Gute Märkte und böser Staat

Seit der Kernschmelze an den Finanzmärkten fällt es den Propheten der Idee von den selbstheilenden Wirkungen der Märkte ja zunehmend schwer, ihre Vodoo-Ökonomie unter die Leute zu bringen. Deshalb verlegen sie sich auf immer bizarrere Behauptungen. Besonders beliebt ist in der letzten Zeit: Dass der Irrsinn auf den Finanzmärkten, der letztlich zur Kontaminierung der gesamten Welt mit Schrott-Wertapieren führte, nicht eine Folge von Markt-, sondern von Staatsversagen sei, weil die US-Regierung seit Bill Clinton die halbstaatlichen Hypothekarbanken Freddie Mac und Fannie Mae dazu gedrängt habe, Subprime-Kredite an arme Menschen zu vergeben, damit auch die sich ein Häuschen leisten können. Das ist natürlich schon deshalb Quatsch, weil Fannie und Freddi nur einen kleinen Teil des Subprime-Geschäftes kontrollierten, der allergrößte Teil des Business mit strukturierten Hypothekarkrediten aber von normalen Geschäftsbanken betrieben wurde.

Und auf das Aufpumpen von Immobilienblasen in Spanien, Irland und sonstwo hatten Freddie und Fannie exakt null Einfluss.

Wie extra-bizarr diese Schutzbehauptung aber ist, hat jetzt Paul Krugman in seinem Blog gezeigt. Er hat einen Artikel von Peter J. Wallison ausgegraben, einem republikanischen Propagandisten, der zuletzt besonders laut diese These von der fatalen Rolle der beiden staatsnahen Hypothekar-Kreditgeber verbreitet hat. In dem Text, den Krugman gefunden hat, schreibt Wallison aber noch im Jahr 2006:

There are many lenders aggressively competing to make the higher-amount loans, and the GSEs are not doing the job they should for low-income homebuyers.

Fannie and Freddie should do a much better job of providing affordable home financing to a neglected portion of the mortgage market.

Mit anderen Worten: Wallison kritisiert Fannie und Freddie dafür, dass sie nicht aggressiv genug Kredite an einkommensschwache Leute vergeben. Also, die Position der Neoliberalen läßt sich exakt so zusammenfassen: Weil Fannie und Freddie gemacht haben, was die Neoliberalen von ihnen gefordert haben, von dem sie aber seinerzeit gemeint hätten, sie täten es zu wenig, deshalb ist also die Finanzkrise ausgebrochen. Oder irgendwie so ähnlich. Eine total logische Argumentationsreihe, Hut ab.

Neue Daten: Noch mehr Ungleichheit in Österreich

Man muss weit lesen im aktuellen Sozialbericht der österreichischen Bundesregierung, aber hinten ab Seite 233 gibt es ziemlich brisante Daten. Neue Erhebungen von Forschern der Nationalbank (OeNB) zeigen, dass die Vermögensungleichheit in Österreich noch einmal erheblich schärfer ausgeprägt ist als angenommen. Und zwar sowohl was den Geldvermögensbesitz wie auch den Immobilienbesitz betrifft.

473,4 Milliarden Euro betragen die aggregierten Finanzvermögen in Österreich, davon sind 439 Milliarden im Eigentum privater Haushalte. Die Finanzvermögen sind in den vergangenen zwanzig Jahren deutlich stärker gesteigen als das BIP. Entsprechend sind auch Einkommen aus diesen Vermögen deutlich gestiegen, ihr Anteil an den Einkommen ist bis 2008 auf bis zu 15 Prozent angewachsen – und nur durch die Finanzkrise kurzfristig zurückgegangen.

Aber sie sind grob ungleich verteilt.

Über zwei Drittel der österreichischen Haushalte besitzen kein nennenswertes Geldvermögen,

resümieren die Forscher ihre Ergebnisse, während

die obersten 10 Prozent einen Anteil von 54 Prozent am gesamten Geldvermögen auf sich vereinigen.

Aktuell sind das 238 Milliarden Euro. Also, nochmal: Die obersten zehn Prozent aller Haushalte besitzen beinahe 240 Milliarden Euro.

