Wir sind alle postmoderner, als wir glauben würden…

Hannuka, Weihnachten, Silvester, Geburtstag – und noch immer keinen Plan für ein Geschenk? Na dann, ich hätte da was 🙂 Mein Buch „Was Linke denken“. Ist ja nur so ein Vorschlag, keine Sorge, ich dräng niemandem was auf. Im Gegenteil: Hier unten gibt’s sogar gratis, quasi als kleine Test-Ration, ein paar Seiten aus dem Kapitel über die „Postmoderne“.

Robert Misik: Was Linke denken. Ideen von Marx über Gramsci zu Adorno, Habermas und Foucault. Picus Verlag, 14.90 €
Robert Misik: Was Linke denken. Ideen von Marx über Gramsci zu Adorno, Habermas und Foucault. Picus Verlag, 14.90 €

„Dieses Büchlein ist vollgepackt mit aufregenden Ideen … die beste Reklame für linkes Denken“ Zündfunk, Bayrischer Rundfunk

„Ein Meister des Feuilletons, wie es sie nur in Wien geben kann“  IN – das Münchner Stadtmagazin

„Verständlich und gut zu lesen“ Neues Deutschland

„Ein echtes Kunststück“ Frankfurter Rundschau

„Der Sound für die Generation Varoufakis“ Die Presse

 

Wenn die klassische Linke vor allem die großen ökonomischen Widersprüche des Kapitalismus analysierte und sich beispielsweise für das Proletariat allenfalls als revolutionäres Subjekt interessierte, darüber hinaus vielleicht noch ein paar Theorien aufstellte, wie aus dem konkreten Proletarier von heute mit seinen Macken und seelischen Schrammen ein „neuer Mensch“, das allumfassende entwickelte sozialistische Subjekt werden könnte, kurzum, wenn sich die klassische Linke für alles mögliche interessierte, nur für eines nicht, nämlich das konkrete Leben, dann rückte die Kulturtheorie genau dem buchstäblich auf den Leib. Etwa: Was tut dieser Proletarier im Alltag? Wie sehen die Eckkneipen aus, in denen er seinen Feierabend verbringt, in welche sozialen Strukturen ist er eingebettet? Geht er Sonntags auf den Fußballplatz? Was tun die Frauen im Proletariat so in der Freizeit? Seit wann haben er und sie überhaupt etwas, was sie mit dem Wort ‚Freizeit‘ bezeichnen? Welche Bedeutung haben Sportvereine für die proletarische Kultur? Wie verändert sich das in einem zunehmenden Konsum- und Kulturkapitalismus? Welche Sehnsüchte werden durch den Kauf von Waren gestillt, welches Zeichensystem etabliert die Mode, um uns in Besitz zu nehmen? All das wurde plötzlich interessant. Und es wurde nicht mehr mit dem Gestus des nörglerischen Fundamentalkritik abgehandelt, wie das noch die kritische Theorie tat („Vergnügtsein führt zu Einverstandensein“, „die Kulturindustrie verhindert Individualität“, „Freizeit ist nur unter verdinglichten Umständen zu denken, weil sie das Gegenteil verdinglichter Arbeit ist“), sondern in einem Stil des fröhlichen Interesses, das man auch als affirmativ bezeichnen konnte – aber man könnte auch sagen, dass diese Theorie neue gesellschaftliche Phänomene akkurater darstellen konnte, als es die bisherigen Theorien schafften. Nur ein paar Beispiele: Die alte Konsumkritik hätte in etwa in nörglerischen Ton gesagt, im Spätkapitalismus werden falsche Bedürfnisse geschafften, die Werbung schwatzt den Leuten Dinge auf, die sie gar nicht brauchen, die also für sie unnütz sind. Die neue Kulturtheorie fragte dagegen, wie das etwas Jean Baudrillard in seinem berühmten Buch „Das System der Dinge“ tat, welche „Sprache“ die Gegenstände sprechen? Womöglich wollen wir sie nicht wegen ihrer funktionellen Seite, sondern gerade wegen des Images, das die Gegenstände haben. Etwa den neuesten schicken Apple-Computer, der zwar auch nicht mehr kann als das Hewlett-Packard-Teil, aber einen symbolischen Überschuss hat; oder das Vintage-Möbel, das wir vielleicht mit „Authentizität“ und „langer Dauer“ assoziieren.

