Arbeiterpartei? Volkspartei? Mittelschichtspartei? Systemopposition? Kraft des vernünftigen linksliberalen Zentrums? Was davon soll die Sozialdemokratie sein? Oder geht auch: Alles das zusammen?
Vor einigen Tagen war ich in Oberhausen, im wunderbaren Ruhrpott, bei der Klausurtagung der der SPD in Nordrhein-Westfalens. Sie hat mich zu einer Art Keynote von außen eingeladen. Für mich eine Gelegenheit, einmal grundlegender nachzudenken, was die Erfolgsbedingungen für eine Sozialdemokratie in unserer Zeit sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,
oft ist ja von der Politikverdrossenheit der Bürgerinnen und Bürger zu hören, die Diagnose der Politikverdrossenheit ist ja schon über dreißig, bald vierzig Jahre alt.
Dass die Bürger und Bürgerinnen das Gefühl haben, wenn sie sich etwa Politikdebatten ansehen oder die Diskussionen irgendwelcher Funktionäre im Fernsehen: „Das hat nichts mit mir zu tun“.
Die sind in ihrer Blase, reden über irgendwas, aber eigentlich geht es ihnen ja nur um ihre Posten. Diese ganze Nummer, sie kennen das.
Dann kam die Wut dazu und mit ihr die Sozialfigur des „Wutbürgers“, also nicht nur die deprimierte Abwendung von der Politik, sondern das gereizte Geschimpfe über die Politik, dieses wütende Überziehen, dieses gegen „die da“, gegen „die da Oben“, wie dann oft noch dazu gesagt wird.
Dieses „Weg mit denen“, dieses „Weg mit dem System“.
Politikverdrossen können aber natürlich auch Politiker sein oder politische Funktionäre, Leute wie sie. Da rennt man sich die Haken ab jahrein, jahraus, sitzt in jeder Kommission, geht im Wahlkampf von Tür zu Tür, hat eigentlich gute Ideen, aber in der Soundbite-Kultur der heutigen Medien kriegt man das sowieso nicht über die Rampe, weil jedes Argument, das länger als 1:20 Minuten ist, das ist leider zu lange.
Dann schüttelt man sich die Hände wund beim Flugzettelverteilen im Wahlkampf.
Und am Wahltag kriegt man dann die große Klatsche drauf und liegt neun Prozentpunkte hinter der Konkurrenz, und im Grunde weiß man: das ist Pech gewesen, eine Folge von Stimmungen des Augenblicks.
Und leckt seine Wunden und soll dann auch gleich wieder motiviert sein.
Ich verstehe es, wenn Sie politikverdrossen sind.
Die Politikverdrossenheit der Bürgerinnen und Bürger, die ist ja genauestens erforscht, aber die Politikverdrossenheit der Politiker, das wäre auch einmal eine Untersuchung wert.
Aber es gibt ja nicht nur die Politiker und die politischen Funktionäre und die Wählerinnen und Wähler, die Bevölkerung – jenes unbekannte Wesen, das wir üblicherweise versimpelt „das Volk“ nennen – plus das System der Medien mit seinen Schlagzeilen und dem Erregungszusammenhang, es gibt dann auch so Leute, die daherkommen und sagen, wie man es besser macht.
So Leute wie mich.
Diese Besserwisser haben wir noch gebraucht, denken Sie sich jetzt vielleicht.
Aber so ist nun einmal die Rollenaufteilung und so will ich versuchen, meine Aufgabe einigermaßen gut zu erfüllen, und gut heißt, auf möglichst nützliche Weise.
Am vergangenen Bundesparteitag ihrer Partei hat der neue Co-Vorsitzende der SPD, Lars Klingbeil, gesagt: Ein Wahlerfolg, der zum Einzug eines Sozialdemokraten in das Kanzleramt führt, ist das eine – aber worum es wirklich gehe, sei eine prägende Ära. Vom neuen „sozialdemokratischen Jahrzehnt“ hat er gesprochen.
Klingt jetzt bisschen pompös und angeberisch, aber sehen wir uns an, was da dran ist. Vor einem „sozialdemokratischen Jahrzehnt“? weiterlesen