Die Vernunft ist kein Extrem

Vielleicht sollten wir mit dem Begriff „Polarisierung“ etwas vorsichtiger umgehen.

Gern ist ja von der „Polarisierung“ die Rede. Beispielsweise jene, die die drohende Klimakatastrophe als eine ziemliche Gefahr ansehen, und jene, die sie leugnen oder Warnungen als übertrieben ansehen – die wären polarisiert, wird damit irgendwie ausgesagt. Oder anderes Beispiel: Während die FPÖ und Herbert Kickl seit Menschengedenken nichts anderes betreiben als die Menschen gegeneinander aufzuhussen, das Land in ein „Wir gegen Sie“ zu spalten, würde die SPÖ mit Andreas Babler jetzt etwas Ähnliches betreiben. Babler spricht ja gerne von „unseren Leuten“, womit die gemeint sind, für die die SPÖ eine Schutzmacht sein will. Das ist ja auch Polarisierung, wird plötzlich die Nase gerümpft.

Vielleicht sollten wir mit der Polarisierungsdiagnose einfach etwas vorsichtiger sein. Denn eine Polarisierung gibt es gar nicht. Die einen nehmen – sowieso viel zu spät – die Warnungen der Wissenschaft ernst, akzeptieren die Fakten und die Wirklichkeit. Hitzewellen, dauernde Extremwettereignisse, Wassermangel, Ernteausfälle, Überschwemmungen, Regionen, die man bald nicht mehr bewohnen kann. Es gibt die einen, die sagen: Dagegen sollten wir wenn möglich schleunigst etwas unternehmen. Und dann gibt es diejenigen, die sagen: Dagegen sollten wir nichts unternehmen, weil heiß war es früher auch. Die einen fragen: Wo kann man an ein paar Schrauben drehen, damit wir Emissionen senken, damit wir weniger Boden versiegeln, damit wir für Kühlung in der Nacht sorgen? Und die anderen rufen: „Nix, ich lass mich nicht umerziehen“, und beten im Extremfall einen Öltank an.

Ist das denn tatsächlich Polarisierung? Oder ist es nicht so, dass hier eher die Vernunft der Verrücktheit gegenübersteht, die Ernsthaftigkeit dem Unernst? Die Vernunft ist kein Extrem weiterlesen

Kommt bald die Marxistenverfolgung?

Man kann über die schrulligen Ideen der ÖVP lachen. Aber es sind Ideen von Verfassungsfeinden und von Gegnern von Liberalität und Freiheit.

zackzack.at, Juni 2023

Über die schrulligen Träume der Wiener ÖVP von einer Marxistenverfolgung haben wir natürlich ausreichend gelacht. Längst wissen wir, oder glauben wir zu wissen, worum es der Partei geht: Möglichst skurrile, schräge Forderungen verbreiten, um irgendwie Schlagzeilen zu produzieren. Irgendwas mit Marx, um vom Murx in der Bundesregierung abzulenken. Es ist dieser übliche Unernst, der mit dem Rechtsdrift einher geht und der von der einstmals betulichen konservativen Partei Besitz ergriffen hat. Rechtspirouetten und Vertrottelung gehen Hand in Hand wie Laurel und Hardy.

Ohne Zweifel ist Lachen immer gut. Doch die Sache ist zu ernst, um sich auf das Schenkelklopfen zu beschränken.

Falls Sie es im Detail nicht mitbekommen haben: Die ÖVP-Wien fordert einen Marxismus-Check für alle Formen von Förderungen durch die Stadt Wien. Wer also als Sozialarbeiter für ein Projekt Geld bekommt, müsste also einen Marx-Check bestehen – oder, je nachdem, wie man es nimmt: bei der Marx-Prüfung durchfallen –, ebenso jede Theatermacherin oder jeder Lyriker, der um eine Förderung ansucht. Man könnte dann gleich Bertolt Brechts Stücke wieder verbieten. Auch Elfriede Jelineks Arbeiten sollten einem Bann unterworfen werden. Milo Rau, gerade zum Intendanten der Wiener Festwochen bestellt, müsste wohl umgehend wieder mit Schimpf aus der Stadt gejagt werden. Kommt bald die Marxistenverfolgung? weiterlesen

Die Huren der Reichen

Die ÖVP bekommt hysterische Anfälle, weil ihr jetzt ein echter, geerdeter Sozi als Gegner gegenüber steht.