Neue Daten: Noch mehr Ungleichheit in Österreich weiterlesen

Carl Theodors „verwegene Charaktermelange“

Kairos des Gemurmels. Der Karl-Heinz Grasser der Deutschen, Seine Peinlichkeit Carl Theodor Etcetera, flog nicht nur eben samt Gattin und Talkshow-Master nach Afghanisatan, er hat auch ein Doktorarbeit geschrieben – und deren Vorwort hat es in sich. Geschwurbel zum Fremdschämen. Irgendwann muss ich den Kerl glaub ich zum Essen einladen. Arbeitstitel: Dinner für Spinner. Aber hören Sie selbst:

Dumm, dümmer, wirtschaftsliberal

Christian Lindner, Generalsekretär einer deutschen politischen Splittergruppe namens FDP, hat vor wenigen Tagen im Berliner „Tagesspiegel“ ein bemerkenswert-bizarres Meinungsstück abgeliefert. Darin grämt er sich über den Zuspruch, den die Studie „Gleichheit ist Glück“ der britischen Sozialwissenschaftler Richard Wilkinson und Kate Picket erfährt.

Lindner feiert darin geradezu grobe materielle Ungleichheiten, denn die seien

die Hefe im Teig der Marktgesellschaft.

Nicht genung, stellt Lindner völlig argumentfrei fest:

Der Versuch des Buchs, den Vorrang der Gleichheit vor der Freiheit wissenschaftlich zu belegen, ist gescheitert.

Wär es nicht so ärgerlich, könnte man fragen: Wie heißt die Droge, die der Typ genommen hat? Aber im Ernst: Die Herrschaften sollen endlich aufhören, das hohe Wort der Freiheit in den Dreck zu ziehen und vor den Karren ihres miesen Egoismus zu spannen. Grobe materielle Ungleichheiten schränken ja gerade die Freiheit ein. Insofern ist Wilkinsons und Pickets Buch eine Anleitung dafür, wie man mehr Freiheit realisieren kann. Was dazu zu sagen ist, hab ich gerade erst im Grazer Schauspielhaus so formuliert: nämlich, dass

die Gleichheit nicht der Antipode der Freiheit ist, sondern ihr Zwilling. Die vielbeschworene „Optionen- und Risikogesellschaft“ bedeutet in der Realität: Optionen für die Einen, Risiko für die anderen. „Freiheit“ unter den Bedingungen von grober Ungleichheit heißt Freiheit für die Begüterten, aber Optionenmangel für die Unterprivilegierten. Dass eine egalitäre Gesellschaft nur auf Kosten der „Freiheit“ zu haben ist, ist vielleicht die allergrößte Lüge der neuen Konservativen. Gleichheit heißt nämlich, dass alle die „Freiheit“ haben, aus ihrem Leben etwas zu machen. Und Ungleichheit hat freiheitseinschränkende Wirkungen für die Unbegüterten, weil eklatanter materieller Mangel mit eklatantem Mangel an Optionen einher geht. Gleiche Lebenschancen geben allen Menschen die Freiheit, aus ihrem Leben etwas zu machen.

Die Welt versus Wikileaks

Die gegenwärtige Causa-Prima – also, die Welt gegen Wikileaks – hat ja einige Aspekte, die man durchaus auseinander halten muss. Die heutige Festnahme von Julien Assange basiert auf Sachverhalten, über die man einerseits relativ viel weiß, deren Umstände zum Teil aber doch im Dunkeln liegen. Worum es genau geht, kann man hier nachlesen. Etwas schlüpfrig, streckenweise suggestiv. Aber informativ.

Davon doch (bis zu einem gewissen Grad?) unabhängig ist die konzertierte Aktion gegen Wikileaks. Provider-Abschaltungen in mehreren Ländern, gekündigte Konten bei Amazon, PayPal, die Sperre von Visa und Master-Card für Spenden an Wikileaks, der unsägliche Senator Joe Liebermann, der nicht nur Unternehmen zum Geschäftsabbruch mit Wikileaks drängt, sondern jetzt sogar schon Verfahren gegen die New York Times fordert, und zu allem Überdruss noch die bizarre Sarah Palin, der knackig formuliert, man solle Assange jagen und zur Strecke bringen wie Osama Bin Laden (wobei sie höchstwahrscheinlich nicht meinte, dass man ihn laufen lassen und neun Jahre nach ihm erfolglos suchen solle). Kurzum: Da wird mit vollen Kanonen geschossen. Der erste wirkliche „Info-War“, wie Wikileaks-Unterstützer dramatisch schrieben. Die Aktionen sind, zurückhaltend formuliert, etwas überzogen. Schlechter imperialer Stil der US-Regierung. Die amerikanischen Behörden bestätigen gerade all jene Vorurteile, die wir schon nicht mehr hatten.

