Die Linken auf der falschen Bahn?

Eine Art Revisionismus: Die Star-Theoretikerin Chantal Mouffe fremdelt erfrischend offen mit der zeitgenössischen Linken. 
Falter & taz, Juli 2014
Chantal Mouffe ist in der akademischen, unorthodoxen, radikalen und kunstaffinen Linken, in der man das elementare Dagegensein hochhält und mit normaler Politik – notabene Parteipolitik – schon aus Lebensstilgründen nichts zu tun haben will, seit Jahren schon eine große Nummer. Bedenkt man, wie schnell man in den Augen dieser nicht immer unhysterischen Blase vom guten Radikalen zum bösen reformistischen Verräter werden kann, ist es erstaunlich, nein: regelrecht mutig, wie Mouffe in ihrem neuesten Buch gegen den Common Sense dieses Juste Milieu anschreibt. „Agonistik“ markiert zwar keine Wende in Mouffes Denken, aber doch ein Ankommen im Sozialdemokratischen (jetzt nicht im Parteisinn, aber im Ideensinn). Jenen, die einen horizontalen, antiinstitutionellen Aktivismus einer „Multitude“ hochhalten und (irgendwie „revolutionär“) die Repräsentationsmodelle der „alten Linken“ kritisieren, sagt sie: „Was wir infrage stellen müssen, ist nicht die Idee der Repräsentation an sich, sondern der Mangel an Alternativen, die den Bürgern angeboten werden.“ Die Energien von Bewegungen wie Occupy oder den spanischen Indignados drohen zu verpuffen, wenn sie sich gegen jede institutionalisierte Politik richten und unfähig bleiben, realpolitische Bündnisse einzugehen: „Um die neoliberale Hegemonie allerdings wirkungsvoll anzugreifen, ist es entscheidend, die zum Vorschein gekommene Energie nicht in die falschen Bahnen zu lenken. Meine Befürchtung ist, dass genau das passieren könnte.“

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Die giftigen Zwerge

Gabriel Zucman, Forschungskollege von Thomas Piketty, hat Kosten und Struktur der Vermögensflucht berechnet: 6 Billionen Euro sind undeklariert, mindestens 130 Milliarden kostet das die Staaten. Dabei könnte man Steueroasen wie die Schweiz und Luxemburg leicht trockenlegen. 

Falter, Juli 2014
Unter den Reichen bricht die Panik aus. Ab 2017 schon könnte sich das Gros der Industrie- und Schwellenländer gegenseitig über die Kapitalerträge ausländischer Kunden informieren – zumindest ist das so geplant. Aber schon jetzt, nach den spektakulären Fällen Zumwinkel, Schwarzer und Hoeneß, wird vielen Schwarzgeld-Besitzern das Pflaster zu heiß. In kleinen Päckchen oder ganzen Kofferraumladungen schmuggeln sie ihr Geld aus der Schweiz heim. 2013 haben deutsche Zöllner die Rekordsumme von 573 Millionen Euro sichergestellt. Eine Dame hatte sogar eine Rolle 500-Euro-Scheine in einem Kondom in ihrer Vagina über die Grenze bringen wollen. 
Die Finanzplätze, die sich mit ihrem Bankgeheimnis und vielerlei Tricks auf Steuervermeidung spezialisiert haben, schaden den anderen Staaten gleich auf vierfache Weise: Erstens bieten sie reichen Privatleuten eine Möglichkeit, ihr Geld zu verstecken. Zweitens sind sie dadurch hauptverantwortlich dafür, dass auch in den „normalen Staaten“ Kapitalerträge meist deutlich geringer besteuert werden als andere Einkommensarten und Erbschaftssteuern reduziert oder ganz abgeschafft wurden. Drittens bieten sie multinationalen Unternehmen die Möglichkeit, durch kreative Buchführung nur Mini-Steuern zu zahlen. Und viertens zwingen sie die anderen Länder damit in einen Steuerwettlauf nach unten. 
Ist damit jetzt also bald Schluss? 
„Nein, dafür ist sehr viel mehr Druck notwendig“, meint Gabriel Zucman im Gespräch mit dem „Falter“. „Es reicht nicht, wenn man die Personen und Banken, die davon profitieren, einfach höflich um Kooperation bittet.“ Der französische Ökonom, 27, ist ein Jungstar seines Metiers, ein enger Mitarbeiter von Thomas Piketty, dem neuen Pop-Star-Ökonomen. Zucman forscht in Berkeley und unterrichtet an der London School of Economics. Und wie Piketty ist er zu allererst einmal eine Art Datenforensiker der Ökonomie, ein detailversessener Empiriker, der Zahlen zusammenträgt – und hinterher daraus seine Schlüsse zieht. Sein Buch „Steueroasen. Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird“, erscheint diese Woche im Suhrkamp-Verlag. 

