Das Hin und Her von Hass und Terror

Denken, das um die Welt geht: Wie sich Frantz Fanon von großen Österreichern beeinflussen ließ – und was er uns bis heute lehrt. Zum 100. Geburtstag des radikalen Intellektuellen.

Imperialismus, Kolonialismus und eine Weltordnung, die wie selbstverständlich von weißer Dominanz geprägt ist, gehen mit einem Set an ganz großen Lügen einher: dass „den Wilden“ die Zivilisation gebracht wird, der Fortschritt, die Kultur, dass sie eben eine unterlegene Kultur seien, dass sie einfach nicht fähig sind zur Unabhängigkeit, und dass der Andere (der „Eingeborene“, der Schwarze, der Muslim, der was auch immer) bestimmte Charaktereigenschaften hat, die seine Minderwertigkeit begründen: dass er simpel im Kopf ist, oder dass er verantwortungslos ist, fröhlich in den Tag hinein lebt, gerne lacht, gerne tanzt. „Unbekümmert, gesellig, redselig, körperlich entspannt“ (Frantz Fanon).

Als Kolonisierte werden sie wie undankbare Kinder hingestellt, die rebellieren, obwohl man ihnen ja so viel Gutes gebracht hat, und als Einwanderer als freche Invasoren, die auch noch Forderungen stellen, statt sich still anzupassen.

Dieses ganze Set an Vorstellungen hat Frantz Fanon in einer vor ihm nicht dagewesenen Schärfe kritisiert. Mehr noch: Er hat es mit aller Entschiedenheit bekämpft. Diese Woche wäre der große Vordenker des radikalen Antikolonialismus 100 Jahre alt geworden. Dabei ist er schon vor bald 64 Jahren an Leukämie gestorben. Frantz Fanon, der schwarze Intellektuelle aus Martinique, wollte auch die Vergiftung heilen, die diese westlichen Theorien in den Gefühlsstrukturen der Kolonisierten anrichten. Das Hin und Her von Hass und Terror weiterlesen

Die rohe Gesellschaft

Warum Rücksichtlosigkeit und autoritäre Aggression heute wieder zunehmen.

Viele Menschen haben den Eindruck, dass unsere Welt unsicherer und rücksichtsloser wird. Nun muss man bei „Eindrücken“ immer sehr vorsichtig sein, denn oft stützen sie sich nicht auf Erleben, sondern sind von jenem „Schwund genuiner Erfahrung“ gekennzeichnet, den Soziologen schon vor hundert Jahren analysierten. In Mediengesellschaften kriegen wir Dinge scheinbar mit, die wir gar nicht mitkriegen. Morde und andere Tötungsdelikte nehmen in den vergangenen 25 Jahren markant ab. Gab es rund um das Jahr 2000 in Österreich noch durchschnittlich 100-120 mal Mord, Totschlag und ähnliches, haben wir uns in den letzten Jahren bei rund 70 eingependelt. Auch viele andere Arten von Kriminalität nahmen ab, aber andere sind wieder im Wachsen begriffen. Die allgemeine Gewaltkriminalität von Schlägereien, Messerstechereien bis Raub – sie sind leicht angestiegen. Von rund 70.000 Anzeigen vor zehn Jahren auf rund 85.000. Zahlen aus Deutschland weisen wiederum darauf hin, dass Gewaltkriminalität generell und Gewaltkriminalität unter Einsatz von Messern in den vergangenen zwanzig Jahren eher konstant geblieben sind. Zugenommen hat nur die Berichterstattung um das 250fache.

Dennoch haben viele Menschen den Eindruck, es werde in unserer Gesellschaft brutaler. Wilhelm Heitmeyer, einer der bedeutendsten deutschen Soziologen, spricht von einer „durchrohten Gesellschaft“, also, dass es rauer wird, dass die Rücksichtslosigkeit zunimmt. Die These lautet, dass viele Menschen schon vollgepumpt mit Aggression durch den Alltag gehen und das rauslassen, sobald ihnen irgendetwas gegen den Strich geht. Man kann das schwer messen, denn es gibt natürlich keine Statistiken oder Protokolle darüber, ob man bei der Supermarktkasse angeblafft, am Parkplatz von jemanden blöd angeschnauzt wird und ob das häufiger vorkommt als früher. Die rohe Gesellschaft weiterlesen

Rechtsextremismus als Massenhysterie

Psychoanalyse der Neuen Rechten: Wie Trump, Kickl, Weidel & Co. an sich anständige Leute zur Bestialität umerziehen.

