Lifestyle-Kapitalismus

„Aus Politik und Zeitgeschehen“, die tolle Beilage der deutschen Wochenzeitung „Das Parlament“, widmet sich in ihrer aktuellen Ausgabe dem Thema Mode. Dafür habe ich diesen Beitrag geschrieben, der sich der Symbiose von Lifestyle und Kapitalismus widmet.

Link zum vollständigen Heft gibts hier.

Kultur ist Kapital. Heute ist schon die Unterscheidung selbst ziemlich nutzlos. Kaum eine Firma kann es sich noch leisten, ein Produkt einfach so auf den Markt zu werfen. Das moderne Unternehmen ist ein Kulturunternehmen, der zeitgenössische Kapitalismus, nach einem Wort von Jeremy Rifkin, ein „Kulturkapitalismus“. Es würde schon zu kurz greifen, zu formulieren: Das Image ist so bedeutend wie der Gebrauchswert einer Ware. Denn oft ist das Image der eigentliche Gebrauchswert. Design ist nicht nur Reklame, die den Verkauf befördern soll, das Design ist das eigentliche Produkt. „Was wir auf dem Markt kaufen“, schreibt Slavoj Žižek, „sind immer weniger Produkte und immer mehr Lebenserfahrungen wie Essen, Kommunikation, Kulturkonsum, Teilhabe an einem bestimmten Lebensstil.“ Firmen haben damit begonnen, ihre Produkte mit einem Lebensstil, einem Lebensgefühl zu verbinden, um sie besser verkaufen zu können – und heute werden die Produkte oft in erster Linie gekauft, um einen Lebensstil zu erwerben. Der trainierte Körper wirbt nicht mehr für Nike, sondern Nike repräsentiert den trainierten Körper. Wurde Kultur irgendwann in den 1960er Jahren wesentlich für den Kapitalismus, so ist sie im Zeitalter der Postmoderne eigentlich ununterscheidbar von ihm. Das Resultat ist nicht nur eine Verdinglichung der Kultur, wie mancherorts beklagt, sondern eben auch eine Kulturalisierung der Dinge. Totalökonomisierung ist eben nicht nur Totalökonomisierung, sondern geht auch mit Totalkulturalisierung einher.

Das trifft zunächst auf nichts so sehr zu wie auf Kleidung. Als Kleidung ist sie Gebrauchsgut, aber als Mode ist sie Lifestyle, also Kulturgut, eine Verwandte der Kunst, was sie heute mit dem Produktdesign, der Architektur und ähnlichen Feldern gemeinsam hat. Aber denken wir einmal darüber nach, woran wir spontan und instinktiv denken, wenn wir an Mode denken.

Was ist Mode?

Zunächst denken wir an etwas zum Anziehen. Aber wir denken an Zeug, das man anziehen kann, das sich von normalen Dingen, die man anziehen kann, doch unterscheidet. Der Kittel der Bäuerin ist auch etwas zum Anziehen, aber er ist nicht Mode. Er ist nützlich. Aber das ist es dann auch schon. Mode ist zunächst ganz simpel etwas zum Anziehen, das wir möglicherweise als schön ansehen. Mode ist etwas zum Anziehen plus ästhetischer Stil. Das ist schon einmal eine minimale Definition. Die Signatur von Mode ist also, dass sie einerseits schon auch „nützlich“ ist, wenn wir jetzt einmal von jenen Spielarten der Mode absehen, die ihre „Nützlichkeit“ nach Kräften verleugnen, wie etwa hochhackige Schuhe, mit denen kein Mensch gehen kann, oder Kleider, die so unbequem sind, dass man sich in ihnen kaum bewegen kann. Aber in aller Regel ist es so: Das modische Kleidungsstück ist durchaus auch etwas zum Anziehen, es hat die simple Nützlichkeit des Kleidungsstückes, das uns wärmt, wenn es kalt ist, oder zumindest bedeckt, wenn es warm ist, aber es hat noch ein paar nicht so vordergründig nützliche Aspekte. Mode bringt einen ästhetischen Stil zum Ausdruck. Lifestyle-Kapitalismus weiterlesen