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Das Ereignis Piketty

Schon ist vom „Buch des Jahrzehnts“ die Rede, von der „Piketty-Revolution“. Ein Buch mischt die globale wirtschaftspolitische Debatte auf. 
Eine „intellektuelle Sensation“ sei das, jubelt die New York Times, und auch Martin Wolf, der Starkommentator der „Financial Times“ ist ganz ergriffen: „außerordentlich wichtig“, schreibt er, sei dieses Buch. Paul Krugman, der linke, keynesianische Wirtschaftsnobelpreisträger nennt die Arbeit „eine Erleuchtung“ und spricht bereits von der „Piketty-Revolution“. Dieses Buch werde „die Art, wie wir über unsere Gesellschaft denken und die Wirtschaftswissenschaft verändern.“ Und der linke Essayist Will Hutton sekundiert im Guardian: „Man muss in die 1970er zu Milton Friedman zurückgehen, um einen Wirtschaftswissenschaftler zu finden, der einen solchen Einfluss ausübte.“ Für die FAZ ist Piketty schlicht „der neue Star“. Der amerikanische Finanzminister hat das Buch auch studiert, und der Papst, ist zu hören, liest es gerade. 
Bei Büchern, die eine solche Aufnahme erfahren wie Thomas Pikettys „Capital in the 21st Century“, hat eine Rezension beinahe etwas Unangemessenes. Das eigentliche Ereignis ist die Rezeption, die es erfährt. Eine solche Rezeption lässt sich mit dem Erkenntnisgewinn oder der Originalität eines Buches allein überhaupt nicht mehr erklären. Sondern: Etwas ist offenbar in der Luft gelegen. 

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„Die Schulden-Droge geht uns aus“

Mein Falter-Interview mit Tomas Sedlacek, dem Pop-Star der Wirtschaftsdiskurse. Falter, 2. April 2014
Tomas Sedlacek ist seit dem Erscheinen seines Bestsellers „Die Ökonomie von Gut und Böse“ so etwas wie ein Pop-Star der Ökonomie. Der 37jährige Prager war Wirtschaftsberater von Präsident Vaclav Havel und arbeitet heute als Chefvolkswirt der größten tschechischen Bank CSOB. Vergangene Woche war er Eröffnungsredner beim diesjährigen Symposium Dürnstein. 

Falter: Sie sind ein harter Kritiker der Mainstream-Ökonomie. Die hat aber den Vorteil, dass sie klare Politikempfehlungen abgibt…
Sedlacek: Und glauben Sie, dass das eine gute Sache ist…?
Aber kann ihre Kritik nur kritisieren, oder hat sie auch Ratschläge parat? 
Nun, die Mainstream-Ökonomie tut so, als wäre sie exakt, dabei ist sie das überhaupt nicht; sie tut so, als wäre sie wertfrei, dabei geht sie von klaren Wertentscheidungen aus; und sie verbreitet drittens falsche Sicherheiten. Sie baut schöne mathematische Modelle, und sagt dann auf dieser Basis, mit 98-prozentiger Sicherheit – oder auch nur 89-prozentiger – tritt dieser oder jener Fall ein. Was sie aber nicht sagt, ist: Ob das Modell stimmt, oder nicht, ist eine 50:50-Wahrscheinlichkeit. Sie gibt sich den Anschein der Exaktheit, aber das ist falsch. Die Mainstream-Ökonomie glaubt an den Homo Oeconomicus, aber noch nie ist jemand einer solchen Modell-Person begegnet, die nur ihren eigenen Vorteil verfolgt. Der Punkt ist nun: Niemand würde Ratschlägen folgen, wenn man sagen würde, es gibt bloß eine 50-Prozent-Wahrscheinlichkeit, dass sie richtig sind. Da könnte man ja gleich würfeln.
Okay, aber wo bleibt das Alternativprogramm? 
Na hören Sie, wenn man glaubt, man weiß etwas, obwohl man nichts weiß, dann ist das gefährlich. Da ist es viel sicherer, dass man weiß, dass man nichts weiß. Ich habe mal bei einem Bier einem Philosophen gesagt, die Sache mit der „unsichtbaren Hand des Marktes“ ist, wie wenn ein Blinder den Blinden leitet. Da hat der Philosoph gesagt: Nein, es ist viel schlimmer. Der Blinde weiß nämlich immerhin, dass er blind ist. 
Foto: Uschi Oswald