Der legendäre Sozialforscher Leo Löwenthal hat einmal in einem Interview die faschistische und populistische Agitation mit den schönen Worten charakterisiert, „dass sie die Psychoanalyse auf den Kopf stellt“. Während der Psychoanalytiker die Neurosen, psychotischen Störungen und die Spuren von Traumata im Individuum zu heilen versucht, betreibt die populistische Agitation das Gegenteil: die schürt die Wut, die Verbitterungsgefühle, will ihre Anhänger in vollends paranoide Charaktere verwandeln. Löwenthal: „Man macht den Menschen neurotisch und psychotisch und schließlich völlig abhängig von ihren sogenannten Führern“ und verstärkt „die mörderischen, aggressiven und destruktiven Impulse“.

Leo Löwenthal war eine der Zentralfiguren der später „Frankfurter Schule“ genannten Gelehrtengruppe, hat mit Theodor W. Adorno und Max Horkheimer die Untersuchungen über den „autoritären Charakter“ entwickelt, und in seiner Studie „Falsche Propheten“ minutiös die Techniken und Rhetoriken amerikanischer faschistischer Führer offengelegt. Es gibt bis heute wenig an Gesellschaftstheorie rechter Bewegungen, das diese Arbeiten übertrifft.

Ich denke in letzter Zeit häufiger und intensiver über diese Studien nach, und zwar aufgrund eines Verdachtes, den man auch eine Art Terror des Vorgefühls nennen kann: Agitation und Verhetzung macht Menschen nicht nur zu Wählern rechter Parteien, sie spricht auch nicht einfach „Vorurteile“ und Ressentiments an, die die Menschen schon haben – sie verwandelt diese Menschen. Und zwar sowohl die Menschen als einzelne Individuen als auch als Kollektive von Individuen. Rechtsextremismus als Massenhysterie weiterlesen

Erziehung zur Bestialität

Trump und die Neofaschisten aller Länder wollen die Menschen verrohen und ihnen die Empathie austreiben. Das funktioniert erschreckend gut.

Donald Trump hat ein Konzentrationslager in Florida inspiziert, das dieser Tage in Betrieb geht. Es besteht aus eng aneinander gebauten, kleinen Käfigen, wie man sie früher „Hundeszwinger“ nannte, bevor diese Form der Käfighaltung aus Tierschutzgründen in Verruf geraten ist. In diesem Konzentrationslager sollen künftig „illegale Einwanderer“ verschwinden, was im Trump-Regime heutzutage heißt: Leute, die irgendwie fremd aussehen und das Pech haben, von seinen Menschenjägern auf der Straße aufgegriffen zu werden. Die Trump-Leute haben das Lager „Alligator-Alcatraz“ getauft. Botschaft: Wer in den Sümpfen von Florida auszubrechen versucht, der findet sein Ende im Magen eines Krokodils.

Trump findet das KZ ganz toll und will jetzt ein Gulag-Archipel in den ganzen USA errichten. Davor wurden bereits medienwirksam Leute in Lager nach El Salvador deportiert, wo sie eng aneinander gepfercht und kahlgeschoren hinter Gitterzäunen präsentiert wurden. Das gab eindrucksvolle Bilder, die ein wenig an die Schreckensdokumente erinnerten, die man zuletzt in den Todeslagern in Srebrenica im Bosnienkrieg gesehen hat. Trumps Innenministerin machte davor Selfies. Sie ist auf diesen glücklich strahlend zu sehen.

Nun sind wir es in der zivilisierten Welt in den vergangenen Jahrzehnten gewohnt gewesen, dass die Machthaber Menschenrechtsverletzungen und Staatsterror in aller Regel verheimlichen wollten. Dass sie sich ihrer brüsten, sie auch noch stolz ausstellten, kam eher selten vor. Sie wollten meist keine Beweise für ihre Untaten produzieren. Aber offenbar leben wir in neuen, interessanten Zeiten. Erziehung zur Bestialität weiterlesen

Allianzen der Vernünftigen bitte!

Die USA unter Donald Trump werden plötzlich zum Feind der freien, westlichen Welt. Mit dramatischen Folgen für uns alle.

Insider, März 2025

Es hat zwar einige Ehrenrunden und Kapriolen gebraucht, aber nun, fünf Monate nach der Nationalratswahl hat Österreich endlich eine neue Regierung. Und es ist eine echte „Koalition der Vernünftigen“ geworden, die sich auch nicht bloß auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt hat, sondern auf ein gutes, balanciertes Konsenspaket. Sogar ein kleines Dream-Team an Ministern hat man zusammengebracht. Star-Ökonom Markus Marterbauer als Finanzminister, die charismatische Juristin Anna Sporrer im Justizressort, ÖVP-Zukunftshoffnung Wolfgang Hattmannsdorfer im Wirtschaftsministerium, Beate Meindl-Reisinger als Repräsentantin des Landes in der Welt – wer hätte so etwas vor ein paar Wochen erhoffen können.