12 Jahre FLUC: Lauter Leute, die einem bekannt vorkommen

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12 Jahre ist das Fluc, eine ganz besondere Location in Wien, gerade geworden. Die Fluc-Macher haben mich gebeten, zum unrunden Jubiläum einen Text für ein Buch über das Fluc beizusteuern. Das ist dabei raus gekommen. 
Der „Kaffeehausliterat“ spielt im Wiener Romantikfundus eine bedeutende Rolle. Wir alle kennen die Geschichten von den großen Feuilletonisten, Poeten oder Essayisten, die vor hundert Jahren in den Kaffeehäusern ihre Texte schrieben und zwischendurch heftige Debatten mit ihresgleichen und den mit ihnen verwandten Geschöpfen, den „Kaffeehausintellektuellen“ führten.  
Heute gibt es den Kaffeehausliteraten nicht mehr, und der Kaffeehausintellektuelle kommt auch nicht mehr vor, und wenn, dann nur als Insultierung: Kaffeehausintellektueller, damit meint man heute meist wenig ernsthafte Denker oder Denkerinnen, die groß daher schwadronieren, aber eigentlich nie etwas zuwege bringen. 
Aber ich muss an dieser Stelle eine Geständnis machen: Ich bin, wenn schon, dann am ehesten ein „Clubliterat“. Im Grunde habe ich zwei meiner essayistischen Sachbücher im „Fluc“ geschrieben. Erst mein Buch „Genial dagegen“, zu dem mich unter anderem die Beobachtung anstachtelte, dass „Kritik“, ein gewisser „rebellischer Habitus“ plötzlich mit Beginn der Nuller-Jahre wieder „hip“ wurde, nachdem sie lange als fad und abgetragen galten – als altmodisch wie ein schwabbeliger Hippie-Pullover. In „Alles Ware“ habe ich diese Beobachtungen ein paar Jahre später fortgeschrieben und darüber nachzudenken versucht, wie das funktioniert, dass der neueste Kulturkapitalismus heute selbst rebellische Energien sich als Ressourcen einzuspeisen vermag, wie selbst „Gegenkultur“ und „Underground“ ökonomisiert werden, wie Kultur ökonomisiert, aber damit auch die Ökonomie kulturalisiert wird – und darüber, wie schal, weil unscharf Begriffe wie „Gegen-“ oder „Alternativkultur“ grundsätzlich geworden sind in einer Gesellschaft, die längst nicht mehr von der einen konformistischen Mainstream-Kultur geprägt sind, sondern eher als Summe nebeneinander herlebender Lifestyle-Communities gedacht werden müssen, von denen die „Gegenkultur“ auch nur eine ist. Natürlich habe ich viel gelesen und recherchiert bei dieser Arbeit, und geschrieben habe ich natürlich brav daheim am Computer, aber auch einfach geguckt: Mir die Menschen angeguckt, die ihre Leben innerhalb dieser Kraftfelder leben, durch die diese Bruchlinien kreuz und quer durchgehen. Und die habe ich mir im Fluc angeguckt. Eigentlich habe ich nur geschaut und mir ausgedacht – vielleicht auch nur zusammenphantasiert – wie diese Menschen, in dem Fall irgendwelche Twentysomethings, ticken, mit ihren Adidasjacken aus den späten siebziger Jahren, die seinerzeit noch ausdrückten „Ich bin ein sportlicher Mensch und kann mir den teuersten Trainingsanzug leisten“, und die heute ausdrücken, „Ich bin ein schräger, unkonventioneller Typ, weil ich dieses Vintage-Teil trage, das alle tragen“. 

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Die Piketty-Revolution

Können Bücher die Welt verändern? Oft kommt das nicht vor. Aber Thomas Pikettys „Capital in the Twenty-First Century“ könnte so ein Fall sein. Ein Beitrag für den Blog der IG-Metall.

Es war längst klar geworden, dass die vorherrschenden Modelle und (Vor-)Urteile der Mainstreamökonomie mit der Realität nicht mehr zurande kommen, dass es einer völlig neuen Erklärung und neuer Politik bedarf. Eine junge Generation an Ökonomen und Wirtschaftspolitikern wartete sehnlich auf eine theoretische Ausformulierung, die die Wirtschaftswissenschaft auf eine neue Basis stellen sollte. 
Als John Maynard Keynes dann 1936 seine „General Theory of Employment, Interest and Money“ vorlegte, war das genau das Buch, das alle erwartet hatten. Sperrig, wurde es ein Bestseller, über den sich alle beugten. Schon der Titel war ein großer Aufschlag, nicht eben ein Understatement: „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“. Gerade, dass der Gelehrte sein Buch nicht „Eine wahre Theorie über so ziemlich alles“ genannt hat. 
Es sind solche Momente, in denen Bücher die Welt verändern können: Wenn sich Erwartungshaltung, Problembewusstsein, Problemlagen und – in diesem Fall: ökonomische – Analyse verdichten, sodass ein Buch, wie man so salopp sagt, „zur rechten Zeit kommt“. Thomas Pikettys „Capital in the Twenty-First Century“ ist genau so ein Buch, und es könnte sein, dass es die Welt so verändert, wie es Keynes „General Theory“ getan hat. Der Autor ist Franzose, das Buch ist gerade eben erst auf englisch erschienen, eine deutsche Übersetzung beispielsweise liegt noch nicht einmal vor, aber es wird gefeiert und in jeder Zeitung besprochen. Der amerikanische Finanzminister studiert es ebenso wie der Papst, und die „Financial Times“ feiert es. „Man muss in die 1970er zu Milton Friedman zurückgehen, um einen Wirtschaftswissenschaftler zu finden, der einen solchen Einfluss ausübte“, schreibt der linke Essayist Will Hutton im „Guardian“. Neokonservative Autoren fordern verzweifelt, diese Studie müsse widerlegt werden, „denn ansonsten wird sie sich in der Ökonomenzunft verbreiten und die Landschaft der wirtschaftspolitischen Debatten neu sortieren und alle zukünftigen politischen Kämpfe bestimmen“. Paul Krugman, der linke, keynesianische Wirtschaftsnobelpreisträger nennt das Buch „eine Erleuchtung“ („superb“!) und spricht bereits von der „Piketty-Revolution“: „Dieses Buch wird die Art, wie wir über unsere Gesellschaft denken und die Wirtschaftswissenschaft verändern.“