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Es ist ein Junge!

Bisher hat Sebastian Kurz seine Jugend zu einem Vorteil verwandelt. Doch jetzt stellen viele die Frage: Ist er zu jung und unerfahren für das Außenministerium? Falter, Dezember 2013
Seit der Nominierung Sebastian Kurz‘ zum Außenminister kursieren wieder diese Jugend-Witze: „It’s a Boy!“, jubelten die Gebrüder Moped in einer ihrer genialen Fotomontagen. Andere wiederum deuteten die Ministerernennung als Teil des koalitionären Sparkurses (Kurz kann billig per Interrail zu den EU-Ratstreffen fahren!), und sehr lustig war auch das gefakete Kurz-Zitat: „Meine Mama hat gesagt, ich darf nur ins Ausland fahren, wenn ich um 22 Uhr wieder zu Hause bin“. Ein Jungspund als Hohes Tier – Hohes Jungtier gewissermaßen. 
Aber, anders als die Humorlosen bemäkeln, altväterliche Arroganz der Jugend gegenüber ist das längst nicht mehr. Man kann ja tausend Witze über Kurz machen, aber für einen naiven Polit-Lehrling, der peinlich „Schwarz ist Geil“ sagt und feucht hinter den eindrucksvollen Ohren ist, kann man ihn nicht mehr halten. In Wirklichkeit ist Kurz einer der wenigen aus der ÖVP-Regierungsriege, den man respektieren kann und dass man über ihn Witze macht, ist eher noch eine Respektbezeugung. Über Spindelegger kann man dagegen ja eher nur weinen. 
Kurz scheint Überzeugungen zu haben, die wir behelfsmäßig mal als konservativ-liberal charakterisieren wollen, er ist in der Lage, auf normale Fragen normale Antworten zu geben und überdies auf eine Weise zu reden, die es ihm ermöglicht, andere Leute für sich zu gewinnen – ja, vielleicht, den einen oder die andere sogar zu begeistern. Er ist vife, talentiert und offenkundig nicht blöd – und das, seien wir uns ehrlich, unterscheidet ihn doch von den meisten seiner Parteikollegen. Leute, die mehr Einblick in die Machtmechanik haben als ich, berichten zudem, er könne auch richtig fies und auf fast schon brutale Weise machtbewusst sein. Das ist vielleicht kein schöner Charakterzug, aber leider auch bis zu einem gewissen Grad unabdingbar, wenn man als Spitzenpolitiker überleben will. 
Kurzum (haha!), es ist kaum mehr möglich, den jungen Mann zu unterschätzen (eher droht heute schon das andere Extrem, ihn zu überschätzen). Und jetzt zieht er also ins Außenministerium ein. 
Nun könnte man sagen: Er wird das schon nicht schlechter machen als seine Vorgänger. So zu formulieren, heißt, die Latte ziemlich bodennah zu platzieren. Doch der Job des Außenministers erfordert teilweise andere, teilweise mehr Kompetenzen als der eines anderen Ressortchefs. Ein normales Ministeramt ist im Grunde ein Managementposten, der Kompetenzen verlangt wie Durchsetzungsfähigkeit, die Fähigkeit, Bündnisse und Mehrheiten zu schmieden sowie schnelle Auffassungsgabe, um das, was die Fachexperten ausarbeiten, verstehen und beurteilen zu können. Ein normales Ministeramt verlangt aber kaum eigene Fachexpertise oder auch nur irgendeine Form von Spezialistentum. 
