Die „Fleißigen“ und die „Faulen“

Der Soziologe Linus Westheuser über gefährliche Schlagseiten des Arbeitsbegriffes und von Sozialstaatsdebatten.

Arbeit & Wirtschaft, April 2024

Sie kommen gerade aus dem Urlaub zurück. Hatten Sie ein schlechtes Gewissen, nicht fleißig genug gewesen zu sein?

Westheuser: Ach Gott nein, das wäre ja eine traurige Haltung zum Leben (lacht). Außerdem ist der Urlaub ja eine wohlverdienter Teil des Arbeitens. Selbst für jemanden wie mich, der keine Balken schleppt, sondern den Großteil des Tages in den Computer schaut.

Dass man „fleißig“ sein und Leistung erbringen muss, das ist ein beherrschender Geist in unserer Gesellschaft, prägt unser Selbstverständnis und setzt sich sogar in unser Über-Ich fest.

Westheuser: Ja, es ist durchaus beängstigend, wie tief der Gedanke eingesickert ist, wir müssten uns unsere Wertigkeit als Mensch durch Leistung verdienen. Das ist Teil dessen, was Max Weber das moderne „Berufsmenschentum“ nennt. Leistung wird dabei oft auf Erfolg oder passive Pflichterfüllung reduziert oder so gewendet, dass man auf die herabblickt, die vermeintlich weniger leisten als man selbst. Zudem wird als Leistung oft nur Lohnarbeit verstanden, nicht aber unbezahlte Sorgearbeit, die Pflege von Beziehungen, politische Arbeit oder lokales Engagement. Das ist eine Verengung gesellschaftlicher Anerkennungsquellen.

Es ist ja auch durchaus umstritten, was Worte wie „Fleiß“ und „Leistung“ überhaupt bedeuten.

Westheuser: Ja. In unserer Studie argumentierte etwa eine Befragte, dass eine Frau, die arbeitet und zudem alleine Kinder großzieht, mehr leistet als ihr Kollege, der dieselbe Arbeit macht, aber abends zuhause entspannen kann. Leistungsvorstellungen, so zeigen Studien, unterscheiden sich auch zwischen verschiedenen Ländern. In Deutschland und vielleicht auch in Österreich wird Leistung vor allem mit „ackern“, mit harter körperlicher Arbeit verbunden. In Skandinavien wird vor allem das als Leistung geschätzt, was zum Gemeinwohl beiträgt. Die Briten dagegen leben eher in einer Erfolgs- als in einer Leistungsgesellschaft. Als Leistung gilt dort letztlich was immer am Markt Ertrag bringt. Auch Bitcoin-Trading würde dort vielleicht als Leistung durchgehen, solange man damit Geld macht.

All das hat hat auch politische Implikationen. Heute werden politische Konflikte oft auch als Auseinandersetzungen zwischen „Fleißigen“ und „Faulen“ beschrieben. Dann ist der Begriff von „Fleiß“ und „Leistung“ kein unschuldiger Begriff mehr.

Westheuser: Absolut. Die Vorstellung wir lebten in einer leistungsgerechten Gesellschaft ist eine der wichtigsten Legitimationsstützen sozialer Ungleichheit. Man sieht das, wenn Arme verdächtigt werden, nur arm zu sein, weil es ihnen an Motivation mangelt. Obwohl sie es oft sind, die sich am meisten abstrampeln. Reiche dagegen können sich als Leistungsträger präsentieren, obwohl wir aus unzähligen Studien wissen, dass Reichtum heute in allererster Linie ererbt wird, sei es in Form von Eigentumstiteln, Bildungsinvestitionen oder Papas Adressbuch. Wir sehen in unseren Daten, dass die aufklappende Schere zwischen Arm und Reich durchaus von vielen kritisiert wird. Politisch sind die klassischen Oben-Unten-Konflikte heute aber stark demobilisiert. Institutionen wie Gewerkschaften oder linke Parteien verkörpern nicht mehr so stark wie einst die Hoffnung auf eine Veränderung ungerechter Verhältnisse.

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Und in dieses Vakuum stoßen heute Parteien am rechten Rand?