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Die Verwandlung von Böse in Gut…

…und andere Mythen der neoliberalen Morallehre. Anmerkungen zu Corporate Social Responsibility und Wirtschaftsethik. Ein Beitrag für die „Gegenblende“, das Online-Magazin des DGB.
Als im Jahr 2008 klar wurde, dass die großen Finanzinstitutionen auf ihrer Jagd nach immer größeren Profiten das Weltwirtschaftssystem an den Rand des Kollaps gebracht hatten, und sich manche Leute die Augen rieben und fragten, wie das denn passieren konnte, da hatte 
die kleine New Yorker Finanzmarktfirma T2 Partners LLC auf ihrer Homepage eine Antwort parat, die beklemmend schlicht und beklemmend wahr zugleich ist:
„Das erste unabänderliche Gesetz des Universums: Wenn man Menschen eine Menge Geld dafür bietet, etwas zu tun, das sehr dumm, unethisch oder illegal ist, dann wird eine große Zahl von ihnen es tun. Ergänzung Nummer 1. Je mehr Geld damit zu machen ist, desto mehr übles Verhalten wird auftreten. Ergänzung Nummer 2: Die Menschen, die mitmachen, werden ihr Verhalten vor sich selbst rechtfertigen, so dass sie am Ende ernsthaft glauben, es sei nicht dumm, unethisch oder illegal. Das zweite unabänderliche Gesetz des Universums: Übles Verhalten führt zu üblen Konsequenzen.“
Nun gilt das für Finanzmarktfirmen alles natürlich besonders: Wenn man, indem man etwa seine Kunden betrügt, Milliardengewinne in wenigen Stunden machen kann, ist der Anreiz, dies auch zu tun, ein anderer, als wenn man mit ein bisschen fiesen Verhalten ein paar hunderttausend Euro mehr verdient, aber dafür Gefahr läuft, seine Reputation zu verlieren. Schuhproduzenten, um nur ein Beispiel zu nennen, werden sich vielleicht einen Augenblick länger überlegen, ob sich das lohnt als Hedge-Fonds-Manager. Aber das ist schon der einzige Unterschied. Wenn es sich nur lohnt, ethische Standards oder Arbeitsrechtsnormen zu unterlaufen, dann wird sich jemand finden, der das tut, mag das Unternehmen nun KIK heißen und in Bangladesh Kleider nähen lassen, oder Apple und von den miesen Arbeitsbedingungen bei Foxconn in China profitieren. Es bleibt in allen Fällen das etwas ironisch so genannte „Universalgesetz“, wonach man Menschen nur genug Geld bieten muss „etwas zu tun, das sehr dumm, unethisch oder illegal ist“, sodass sie es tun werden.

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Der Skandal der Ungleichheit

In gleicheren Gesellschaften lebt es sich besser, sie sind wirtschaftlich erfolgreicher und nicht von riskanten Finanzkrisen bedroht. 

