht. Aber das heißt ja noch nicht unbedingt, dass Rosa Luxemburg immer recht hatte.

Eine Art Wunder war sie von Anbeginn. Als Tochter in eine Kaufmannsfamilie in einem polnischen Provinzkaff 1871 geboren, studiert sie, macht sich als Nationalökonomin einen Namen, wirft sich in die sozialistische Theoriedebatte. All das zu einer Zeit, in der man jungen Mädchen und Frauen noch beibrachte, in der zweiten Reihe zu stehen – allenfalls. Sich nicht groß hervor tun, sondern die Autorität der Männer zu achten, zumal dann, wenn die doppelt so alt wie sie sind und außerdem Legenden. Nichts von all dem tat Rosa Luxemburg.

So bewundernswert das ist und so brillant sie argumentierte – so ist auch ihr Weg mit Irrtümern gepflastert.

Generationen von radikalen Linken haben es in den letzen Jahrzehnten zuwege gebracht, die Gegner von Luxemburg in den vielen Kontroversen, die sie führte, als Kompromissler und Anpassler hinzustellen, und Rosa Luxemburg sowohl als hellsichtige Kritikerin wie auch als die eigentliche Fackelträgerin des Erbe von Revolutionsheroen wie Karl Marx und Friedrich Engels. So etwa im berühmten „Revisionismusstreit“, der ab Ende des 19. Jahrhunderts tobte. Ausgelöst hat ihn Eduard Bernstein, einer der Veteranen der Bewegung, Mitstreiter von Marx und engster Mitarbeiter des alten Friedrich Engels. Engels selbst hatte in seinen letzten Lebensjahren die Gemäßigten in der Sozialdemokratie gefördert und ihnen immer wieder gratuliert, wenn sie die Heißsporne in der Bewegung ausgetrickst hatten. Bernstein schließlich hatte diese Wendung vom Revolutionspathos zum Reformismus dann theoretisiert – vor allem an Hand von ökonomischen Fakten und soziologischen Untersuchungen.

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Dass der Kapitalismus die Gesellschaft in eine Zuspitzung von Klassengegensätzen zerreißt, unermesslichen Reichtum auf der einen Seite, und immer mehr Elend auf der anderen Seite konzentriere, hatte sich als falsch erwiesen. Auch dass der Kapitalismus seinem Zusammenbruch notwendigerweise entgegen gehe, erschien plötzlich nicht mehr so fix. Auch Arbeiter konnten ihren Wohlstand steigern, manche sogar in den Mittelstand aufsteigen, nicht zuletzt dank des Erfolgs von Sozialdemokraten und Gewerkschaften selbst. Marx‘ Prognose immer ärgerer Verelendung wurde zunehmend fragwürdig. Bernstein hatte das aus der Steuerstatistik und anderen Daten heraus gelesen.

Rosa Luxemburg, noch keine dreißig, griff Bernstein radikal an. Bernstein wolle den Sozialismus als Endziel aufgeben, schrieb sie (was nicht falsch war), wohingegen sich die kapitalistischen Widersprüche „mit jedem Tag schärfer“ zeigen (was nicht richtig war). Dabei traf sie mit ihrer Kritik durchaus richtige Punkte. In der Sozialdemokratie griff eine gewisse Bravheit um sich, eine Funktionärsschicht gewann Wichtigkeit, der die gemächliche Ruhe des langsamen Schritt-für-Schritt wichtiger war als Risiko und Abenteuergeist. Dafür gab es gute Argumente, es förderte aber auch Mittelmäßigkeit und Beamtenmentalität. Diese Milieus waren froh, mit Bernstein einen Theoretiker gefunden zu haben. Darin hatte Luxemburg recht. Aber das ändert nichts daran, dass in der ökonomischen Analyse und im hellsichtigen Wittern von Zeittendenzen eher Eduard Bernstein recht hatte, während Luxemburg eher den Buchstabengeist von Karl Marx Arbeiten verteidigte – und wenn die Wirklichkeit dem entgegenstand, dann umso schlimmer für die Wirklichkeit. „Eine Theorie der sozialistischen Versumpfung“, nannte sie Bernsteins Realismus – um Injurien war sie im Streit nie verlegen. Schließlich liebte sie Wortgefechte und mediale Fehden. „Keine Kompromisse“ weiterlesen

Wie polarisiert ist unsere Gesellschaft wirklich?

FS Misik Folge 581

Die Wirklichkeit ist eine latente Balance von Konflikten, die heraufdräuen, von Prozessen, die sich verstärken, aber auch widersprechen, von hunderten und tausenden Impulsen, Motiven, Handlungen, Gefühlen, auch von Fehlurteilen. Wir setzten sie manchmal aus Fake News zusammen, aber meist aus Fakten und Urteilen, aber eben nur aus jenen, die überhaupt unsere Aufmerksamkeit erregen unter Ausschluss jener, die wir nicht wahrnehmen. So steht immer in Frage, was denn nun wirklich die wirkliche Wirklichkeit ist.

Ich denke daher beispielsweise dreierlei.