Die ÖVP-Spitzenleute bekommen seit der Wahl von Andreas Babler zum SPÖ-Vorsitzenden jeden Tag einen theatralischen Nervenzusammenbruch und sind ganz erschüttert, weil sie den „Marxismus“ einziehen sehen. Nun ja, wenn „Marxismus“ heißt, den Skandal zu analysieren, dass in einer Gesellschaft, die auf breitester Kooperation aller beruht, sich die einen unermesslichen Reichtum krallen, und die anderen nicht wissen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen, dann würde gegen ein bisschen Marxismus ja gar nichts sprechen. Wie die ÖVP in den letzten Jahren ihren reichen Freunderln und Gönnern (Benko!) Vermögen zuschanzte, wie sich Unternehmensnetzwerke eine Regierung kauften und hielten (man denke an die berühmte „Adler“-Runde), das wäre, so gesehen, ja das beste Argument für eine kleine Prise Marxismus. Was der gute alte Rauschebart über Leute gesagt hätte, die sich selbst als „Hure der Reichen“ titulieren, das kann man sich schön ausmalen. Und wenn Marx einmal schlau beschrieben hat, dass die Fabrikbesitzer und Konzernherren das Einkommen ihrer Arbeiter immer drücken wollen, da diese für sie primär Kostenfaktoren seien, das Einkommen aller anderen Beschäftigten aber gerne in schönen Höhen sehen würden, da diese für sie primär Konsumenten seien, dann ist das auch eine Einsicht, mit der sich intellektuell herausgeforderte ÖVP-Sekretäre vielleicht besser vertraut machen sollten, bevor sie komisch herumlabern. Die Huren der Reichen weiterlesen

Nieder mit der Heizung!

Die Spinner nicht reizen? Über die ewig komplizierte Dialektik von Mäßigung und Radikalität.

taz, das Schlagloch. Juni 2023

Häufig kursieren in den Sozialen Medien lustige Memes von der Art: „>Viele Zitate im Internet sind erfunden< (Julius Cäsar)“. Gut, das ist deutlich erkennbar erfunden, obwohl auch darauf manche Leute reinfallen. Längst tut man sowieso gut daran, allen Zitaten zu misstrauen. Ehrlicherweise muss man aber auch einräumen, dass es nicht das Internet gebraucht hat, um Falschzitate zu verbreiten. Manchmal hilft das Internet sogar, verfestigtes Falschwissen zu untergraben. Eines meiner Lieblingszitate des großen Ökonomen John Maynard Keynes ist seit vielen Jahren: „Wenn sich die Fakten ändern, ändere ich meine Meinung. Und was machen Sie?“ Leider beging ich unlängst den Fehler, die Quelle zu googeln, was in der schockierenden Entdeckung mündete, dass auch das ein Falschzitat ist und kein Keynes-Diktum. Sehr verdient um die Enttarnung von Falschzitaten hat sich in den letzten Jahren der Wiener Literaturwissenschaftler und Karl-Kraus-Forscher Gerald Krieghofer gemacht. Jeden Sinnspruch legt er in Trümmer, gelegentlich schafft er aber auch die zweifelsfreie Beurkundung des ungefähr Bekannten. So fand er für ein bisher mehr vom Hörensagen kursierendes Zitat des legendären sozialistischen österreichischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky die Ursprungsquelle in einer Ausgabe der „Salzburger Nachrichten“ vom Mai 1976. Der sagte: „Solange ich da bin, wird rechts regiert.“

Kreisky, der eine stark selbstironische Seite hatte, meinte damit: Man dürfe die Leute nicht mit gesellschaftlicher Progressivität, radikalen Plänen und wilder Rhetorik überfordern. Lieber solle man ein gemäßigter Sozialist sein, der dafür Mehrheiten hinter sich versammeln kann, als ein radikaler Sozialist, der wirkungslos bleibt, weil er keine Wahlen gewinnen kann. Nieder mit der Heizung! weiterlesen

Friedrich Merz, der AfD-Macher

Die ÖVP will Marxistenverfolgung, die CDU sieht im Aufstieg der Rechtsextremisten den Auftrag, die Grünen zu bekämpfen.