Ein Beitrag für das Buch „Verteilen statt verspielen“, herausgegeben von GPA-Vorsitzenden Wolfgang Katzian und anderen. 
Die Idee der Gleichheit ist in den vergangenen Jahrzehnten recht gehörig aus der Mode gekommen. In den kapitalistischen Marktwirtschaften ist die materielle Ungleichheit in den vergangenen dreißig Jahren – teils dramatisch – angestiegen. Und zwar ganz egal, welche Indikatoren man heranzieht: Vermögensungleichheit, Einkommensungleichheit und auch Lohnungleichheit (was nicht dasselbe ist, da Einkommensungleichheit alle Einkommensarten, also auch die durch Finanzgewinne berücksichtigt, nicht nur Lohn- und Gehaltseinkommen), oder die Ungleichheit der verfügbaren Haushaltseinkommen. Überall das gleiche Bild: Die Reichen wurden reicher. Die Reichsten wurden sehr viel reicher. Und die weniger Begüterten wurden es nicht. Bestenfalls. Mancherorts wurden letztere sogar ärmer. Nur ein paar Beispiele: In Deutschland sind die Einkommen der ärmeren Schichten gegenüber dem Jahr 1992 preisbereinigt um 13 Prozent gesunken. Die Bezüge der Spitzenverdiener haben im selben Zeitraum um fast ein Drittel zugelegt. Das reichste Zehntel der Bundesbürger besitzt laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung 62 Prozent der Privatvermögen, während das untere Drittel praktisch gar nichts besitzt – außer Schulden. In Österreich besitzen die obersten dreieinhalb tausend Haushalte (0,1 Prozent aller Haushalte) genauso viel Geldvermögen wie die unterste Hälfte aller Haushalte. Die obersten zehn Prozent besitzen 53 Prozent aller Geldvermögen. Ähnlich ungleich ist das Immobilienvermögen verteilt – hier besitzt das oberste Zehntel 61 Prozent. In den USA konzentriert das reichste eine Prozent (!) der Bevölkerung heute bereits 23 Prozent aller Einkommen, ein Wert, der vor zwei Jahrzehnte noch bei zehn Prozent lag. Die obersten 5 Prozent kontrollieren 75 Prozent aller Finanzvermögen. 
In diesen Jahrzehnten, in denen sich grobe Ungleichheiten wieder in unsere Gesellschaften hineinfraßen, ist aber nicht, wie anzunehmen wäre, das Unbehagen an den zunehmenden Ungleichheiten gewachsen, sondern umgekehrt: Wer den Wert gesellschaftlicher Gleichheit hochhielt, wurde bis vor wenigen Jahren noch als hoffnungslos Altbacken denunziert. Denn Gleichheit, so wurde dann erwidert, ist doch gar kein erstrebenswertes Ziel. Die Welt sei doch bunt, und das ist gut so. Wer Gleichheit wolle, müsse Ungleiches gleich machen, und das gehe nur wenn man mit Kommandomaßnahmen die lebendigen Unterschiede zwischen den Leuten abrasiere. Vor allem aber müsse man Ungleichheit in Kauf nehmen, wenn man eine prosperierende Wirtschaft wolle. „Flexibilität“ (was meisten hieß: sinkende Löhne unten, steigende Einkommen oben) schaffe Wachstum und das sei letztendlich für alle gut. Denn, so wurde dann gefragt, was helfe denn Gleichheit, wenn alle gleich wenig haben? Sozialphilosophen erklärten, es komme darauf an, ob Menschen ein gutes Leben führen, aber doch nicht darauf, wie die materielle Ausstattung dieses Lebens im Verhältnis zum Leben anderer Menschen stünde. 

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Ein guter Kapitalismus, kann’s den geben?

