Dialektik des Widerstandes

Die Barbarei zu bekämpfen ist nötig und unumgänglich, zugleich aber auch zuwenig.

taz, das Schlagloch, November 2024

„Fühlt Euch nicht in die Ecke gedrängt, eingeengt. Bewegt Euch, so gut ihr könnt, durch diese Welt um euch herum“, schrieb Patti Smith am Tag nach der Trump-Wahl. Und endete: „Zurück an die Arbeit.“ Es war ein erster, schneller Versuch, mit dem Schock zurande zu kommen, den sie mit vielen teilt. Dieser depressiven Erstarrung. Erst heilen, erst Selfe-Care, aber dann eben auch: „Zurück an die Arbeit.“ Ist das trotzig, kämpferisch? Oder einfach, „zurück an die Arbeit“, was ja auch heißt, zurück zum Eigenen, sich nicht behindern lassen, nicht beirren von Umständen, die womöglich so lähmen, dass einem die Fähigkeit abhandenkommt, diese Umstände zu ändern.

Die Welt geht gerade bisschen den Bach herunter, Krieg, Krise, Verrücktheit, das Regressive, die Angst, negative Nachrichten schlagen in unsere Hirne ein. Von der „Nachrichtenerschöpfung“ sprechen schon die Zeitdiagnostiker. Die Abfolge an schlechten Nachrichten trägt selbst zu einer Atmosphäre der Dauergereiztheit bei, sie produziert auch einen Groll, der Ursache der nächsten schlechten Nachrichten wird. Dialektik des Widerstandes weiterlesen

Passionen des Engagiertseins

Wenn unsere Argumente noch nicht richtig überzeugen, dann hilft es vielleicht, wenn wir lauter brüllen? Eher nein.

taz, das schlagloch, Oktober, 2024

Manchmal, nein, unglücklicherweise sogar eher häufiger, muss ich an die schöne Formulierung von George Orwell denken: „Wie bei den Christen sind beim Sozialismus seine Anhänger die schlechteste Reklame.“ Orwell dachte da an wirre Zausel, aber auch an Doktrinäre, an Besserwisser, die sich so gerne selbst reden hören und an Charaktere ähnlicher Art. Sie kennen das. Sie können gerne auch statt „Sozialismus“ eine ganze Reihe unterstützenswerter Anliegen einfügen. Sie stoßen bestimmt in jedem Fall auf ganze Bataillone von Anhängern, die „die schlechteste Reklame“ der jeweiligen Sache sind. Nun mag es so sein, dass jede gute Sache auch Schrullis und Spinner aller Art anzieht wie das Licht die Motten. Hinzu kommt, dass jede echte Überzeugung und die Leidenschaftlichkeit, mit der man für sie eintritt, die Gefahr der Über-Überzeugtheit schon in sich trägt und damit das Risiko, in einen Tunnelblick zu geraten. Damit geht die Gefahr einher, den Rest der Welt nur mehr in Verbündete und Feinde zu unterscheiden, eine andere, dass wir womöglich glauben: Wenn unsere Argumente noch nicht wirklich überzeugen, wird es vielleicht besser, wenn wir besonders laut und ohrenbetäubend brüllen. Grundsätzlich sind wir Menschen sowieso gut darin, die Fehler der anderen krass wahrzunehmen, den eigenen Unzulänglichkeiten gegenüber aber große Nachsicht walten zu lassen. Für die eigenen Fehler, sofern wir ein Bewusstsein für diese überhaupt zulassen, finden wir stets mildernde Umstände, eine Milde, mit der die jeweils Anderen nicht unbedingt rechnen können. Passionen des Engagiertseins weiterlesen

Aufbrausend, aggressiv, paranoid

Die rechtsextreme FPÖ wurde bei den österreichischen Parlamentswahlen stärkste Partei. Wie konnte das passieren?

taz, Oktober 2024

Der Herr ist dünnhäutig und leicht verletzlich. Er ist voller Misstrauen. Von Anderen nimmt er gerne das Schlechteste an, von sich selbst dagegen stets das Beste. Er ist prinzipiell unschuldig und ebenso prinzipiell ein Opfer. Er hat eine gewisse Freude daran, andere zu quälen und zu mobben, und ist leicht in Rage zu bringen. Menschen mag er nicht wirklich.