Die ÖVP in Wien hat nun wieder einmal mit einer ihrer „originellen“ Aktionen aufhorchen lassen. Nachdem man in den vergangenen Monaten von einem städtischen Markt zum nächsten gezogen ist, um dort „fremdländische“ Marktstandbetreiber zu beschimpfen (wir lernen: Ausländer, die arbeiten, sind offenbar noch schlimmer als Ausländer, die nicht arbeiten), will sie nun Andersdenkende verfolgen. Wer in Wien Förderungen bekommen will, der müsse einen „Marxismus-Check“ unterzogen werden, so die jüngste Forderung. Das war einigermaßen missverständlich formuliert, die ÖVP will natürlich nicht, dass man für Förderungen einen Marxismus-Test bestehen muss, sondern umgekehrt, wer in Marxismus-Verdacht steht, solle von Förderungen ausgeschlossen sein. Genauere Vorschläge zur Vorgangsweise, wie man Marxisten auf die Spur kommen sollte, die zwecks Förderungsabsicht ihr Marxisteln verbergen, sind bisher noch nicht am Tisch. Aber man kann sich da ja beim erfolgreichen Wirken des seinerzeitigen rabiat-antikommunistischen US-Senators Joseph McCarthy bestimmt viel abschauen. Ein „Ausschuss für anti-österreichische Umtriebe“ wäre doch etwas.

Ergänzen könnte man die Pläne der ÖVP durch einige flankierende Maßnahmen, wie etwa ein Aufführungsverbot für Stücke von Bertolt Brecht oder Elfriede Jelinek, öffentliche Gesinnungstribunale für Marxismus-Verdächtige, Grenzkontrollen an Flughafen und in der Bahn zwecks Aufspürens verbotener Literatur. Dann wird reisen endlich wieder ein Nervenkitzel, so wie seinerzeit, wenn man in die DDR ein paar Ausgaben des „Spiegel“ schmuggelte. Auch öffentliche Verbrennungen der Werke von Marx und Engels können erwogen werden.

Morgen macht die ÖVP dann sicherlich wieder eine Aussendung gegen die woke „Gesinnungsdiktatur“ oder grüne „Verbotspolitik“.

Es ist übrigens dieselbe ÖVP, die in Niederösterreich, Salzburg und Oberösterreich mit den rabiatesten Rechtsextremisten der FPÖ koaliert, die gewaltbereiten Identitärenfreunderln die Türen zum Regierungsapparat öffnet und diese Allianz des Grauens auch noch als Bündnis für die „Normaldenkenden“ bezeichnet.

Man sieht, wie weit der klassische Konservatismus, der vor ein paar Jahren noch in der Traditionslinie einer moderaten Christdemokratie stehen wollte, aus der Spur geraten ist. Friedrich Merz, der AfD-Macher weiterlesen

„Jemand, der Menschen mog.“

Andi Bablers Aufstieg vom Underdog zum Kanzlerkandidaten ist wie ein kleines Polit-Märchen. Was ist das Geheimnis seines Erfolgs?

Welch irre Tage die SPÖ hinter sich hat – gekrönt durch das Additions-Fiasko, welches dazu führte, dass Hans Peter Doskozil zum Parteichef ausgerufen wurde, und erst zwei Tage später entdeckt wurde, dass in Wahrheit Andreas Babler die Stichwahl gewonnen hatte. Das eigentlich Bemerkenswerte ist da fast in den Hintergrund gerückt: Ein Basiskandidat, eine geerdete Anti-Establishment-Person ist zuerst in den Wettkampf um die Parteiführung eingestiegen, hat dann beachtliche 32 Prozent der Stimmen aller Mitglieder erhalten und im Finale des Parteitags sogar die Mehrheit der Funktionäre für sich einnehmen können. Wer das vor fünf Monaten prophezeit hätte, wäre augenblicklich zu einem Phantasten oder Spinner erklärt worden.

Wer Parteien kennt, die Behäbigkeit von Apparaten, deren Hang zum Gewohnten, der ahnt, was das eigentlich für eine kleine Revolution ist. Mit Andi Babler wird kein abgeschliffener Kandidat SPÖ-Vorsitzender, sondern ein hemdsärmliger Bürgermeister, der sagt, was er sich denkt, der zu seinen Werten und Grundsätzen steht, so einer, von dem man früher wohl gesagt hätte, das sei „noch ein echter Sozi“.