Westheuser: Rechtsradikale Parteien wie die FPÖ oder die AfD schaffen keine realen Verbesserungen für Arbeitnehmer, bieten ihnen aber die symbolische Aufwertung des Nach-Unten-Tretens. Sie spalten die Arbeitenden in einen wohlintegrierten Kern und Außenseitergruppen wie Migranten oder Transferempfänger. Für den Kern fordern sie Schutz, für die Außenseiter Sanktionen, Drangsal und Ausschluss. De facto schaden sie damit den Arbeitenden, weil die Spaltung zwischen Beschäftigten und Erwerbslosen, Einheimischen und Ausländern die gemeinsame Handlungsfähigkeit der Arbeitenden schwächt. Es ist auch zum Nachteil der gesamten arbeitenden Bevölkerung, wenn durch Schikanen gegen Transferempfänger oder die Illegalisierung von Migranten eine Gruppe Schutzloser entsteht, die Arbeit zu jedem Preis annehmen müssen und so die Löhne und Standards drückt.

Nicht nur Rechtsradikale spielen auf dieser Klaviatur. Auch rechte Konservative tun das. Sebastian Kurz sagte gern: „Der Arbeitende darf nicht der Dumme sein.“

Westheuser: Ja, das gleiche sehen wir auch in Deutschland. Akteure der rechten Mitte spielen etwa die beitragsfinanzierten Teile des Sozialstaats, die einer Versicherungslogik folgen, gegen steuerfinanzierte Sicherungssysteme aus, bei der keine Rolle spielt, was man vorher eingezahlt hat. Will man dieser Instrumentalisierung des Leistungsversprechens entgegentreten, wäre auch hier wichtig, immer wieder zu betonen, dass auch Grundsicherungen, die das existenzielle Minimum garantieren, im Interesse aller Arbeitenden sind, weil sich sonst die Konkurrenz nach unten verschärft und die Standards erodieren. Die allerallermeisten Transferempfänger sind Leute, die Solidarität verdient haben. Warum sprechen wir derzeit etwa in Deutschland monatelang über eine winzige Zahl von Arbeitsverweigerern und nicht über Rentner, deren Rente so mickrig ist, dass sie Bürgergeld erhalten, Niedrigverdiener, die aufstocken müssen, Kinder und Alleinerziehende oder Leute, die es in den Arbeitsmarkt nicht mehr hineinschaffen, weil sie zu alt oder krank sind? Die konservativen und extremen Rechten haben immer schon versucht, den Wohlfahrtsstaat mit den am wenigsten angesehenen gesellschaftlichen Gruppen zu assoziieren und so zu delegitimieren. Der Erfolg der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften bestand historisch auch darin, mehr und mehr Aspekte des Lebens in Form von universalen Rechten zu organisieren und damit von der Größe des eigenen Geldbeutels abzukoppeln. Das ist eine große zivilisatorische Errungenschaft.

Zugleich spielt Leistung ja auch in der Rhetorik linker Bewegungen eine Rolle. Etwa wenn man sich zur Anwältin derer erklärt, die hart arbeiten, die morgens aufstehen, die sich für nichts zu schade sind. Läuft man mit dieser Rhetorik in eine Falle, weil man argumentative Muster verbreitet, die die Rechten dann zur Spaltung benützen?

Westheuser: Das ist sicherlich ein gewisses Dilemma. Zugleich glaube ich aber, dass man die spaltenden und abschätzigen Seiten des Leistungsdenkens von den positiven Seiten des Arbeitsstolzes trennen kann. Weil die arbeitenden Klassen eben nicht über riesiges Vermögen oder Unternehmensbeteiligungen verfügen, sind Arbeitskraft und Leistungsfähigkeit eben das, was den persönlichen Wohlstand sichert. Aber in einem zweiten Schritt ist die Arbeit auch der wichtigste Anker für Identität, Selbstwert und Anerkennung in unserer Gesellschaft. Alle Umfragen zeigen, dass die meisten Menschen stolz auf ihre Arbeit sind, selbst dann, wenn sie unter bestimmten Aspekten ihrer Arbeitsbedingungen leiden. In diesem Kontext kann das Versprechen der Leistungsgerechtigkeit auch ein mächtiges Argument für Kritik und Veränderung sein. In unserer Studie sagte zum Beispiel ein Befragter in einer Gruppendiskussion: ‚Mir kann niemand erzählen, dass ein Konzernchef, der hundertmal soviel verdient wie ein einfacher Beschäftiger hundertmal mehr geleistet hat‘. Hier wird die Idee von Leistung und Verdientheit kritisch gewendet.

Zur Person:
Linus Westheuser, geboren 1989, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität zu Berlin und forscht zu politischen Konfliktstrukturen, Klassen und Moral.
Gemeinsam mit Steffen Mau und Thomas Lux veröffentlichte er 2023 die viel gefeierte Studie „Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft“ (Suhrkamp-Verlag). Preis für „Das politische Buch des Jahres“ der Friedrich Ebert Stiftung.

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