Herbert Kickl ist Österreich.

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Kolonisiert von der Kultur

Fredric Jameson, der große Theoretiker der Postmoderne, ist gestorben.

taz, September 2024

Mehr als fünfzig Jahre ist Fredric Jameson der vielleicht einflussreichste marxistische Kritiker und Literaturtheoretiker gewesen – und womöglich dennoch nur Eingeweihten ein Begriff. Jameson ist dieser Typus des Theoretikers, dessen Gedankenreichtum von weniger hermetisch schreibenden Autoren popularisiert wird. Am Wochenende ist Jameson neunzigjährig verstorben.

Seine Arbeiten beschäftigten sich mit Adorno und Wagner, mit Sartre und Benjamin, mit Architektur und Landschaft, mit Rem Koolhaas, Moderne und Modernismus. Er war ein packender Lehrer, zuletzt an der Duke University in Durham. Sein einflussreichstes Opus Magnum war wohl „Postmodernism. Or, The Cultural Logic of Late Capitalism“ aus 1991.

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Alles reaktionäre Hinterwäldler?

Noch in den populären Rechtsextremismus-Analysen steckt viel Verachtung für die arbeitenden Klassen.

taz, das schlagloch, August 2024

Gelegentlich kommt es vor, dass Probleme, die lange verdrängt wurden, nicht mehr ignoriert werden können. „Endlich“, denkt man sich dann. Und allmählich schleicht sich dennoch ein Unwohlsein ein, das Gefühl, dass auch das Richtige leider auf die falsche Weise erzählt wird. Das Gefühl, dass das auch wieder nicht so stimmt. Auch wieder falsch ist, nur auf andere Weise.

So ähnlich geht es mir seit einiger Zeit, wenn die Rede auf „die Arbeiterklasse“ kommt. Alles reaktionäre Hinterwäldler? weiterlesen

Immer im Krieg

Twitter verwandelte er in X und in ein Shithole, öffentlich stachelt er zum „Bürgerkrieg“ auf. Wie Elon Musk zum König der Cyberhetze geworden ist.

taz, August 2024

Es sind keine guten Wochen für Donald Trump. Kamala Harris und Tim Walz, das Kandidatenduo der Demokraten, hat Momentum und in den Umfragen einen Raketenstart. Sie sprechen vor knallvollen Arenas, während zu Trump-Rallyes oft nur ein paar tausend Fans kommen. Trump grämt das. Vor etwas mehr als einer Woche gab er eine groteske, wirre Pressekonferenz an seinem Landsitz Mar-a-Lago. Ein „Interview“, geführt von Elon Musk, über den Ex-Twitter Audiodienst „X-Spaces“ sollte kurz darauf wieder für etwas Schwung sorgen.

Am Ende wurde es eine Farce. Erst stürzte die Technologie ab und ließ sich lange nicht hochfahren, dann nuschelte der Republikaner-Kandidat unverständliches Zeug vor sich hin. Musk wiederum war ergriffen von der eigenen Bedeutung, zugleich peinlich unterwürfig, eine seltsame Mischung aus Devotheit und Gigantomanie. Zwischenzeitlich wurde im Duett auf Herrenreiterart verächtlich über Arbeiter gelacht, die für bessere Arbeitsbedingungen streiken, die „Kannst gleich gehen!“ zu hören bekommen, hohoho. Immer im Krieg weiterlesen

Räuberischer Jude, verschlagener Araber

Wie jahrhundertealte Stereotypisierung die Konflikte um Israel, die Hamas und den Gazakrieg vergiften.