Erstens: Die Zustimmung zur gegenwärtigen Regierung und deren Stil ist deutlich geringer als wir annehmen, es fällt nur nicht auf, da auch die Zustimmung zur Opposition enden wollend ist (nicht unberechtigterweise übrigens).

Zweitens: Unsere Gesellschaft ist deutlich weniger polarisiert, als es den Anschein hat, da die große Mehrheit der Menschen, die Mischformen und Kombinationen verschiedener Werte vertreten, die die Grauzonen zwischen den Polen bilden, viel weniger auffallen als die Pole selbst.

Drittens: Es ist falsch, zu glauben, dass man in einer hysterisierten, gereizten Öffentlichkeit nur mehr mit Slogans, Sound-Bites und geschürten Emotionen punkten kann. In Wirklichkeit haben die meisten Menschen diesen Stil der Verkürzung, Diffamierung und Verdummung satt. Wir werden uns noch wundern, wie schnell den Menschen dieser Stil auf die Nerven geht.

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Die Diffamierungs-Regierung. Der Krieg gegen Caritas & Co.

FS Misik Folge 580

Eben stellte man sich noch für besinnliche „Licht ins Dunkel“-Werbebildchen an, aber kaum ist die stille Zeit vorbei, schaltete die Regierung auf Diffamierungsmodus. „Asylindustrie“, „Asylbusiness“, „Konzern“, „Geschäftsmodell“, „Klingelbeutellobbyismus“, keppelten die Regierungskommunikatoren gegen die Caritas. Wundern braucht das niemanden mehr. Diese Regierung hat einfach ihr Skript, das sie sich von Orban und Co abgeschaut hat und jetzt einfach abarbeitet: Diffamierung der Opposition, Diffamierung der Zivilgesellschaft, Diffamierung der Nichtregierungsorganisationen, Diffamierung von Journalismus und Medien. Es ist ein so bekanntes Skript, dass man sich die Frage stellt, ob sich die nicht einmal auch etwas Eigenes einfallen lassen könnten. Das ist ja schon irgendwie langweilig. Mäßig originell ja auch die Diffamierung von Journalismus und Medien, die seit Jahren planmäßig betrieben wird. „Lügenpresse“, bellen die Rechtsradikalen, „klassische Medien“ seien „System=Establishment“, haben die Kurz-Leute schon in ihre Wahlkampfpapiere als Sprachregelung reingeschrieben („Wording“, wie man das im Propagandistenjargon nennt). Neuester Hit ist der Kampf gegen „Haltungsjournalismus“ und „Belehrjournalismus“, und besonders ulkig ist, wie sich die Kommentatoren der Pseudomedien und der regierungstreuen Presse an den neuen Phrasen beglücken. Abgesehen davon, dass sich die Frage aufdrängt, welchen Wertekompass man eigentlich im Kopf haben muss, wenn man „Haltung“ als Schimpfwort benützt, ist besonders skurril, dass der Vorwurf ausgerechnet von solchen „Journalisten“ und „Medien“ kommt, die praktisch ausschließlich aus Haltung bestehen – nur halt eben einer miesen –, um die herum sie ihre Lügen gruppieren. Das erklärt sich womöglich aus dem weit verbreiteten Irrtum, dass eine verkommene Gesinnung keine Gesinnung und eine Lumpenmoral keine Moral sei.

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Die politische Klimakatastrophe. Horrorjahr 2018.

FS Misik Folge 579.

Niemals sei er ein Neonazi gewesen, sagt der Vizekanzler nun in einem Interview. Es gibt zwar dutzende Bilder von ihm mit Neonazis, wasserdichte Recherchen, er wurde auch gemeinsam mit Neonazis festgenommen, aber er sei ja keiner gewesen. Nun gut, bei HC Strache ist tatsächlich denkbar, dass er sich dauernd mit Neonazis rumtrieb, ohne überhaupt zu bemerken, dass sie Neonazis sind.

Ohnehin ist ja weniger das Problem an dieser Regierung, was einer ihrer Protagonisten vor dreißig Jahren dachte und meinte, sondern dass sie heute allesamt nicht sehr viel anders denken. Es kann aber auch am recht entspannten Verhältnis dieser Regierung zur Wahrheit liegen. Sie machen die Lüge zur Wahrheit und die Wahrheit zur Lüge, den Hass zur Liebe, die Liebe zum Hass, sie verwandelt die Tugend in Laster, das Laster in Tugend, den Blödsinn in Verstand, den Verstand in Blödsinn, die Propaganda-, Fake-News-, die Hass- und Blendmaschine, die dieses Land im Griff hat.

Frühere Regierungen bremsten und blockierten sich, in dieser stachelt man sich auf und lizitiert man sich hoch, der einzige innere Streit ist der Überbietungswettbewerb wer jetzt der schlimmere Finger, der autoritärere Typ, die fieseste Figur ist. Könner des affektierten Stillschweigens genauso wie des lauten Gegröles, gemein, kleinlich, mal kalt herzlos menschenfeindlich, mal spöttisch-hetzerisch. Spricht aus dem Kanzler meist die Verachtung, die sich im Griff hat, der herzlose Bürokrat, ein Haider ohne Hetze hat ihn einmal einer seiner engen Vertrauten genannt (und das tatsächlich als Lob gemeint), dann aus seinen Koalitionären das Überschießende der sprachlichen Mordlust, der Spaß an der Hetzjagd, das Feixende von Spießgesellen, denen man die Freude an der eigenen Bösartigkeit von weitem ansieht.