Ein guter Außenminister braucht all das auch, was ein anderer Minister braucht, aber er braucht noch mehr: Ein Interesse an seinem Gegenstand. Es ist kein Nachteil, wenn dieses Interesse an seinem Gegenstand schon vor seinem Amtsantritt in irgend einer Weise erkennbar gewesen ist. Aus diesem Interesse sollte dann auch so etwas wie internationale Vernetzung folgen: Wer reist, und sei es nur zu Kongressen der Europäischen Jung-Christdemokraten, wird ein paar Leute kennen lernen, wird Kontakte haben, die er im Notfall aktivieren kann. Hat Sebastian Kurz jemals irgendetwas in dieser Richtung getan? Die Annalen geben keine Auskunft darüber, was den Schluss nahe legt: Er hat nicht. 
Ein Minister und Staatssekretär hat im Inland Autorität qua Amt. Ist er jung, aber klug, kann er diese Autorität nützen, auch wenn ihm aufgrund seiner Bürscherlhaftigkeit instinktiver Respekt noch versagt bleibt. Im Kreis anderer Außenminister hat er diese Autorität nicht. Er muss sie, zumal aus Außenminister eines kleinen Landes, aus sich selbst entwickeln. Selbst Joschka Fischer hat sich im Grunde zehn Jahre zielstrebig auf das Amt vorbereitet, obwohl er als Deutscher das gar nicht so nötig gehabt hätte, wie man an seinem Nachfolger sah. Ein Herr Westerwelle hatte im Kreise seiner Außenminister Autorität, weil er der Außenminister des bedeutendsten europäischen Landes war. Sebastian Kurz hat diesen Vorteil nicht. In dem Fall ist sein Alter wirklich ein Problem. Die Kommentatoren, die jetzt ätzen, dass ihn Leute wie Russlands Außenminister Sergej Lawrow oder Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier doch nicht ernst nehmen werden, haben nicht ganz unrecht. Aber vielleicht haben sie auch nicht ganz recht. Europas politische Klasse ist integriert, die Kollegen und Kolleginnen wissen schon, was sich in anderen Ländern tut. Sebastian Kurz ist für seine Außenministerkollegen deshalb nicht nur das unbekannte Bubi, sondern natürlich auch der 27jährige, dem der Ruf vorauseilt, die letzte Hoffnung seiner Partei zu sein. Er ist ja auch der einzige österreichische Politiker, der – und zwar gerade deswegen – in der internationalen Presse für Schlagzeilen sorgt. Das macht gewiss etwas wett, sie werden ihn schon nicht wie einen Erstklässler behandeln, aber seine völlige Erfahrungslosigkeit lässt sich trotzdem nicht wegreden. 
Alles in allem kann man also sagen: Es ist schwierig für Kurz, aber er kann es stemmen. Viele Voraussetzungen, die ihm erlauben würden, im Amt zu glänzen, bringt er aber nicht mit. Die Frage ist nur: Hat er ein Projekt, das über die Routine hinaus geht, zu der das Amt des nationalen Chefdiplomaten im Rahmen der Europäischen Union geworden ist? Kann es ein solches Projekt überhaupt geben? Was könnte es denn sein? Die klassische Vermittlungstätigkeit aus der Zeit der Neutralität? Kulturdiplomatie, die heute sehr an Bedeutung gewonnen hat aber in den vergangenen Jahren finanziell ausgeblutet wurde? Es könnte nicht schaden, wenn Kurz an solchen Fragen Interesse gewänne. Wahrscheinlicher ist freilich, dass er das Amt nur als Trampolin für seinen Aufstieg an die ÖVP-Spitze sieht. 

Krise vorbei?

