Studie zeigt: Kickl macht unglücklich

Wer Rechtsextremen in die Fänge gerät, dessen persönliche Lebenszufriedenheit nimmt rasant ab.

Zackzack, Juli 2024

In Deutschland haben Forscher des Wissenschaftszentrums Berlin in einer umfassenden Studie etwas herausgefunden, was man salopp so zusammen fassen kann: Rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien machen unglücklich. Und besonders unglücklich machen sie ihre eigenen Anhänger.

Wollen wir uns kurz etwas genauer der Studie widmen. Dass Wähler von rechten Parteien oder von Protestparteien „unglücklich“ sind oder ein eher negatives „persönliches Wohlbefinden“ äußern (also: sich mies fühlen) heißt ja noch lange nicht, dass diese Parteien sie unglücklich machen. Man könnte die Kausalität ja auch anders herum sehen: Weil die Menschen am politischen System frustriert sind, weil sie selbst beispielsweise in einer ökonomisch marginalisierten Situation sind, weil sie arm sind, weil sie unter Druck stehen, weil sie es nicht leicht im Leben haben – deswegen haben sie ein verständliches persönliches Unglücksempfinden. Und wegen all dieser Umstände wählen sie dann die Rechtsparteien. Dann wären diese Parteien der authentische Ausdruck einer berechtigten Unzufriedenheit. Daran wäre nichts problematisch. Im Gegenteil: Das wäre dann sogar wichtig für die Demokratie, dass Unzufriedenheit seine Artikulationsmöglichkeit findet. Parteien, welche immer, die mehrheitlich etwa die Verlierer der sozialen Wandels und die ökonomisch Unterprivilegierten sammeln, hätten logischerweise dann eine „unglücklichere“ Wählerschaft. Studie zeigt: Kickl macht unglücklich weiterlesen

Ein wilder Ritt: Die Wiener Prozesse

Die Wiener Prozesse: Eine Rückschau – und die Videos von allen drei Wochenenden auf einer Seite zum Nachsehen.

Es wird Ihnen wahrscheinlich aufgefallen sein: In den vergangenen Monaten habe ich diesen Blog sträflich vernachlässigt. Ich hoffe, Sie können es mir nachsehen. Es gibt nämlich einen guten Grund dafür: Ich war als Dramaturg der „Wiener Festwochen“ so richtig beschäftigt und eingespannt, quasi >24/7<, wie man heute glaub ich sagt.

Es war ein wilder Ritt. Unter der Regie von Intendant Milo Rau, gemeinsam mit einem kleinen dramaturgischen Team – Claus Philipp, Laura Widerhofer, Carmen Hornbostl – haben wir drei „Wiener Prozesse“ auf die Beine gestellt. Eine über die „Verwundete Gesellschaft – Covid 19 und die Folgen“, einen über die „Anschläge auf die Demokratie“ – über die FPÖ & Co., und einen über die „Heuchelei der Gutmeinenden“. Die Kritik bedachte uns mit Hymnen. Es werde einem in dieser Orgie des Zuhörens bewusst, „welche Arbeit Demokratie bedeutet“ (Nachtkritik). „Man kann jetzt schon sagen, dass dem neuen Intendanten mit den Wiener Prozessen ein Coup gelingen wird“, kommentierte der „Standard“ nach dem ersten Wochenende. „Dieses Reality-Format knallt dem Publikum die neuraligischen Themen der letzten Zeit noch einmal in aller Präzision vor den Latz.“ – „Das Spannendste, was Theater gerade zu bieten hat“ (Die Welt). – „Wortreiche Rechtspopulisten werden plötzlich ganz still, wenn sie in der direkten Konfrontation der Lebensgeschichte einer Geflüchteten gegenüberstehen.“ (taz). „Streitkultur beginnt beim Zuhören … Es hat sich gelohnt“ (Der Standard). „Dieses Theaterformat funktioniert, weil es Debatten von Gruppen ermöglicht, die einander sonst ausweichen“ (Die Presse). Ein wilder Ritt: Die Wiener Prozesse weiterlesen

Wider die politische Depression!

Warum es gerade jetzt packende Botschaften von „Hoffnung“ und „Wandel“ braucht.