Wie bei der Erderhitzung gilt auch hier: Der Klimawandel kommt nicht, wir stecken mitten drin in der Klimakatastrophe. Es regiert die Gefühlsrohheit, der sadistisch-masochistische Gemütszustand des Kleinstbürgers, der stets von der Angst zerfressen ist, irgendjemand könnte einen Vorteil erlangen, den er nicht ergattert und der zu Empathie nicht in der Lage ist – denn das einzige Mitleid, zu dem er fähig ist, ist das Selbstmitleid, die einzige Emphase die Einfühlung in sich selbst. Sebastian Kurz verkörpert die Kapitulation der Bürgerlichkeit und ihrer Werte von Anstand, Höflichkeit, Moral, Tugend, Liberalität, von Verantwortungsgefühl, zumindest minimaler Wahrhaftigkeit und christlicher Mildtätigkeit vor einer autoritären Hartleibigkeit.

Indem er keinen anderen erkennbaren politischen Willen hat als den, die Verkörperung des Zeitgeists zu sein, was nur ein anderes Wort für den Willen ist, an die Macht zu kommen und zu bleiben, nützt er die rechtsradikale Radaupolitik als Hebel und unterwirft sich ihr im selben Moment. Weil er den Rechtsradikalismus besiegte, indem er ihn kopierte, lieferte er das Land seinem Geist aus und machte sich zum Gesicht des autoritären Nationalismus, egal welche rosig gefärbte Geschichte sich dieser Meister der Ränke, Schliche und der pfiffig-schlauen Drehungen im Stillen über sich selbst wahrscheinlich erzählen wird.

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Alles so schön kompliziert hier! Die Sehnsucht nach Einfachheit und Verschwörungstheorien

Als ich hier vergangene Woche über diesen emotionalen Cocktail aus Wut und Enttäuschung sprach, der sich in Frankreich in einer popularen Revolte Bahn bricht, da kamen dann schnell die Gegenargumente, dass das doch alles durch rechte Fake-News-Seiten und Putins Trollfarmen gesteuert sei. Als könne es nicht eine Gleichzeitigkeit geben: berechtigte Wut und egalitäre Instinkte, die zugleich heterogen und instrumentalisierbar sind. Echte Empörung und Akteure, die damit ihr außenpolitisches Süppchen kochen. Ja, alles gleichzeitig und durcheinander. Eigentlich sind ja nahezu alle Geschehnisse in der wirklichen Wirklichkeit mehrdeutig und ambivalent. Sie sollten sich lieber damit abfinden, dass bei fast jeder Frage die richtige Antwort lautet: Es ist kompliziert. Es ist diese Kompliziertheit, die viele nicht ertragen, weshalb ja auch Verschwörungstheorien so beliebt sind. Sie fantasieren immer ein einfaches Ursache-Wirkung-Verhältnis herbei, der Komplexität wird das Komplexe ausgetrieben, die Welt ist dann aufgeräumt. Die undurchschaubaren Dinge werden klar, wenn man sich einredet, dass irgendjemand im Hintergrund die Fäden zieht. „Ambiguitätsintoleranz“ nennt das der deutsche Philosoph Thomas Bauer.

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Revolte in Frankreich. Ein Aufstand mit Klasseninstinkt.

Die Revolte in Frankreich, dieser Aufstand der „Gilets Jaunes“, ist eine erstaunliche Sache. Erstens ist es die Rückkehr einer Revolte, die in unseren Breiten schon beinahe ausgestorben war – der Teuerungsrevolte. Brotpreisrevolten und Ähnliches, das kannte man – aber vor Jahrzehnten. Und jetzt die Benzinpreisrevolte. Es ist auch, zweitens, eine wirklich populare Revolte, also eine Revolte, deren Gravitationszentrum in den Provinzen liegt, den kleinen Städten, den Ausfahrten der Landstraßen, in den Dörfern, in der Normandie, der Bretagne, im Landesinneren.

Sie ist widersprüchlich und ohne Programm, aber sie hat einen Klasseninstinkt – den Klasseninstinkt der unteren Klassen, die das Prassen und die Arroganz der metropolitanen Oberschichten als Provokation erleben und die Abwertung ihres eigenen Lebensstils als Verletzung. Die sich als Vergessene erleben, auf denen man herumtrampelt.

Es sind die, die mit Recht die Schnauze voll haben, sagt die wunderbare Schriftstellerin Annie Ernaux, und der Starautor Edouard Louis fügt hinzu: „Wer das Beschmieren von Denkmälern für etwas Schlimmeres hält als die Unmöglichkeit, sich selbst und die eigene Familie zu ernähren oder einfach nur zu überleben, der muss wirklich überhaupt keine Ahnung davon haben, was soziales Elend ist.“

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