Das Schlagloch, meine Kolumne aus der taz, Mai 2024

Weder bei kleinen noch den ganz großen existenziellen Fragen und Konflikten sollte man die Tatsache aus den Augen verlieren, dass das eine und sein exaktes Gegenteil richtig sein kann. Früher nannte man das eine tragische Konstellation, so wie etwa Kreon und Antigone zugleich recht hatten, wenngleich sich deren Maximen auch in keiner Weise in einen „Kompromiss“ auflösen ließen. Heute spricht man gerne von Ambiguitäten, die bitte ausbalanciert werden sollen.

So ist einerseits wahr, dass der Begriff des „Antisemitismus“ heute zur proisraelischen Kriegspropaganda missbraucht wird, dazu, andere Stimmen einzuschüchtern und zu diffamieren, während zugleich wahr ist, dass es Antisemitismus gibt, und dass auch die Kriegskritik von Antisemitismus vergiftet sein kann. Die Netanjahu-Propagandaschleudern haben den Begriff aber sinnentleert und unbrauchbar gemacht. Räuberischer Jude, verschlagener Araber weiterlesen

Die Arbeit hoch

Arbeit, Moral und Kitsch: Heute werden „die Fleißigen“ gegen „die Faulen“ aufgehusst.

Mein taz-Essay zum 1. Mai 2024

„Kampftag der Arbeiterklasse“ ist der 1. Mai, seit er 1890 als internationaler Tag der Sozialisten ausgerufen wurde. Schnell war der Maifeiertag auch eine Art Hochamt. Parole: „Die Arbeit hoch!“ Arbeitsleid und Schinderei wurden zwar angeprangert, zugleich auch das Pathos der Arbeit beschworen. Der Stolz auf die Arbeit war keine Erfindung der Arbeiterführer, der stammt aus den Handwerker- und frühen Facharbeitermilieus: Stolz auf die eigenen Fertigkeiten und dass man mit der eigenen Anstrengung die Familie durchbringt.

Maskulin geprägt war das, in den Bilderfundus ging eher der männliche Arbeiter ein. Das eigene „Können“ gab Respekt und Selbstrespekt, genauso wie die Tatsache, dass die Arbeit mit Anstrengung verbunden war. Das waren gewissermaßen die Werte der arbeitenden Klassen: dass man „anpackt“, keine „Spleens“ hatte. Die Arbeit hoch weiterlesen

Erinnerung an eine Irrsinnigkeit

Sollen die Corona-Maßnahmen „aufgearbeitet“ werden? Die erschreckende Befürchtung ist, dass vernünftige Diskurse gar nicht mehr möglich sind.

Das Schlagloch, meine Kolumne aus der taz

Eines der eigenartigsten Phänomene der Geschichte ist, wie wenig die „spanische Grippe“ 1918-1920 Eingang in Erinnerungsliteratur, Geschichtsschreibung, oder Populärkultur gefunden hat. Immerhin war sie das größte Desaster des 20. Jahrhunderts mit höchstwahrscheinlich rund 50 Millionen Opfern. Aber schon in der zeitgenössischen Publizistik war sie nur eine Randnotiz, kam gar nicht vor zwischen den Leitartikeln zu Revolution, Sturz von Kaiserhäusern, Kriegsende, Bolschewismus oder dem Ringen zwischen Demokratie und Reaktion. Hinterher war das Massensterben schnell verdrängt. Dass dieses Desaster so frappierend wenig Eingang in das kollektive Gedächtnis fand, führen kluge Köpfe daher auch auf folgende Tatsache zurück: Es gibt so wenige Episoden, die erlauben, sich darüber Heldengeschichten zu erzählen. Im Gegenteil, die Menschen mochten nicht, was die Epidemie aus ihnen machte: Egoisten nämlich, die nur überleben wollen. Seuchen sind keine Schule der Solidarität.