Gut so, denn wir sind heute alle in rauem Fahrwasser. Die Krisen sind nicht mehr anderswo, wir sind mitten drinnen in einer instabilen Welt, mit Kriegsfolgen, die an unsere Ufer schwappen. Alte Gewissheiten gibt es sowieso keine mehr. Allianzen der Vernünftigen bitte! weiterlesen

Der Kult der Disruption

Trump, Kickl und Co, wollen die Welt in Flammen sehen. Aber auch der Liberalismus wird angesteckt von der Zerstörungssehnsucht.

Zackzack, Jänner 2025

Donald Trump stellt gerade seine Regierung zusammen und das Prinzip scheint zu sein, die möglichst maximal unfähigste Person für die jeweiligen Ämter zu gewinnen. Anders als in seiner ersten Präsidentschaft will sich der faschistoide Präsident nicht von moderaten Figuren aus dem Regierungs- und Verwaltungsapparat bremsen lassen, sondern genau dieses „System“ zerschlagen. „Disruption“ ist die Parole der Stunde. Die kommunikative Strategie des rechten Populismus und Extremismus ist, die Realität in möglichst schrecklichen Farben zu malen, ihre jeweiligen Gesellschaften als völlig „kaputt“ oder „broken“ zu zeichnen, um sich dann als Retter und Heilsbringer aufzuspielen. Das Institutionengefüge, die routinisierten Abläufe in der Verwaltung, das gewohnte Zusammenspiel von Parlamenten, Regierung und Gerichte, kurzum, alles, was sich in Gesellschaften so eingespielt hat, soll auf den Kopf gestellt werden. Also alles, was die Demokratie und das Leben einer Nation stabil macht, aber zugleich auch so langsam macht, es soll weg. Und das ist bei Trump nicht nur Rhetorik, sondern zielstrebig verfolgte Absicht. Der Kult der Disruption weiterlesen

Sleep Walking Into Desaster

A radical leader edges towards transforming Austria’s democracy, sparking widespread concern.

Social Europe, January 2025

It is widely acknowledged throughout history that the ascendance of extreme right-wing movements often results from failures within conservatism. By adopting the rhetoric of the radical right—normalising its positions and demands—conservatives help amplify those agendas. They also elevate such figures into prominent government roles, effectively legitimising their influence. This is precisely what appears to be unfolding in Austria. Herbert Kickl, the radical leader of the ultra-right Freedom Party (FPÖ), could soon become Chancellor, as the conservative People’s Party seems poised to acquiesce to his demands.

This worrying development arises from a critical failure within the political establishment. The far right came out on top in recent parliamentary elections with roughly 29 percent of the vote, yet every other party had pledged during the campaign not to form a coalition with Kickl or his circle of extremists. The Conservatives, Social Democrats, and Liberals had initially pursued a three-party coalition, but these negotiations collapsed over relatively minor differences on fiscal policy. When the Liberals allowed the talks to fail, it unleashed a damaging chain reaction. The Conservatives’ hard-line, austerity-focused wing seized the opportunity to torpedo an unpopular centre-right coalition and pave the way for a right-wing alliance—something these conservative hardliners had quietly desired all along. Sleep Walking Into Desaster weiterlesen

Die kalifornische Ideologie

Trump, Kickl und Co, wollen die Welt in Flammen sehen. Aber auch der Liberalismus wird angesteckt von der Zerstörungssehnsucht.

Zackzack, Jänner 2025

Donald Trump stellt gerade seine Regierung zusammen und das Prinzip scheint zu sein, die möglichst maximal unfähigste Person für die jeweiligen Ämter zu gewinnen. Anders als in seiner ersten Präsidentschaft will sich der faschistoide Präsident nicht von moderaten Figuren aus dem Regierungs- und Verwaltungsapparat bremsen lassen, sondern genau dieses „System“ zerschlagen. „Disruption“ ist die Parole der Stunde. Die kommunikative Strategie des rechten Populismus und Extremismus ist, die Realität in möglichst schrecklichen Farben zu malen, ihre jeweiligen Gesellschaften als völlig „kaputt“ oder „broken“ zu zeichnen, um sich dann als Retter und Heilsbringer aufzuspielen. Das Institutionengefüge, die routinisierten Abläufe in der Verwaltung, das gewohnte Zusammenspiel von Parlamenten, Regierung und Gerichte, kurzum, alles, was sich in Gesellschaften so eingespielt hat, soll auf den Kopf gestellt werden. Also alles, was die Demokratie und das Leben einer Nation stabil macht, aber zugleich auch so langsam macht, es soll weg. Und das ist bei Trump nicht nur Rhetorik, sondern zielstrebig verfolgte Absicht. Die kalifornische Ideologie weiterlesen

Kickl ist verhinderbar

Die ÖVP hat den Wählern versprochen, Kickl vom Kanzleramt fernzuhalten, jetzt unterwirft sie sich ihm. Sie sollte diesen Wählerbetrug stoppen.