Und das gilt auch dann, wenn man das Wikileaks-Ziel der totalen Transparenz und der radikalen Veröffentlichung von Herrschaftswissen nicht vollends teilt; selbst dann, wenn man die Meinung vertritt, dass es doch auch in der Regierungsverwaltung Bereiche des Vertraulichen geben sollte und wenn man der Obama-Regierung zubilligt, dass eine Regierung natürlich kaum eine andere Wahl hat als gegen solche Mega-Leaks zu reagieren. Die Für und Wider kann man lange diskutieren, dafür habe ich hier grade zu wenig Zeit. Ein längeres Stück von mir über die Ziele von Assange finden Sie im morgigen „Falter“ und später auch auf dieser Site.

Hier fürs Erste nur als Service ein paar Links zu wichtigen Dokumenten, damit sich jeder ein besseres Bild machen kann über das, was Assange antreibt, wie er „tickt“.

Hier ein ausführliches TED-Gespräch mit Assange.

 

Zwei wichtige „theoretische Texte“ von Assange, etwa sein Stück „Conspiracy as Governance“ finden sich hier.

Das streckenweise ziemlich wortgleiche „Wikileak-Manifetst“ hier.

Der Blog „Interesting Questions“ von Julian Assange, den er mittlerweile selbst abgeschalten hat, kann man hier im Archiv nachlesen.

Ein ziemlich ausführliches und frisches Assange-Interview im Forbes-Magazin findet sich hier

Und ein tolles Porträt aus dem „New Yorker“ findet sich hier.  

 

Eine gute deutschsprachige Darstellung von Assanges Thesen schlussendlich hier:

„Die Märkte“ – so vernünftig wie infantile Kleinkinder

Ein paar Fundstücke zur Eurokrise: Ist die eher eine Schuldenkrise? Oder doch eher eine Finanzmarktkrise? Thomas Fricke hat dazu in der Financial Times Deutschland eine ebenso plausible wie klare Meinung:

„Die Märkte“ – so vernünftig wie infantile Kleinkinder weiterlesen

Ökonomen entdecken den Nutzen des Sozialstaats

Das Handelsblatt ist ja weder sozialistischer Flausen noch übertriebener Gewerkschaftsnähe verdächtig. Umso erstaunlicher – ja, sensationeller – was da vor ein paar Tagen in dem deutschen Wirtschaftsblatt zu lesen war:

„Ökonomen rehabilitieren Europas Sozialstaat“

In einer langfristigen Studie, die Lebenserwartung, allgemeine Lebenszufriedenheit, aber auch harte ökonomische Faktoren wie Arbeitsplatzqualität, Lohnentwicklung und Produktivität der Wirtschaft unter die Lupe nahm, kamen 150 europäische Ökonomen zu dem Ergebnis: Der Sozialstaat ist nicht nur moralisch „nützlich“, weil er den Unterprivilegierten ein Auskommen garantiert – er ist auch wirtschaftlich von Vorteil.

 

Ökonomen entdecken den Nutzen des Sozialstaats weiterlesen

Will die SPÖ einen Kanzler Strache eigentlich noch verhindern?

Erstmals liegt HC Strache in der Kanzlerfrage an erster Stelle. In den Meinungsumfragen hat sich das schon abgezeichnet. Bei den Parteienpräferenzen liegen die Rechtsparteien FPÖ und BZÖ, rechnet man sie zusammen, schon seit Wochen auf Platz eins. Christian Rainer hat das in aller Nüchternheit in seinem dieswöchigen profil-Leitartikel so zusammengefasst.

„Das rechte Lage ist erstmals seit Adolf Hitler wieder zur stärksten politischen Gruppierung in Österreich geworden.“

Will die SPÖ einen Kanzler Strache eigentlich noch verhindern? weiterlesen