(…)

Ende der achtziger Jahre rückt freilich eine neue Autorengeneration ins Zentrum, die gänzlich alles umwirft; Autoren, die etwa die Systematik, der noch Lacan oder Foucault folgten, völlig hinter sich lassen. Ihre Bücher kommen als schnelle Flugschriften auf den Markt und erobern – etwa in Form der in Berlin produzierten Merve-Bändchen -, schnell das, was man neuerdings die „Szene“ nennt. Baudrillard mit seinem Büchlein „Koolkiller – oder der Aufstand der Zeichen“, in dem er Graffitis analysiert, oder mit seiner „Agonie des Realen“, oder auch Jean-Francois Lyotard mit einem Band namens „Intensitäten“. Worte werden als „Intensitäten“ behandelt, nicht als Träger von Bedeutungen, nicht mehr um Kritik geht es, sondern um „intensive Momente“. Auflösungen werden nicht beklagt, sondern gefeiert, das Lied eines Nihilismus gesungen, der auf Nietzsche zurückgreift. Der alte politische Aktivismus wird abehakt, dafür die minoritären Kämpfe, der Nomadismus, die Drogensüchtigen und Freaks gefeiert, die „intensiven Momente“. „Nicht-Repräsentativität, jederzeitige Absetzbarkeit, Punktualität, Intensität (…) Das sind die ‚Menschen der Steigerung‘, die ‚Herren‘ von heute: Außenseiter, experimentierende Maler, Popkünstler, Hippies und Yippies, Parasiten, Verrückte, Eingesperrte. Eine Stunde ihres Lebens enthält mehr an Intensität als tausend Worte eines Berufsphilosophen.“ Ein anderes legendäres Buch Lyotards trägt den Titel „Das Patchwork der Minderheiten“, in dem genau die Kämpfe dieser Minderheiten als die zeitgenössischen Aufstände beschrieben werden, ihre „Finten und Kniffe (…), einzeln, einzigartig und singulär (…) lässig und aktiv zugleich“, ein Patchwork, das „fortwährend die Herren austrickst“. Alle Ziele werden verlacht (die sind ja noch immer von der Fortschrittsidee mit ihrer Zeitachse Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft infiziert), und auch das „Vorurteil, es gäbe eine Wirklichkeit zu erkennen“. Wir sind alle postmoderner, als wir glauben würden… weiterlesen

„Ein echtes Kunststück“ – die „Frankfurter Rundschau“ über mein Buch „Was Linke denken“

Mit diesem Buch ist „dem österreichischen Publizisten ein echtes Kunststück gelungen: Er hat die gesellschaftskritische Philosophie zweier Jahrhunderte zu einem lehrreichen und obendrein sehr gut lesbaren Überblick im doppelten Wortsinn ver-dichtet.“ So bespricht Stephan Hebel in der „Frankfurter Rundschau“ mein Buch „Was Linke denken“. Vielen Dank dafür! Hier der Link zur ganzen Rezension.

Wer das ver-dichtete Buch noch einmal in verknappter Pauderform zusammengefasst präsentiert haben will, der oder die kann sich den Talk anhören, den ich Anfang Oktober in der Grünen Akademie in Graz gehalten habe:

Nicht ganz so zufrieden wie der Rezensent der „Frankfurter Rundschau“ ist der Rezensent des „Neuen Deutschland“ mit mir. Er verdeutlicht, was ich alles ausgelassen habe und weshalb er dies für gewichtige Lücken hält, um erst dann „zum Positiven“ zu kommen:

Picus Linke 2„Auch Misiks neuer Text ist selbst dann, wenn es um die theoretischen Elaborate französischer linker Philosophen oder um Postkolonialismus und Postmoderne geht, verständlich und gut zu lesen – ohne zu sehr zu vereinfachen. Wissenssoziologischer Ausgangspunkt ist ein Zitat des italienischen Marxisten und Kommunisten Antonio Gramsci: »Jede philosophische Strömung hinterlässt eine Ablagerung von ›Alltagsverstand‹; diese ist das Zeugnis ihrer historischen Leistung.« Den Sickerprozess vom Theoretiker zum Alltagsverstand beschreibt Misik so: »Eine kluge Person – oder eine Gruppe von Theoretikern und Theoretikerinnen – entwickelt eine philosophische Analyse; eine kleine Gruppe philosophisch oder gesellschaftskritisch interessierter Leser eignet sich diese Analyse an; sie übernimmt sie entweder vollends oder Bruchstücke davon, kombiniert sie möglicherweise mit Versatzstücken anderer Theorien; sie verbreitet sich im allgemeinen an intellektuellen Fragestellungen interessierten Milieu; sie findet Eingang in Medien, in Leitartikeln oder die Essayistik; sie wird erst gelegentlich, dann immer häufiger aufgegriffen, sei es in öffentlichen Diskussionen, in Kneipengesprächen oder anderswo.«“

Hier zur gesamten Rezension.

