Die intellektuelle Situation

Seit dem 11. September sind die bisherigen geistigen Landkarten des Westens veraltet, der globale Generalkonflikt sortiert das intellektuelle Feld neu. Der Versuch einer aktuellen Kartographie aus näherer Anschauung.

 

Raul, wie wir ihn hier nennen wollen, ist ein weltbekannter Philosoph, der an einer renommierten amerikanischen Universität unterrichtet. Martin ist ein aufstrebender Wiener Theoretiker, der es immerhin schon geschafft hat, eine Professur an einer ostdeutschen Universität zu ergattern. Seit Martin bei Raul sein Post-Doc-Studium machte, sind die beiden eigentlich befreundet. In den wesentlichen Fragen sind Raul und Martin immer einer Meinung gewesen – „freie Radikale“, die sich etwa stets einig waren, was vom Kapitalismus zu halten ist. Unlängst hatte ich Rauls Lebensgefährtin zu Gast und sie fragte mich etwas erregt, ob ich gehört hätte, dass Martin jetzt ein „Antideutscher“ sei. Das erfülle sie, erklärte sie mir, mit gewisser Sorge, da Martin sich angekündigt habe, Raul in den Ferien zu besuchen. Ich müsse nämlich wissen, sagte sie, dass Raul sehr stark auf Seiten der Hisbollah stehe. Leider konnte ich wenig zu ihrer Beruhigung tun, schließlich weiß ich, dass Martin Menschen mit den Meinungen Rauls für Fellow Travellers der „Islamofaschisten“ hält und kann mir ausmalen, dass Raul Menschen mit den Meinungen Martins als Helfershelfer des US-Imperialismus ansieht und so beschränkte ich mich auf die nicht ganz ernst gemeine Bemerkung, sie solle darauf achten, dass die beiden bei dem heiklen Wiedersehen wenigstens unbewaffnet seien.

 

Eine Episode, die eine Prise Absurdes nicht entbehrt, aber doch symptomatisch dafür ist, wie der 11. September (und alles, was auf ihn folgte), die intellektuelle Situation neu ordnete. Oder besser: Er hat eine Art Kraftfeld aufgespannt, das die Szenerie sortiert.

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Lob der Guerilla-Mentalität

Die Inquisitorenrhetorik der gegenwärtigen Dutschke-Debatte steht dem brutalen Triumphalismus eines Gudrun-Ensslin-Kassibers kaum nach. Dabei ist die Diskrepanz zwischen mangelnder Neuigkeit und Tabubruch-Gefuchtle besonders augenfällig. Der Versuch, eine Groteske zu verstehen. taz, März 2005

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