Man kann jetzt schon fix davon ausgehen: Die herrschenden Zirkel, die Geschäftemacher, die Schlaucherln, Strippenzieher und Champagnisierer, diese Kamarilla aus Geldleuten und liebedienerischer Politik, sie werden das als die Größte Denkbare Bedrohung ansehen. Die Blase, die sich in Chats selbstironisch „Wir sind die Hure der Reichen“ nennt, wird mit Hilfe ihrer Berater-Clans und befreundeter Medienmacher aus allen Rohren auf Babler schießen. Sie werden tief in den Dreck greifen, um ihre Privilegien zu verteidigen. Jede Petitesse werden sie ausgraben, jede Kleinigkeit, die sie finden können, werden sie zu einem Elefanten aufblasen. „Jemand, der Menschen mog.“ weiterlesen

Kaiser, Nazis, Partisanen

Das Salzkammergut wird Europas Kulturhauptstadt 2024: Zwischen K&K-Kitsch und Avantgarde.

Die Zeit, April 2023

Es ist März, ein herrlicher Frühfrühlingstag, die Sonne wärmt, und wenn man von Norden aus nach Bad Ischl hineinflaniert, putzt sich rechts das Freibad schon für den Sommer heraus. Dahinter erhebt sich die alte pompöse Kaiservilla, wo Franz Joseph I. stets die Ferienmonate verbrachte. Der Zaun ist zu, wackelige Gatter verstellen auch die Nebeneingänge. Hier hat sich der alte Kaiser auf seine Spaziergänge gemacht, oft alleine durch sein Hintertürl, die paar hundert Meter rüber zur Villa seiner Langzeitgeliebten Katharina Schratt. Geht man weiter, Richtung Traun und Esplanade, durch Gässchen und repräsentative Promenaden der kleinen Provinzstadt, die immer groß auf sich hielt, landet man bald vor dem alten Postgebäude. „Post- & Telegrafen Amt“ steht auf der Fassade, und wenn man den Seiteneingang nimmt, dann erinnert uns eine Aufschrift: „Unter der glorreichen Regierung Sr. Majestät des Kaisers’s Franz Josef I. erbaut im Jahre 1895.“

Imposantes Signalgebäude eines Weltreiches, das nicht mehr existiert.

Im Obergeschoß herrscht und lenkt jetzt Elisabeth Schweeger, die mondäne Chefiza der Salzkammergut 2024 GmbH, die schon bei der Bewerbung von Saint Etienne mitarbeitete, viele Jahre das Schauspiel in Frankfurt leitete und überhaupt eine staunenswerte Berufsbiografie hat. Junge Kreative wuseln herum, die Next Generation Salzkammergut mit Elan, schrägen Ideen und ganz viel Energie. 23 Gemeinden „die alle sehr eigensinnig sind“ (Schweeger) werden ab kommendem Jänner zur Kulturhauptstadt Europas. Widerborstige Flecken, die nah beieinander liegen, sich aber oft gar nicht grün sind – ein Europa im Kleinen also.

„Wir sollen auch nicht übersehen, dass das alte Europa von hier aus zerstört wurde“, sagt Elisabeth Schweeger. Das mit dem „hier“ meint sie ziemlich wörtlich. Drüber in der Kaiservilla hat Franz Joseph 1914 die Kriegserklärung an Serbien unterschrieben. Vom „Post- & Telegrafen Amt“ aus ging sie um die Welt.

Europas Kulturhauptstadt Salzkammergut? Man stutzt intuitiv, allein schon, weil es hier, jedenfalls aus der Sicht von Metropolenbewohnern, gar keine Städte gibt. Turnusmäßig ist Österreich nächstes Jahr wieder dran. Graz und Linz hatten die Titel bereits einmal, diesmal bewarb sich ein Städte-Netzwerk in Vorarlberg, außerdem noch Sankt Pölten. Der damalige Ischler Bürgermeister Hannes Heide hatte die reichlich verwegene Idee, rund um die alte Kaisersommerstadt ein Bündnis von Kulturgemeinden zu schmieden. Mit Erfolg. Bad Ischl, Goisern, Gmunden, Hallstatt, Ebensee sind an Bord, aber auch Steinbach am Attersee, und zudem die steirischen Salzkammergut-Gemeinden Altaussee, Bad Aussee und weitere. Rund 140.000 Einwohner leben hier verstreut in ihren Schluchten. Kaiser, Nazis, Partisanen weiterlesen

Marxismus – ist das etwas krass Böses?