Was Linkssein heute bedeutet

Seit dieser Woche sollte ja mein Buch „Was Linke denken“ im Buchhandel zu finden sein. Die „Zeit“ brachte in ihrer Österreich-Ausgabe einen Vorabdruck, für die „Wiener Zeitung“ habe ich ein paar Kernthesen zu diesem Essay verdickt. 

Die heutige Linke lässt die Theoriebände verstauben und ist nur mehr gefühlsduselig? Der Befund ist recht verbreitet. Robert Misik beschreibt in seinem neuen Buch, was an Theoriebausteinen tatsächlich in den linken Köpfen steckt.

Picus Linke 2Der Befund ist ja recht allgemein verbreitet: Politik, die ist heute weitgehend entideologisiert. Aber dieser Befund – oder will man es eher Lamento nennen? – geht noch weiter: Während sich früher Linke brennend für komplizierte theoretische Abhandlungen interessierten, ziegeldicke Bücher nicht nur lasen, sondern auch richtiggehend studierten, sei die Zeit der großen Theoriedebatten vorbei. Links, so würden viele Leute sagen, das ist heute doch mehr so ein Gefühl: Für Gerechtigkeit, gegen Ungerechtigkeiten jeder Art. Was man an Argumenten braucht, das kann man sich problemlos auf Facebook zusammenliken. Rassismus bekämpfen? Sowieso! Imperialismus böse finden? Dafür braucht man doch keine große Lektüreanstrengung!

Doch nicht nur die Linken, die sich in irgendeinem Sinne noch als politisch verstehen, seien denkfaul geworden, so das Verdikt. Auch das Milieu, das sich früher einmal in einem weiteren Sinne dem „wilden Denken“ verschrieben hätte, existiere nicht mehr: Dieses Milieu kulturtheoretisch Interessierter, in dem man erst Marx, dann Adorno, Horkheimer und Habermas verschlungen hat, um sich später über Foucault dem Poststrukturalismus und der postmodernen Denkern wie Lyotard, Deleuze und Guatarri zuzuwenden, sei heute auch schon Geschichte. „After Theory“, „Nach der Theory“, diesen programmatischen Titel verpasste der marxistische britische Kulturtheoretiker Terry Eagleton einem kleinen Büchlein über den Zustand seiner Profession. Und dem deutschen Wissenschaftler Philipp Felsch gelang zuletzt ein regelrechter Coup mit seinem Buch „Der lange Sommer der Theorie“, in dem er die Diskursversessenheit einer breiten intellektuellen Leser- und Debattiererschar auf die Jahre 1960 bis 1990 periodisiert.

Die Botschaft von all dem: Das systematische Lesen und damit auch das fundierte Denken – alles hoffnungslos Out.

Was Linke denken presseDas ist natürlich nicht gänzlich falsch, aber womöglich ein wenig zu oberflächlich geurteilt. Denn erstens entsteht die Diskrepanz ein wenig durch nostalgische Verklärung der Vergangenheit. Aber ist denn, zweitens, überhaupt wahr, dass es so etwas wie ein einigermaßen konzises linkes Denken nicht mehr gibt? Ich würde das zu bestreiten wagen, ja, beinahe so weit gehen, zu sagen, dass das Gegenteil der Fall ist: Das, was der und die zeitgenössische Durchschnittslinke denkt, ist das Produkt dieser philosophischen und theoretischen Überlegungen. Schließlich gilt auch für die verschieden Stränge der linken Philosophie, was der kommunistische Denker Antonio Gramsci, einer der großartigsten Theoretiker des 20. Jahrhunderts einmal so beschrieben hat: „Jede philosophische Strömung hinterlässt eine Ablagerung von ‚Alltagsverstand‘; diese ist das Zeugnis ihrer historischen Leistung… Der ‚Alltagsverstand‘ ist die Folklore der ‚Philosophie‘.“