Zackzack, Juni 2024

Nachdem ich die vergangenen Monate als Co-Dramaturg der „Wiener Prozesse“ bei den Wiener Festwochen wie ein Irrer gearbeitet habe – der dritte Prozess ging erst am Sonntag vor einer Woche zu Ende –, reiste ich nach Berlin, wo ich die Teilnahme am „Progressive Governance Summit“ zugesagt hatte. Erholung ist ja überschätzt, flüsterte mir der Sarkastiker in mir ins Ohr.

Dieser „Gipfel“ von progressiven Regierungsparteien wurde vor 25 Jahren von Bill Clinton, Tony Blair, Romano Prodi und anderen ins Leben gerufen, hat sich seither aber auch ein wenig gewandelt. Im Grunde ist es ein Netzwerk von sozialdemokratischen, progressiven, linksliberalen und auch akzentuierteren Linksparteien und Think-Tanks, eine wunderbare Tauschzentrale von Information und Wissen. Diesmal waren Olaf Scholz, Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt, die schwedische Ex-Außenministerin Anne Linde da, Funktionäre der Labour Party (die demnächst einen großen Wahlsieg feiern wird), hohe Parteimanager der US-Demokraten, der Präsident des „Center for American Progress“, die dänischen Links-Grünen, die dort bei den Europa-Wahlen die rechtsgedrehten Sozialdemokraten auf die Plätze verwiesen haben, Wahlkampf-Planer von Justin Trudeaus kanadischen Liberalen und viele andere mehr. Wider die politische Depression! weiterlesen

Das Wissen der Beherrschten

Haben Ausgegrenzte einen „kognitiven Vorteil“ gegenüber Privilegierten? Ja, sagt Daniel Loick.

Falter, Juni 2024

„Brav gearbeitet, wackerer Maulwurf“, heißt es in Hegels „Geschichte der Philosophie“, was Karl Marx später im Aufruf „Gut gewühlt, alter Maulwurf“ aufgriff, weshalb das Wühltier bei linken Gruppen als Comic-Figur so beliebt ist. Nicht die Hochwohlgeboren, die Helden, nicht die Fabrikanten und auch nicht die Privilegierten sorgen für den Fortschritt in der Geschichte, sondern die Unten – die, die die Wühlarbeit vollbringen. Das Wissen der Beherrschten weiterlesen

The case for a radical, liberal left

We should counter the radical right, Robert Misik writes, not with left-wing populism but the power of reason.

My Column for Social Europe, April 2024

Today, democracy is threatened almost everywhere by the spirit of illiberalism, anti-pluralism and an authoritarian far right. This has a number of sources. They include a growing climate of pessimism and fear of decline—displacing the feeling of progress associated with the postwar decades in western Europe—as well as counter-reactions to progressive cultural changes over time, such as those associated with tolerance and anti-discrimination.

Also at work however has been a dumbing down of discourse. To borrow a phrase from Jürgen Habermas, in a ‘structural transformation of the public sphere’ straightforward propaganda has been conveyed through ‘social media’ and the internet in general, the headline culture of the tabloids and media sensationalism. The case for a radical, liberal left weiterlesen

Israel, Hamas and the Gaza war: delusion and reality

Robert Misik steers a path between Germans hunting ‘anti-Semites’ everywhere and being seen as accomplices to an ‘Israeli genocide’.

My Column for Social Europe, January 2024

A bloodbath is taking place in the middle east and yet the world is embroiled in absurd debates. One is tempted to say, paraphasing Marx: here the tragedy, there the farce. The German-speaking world—and Germany in particular—takes a decidedly pro-Israeli stance, while in other societies an equally dubious anti-Israeli position prevails.

At the beginning of October, Hamas and other Islamist groups not only launched an attack from the Gaza strip but also carried out a cruel massacre. Over 1,200 people were killed, most of them civilians, young party people, including many peace activists: the majority of the inhabitants of the affected kibbutzim belonged to the Israeli left. Horrific war crimes were committed which cannot be justified as ‘collateral damage’ of legitimate resistance. Nor can we ignore the fanatical ideology of radical Islamism, which eliminates empathy and justifies acts of bloodshed. Israel, Hamas and the Gaza war: delusion and reality weiterlesen

Keine Botschaft, nirgends.

