Das Salzkammergut wird Europas Kulturhauptstadt 2024: Zwischen K&K-Kitsch und Avantgarde.
Die Zeit, April 2023
Es ist März, ein herrlicher Frühfrühlingstag, die Sonne wärmt, und wenn man von Norden aus nach Bad Ischl hineinflaniert, putzt sich rechts das Freibad schon für den Sommer heraus. Dahinter erhebt sich die alte pompöse Kaiservilla, wo Franz Joseph I. stets die Ferienmonate verbrachte. Der Zaun ist zu, wackelige Gatter verstellen auch die Nebeneingänge. Hier hat sich der alte Kaiser auf seine Spaziergänge gemacht, oft alleine durch sein Hintertürl, die paar hundert Meter rüber zur Villa seiner Langzeitgeliebten Katharina Schratt. Geht man weiter, Richtung Traun und Esplanade, durch Gässchen und repräsentative Promenaden der kleinen Provinzstadt, die immer groß auf sich hielt, landet man bald vor dem alten Postgebäude. „Post- & Telegrafen Amt“ steht auf der Fassade, und wenn man den Seiteneingang nimmt, dann erinnert uns eine Aufschrift: „Unter der glorreichen Regierung Sr. Majestät des Kaisers’s Franz Josef I. erbaut im Jahre 1895.“
Imposantes Signalgebäude eines Weltreiches, das nicht mehr existiert.
Im Obergeschoß herrscht und lenkt jetzt Elisabeth Schweeger, die mondäne Chefiza der Salzkammergut 2024 GmbH, die schon bei der Bewerbung von Saint Etienne mitarbeitete, viele Jahre das Schauspiel in Frankfurt leitete und überhaupt eine staunenswerte Berufsbiografie hat. Junge Kreative wuseln herum, die Next Generation Salzkammergut mit Elan, schrägen Ideen und ganz viel Energie. 23 Gemeinden „die alle sehr eigensinnig sind“ (Schweeger) werden ab kommendem Jänner zur Kulturhauptstadt Europas. Widerborstige Flecken, die nah beieinander liegen, sich aber oft gar nicht grün sind – ein Europa im Kleinen also.
„Wir sollen auch nicht übersehen, dass das alte Europa von hier aus zerstört wurde“, sagt Elisabeth Schweeger. Das mit dem „hier“ meint sie ziemlich wörtlich. Drüber in der Kaiservilla hat Franz Joseph 1914 die Kriegserklärung an Serbien unterschrieben. Vom „Post- & Telegrafen Amt“ aus ging sie um die Welt.
Europas Kulturhauptstadt Salzkammergut? Man stutzt intuitiv, allein schon, weil es hier, jedenfalls aus der Sicht von Metropolenbewohnern, gar keine Städte gibt. Turnusmäßig ist Österreich nächstes Jahr wieder dran. Graz und Linz hatten die Titel bereits einmal, diesmal bewarb sich ein Städte-Netzwerk in Vorarlberg, außerdem noch Sankt Pölten. Der damalige Ischler Bürgermeister Hannes Heide hatte die reichlich verwegene Idee, rund um die alte Kaisersommerstadt ein Bündnis von Kulturgemeinden zu schmieden. Mit Erfolg. Bad Ischl, Goisern, Gmunden, Hallstatt, Ebensee sind an Bord, aber auch Steinbach am Attersee, und zudem die steirischen Salzkammergut-Gemeinden Altaussee, Bad Aussee und weitere. Rund 140.000 Einwohner leben hier verstreut in ihren Schluchten. Kaiser, Nazis, Partisanen weiterlesen