Hier, mit etwas Verspätung, zum Nachlesen den 5. Teil meiner Vortragsreihe „Erklär mir die Finanzkrise“, die ich im Herbst an der Volkshochschule Ottakring gehalten habe. Wer sich das Lesen ersparen will, kann die Vorträge auch hier per Video nachsehen. 
Als Karl Marx und sein Freund Friedrich Engels die ökonomische Dynamik der kapitalistischen Gesellschaft analysierten, schienen einige Dinge gewiss zu sein: diese Gesellschaft produziert aus sich heraus Ungerechtigkeiten. Aber das ist natürlich eine banale Weisheit, die kaum jemand bestreiten würde. Es schienen noch ein paar weitere Dinge gewiss: Sie produziert notwendigerweise aus sich heraus immer größere Ungerechtigkeiten. Die große Bevölkerungsmasse, das industrielle Arbeiterheer, das gerade erst in die Städte gespült wurde, lebte in bitterem Elend, einem Elend, das sich immer mehr zu verbreiten schien, obwohl immer größere Reichtümer produziert wurden. 
In dem Maße, wie das Kapital akkumuliert, muss sich die Lage des Arbeiters verschlechtern, schrieb Marx im Kapital, und weiter: „Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol.“
Verstreute Passagen wie diese in Marx‘ Werk gingen in die Literatur des orthodoxen Marxismus als die Verelendungstheorie ein. Obwohl Marx durchaus offen ließ, ob er absolute Verelendung oder relative Verelendung meint, waren viele Sozialisten seiner Zeit und auch noch späterer Zeit letztlich davon überzeugt: der Kapitalismus hält die normalen, einfachen Leute notwendigerweise in einer immer stärker werdenden Verelendung. 
Die zweite allgemeine Gewissheit war: der Kapitalismus ist ein dynamisches, aber äußerst fragiles System, das nur funktionieren kann, solange es eine immer gefräßigere äußere und innere Landnahme vollzieht, dessen Produktivkraftentwicklung an die Grenzen seiner verrückten ökonomischen Ordnung stößt, und das an seinen inneren Widersprüchen zugrunde gehen muss. Weder Marx noch Engels hätten das auf diese Weise so formuliert, aber viele ihrer Jünger hätten da salopp – oder auch „wissenschaftlich“ begründet – gesagt: dieser Kapitalismus muss notwendigerweise zusammenbrechen, und daher ist es besser, ihn lieber heute als morgen durch eine Revolution abzuschaffen und durch ein anderes ökonomisches System, den Sozialismus, zu ersetzen. 
Das waren so grundlegende Gewissheiten gewissermaßen, die auch heute noch in manchen Köpfen herumspuken: 
Das der Kapitalismus zusammenbrechen muss. 
Und dass er notwendig zur Verelendung breiter Bevölkerungsschichten führt, dass eine faire Beteiligung am Wohlstand innerhalb des Kapitalismus einfach nicht möglich ist. Daran glauben nur reformistische Warmduscher, die zu feig für eine Revolution sind. 
Trotzdem ist aber sehr bald etwas sehr Eigentümliches geschehen: Sozialistische Parteien und Parteiführer, vor allem aber auch Gewerkschaften, die mit ihnen verbunden sind, haben sich dafür eingesetzt, durch kleine oder größere Reformen die Lebensbedingungen für die normalen Leute zu verbessern, also innerhalb dieser kapitalistischen Gesellschaft. Zunächst schien das kein großer Widerspruch zu sein. Man setzte sich für eine Revolution ein, arbeitete darauf hin, und bis dahin hat man aber auch versucht, jede denkbare kleine Verbesserung der Lebensbedingungen durchzusetzen. 
Gewissermaßen: Man nahm, was man kriegen konnte, war ja kein Widerspruch. Man begann von der Dialektik von Reform und Revolution zu sprechen.

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„Erklär mir die Finanzkrise!“ – die Videos der ersten drei Abende

„Erklär mir die Finanzkrise!“ lautet der Titel der Vortragsreihe, die ich seit September an der VHS-Ottakring halte. Jetzt sind auch die Videos der ersten drei Abende fertig, so dass man sie auch nachträglich ansehen kann. 
Am kommenden Mittwoch, den 17. Oktober, gibt’s dann den Abschlussvortrag mit dem Titel: 
„Einen ‚guten Kapitalismus‘, kann’s den geben? – Wie wir soziale Gerechtigkeit und eine florierende Wirtschaft unter einen Hut kriegen.“ (19 Uhr, VHS-Ottakring, Ludo Hartmann-Platz) 
Da geht es dann, nach vier dichten Abenden, die der ökonomischen Analyse gewidmet waren, um mögliche Lösungen und Auswege aus dem großen Palawatsch, in dem wir stecken. 
Hier aber zunächst einmal die Videos der ersten drei Abende: 

Contested Freedom

FREEDOM WITHOUT EQUALITY IS ONLY HALF-FREEDOM. Much freedom for some and little freedom for the others. Equality means everyone has the freedom to make something of their life. 
[This article published in the Swiss journal WoZ Nr. 37, 9/13/2012 is translated from the German by Indiby.org. It is an abstract of the main arguments presented in my new Book „Halbe Freiheit. Warum Freiheit und Gleichheit zusammen gehören“, Suhrkamp-Verlag, 2012] 
One of the most peculiar oddities of our world not poor in oddities is that conservatives and neoliberals brag about being the „power of freedom“ while hammering leftists and progressives for manipulation, leading by the nose and limiting the freedom of individuals. Perhaps even more remarkably, the left hardly opposed this for decades. „Freedom“ became a propaganda term of the right – „economic freedom!“ – while progressives represented themselves as a power of social justice. The freedom term was left to conservatives and neoliberals practically without a fight. 
This is bizarre because leftists and progressive liberals stood up for freedom, civil rights and equal rights for all in the history of ideas and the political history of the West in most countries of the continent. In Germany and Austria, social democrats opposed censorship, implemented freedom of assembly and gained the universal franchise and democracy by fighting. Conservatives cried for the police and military when anyone uttered the watchword „freedom“ too loudly. This is bizarre because nearly all freedom rights were gained in history by progressives. Conservatives and neoliberals who appeal in seductive word flourishes to „economic freedom“ and the „freedom of individuals“ and to their right to be unmolested by the „bureaucratic Moloch state“ have no great problems with blatant limitations of freedom. At the same time, they are proud of being „tough on crime“ and advocate dubious data memory storage, exhaustive surveillance with video cameras, expedited court proceedings against troublemakers and emergency legal measures against terrorists… They decide almost instinctively for business interests and against freedom where the freedom of individuals comes into conflict with „economic freedom“ – that is, with the business interests of powerful economic actors as in legal copyright questions. 