18 Monate lang schraubte sich die Euro-Zone in einer Rezessionsspirale nach unten. Jetzt ging es erstmals wieder leicht nach oben. Für die Auferstehungsparty ist es aber noch viel zu früh. Falter, Wien, 28. August
„Stabilisierung“, „Aufschwung“, „Konjunkturlokomotive“, „Ende des Absturzes“ – die Schlagzeilen konnten Mitte August nicht positiv genug klingen. Grund für die plötzliche Euphorie: Die Europäische Statistik-Behörde meldete ein unerwartetes Wirtschaftswachstum in der Eurozone von 0,3 Prozent im vergangenen Quartal. Damit ist die längste Rezession der Eurozone zu Ende. Denn 18 Monate war die Wirtschaftsleistung von Quartal zu Quartal geschrumpft – sechs Quartale hintereinander. 
„Es gibt allen Grund für die Menschen in Deutschland, optimistisch in die Zukunft zu blicken“, frohlockte prompt Berlins Wirtschaftsminister Philipp Rösler. Klar, sechs Wochen vor einer Bundestagswahl machen positive Wirtschaftsdaten Freude. Ganz anders Wiens Finanzministerin Maria Fekter, die meinte: Was, nur 0,2 Plus für Österreich? Da sind sicher die Sozis schuld! Nun ja, jeder macht Wahlkampf, wie er glaubt.

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Termine: Sven Giegold über Finanzmarktregulierung im Kreisky-Forum

Am kommenden Montag habe ich in meiner Reihe „Genial dagegen“ im Kreisky-Forum
SVEN GIEGOLD zu Gast
Thema: 

FINANZMARKT-REGULIERUNG
WIE KANN DAS FUNKTIONIEREN?
Dass man Finanzmärkte regulieren muss, dass man sie zähmen muss, damit sie nicht chronische Instabilität in unser Wirtschaftssystem bringen – mit dieser Forderung rennt man heute scheinbar offene Türen ein. Aber wenn es dann ans Eingemachte geht, stellen sich mächtige Lobbys quer. Und wenn es an Details geht, dann sind oft sogar Eingeweihte mit der technischen Komplexität der Fragestellung überfordert. 
Wie also kann das exakt funktionieren, das „Zähmen der Finanzmärkte“? 
Sven Giegold ist für diese Frage wohl die beste Auskunftsperson. Giegold war Mitbegründer von ATTAC-Deutschland und seit 2009 Abgeordneter der Grünen im Europaparlament. Dort ist er einer der führenden Figuren im für Finanzmarktregulierung zuständigen Wirtschafts- und Währungsausschuss, und direkt mit der Macht der Lobbys konfrontiert. Giegold wird Kernpunkte einer zeitgemäßen Finanzmarktregulierung präsentieren, und auch so erklären, dass interessierte Laien die Sache verstehen. 
Kreisky-Forum, 
Armbrustergasse 15, 1190 Wien
Montag, 6. Mai
ACHTUNG: Diesmal beginnt die Veranstaltung schon um 18 UHR!

Die Dümmsten reüssieren

Elf Jahre nach Pierre Bourdieus Tod veröffentlicht der Suhrkamp-Verlag ausgewählte Schriften zur Politik. Falter, Buchbeilage, März 2013

Als Pierre Bourdieu vor knapp elf Jahren starb, war er ein kämpferischer linker Intellektueller, der es in seinen letzten Lebensjahren verstand, Netze sozialer Protestgruppen zu etablieren, deren Fäden bis heute noch Bestand haben; darüber hinaus und vor allem war er aber der vielleicht einflussreichste Soziologe seiner Zeit. Begriffe und Konzepte, die Bourdieu in seiner jahrzehntelangen Arbeit entwickelte, sind beinahe zu geflügelten Worten geworden: Man denke nur an Konzepte wie „soziales Kapital“ oder „kulturelles Kapital“, „Distinktionsgewinn“ oder „Habitus“, alles Begriffe, die heute in Proseminaren oder in Feuilletons auch von Leuten benutzt werden, die von Bourdieu noch nie eine Zeile gelesen haben. 