Man kann das heute etwas besser nachvollziehen. Jens Spahn, während der Covid-Jahre Gesundheitsminister, ist ja nicht für besonders intellektuelle Heldentaten berühmt, aber er hat am Höhepunkt der Pandemie einen tiefsinnigen Satz gesagt: „Wir werden einander viel verzeihen müssen.“ Erinnerung an eine Irrsinnigkeit weiterlesen

Wir, die Guten – gegen die Bösen

Ein manichäisches Weltbild gewürzt mit Selbstgerechtigkeit wird die Krise des Westens nur verschärfen.

taz, Jänner 2024

Nicht wenige werden der Meinungen sein, Bernard Hénri-Levy sei mit seiner Eitelkeit, seiner Showmanhaftigkeit und seiner outrierten Theatralik ein leichtes Opfer für Polemik. Ich hingegen neige zu Charaktergüte und schätze bei einigermaßen fähigen Leuten mit den einigermaßen richtigen Reflexen primär die Stärken, und pflege deren Schwächen gegenüber Milde walten zu lassen. Meine Voreingenommenheit gegen BHL hält sich deshalb in Grenzen. Der Mann hat Meriten. Komisch sind wir alle auf unsere Weise. Möglicherweise wird meine Milde auch durch die Bereitschaft verstärkt, mir Schmeicheln zu lassen, schrieb BHL doch vor ein paar Jahrzehnten meinen Namen und den von einer Reihe von Mitstreiterinnen, Freundinnen und Großliteratinnen, um dann hinzuzufügen: „Die Namen und Vornamen Wiens. In diesen Namen und Vornamen die Spur jenes Identitätsmosaiks: des Wiens von Hermann Broch, Arthur Schnitzler und Karl Kraus.“ Denkbar, dass ich ohne diesen kleinen Zucker- und Kitschguss eine Spur strenger wäre. Wir, die Guten – gegen die Bösen weiterlesen

AfD, oder: Abschwung für Deutschland

Wirtschaftssorgen stärken Ultrarechte – doch Ultrarechte schaden mittlerweile auch der Wirtschaft.

taz, September 2023.

Eine keineswegs falsche, aber auch etwas zu simple Diagnose lautet so: Trudelt die Wirtschaft, frisst sich Unsicherheit in das Leben vieler Menschen ein, fühlt sich die Mittelschicht von Abstiegsängsten bedroht, so wächst der Rechtsextremismus.

Weniger gängig, aber ebenso richtig ist: Wächst der Rechtsextremismus, dann geht es auch mit der Wirtschaft bergab. AfD, oder: Abschwung für Deutschland weiterlesen

Der Staat, der schützt

Das allgemeine Unsicherheitsgefühl ist das Einfallstor zur Tyrannei. Diese Unsicherheit ist die Pathologie unserer Zeit.

taz, Das Schlagloch, September 2023

Jüngst begegnete ich einem Freund und Mitstreiter, der vor wenigen Jahren Spitzenfunktionen in einer kämpferischen Linksregierung in Südeuropa bekleidete. Wir plauderten ein paar Minuten über die Misslichkeiten in diesen und jenen Nationen, und dann sagte er einen Satz, der mir sehr zu denken gab. „Wir müssen versuchen, die rechte Welle wenigstens zu bremsen. Stoppen können wir sie nicht, aber bremsen wäre gut.“ Es gab mir deshalb sehr zu denken, da er – und ich – es vor einigen Jahren als eine der Schwächen der europäischen Linken charakterisiert hätten, dass man dauernd nur „das Schlimmste verhindern“ wolle. Von der Art: „Wählt uns, damit es langsamer schlechter wird…“. Wir hätten also genau dieses Mindset dafür verantwortlich gemacht, dass die radikalisierten Konservativen und extremistischen Rechten leichtes Spiel haben.

Ich stellte aber fest, dass ich seine deprimierende Botschaft nicht sofort intuitiv ablehnte, sondern dass sie mich ins Grübeln brachte. Was, wenn er recht hat? Wenn wir in einem dystopischen Moment leben, in dem schon einiges gewonnen ist, wenn wir die Machtübernahmen autoritärer Rechter verhindern, Pluralismus und Demokratie intakt halten, bis irgendwann wieder hellere Zeiten kommen? Der Staat, der schützt weiterlesen