Mehr als ein „Rechtsruckerl“. Die Europawahlen zeigen die ganze Hilflosigkeit der hergebrachten Linken gegenüber der radikalen Rechten.

Die Zeit, 10. Juni 2024

Unlängst begegnete ich einem alten Bekannten aus Griechenland, der seinerzeit in der linken Syriza-Regierung vor bald zehn Jahren eine große Nummer war. „Weißt Du“, sagte der einstige akzentuierte Links-Funktionär, „wir müssen die rechte Welle bremsen. Bremsen, denn stoppen können wir sie eh nicht.“ Eine bemerkenswerte Aussage für einen, der seinerzeit die Meinung vertreten hat, das Problem der zeitgenössischen moderaten Linken sei, dass sie keinen Plan mehr für die die Verbesserung der Welt habe, sondern nur mehr „das Schlimmste verhindern“ wolle.

Die rechte Woge schwappt durch Europa. Es ist das, was Soziologen und Polit-Analysten einen „populistischen Moment“ nennen. Unzufriedenheit mit Regierenden, eine „gegen-das-System“-Stimmung, Wutbewirtschaftung durch politische und mediale Empörungsunternehmer, Atmosphären der Frustriertheit – das ist der Cocktail, der im Augenblick jedenfalls die politischen Leidenschaften bestimmt und damit auch Wahlergebnisse produziert. Keine Botschaft, nirgends. weiterlesen

Demokratie als Lebensform

Warum wir die Meinungsfreiheit verteidigen sollten – selbst die unserer Gegner.

Zackzack, Juni 2024

In Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention – hierzulande im Range eines Verfassungsgesetzes – heißt es: „Jedermann hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung.“ Ganz ähnlich, nur im Rhythmus und Duktus noch pathetischer, heißt es im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Artikel 5: „Jeder hat das Recht, seine Meinung … frei zu äußern.“

Es klingt wie eine Banalität, denn das Grundrecht, seine Meinung frei zu äußern ist ja quasi das grundlegende Freiheitsrecht, der Kern liberaler Gesellschaften, in gewissem Sinne noch vor Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Die Freiheit von Menschen, sich zur Kundgebung einer bestimmten Meinung zu versammeln, setzt ja gleichsam voraus, dass diese Meinungen vorher überhaupt artikuliert werden konnten – ansonsten würden die Menschen ja nicht einmal wissen, dass es andere Menschen gibt, die ihre Meinung teilen, mit denen sie sich versammeln könnten. Demokratie als Lebensform weiterlesen

Räuberischer Jude, verschlagener Araber

Wie jahrhundertealte Stereotypisierung die Konflikte um Israel, die Hamas und den Gazakrieg vergiften.

Das Schlagloch, meine Kolumne aus der taz, Mai 2024

Weder bei kleinen noch den ganz großen existenziellen Fragen und Konflikten sollte man die Tatsache aus den Augen verlieren, dass das eine und sein exaktes Gegenteil richtig sein kann. Früher nannte man das eine tragische Konstellation, so wie etwa Kreon und Antigone zugleich recht hatten, wenngleich sich deren Maximen auch in keiner Weise in einen „Kompromiss“ auflösen ließen. Heute spricht man gerne von Ambiguitäten, die bitte ausbalanciert werden sollen.

So ist einerseits wahr, dass der Begriff des „Antisemitismus“ heute zur proisraelischen Kriegspropaganda missbraucht wird, dazu, andere Stimmen einzuschüchtern und zu diffamieren, während zugleich wahr ist, dass es Antisemitismus gibt, und dass auch die Kriegskritik von Antisemitismus vergiftet sein kann. Die Netanjahu-Propagandaschleudern haben den Begriff aber sinnentleert und unbrauchbar gemacht. Räuberischer Jude, verschlagener Araber weiterlesen

Was wurde eigentlich aus der „Toskanafraktion“?

Vom hedonistisch gewendeten Internationalismus. Rückschau auf ein vergessenes Phänomen.

Die Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte, Juli 2024

Es war so um die Zeit, als ich vom studentisch-radikalen Pseudo-Bolschewiken allmählich zum gemäßigten Linken wurde, als die Älteren um mich herum plötzlich den Genuss entdeckten, was ich mit Erstaunen und Neugierde zur Kenntnis nahm, ohne groß daran teilzuhaben, weil ich sowohl von meinen lebenskulturellen Hintergründen als auch von meinem Kontostand dazu nicht in der Lage war (was übrigens, wie wir aus heutigen „Klassismus“-Debatten wissen, zusammenhängt).