Insider, Kolumne, Mitte Jänner 2025

In Österreich haben wir ja die Eigenart, uns die Dinge schönzureden, uns selbst zu belügen, den größten Irrwitz irgendwann einmal als „normal“ anzusehen und uns einzureden, es werde „schon nicht so schlimm kommen“. Aber wenn ein unverhohlener Rechtsextremist wie Herbert Kickl Kanzler wird, dann wird das ein dramatischer Wendepunkt dieser Republik.

Der Anführer der FPÖ hat im Wahlprogramm die Homogenisierung der Bevölkerung versprochen, er sagt „machen wir‘s dem Orban nach“, er hat die grotesken Impfgegner-Demonstrationen angeführt, er ist Putins Pony und Freund der Identitären. Er hat getrommelt, am Wahltag stürzen wir das System und gebrüllt, er habe schon „Fahndungslisten“, was die ÖVP jetzt nicht davon abhält, zu glauben, sie könne sich von Kickls „Fahndungslisten“ auf seine „Ministerlisten“ flüchten. Und Kickl hat ja auch eine Geschichte als Heißsporn und Überzeugungstäter, die jeder kennt. Kickl ist verhinderbar weiterlesen

Wie Demokratien sterben

Es ist die Unfähigkeit und die Verantwortungslosigkeit der Anderen, die Herbert Kickl ins Kanzleramt bringt.

Zackzack-Kolumne, Jänner 2025

Die Zweite Republik steht an ihrem Ende und die liberale Demokratie kippt in Richtung Autokratie. Das Land torkelt in Richtung Ungarn oder Slowakei, wo sich, weitgehend ohne große Wahrnehmung, in den vergangenen eineinhalb Jahren der Geist des Autoritären durchsetzte.

Und wie so oft ist es eine Abfolge von Fehlhandlungen von Akteuren, die ihrer historischen Aufgabe nicht gewachsen waren. Statt staatspolitische Verantwortung zu übernehmen und alles zu tun, um Österreich eine Kickl-Regierung zu ersparen, spielten sie „russisches Roulette mit der Republik“ (so Standard-Chef Gerold Riedmann). Ist ja nicht das erste Mal in der Geschichte, dass man in die Katastrophe quasi stolpert. Ich habe an dieser Stelle unmittelbar nach den September-Wahlen geschrieben, dass jetzt alle zusammen ihr „Rendezvous mit der Geschichte haben“ und formuliert „dass man alles tun muss, um eine Regierungsführung der FPÖ zu verhindern“.

Vor der Geschichte versagt

Ich habe das nicht zufällig etwas drängend und appellativ geschrieben, denn ich kenne ja meine Pappenheimer. Aber sie wurden ihrer Verantwortung nicht gerecht. Sie haben vor der Geschichte versagt. Wie Demokratien sterben weiterlesen

The Rise of Authoritarianism

As authoritarian regimes rise globally, progressives face the urgent challenge of defending democracy without reinforcing the very divisions that fuel its decline.

Social Europe, Dezember 2024

In one of Ernest Hemingway’s famous novels, there is a legendary dialogue in which a man is asked how he went bankrupt. He replied that it happened in two ways: “Gradually and then suddenly.” This striking phrase resonates far beyond financial woes; it aptly describes how democracies unravel: gradually, and then suddenly. The Rise of Authoritarianism weiterlesen

Eine Story, verzweifelt gesucht…

Eine der Eigenarten der Mitte-Links-Parteien ist: Sie haben einerseits zu viele Botschaften – und zugleich zu wenige.

Zackzack, Dezember 2024

Es liegt vor unser aller Augen ziemlich klar, warum Kamala Harris gegen Donald Trump verloren hat, und weshalb ganz generell gerade rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien überall auf der Welt Wahlerfolge feiern. Die gesellschaftliche Gereiztheit gehört zum Strauß dieser Gründe und Ursachen, die Abstiegsängste und Verwundungserfahrungen Unterprivilegierter zählen ebenso dazu, zudem das Empfinden, dass es bei uns ökonomisch den Bach runter geht. Die einen, die sagen „It’s the Economy, Stupid“, haben recht, aber genauso haben sie auch unrecht, denn kulturelle Fragen spielen ebenso eine Rolle und die Schwäche der progressiven Parteien, eine klare, gewinnende Botschaft zu senden. Eine Story, verzweifelt gesucht… weiterlesen