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Brennt unser Haus ab? Wie die Europäische Union zum Zentrum der Krise geworden ist.

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Morgen, Mittwoch, 10. Oktober ist der vierte Abend meiner Vortragsreihe „Erklär mir die Finanzkrise“ an der VHS-Ottakring. Diesmal lautet das Thema: „Mehr Markt wird’s richten“ – Rechte Mythen über die Krise. Wie immer um 19 Uhr im wunderbaren Weinberger-Saal der VHS-Ottakring. Alles weitere finden Sie hier. In der Folge können Sie das streckenweise recht rohe Manuskript des zweiten Vortrages lesen. Der Eröffnungsvortrag „Ein Crash mit Anlauf. Wie eine falsche Wirtschaftsideologie die Marktwirtschaft ins Desaster stürzte“ können sie hier nachlesen oder hier auf Video nachgucken. 
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, 
ich habe in der vergangenen Woche zu zeigen versucht, wie eine falsche Wirtschaftsideologie die Welt in eine Krise gestürzt hat. 
Wir haben gesehen, wie verschiedene Sektoren der Ökonomie funktionieren. Dass Marktkräfte auf Gütermärkten tatsächlich oft vorteilhafte Resultate zeitigen, dass sie dazu beitragen, dass wir gute und besser Güter haben, dass Ressourcen effizient eingesetzt werden, dass Kapital und Arbeit effizient eingesetzt werden und die Konsumenten jene Güter zur Auswahl haben, die sie auch wirklich wünschen und benötigen. 
Natürlich kann man immer fragen, ob das die Güter sind, die die Welt braucht, und ob die Konsumenten immer die Herren ihrer Wünsche sind, und welche Rolle da die Werbung spielt, aber da kommen wir schon auf ein Terrain, das viel mit Ethik zu tun hat, auch mit moralischen Fragen, und wir bewegen uns vom eigentlichen Feld der Ökonomie weg. 
Wir haben aber auch gesehen, dass es nachteilige Folgen hat – und zwar: ökonomisch nachteilige Folgen – wenn man Marktkräfte auf anderen Märkten wirken lässt. Etwa auf den Arbeitsmärkten, da führen Deregulierung und Flexibilisierung zum Wachstum von Niedriglohnsektoren, zu höherer Arbeitslosigkeit, zu einem Wachstum von Ungleichheit, damit auch dazu, dass die Konsumnachfrage schwächelt und eine Volkswirtschaft unter ihren Möglichkeiten bleibt. 

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Das laue Freiheitsgelaber der Rechten