Aber gerade diese Wirkmächtigkeit ließ Bourdieu auch schnell in Vergessenheit geraten. An einem, der zwischen den sechziger und den neunziger Jahren die Debatten seines Fachs und die linken Diskurse prägte, schien es ja nichts mehr zu entdecken zu geben. Bourdieu war schon zu Lebzeiten derart rezipiert, dass für posthume Entdeckungen schlicht nichts übrig geblieben schien. 

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Rückkehr der Religionen? Abgesagt!

Benedikt XVI. glaubte, er könne den Bedeutungsverlust seiner Kirche zurückdrehen. Wer immer sein Nachfolger wird: Dieser Illusion wird er sich nicht hingeben. Falter, 13. Februar 2013
Acht Jahre können manchmal wie eine Ewigkeit erscheinen, selbst bei einer Institution, die eine berufsmäßige Kompetenz für das Ewige hat. Als Papst Benedikt der XVI. im Jahr 2005 antrat, war allerorts von der „Rückkehr der Religionen“ die Rede. In den USA bestimmte ein zunehmend fundamentalistischer Protestantismus die Politik. Ein militanter Islam sorgte für globale Konflikte. Die großen weltpolitischen Kontroversen waren plötzlich religiös codiert. Im „Kampf der Kulturen“ schien die Rückbesinnung auf religiöse Identitäten der Trend der Stunde zu sein. Aber diese „großen Konflikte“ begannen auch die „kleinen Konflikte“ einzufärben. Vor allem in Europa sorgte Immigration nicht nur für neue multiethnische Realitäten, die Spannungen, die damit einher gingen, wurden mit einemmal auch „religiösisiert“ – da war plötzlich wieder die Rede von der christlichen Identität Europas, und davon, dass „die Muslime“ nicht zu „uns“ passen. 

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Banker für das Gute

Ein raffiniertes Finanzsystem ist eine großartige Sache, sagt US-Ökonom Robert Shiller. Bloßes Banker-Bashing führt in die Irre. Falter, 3. Dezember 2012

Robert Shiller, 66, ist einer der einflussreichsten Ökonomen der USA. Er ist Professor an der Yale Universität und hat sowohl das Platzen der Dotcom-Blase wie auch der Immobilienblase vorausgesagt. Vergangene Woche präsentierte er auf Einladung des Bruno Kreisky-Forum  in der Nationalbank sein Buch „Märkte für Menschen. So schaffen wir ein besseres Finanzsystem.“ (Campus-Verlag, 376 Seiten, 36,50,- Euro)

Sehr viele Leute meinen mit gutem Grund, dass Banken, Fonds und andere Finanzinstitutionen hauptsächlich dazu da sind, normale Bürger auszuplündern. Wie können Sie da behaupten, dass diese Branche einen Beitrag zu einer „guten Gesellschaft“ leisten kann?

Shiller: Funktionierende Finanzinstitutionen tragen zur zivilisatorischen Entwicklung der Menschheit bei. Je älter ich werde, umso mehr denke ich über die moralische Seite des Finanzsystems nach.

Aber Sie haben auch eine starke These: Je komplexer und ausgeklügelter ein Finanzsystem, umso mehr nützt es der allgemeinen Wohlfahrt.

Shiller: Das Finanzsystem gibt Menschen die Möglichkeit, aktiv zu werden, es macht großartige Dinge möglich. Es gibt nicht viel, was Sie als einzelner Mensch alleine machen können. Und wenn Sie kollektiv etwas machen wollen, braucht es die Regierung. Aber das Finanzsystem erlaubt Menschen, zusammen zu arbeiten, ohne die Regierung. Stellen Sie sich vor, Sie wollen ein Mobiltelefon bauen. Sie brauchen andere Menschen, sie brauchen Leute, die Ihnen Geld zur Verfügung stellen, es ist riskant, und manche Risiken müssen versichert werden. All das ermöglicht Ihnen das Finanzsystem.