Ich erinnere mich an meine Aufgaben als frischgekürter Jungredakteur, als ich in der „Arbeiter-Zeitung“, damals noch existent und formal sogar weiter „Zentralorgan der Sozialistischen Partei Österreichs“, eine Doppelseite zu betreuen hatte, bei der es plötzlich um gute Weine ging. Ich hatte von guten Weinen keine Ahnung, konnte mir bis dahin in meinen bevorzugten Kneipen nur den Hauswein leisten, und lernte faszinierende Begriffe wie „Brunello di Montalcino“ kennen, die sich fortan für ewig in mein Gedächtnis einbrannten. Von meinen ersten Monatlöhnen fuhr auch ich mit dem Zug von Wien nach Florenz, wo ich an jeder Ecke irgendwelche Bekannten traf, etwa den jungen Stadtrat Michael Häupl, der später als Wiener Bürgermeister zu einer Legende werden sollte. Man sagte mir, dass die Freundestrupps in kargen Bauernhäusern mit Natursteinen in den Hügeln der Toskana Urlaub machten, und man schwärmte mir von den geschwungenen Straßen, den idyllischen Dörfern, dem Blick in die Landschaft und den imposanten Zypressen vor. Was wurde eigentlich aus der „Toskanafraktion“? weiterlesen

Die Verfassungshasser

Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gilt auch für Palästina-Solidaritätsgruppen. Man kann ihre Parolen kritisieren und dennoch ihr Grundrecht verteidigen.

Zackzack, Mai, 2024

„Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“, ist eine der berühmtesten Formulierungen von Rosa Luxemburg. Über die Jahrzehnte gewann die kanonische Wendung ein Eigenleben, und heute können wir sie sogar als die große Maxime des liberalen, demokratischen Verfassungsstaates ansehen. Sie hat einen grundrechtlichen Pathos, und Pathos ist manchmal nicht schlecht, solange es nicht in Kitsch kippt.

Vergangene Woche wurde in Wien, wie auch in anderen Städten – von den USA bis Berlin – ein propalästinensisches Protestcamp geräumt. Ich habe mir erlaubt, auf Twitter die recht nüchterne Frage zu stellen, „mit welcher rechtlichen Begründung die Einschränkung von Versammlungs- und Meinungsfreiheit“ gerechtfertigt wurde, und musste mir schon der unschuldigen Frage wegen unterstellen lassen, ein Hamas-Verteidiger oder sonstwas zu sein. Andere haben ganz unverhohlen gemeint, dass ihnen die Räumung einer Versammlung, an der aus ihrer Sicht widerliche Parolen gerufen werden, schon recht sei.

Man könnte diese Leute auch als „Verfassungshasser“ bezeichnen. Die Verfassungshasser weiterlesen

Die Arbeit hoch

Arbeit, Moral und Kitsch: Heute werden „die Fleißigen“ gegen „die Faulen“ aufgehusst.

Mein taz-Essay zum 1. Mai 2024

„Kampftag der Arbeiterklasse“ ist der 1. Mai, seit er 1890 als internationaler Tag der Sozialisten ausgerufen wurde. Schnell war der Maifeiertag auch eine Art Hochamt. Parole: „Die Arbeit hoch!“ Arbeitsleid und Schinderei wurden zwar angeprangert, zugleich auch das Pathos der Arbeit beschworen. Der Stolz auf die Arbeit war keine Erfindung der Arbeiterführer, der stammt aus den Handwerker- und frühen Facharbeitermilieus: Stolz auf die eigenen Fertigkeiten und dass man mit der eigenen Anstrengung die Familie durchbringt.

Maskulin geprägt war das, in den Bilderfundus ging eher der männliche Arbeiter ein. Das eigene „Können“ gab Respekt und Selbstrespekt, genauso wie die Tatsache, dass die Arbeit mit Anstrengung verbunden war. Das waren gewissermaßen die Werte der arbeitenden Klassen: dass man „anpackt“, keine „Spleens“ hatte. Die Arbeit hoch weiterlesen