Am kommenden Mittwoch, 26. September, stelle ich im Wiener Kreisky-Forum mein Buch „Halbe Freiheit. Warum Freiheit und Gleichheit zusammen gehören“ vor (Suhrkamp-Verlag, 2012). Und zwar im Gespräch mit Sonja Ablinger und Christian Friesl. Beginn, 19 Uhr. Näheres hier. Zur Einstimmung schon mal ein Essay von mir, der in der jüngsten Ausgabe der WOZ, der Schweizer „Wochenzeitung“ erschienen ist. 
Konservative und Neoliberale plustern sich auf, sie wären die „Kraft der Freiheit“. Das ist absurd. Die Linken sollten sich den Freiheitsbegriff zurückerobern. 
Es gehört zu den eigentümlichsten Seltsamkeiten unserer an Seltsamkeiten nicht armen Welt, dass sich die Konservativen und Neoliberalen als „Kraft der Freiheit“ grosstun, während sie den Linken und Progressiven die Punze umzuhängen versuchen, diese seien für Gängelung und die Einschränkung der Freiheit des Einzelnen. Vielleicht noch Bemerkenswerter ist, dass die Linken dem seit Jahrzehnten wenig entgegensetzen: „Freiheit“ wird gewissermaßen als Propagandabegriff der Rechten – „Wirtschaftsfreiheit!“ – abgehakt, während die Progressiven sich als Kraft der Gerechtigkeit darstellen wollen. Der Freiheitsbegriff wurde den Konservativen und Neoliberalen praktisch kampflos überlassen. 
Das ist nicht nur deshalb bizarr, weil in der Ideen-Geschichte und der politischen Geschichte des Westens es meist die Linken und progressiven Liberalen waren, die sich für Freiheits- und Bürgerrechte und gleiche Rechte für alle starkgemacht haben – in den allermeisten Ländern des Kontinents, beispielsweise Deutschland, Österreich waren es die Sozialdemokraten, die gegen die Zensur stritten, Versammlungsfreiheit durchsetzten und das allgemeine Wahlrecht und die Demokratie erkämpften. Und die Konservativen waren es, die nach Polizei und Militär schrien, wenn jemand zu laut die Parole „Freiheit“ äußerte. Es ist also nicht allein deshalb bizarr, weil in der Geschichte beinahe alle Freiheitsrechte von Progressiven erkämpft wurden. Es ist ja auch in der Gegenwart so, dass jene Konservativen und Neoliberalen, die sich ansonsten in betörenden Wortgirlanden auf die „Wirtschaftsfreiheit“ berufen und auf die „Freiheit des Einzelnen“ sowie auf dessen Recht, vom „bürokratischen Moloch Staat“ unbehelligt zu werden, keine großen Probleme mit manifesten Freiheitseinschränkungen haben. Gleichzeitig sind sie ja stolz darauf, „Tough on Crime“ zu sein, und befürworten fragwürdige Vorratsdatenspeicherungen, flächendeckende Überwachung mit Videokameras, juristische Schnellverfahren gegen Störenfriede, gerichtliche Notmaßnahmen gegen Terroristen oder jene, die sie dafür halten, ein rigides Grenzregime und vieles andere mehr. Wo die Freiheit des Einzelnen mit der „Wirtschaftsfreiheit“ – also mit den Geschäftsinteressen mächtiger Wirtschaftsakteure – in Konflikt gerät, etwa in Urheberrechtsfragen, entscheiden sie sich beinahe instinktiv für die Geschäftsinteressen und gegen die Freiheit. Wissen wird tendenziell privatisiert und damit der freien Aneignung und Verwertung entzogen. Dieselben, die in Sonntagsreden etwa über die „Schweiz in der Welt der Freiheit“ palavern, machen sich Wochentags für die massive Verschärfung der Polizeigesetze stark, und haben überhaupt keine Probleme damit, noch das geringfügigste abweichende Verhalten zu sanktionieren: Bald wird schon jeder, der im öffentlichen Raum herumlungert, eine Bierdose öffnet oder bettelt, mit polizeilicher „Wegweisung“ oder Schlimmerem zu rechnen haben. 

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Ein Crash mit Anlauf! Wie eine falsche Wirtschaftsideologie die Marktwirtschaft ins Desaster stürzte

Das Manuskript des ersten Abends meiner Vortragsreihe „Erklär‘ mir die Finanzkrise“ an der VHS-Ottakring. 
Es war, für mich jedenfalls, ein toller Abend gestern in der VHS Ottakring. Rund 150 Leute im grandiosen Weinberger-Saal in historischen VHS. Alles mit viel Patina. Also, mir hat es sehr viel Spaß gemacht. Nächsten Mittwoch, 19. September, geht es dann weiter mit dem Thema: Brennt bald unser Haus ab? Warum die Europäische Union zum Zentrum der Krise geworden ist. Ich hoffe, es wird wieder so voll und es gibt wieder so konzentrierte Atmosphäre. Bis nächsten Mittwoch, hoffentlich!