Die ÖVP führt gegen den neuen SPÖ-Chef Andreas Babler eine groteske Retro-Debatte. Dann wollen wir ihr mal bisschen Geschichtsunterricht erteilen.

Gelegentliche Leser und Leserinnen dieses Blogs werden sich daran erinnern, dass die österreichische Sozialdemokratie (SPÖ) in den vergangenen Monaten einen Wettstreit um den Parteivorsitz ausgetragen hat, und dass ich dabei einen Bewerber, den geerdeten, hemdsärmligen Basiskandidaten Andreas Babler unterstützt habe. Beobachter des Zeitgeschehens werden auch mitbekommen haben, dass Babler, der als Underdog begann, sich am Ende durchgesetzt hatte und nun neuer Parteivorsitzender der SPÖ ist.

Die Kamarilla an Eliten, Geschäftemachern, an Gutsituierten und Freunderlwirtschaftlern sieht Babler naturgemäß als die schlimmste denkbare Herausforderung an. Sie fahren alle Geschütze auf, werden tief im Dreck wühlen, im Versuch, ihn unmöglich zu machen.

Der ÖVP-Generalsekretär Stocker, in seinem ewigen Bestreben, der Trottelforschung Anschauungsmaterial zu liefern, hat jetzt gemeint, der Weg des „Marxisten“ Andreas Babler werde nach „Nordkorea“ führen. Das ist natürlich so verblödet, dass es sich nicht lohnt, darauf einen Gedanken zu verschwenden.

„Ich bin Marxist“

Hintergrund der Wortmeldung war aber, dass Babler sich in einem Interview als „Marxist“ bezeichnete, weil er seit seinen Tagen als Jungsozialist gelernt habe, dass man durch die Brille des Marxismus die Dinge scharf sehe; nur kurz darauf hat er dann in einem anderen Interview auf die Frage, ob er denn damit auch für die „Diktatur des Proletariats“ und die Verstaatlichung aller Produktivkräfte wäre, geäußert, „wenn man es so interpretiert, dann natürlich nicht“. Marxismus – ist das etwas krass Böses? weiterlesen

Plötzlich Sieger

Irre: Andreas Babler, der Underdog-Kandidat, wird SPÖ-Chef. Der ursprüngliche Gewinner wurde irrtümlich gekürt – man hatte sich verrechnet.

Vorwärts, Juni 2023

„Sozialdemokratie“, rief der Kandidat vom Rednerpult hinab, „ist nur ein anderes Wort für Träumer. Man sagt, ich sei ein Träumer“, so Andreas Babler, der Underdog, der es in die Parteitags-Stichwahl für den SPÖ-Vorsitz geschafft hatte, „aber auch die Gemeindebauten waren Luftschlösser, bis wir sie errichtet hatten, auch der Acht-Stunden-Tag war eine Utopie, bis wir ihn erkämpft hatten.“ Spätestens da hatte der fulminante Redner den Saal erobert. Ovationen. Die Herzen flogen ihn zu. Und so unwahrscheinlich es bislang erschienen war, dass ein idealistischer, geerdeter Basiskandidat gegen die gut geölte Apparatschikmaschine des Konkurrenten gewinnen könnte – da dämmerte es den ersten, dass es vielleicht doch gelingen könne.

Drei Stunden später waren der Wahlvorgang dann erledigt, die Stimmen und das Ergebnis in Listen eingetragen, notiert und addiert. Es hatte knapp nicht gereicht. 316 Stimmen seien auf den burgenländischen Landeshauptmann und Vertreter des rechten Parteiflügels, Hans Peter Doskozil, entfallen. 279 Stimmen auf Andreas Babler. 596 gültige Stimmen seien abgegeben worden, erklärte die Vorsitzende der Wahlkommission, Michaela Grubesa, eine akzentuierte Anhängerin des vermeintlich siegreichen Kandidaten.

Einige Stunden später setzte der ORF-Anchorman Martin Thür, als Zahlennerd im ganzen Land berüchtigt, einen wenig beachteten Tweet ab, der aber in die Politgeschichte eingehen dürfte. „316+279=595 und nicht 596“. Thür bat um Recherche. Dass er sich mit irgendeiner oberflächlichen Erklärung abfinden würde, dafür ist Thür nicht bekannt. Plötzlich Sieger weiterlesen

Eine Frau hat einen Plan

Die Ökonomin Isabella Weber hat klare Konzepte, wie die Inflation bekämpft werden könnte. Sehr spät, aber doch, folgen ihr immer mehr Regierungen.