Das, was der und die zeitgenössische Durchschnittslinke denkt, ist das Produkt philosophischer und theoretischer Überlegungen. Wie schon Gramsci sagte: „Jede philosophische Strömung hinterlässt eine Ablagerung von ‚Alltagsverstand‘; diese ist das Zeugnis ihrer historischen Leistung… Der ‚Alltagsverstand‘ ist die Folklore der ‚Philosophie‘.“

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Vorankündigung: „Was Linke denken“, mein neues Buch, im August im Picus Verlag

Picus Linke 2Hier schon einmal eine kleine Ankündigung meines neuen Buches: Im Spätsommer erscheint im Picus Verlag „Was Linke denken“. Es ist der Versuch, das zeitgenössische linke Denken (von dem viele Leute ja sagen würden: Gibt es das überhaupt?) auf die theoretischen und philosophischen Diskurse der letzten 150 Jahre zurückzubinden. Und siehe da: vieles von dem, was man so salopp die „linken Haltungen“ nennt, erweist sich als Resultat eines Sickerprozesses von Theorien. Woher diese stammen, welche Fragen sie aufwarfen und zu beantworten suchten und wie sich diese Antworten verbreiteten, das versuche ich in diesem Buch zu beschreiben.

„Wer wäre nicht Marxist? Und doch ist es so: alle sind Marxisten, ein wenig, unbewusst.“ Antonio Gramsci

Hier schon einmal, damit man sich die Chose etwas genauer vorstellen kann, das provisorische Inhaltsverzeichnis:

Einleitung: Philosophieren, ohne es zu wissen

1. Kapitel
Talking ‚bout a Revolution
Warum wir heute alle irgendwie Marxisten sind – und auch wieder nicht

2. Kapitel
It doesn’t take a revolution
Es würde doch schon reichen, sich auf Trippelschritten einem Ideal anzunähern. Aber wer hat heute denn noch Ideale?

3. Kapitel
Herr Gramsci hätte gerne die Hegemonie
Wie die Herrschenden herrschen und wie der Kampf um die Hirne und Herzen der Unterdrückten funktioniert.

4. Kapitel
Wer hat die kritischere Kritik?
Herr Adorno hat stets schlechte Laune. Für und Wider von Aufklärung und Fortschritt.

5. Kapitel
Vom Ich-Aufstand zur Sexmeuterei
Herr Marx will unentfremdete Menschen, doch bald wird gefragt, ob „der Mensch“ überhaupt existiert. Kein Wunder, dass später Frau Butler sogar bezweifelt, dass es Frauen gibt.

6. Kapitel
Das kolonisierte Ding wird Mensch
Die Unterdrückung produziert den Unterdrückten. Die völlig Marginalisierten können nicht einmal sprechen, finden Frau Spivak heraus – denn wenn sie sprechen könnten, wären sie nicht mehr marginalisiert.

7. Kapitel
Sprechen heißt kämpfen
Herr Foucault sucht nach der Macht und findet den Diskurs – oder umgekehrt.

8. Kapitel
Vernetzt Euch!
Wie das postmoderne Wissen die alte Linke erst zerlegte und dann neu zusammensetzte.

Schluss: Fragend schreiten wir voran!

Und hier noch der Vorschautext aus dem Katalog:

Oft ist zu hören: Es herrscht Entideologisierung. »Links«, das ist doch heute mehr so ein Gefühl. Vorschnelle Befunde!, meint Robert Misik. Denn der zeitgemäße Linke hat sehr wohl ein paar Bruchstücke an Theorien im Kopf: Marx’ Lehren über die Widersprüche des Kapitalismus; Eduard Bernsteins Postulat, dass Reform im Rahmen des Systems möglich ist; Antonio Gramscis Gedankengänge über Zivilgesellschaft und Hegemonie; den leicht depressiven kulturkritischen Sound der Frankfurter Schule von Walter Benjamin bis Jürgen Habermas; Michel Foucaults Traktate, dass sich Macht eher in Machtknoten dezentriert hat und dass die Unterdrückten bei ihrer Beherrschung mitmachen; eine Prise postmoderne Theorie, dass die Idee einer Wahrheit auch nur eine Täuschung ist; ein großer Schöpflöffel Keynes, ein kleiner Schuss postkoloniale Theorie und viel Entfremdungskritik.
Robert Misik beschreibt rasant und amüsant von A wie Adorno bis Z wie Žižek, aus welchen Brocken sich zeitgenössisches linkes Denken heute zusammensetzt.

Einladungen zu Lesungen oder Vorträgen aus/über das Buch und die Thematik sind ausdrücklich erwünscht 🙂