Ich möchte Sie ganz herzlich zu dieser Vortragsreihe begrüßen, und ich möchte auch den Wiener Volkshochschulen und der VHS-Ottakring danken, meinen Freunden Ilkim Erdost und Mario Rieder, die mit mir die Idee zu dieser Vortragsreihe ausgebrütet haben. Ich halte ja häufiger Vorträge, reise herum, und mache Lesungen. Aber das ist auch für mich etwas Besonderes. Erstens, natürlich, weil es eine Vortragsreihe ist, und man bei fünf Abenden somit auch die Möglichkeit hat, ein paar Dinge umfassender darzustellen. 
Für mich ist das aber auch deshalb etwas Besonderes, weil die Idee der Volkshochschule etwas sehr Unterstützenswertes ist. Bildung, kritisches Denken, intensive Beschäftigung mit einem Thema, aber für „normale“ Leute, also für ein breites Spektrum aus der Bevölkerung, nicht nur für das akademische Milieu wie an den Universitäten. Für Leute, die Fachleute sind, aber auch für Leute, die keine Fachleute sind, die Laien sind, die vielleicht wenig Fachwissen mitbringen, aber eines natürlich schon: Waches Interesse für die Welt und für eine Fragestellung. 
Das ist für einen Vortragenden eine Herausforderung, und eine tolle Herausforderung: Man muss die Dinge so darstellen, dass sie jeder interessierte Laie verstehen kann, auch wenn man nicht im Jargon der Fachwissenschaft kennt. Man muss die Dinge einfach darstellen, aber ohne sie ungebührlich zu vereinfachen. Und das ist eine große Aufgabe, der sich heute, meiner Meinung nach, viel zu wenige Menschen stellen. Wichtige Debatten, nicht nur in der Ökonomie, auch der Philosophie, auch über politische Fragen, werden heute viel zu oft in der Sprache von Geheimwissenschaften geführt, die Menschen ausschließen. Und Volkshochschule will nicht ausschließen, sondern einschließen. 
Und der zweite Grund, warum ich mit viel Demut und auch mit ein bisschen Lampenfieber an diese Vortragsreihe herangehe, ist natürlich der spezielle Ort. Die VHS-Ottakring, in der schon vor neunzig Jahren große, sozial engagierte Denker wie etwa Max Adler das betrieben haben, was man in jenen Tagen „Volksbildung“ nannte. „Wissen ist Macht“, lautete damals der Slogan. Das hatte ja auch ein politisches Pathos: dass es ein Beitrag zu einer gerechteren, demokratischeren Welt ist, wenn man breiten Bevölkerungsschichten, nicht nur den Privilegierten auf der Universität, Wissen vermittelt, sie ausstattet mit der Ressource Bildung. Dass das für die Menschen gut ist, die davon profitieren, aber dass das auch für uns alle gut ist. Weil wir dann alle in Gesellschaften leben, die besser funktionieren. Und ich fühle mich diesem Geist verbunden, in vieler Hinsicht, intellektuell, politisch, aber auch emotional. 

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Die Macht der Medien

Journalisten als (un)bewusste politische Consulter und/oder Lobbyisten. Ein Beitrag für das „Jahrbuch für politische Beratung“, Herausgegeben von Thomas Köhler und Christian Mertens. Böhlau Verlag, Wien
Die Fragestellung, die mir hier aufgetragen ist, ist ein nachgerade „unmögliches“ Thema: Schließlich sehen sich die meisten Journalisten in ihrem Selbstbild als distanzierte Beobachter der Macht, als kritische Köpfe, die auf nichts so bedacht sind wie auf ihre Unabhängigkeit. Schließlich ist „Objektivität“ ja das Kapital des Publizisten. Will ein Journalist aber politische Akteure beeinflussen, setzt das eine Nähe voraus, die natürlich auch Beeinflussung in die andere Richtung ermöglicht – und dann käme auch seine Berichterstattung in den Geruch, politisch motiviert zu sein. Dann stünde er schnell unter Verdacht, seine Artikel im Sinne seiner politischen Favoriten hinzubiegen. Skurrilerweise gibt es gerade in Österreich einen regelrechten Kult um die „Unabhängigkeit“. Wohl aus mehrerlei Gründen. Einerseits gab es mindestens bis zum Ende der sechziger Jahre eine starke Tradition der Parteipublizistik, gegen die sich der Wert der Unabhängigkeit erst einmal durchsetzen musste; zweitens ist wegen der Kleinheit des Marktes die ökonomische Basis hiesiger Medien vergleichsweise prekär und deshalb ihre sublime Abhängigkeit von politischen Akteuren unbestreitbar; und drittens ist aufgrund der Kleinheit des Landes die Gefahr übertriebener Nähe immer gegeben – schließlich spielt sich das politische Geschehen in Wien auf etwa zwei Quadratkilometern ab, wo jeder jeden seit Jahren kennt. Angesichts dieser stetigen systemischen Bedrohungen der journalistischen Autonomie wird die parteipolitische „Unabhängigkeit“ von Journalisten gelegentlich mit besonderer Verve herausgestellt. Ist sie doch oft keine Unabhängigkeit, die sicher in sich ruhen würde, sondern eine, die sich stetig bedroht fühlt. Das führt dann gelegentlich auch zu eher skurrilen Erscheinungen, etwa, dass Journalisten ihre eigenen politischen Präferenzen und weltanschaulichen Überzeugungen irgendwie peinlich sind, als wären sie ein Defekt, der ihre Arbeit beeinträchtigen könnte und der deshalb irgendwie verschleiert werden müsste, so von der Art des anonymen Alkoholikers, der fürchtet, sein Laster könnte ihn in Verruf bringen. 

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