Arbeit & Wirtschaft, Mai 2023

Sie ist gegenwärtig die wahrscheinlich meistdiskutierte Wirtschaftswissenschaftlerin der Welt, der neue Star am Ökonominnen-Himmel: Isabella Weber, Professorin an der Universität im beschaulichen Amherst in Massachusetts, zwei Autostunden von Boston entfernt. Seit sie Preiskontrollen zur Bekämpfung der Inflation vorgeschlagen hat, wird sie im britischen „Guardian“ diskutiert, entfachte Kontroversen in der „New York Times“, und nicht nur die neoliberalen Mainstream-Ökonomen reagieren geradezu panisch und hasserfüllt auf die Vorschläge der 35jährigen, aus Nürnberg stammenden Forscherin. Selbst progressive Wirtschaftsforscher, wie Nobelpreisträger Paul Krugman gerieten in Rage – „einfach dumm“, nannte er ihre Vorschläge, wofür er sich hinterher entschuldigte. Eine Armada an linken Forscherstars wiederum sprang ihr zur Hilfe, wie etwa James K. Galbraith oder Stephanie Kelton. Innerhalb von gerade etwas mehr als einem Jahr haben sich Webers Vorschläge aber allmählich durchgesetzt. Die deutsche Bundesregierung hat sie in ihre „Preiskommission“ zu Regulierung des Gasmarktes berufen. Sechs Wochen hat sie in Berlin – unentgeltlich, ehrenamtlich – mit anderen Ökonomen eine Konzeption entworfen.

„Die Frau, die den Preisdeckel erfand“, feierte sie der deutsche „Spiegel“.

„Bei einer Inflationsdynamik muss man immer genau betrachten, mit welcher Inflation man es zu tun hat“, erklärt Weber. „Natürlich kann es eine Inflation geben, die primär ein Ergebnis steigender Nachfrage ist.“ Also etwa, wenn die Wirtschaft brummt, die Unternehmen auf vollen Kapazitäten produzieren, wenn Vollbeschäftigung herrscht, die Arbeitnehmer hohe Lohnerhöhungen durchsetzen. „Aber das ist ja nicht unsere Situation. Wir haben steil ansteigende Energiepreise und einen Angebots-Schock. Und in einer solchen Situation muss man mit den Maßnahmen reagieren, die dafür passen.“

„Preiskontrollen“, das hat den neoliberalen Ökonomen-Mainstream und die konservativen und liberalen Politik-Eliten auch deshalb so in Panik versetzt, weil das Mantra von freien Märkten, auf denen freie Unternehmen freie Preise setzen, zu einem Dogma geworden ist. Dabei waren in vielen Epochen der Geschichte Preise kontrolliert, reguliert, um optimale wirtschaftliche Ergebnisse zu erzielen. Immer wurde das angegriffen: In den USA haben die Neoliberalen schon vor 70 Jahren die Regulierung des Milchpreises verdammt und als Einstieg in die böse Planwirtschaft diskreditiert – skurrilerweise ist diese Regulierung bis heute in Kraft. Eine Frau hat einen Plan weiterlesen

Eine kitzekleine Utopie – FS Misik reloaded #14

Heute wird zugleich ein „Utopieverlust“ beklagt, und zugleich würde jeder, der mit einer halbwegs ambitionierten Idee daher käme, als „irrealer Phantast“ verhöhnt. Aber ohne packende Zukunftsbilder und Hoffnung verkümmert die Politik. Ganze Gesellschaften werden angstgetrieben und zukunftslos. Es zeigt sich: Wer keine Visionen hat, braucht einen Arzt, und bald auch einen Totengräber.

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Wie ÖVP-Ideologie das Land ruiniert

Die Regierung sträubte sich monatelang gegen jede Preisbremse und hat auch verspätet kaum etwas zuwege gebracht, außer dem Strompreisdeckel. In „die Märkte“ dürfe man nicht eingreifen, so das Dogma. Den Mietanstieg boxte die ÖVP sogar gegen heftige Widerstände durch. Jetzt liegt die Inflationsrate im europäischen Spitzenfeld. Die ÖVP ruiniert das Land.

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