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Der unmögliche Kandidat

Glaubt man den Umfragen, hat Mitt Romney Chancen, Barack Obama zu schlagen. Am Kandidaten Romney kann das nicht liegen. Falter, 31.10. 2012
Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass Mitt Romney der nächste Präsident der Vereinigten Staaten wird. Und das alleine ist erstaunlich genug. 
Denn der 65jährige Mitt Romney ist, nüchtern betrachtet, ein völlig unmöglicher Kandidat. Er ist der Präsidentschaftkandidat einer Partei, die ihn eigentlich hasst. Die Republikanische Partei ist in den vergangenen Jahren zu einer ultrarechten Partei geworden, die sich praktisch in Geiselhaft von Extremisten befindet – der radikalen „Tea-Party-Bewegung“, und einer Parteibasis, die an die heilsamen Wirkungen des freien Marktes glaubt, die jeden Hauch von Liberalismus als Teufelszeug verdammt. „Der lupenreine Konservativismus, der von der Republikanischen Partei Besitz ergriffen hat, passt so überhaupt nicht zu Romney’s Persönlichkeit, zu seinem Charakter und seiner Geschichte, dass seine Kandidatur geradezu bizarr erscheint“, schreibt der Autor und Pulitzer-Preisträger Russel Baker in der jüngsten Ausgabe der „New York Review of Books“. 
Die Parteigänger der Republikaner haben ihn nur deshalb nominiert, weil von den anderen Kandidaten, die zur Auswahl standen, überhaupt niemand eine Chance gehabt hätte, gegen Obama zu gewinnen. Und weil sie wissen, dass die Mehrheit der Amerikaner nicht so rechts ist, dass ein „echter“ Konservativer gewinnen könnte. 

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„Eine sozial unnütze Aktivität“

Sind Finanzmärkte überhaupt „Märkte“? Und was ist ihr Nutzen? 

Dieser Beitrag erschien in leicht unterschiedlichen Varianten im Falter / Wien und der „Gegenblende“, dem Online-Magazin des DGB
Es ist nur ein Wort, es spricht sich leicht aus, fast unbedacht wird es verwendet – das Wort vom „Markt“. Schließlich leben wir ja in der „Markt“-Wirtschaft. Und in der gibt es Gütermärkte, die tatsächlich so funktionieren wie Dorfmärkte. Bleibt der Schuhhändler auf seinen Schuhen sitzen, wird er den Preis senken oder die Produktion der offensichtlich hässlichen Treter wird gedrosselt, bis Angebot und Nachfrage wieder im Gleichgewicht sind. Dieses Bild vom Markt wird, wie eine Art Metapher, über alle Segmente der Ökonomie gestülpt. Wie selbstverständlich sprechen wir vom „Arbeitsmarkt“, obwohl dem viele Charakteristika eines Marktes fehlen – so können „Anbieter“ am Arbeitsmarkt ein „Überangebot“ ja nicht so einfach drosseln (außer durch Massenselbstmord, was aber eine sehr unbeliebte Variante ist). Der „Arbeitsmarkt“ ist also, wie die Ökonomen sagen würden, ein so „unelastischer Markt“, dass es praktisch Unsinn ist, ihn als Markt zu bezeichnen. 
Nicht ganz unähnlich ist es bei den „Finanzmärkten“. Sowohl Progressive wie Konservative und Wirtschaftsliberale reden von „Finanzmärkten“, bloß dass die einen für deren Regulierung, die anderen dagegen sind. Aber niemand fragt, ob es sich bei den Finanzmärkten überhaupt um Märkte handelt. Aber indem sie klammheimlich von dieser Prämisse ausgehen, behaupten die Wirtschaftsliberalen dann dreierlei: dass erstens strenge Regeln das Wirken der Marktkräfte einschränken würden; zweitens strenge Regeln die produktive Funktion von Finanzinstitutionen behindern; und drittens gerade auch die Investmentbanken und -Fonds positive Wirkungen haben, indem sie etwa innovative Unternehmungen, Start-Ups und anderes finanzieren. Manchmal nur implizit, oft auch explizit, wird diesen Argumenten hinzugefügt, dass man an all dem sehe, dass die Linken eben „von Wirtschaft nichts verstehen“, weil sie die positiven Wirkungen von Märkten durch Regeln oder Verbote behindern würden. Sehen wir uns diese Argumente genauer an und beginnen wir beim letzten. 

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