Du sollst ein Held sein!

Im "postheroischen Zeitalter" ist die Sehnsucht nach dem Heldischen nicht verschwunden. Im Gegenteil: Es wurde verallgemeinert – und demokratisiert. Niemand will Mainstream sein. Jeder muss ein außergewöhnliches Individuum sein. Standard Album Juni 2005

 

Helden sind heute lustige Leute. "Wir sind gekommen, die anderen Helden abzumelden", heißt es im eingängigen Ohrwurm "Heldenzeit". Das hat, wie schon der Name der Band – "Wir sind Helden" -, natürlich etwas Augenzwinkerndes. Aber die Ironie wäre leer, gäbe es nicht die ewige Sehnsucht nach dem Heldischen. Nur was vorhanden ist, kann ironisch unterlaufen werden. So bestätigt die Ironie immer auch, was sie vorgeblich dekonstruiert. "Einen Helden machen für mich kleine Dinge aus", bekundet Frontfrau Judith Holofernes.

 

Es ist eine dürre Wahrheit, dass wir im "postheroischen Zeitalter" leben. Das tun wir gewiss, aber schon sehr lange. Schließlich erschien der erste "postheroische" Text vor exakt vierhundert Jahren: Miguel de Cervantes‘ "Don Quijote", der grandiose Roman über die Lächerlichkeit ritterlicher Tugenden in einer nichtritterlichen Welt. Vor einhundertfünfzig Jahren wiederum sah Johann Gottfried Herder das Ende der "Heldenzeit" gekommen.

 

Das hat zunächst seinen Ursprung in der Sinnlosigkeit des Heroismus im modernen Krieg und damit dem Untergang des Kriegerhelden – dem freilich die Verwandlung der Heldenfigur in den poetischen Charakter, in den romantischen Helden, auch in den Helden der Barmherzigkeit folgte.

 

Selbst die soldatische Literatur trug dem Rechnung. Waren die Schlachtfelder, wie in Ernst Jüngers "In Stahlgewittern" auch vom "Zauber des mechanischen Todes regiert", in dem zwischen Panzern, Granaten und Schützengräben für Helden kein Platz mehr war, so wurde das Soldatische ästhetizistisch gewendet. Der Soldat war jetzt der, der das Schicksal heroisch annimmt. Diesem schrägen Vitalismus galt der Krieg als das ultimative Ereignis, in dem noch echt gefühlt werden konnte – ein krummer Fluchtweg aus der verwalteten Welt.

 

Schon da, in der extrem rechten Auslegung Jüngers, klang aber an, was heute die Essenz des Heldischen ist: Der Held ist der, der sich gegen seine Zeit wendet – egal ob Dandy oder Willensmensch, ob Revolutionär oder Dissident. Der Held ist der, der etwas tut, weil er nicht mittut. Umgekehrt: Wer mitmacht, lebt nicht – oder zumindest falsch. Insofern kann die Heldenrolle natürlich von jedem besetzt werden, der eine Spur Exzentrik mitbringt: der Star, die Diva, der Pop-Heros, Terrorist und Humanist, Held und Anti-Held.

 

Was es dafür braucht, ist seit jeher die Bereitschaft, in Grenzen – oder auch in Konventionen – nur Schranken zu sehen, die es zu überwinden gilt. Gewiss vermögen die Muskeln des Herakles nichts gegen Panzer – aber die Bereitschaft, innere und äußere Grenzen zu überwinden, gehört seit der Antike unverändert zur Grundausstattung von Heldengeschichten. Der Name des Odysseus, der paradigmatischen Heldenfigur, ist verbunden mit der Idee eines stetigen Aufbruchs, auch der Selbstfindung im riskanten Leben, des ewigen Raumgewinns.

 

Der Held ist der, der sein Leben für Höheres auf’s Spiel setzt. Jung zu sterben ist zwar nicht Voraussetzung, um ins Pantheon der Heroen einzuziehen, aber es hilft. Im modernen Heldenreich tummeln sich die Typen, die aus der Blüte ihrer Jahre gerissen wurden: Der Ché, der heute wieder von jedem zweiten T-Shirt blickt, JFK oder Kurt Cobain, der Verkünder des Teen Spirit. Das Gefährliche an Helden ist natürlich, dass sie mitunter nicht nur ihr eigenes Leben in die Waagschale warfen, sondern auch das anderer. Er opfert sich – und andere gleich mit. Töten und sterben, damit nicht mehr getötet und gestorben werden muss. "An welchem Ort uns der Tod auch überraschen mag, er sei willkommen" (Che Guevara).

 

Wie mächtig Heldenmotive sind, zeigt der Umstand, dass selbst die unheroischesten Doktrinen nicht ohne Heldengeschichten auskommen. Auch der liberale, globalisierte Kapitalismus instrumentalisiert regelmäßig das Heldische. Eine der erstaunlichsten Figuren in diesem Zusammenhang ist der amerikanische Special-Forces-Soldat, auf den neuerdings richtige Hohelieder gesungen werden. Ihm hat etwa der liberale US-Essayist Robert D. Kaplan im Intellektuellenmagazin "The New Atlantic" ein Denkmal gesetzt. Zwischen Kolumbien und der Mongolei, der Wüste Gobi und Mogadischu hat er diesen "guten Typen" einen Besuch abgestattet und überall Typen gefunden, die das Herz am rechten Fleck haben. Raubeine, aber feinfühlige. Supersoldaten, die "in einem Moment tödliche Killer und im nächsten schon Humanisten sein" müssen. Das Gute in der Welt, so Kaplan, kann das "Resultat der Anstrengungen eines guten Mannes ,on the ground‘ sein".

 

Der Special-Forces-Mann reist, wie Odysseus, dorthin, wo die Ordnung der Welt ihre Grenze hat – immer unterwegs, die Welt zu verbessern, ohne Aussicht auf einen endgültigen Sieg. Das Heroische lebt auch von der Aussichtslosigkeit, von der sich der Held nicht abschrecken läßt: er tut, was er tun muss.

 

In gewisser Weise aber ist der ultimative Held des postmodernen, liberalen Kapitalismus: der Kapitalist selbst. Man braucht nur irgendeine beliebige Zeitung aufschlagen, schon findet man Berichte wie jene in der Hamburger "Zeit" von Ende April. "Sie kam aus einem Plattenbau in einer sibirischen Kleinstadt", heißt es da über eine aufstrebende Russin. "Sie besorgte sich Tiefkühlfisch und gefrorenes Gemüse und verkaufte beides in ganz Russland. Heute ist sie Millionärin." Der "unternehmerische Unternehmer" ist der, der das Sichere und Normale durchbricht, der energische Charakter, dem – in den Worten des Ökonomen Joseph Schumpeter – die "schöpferische Zerstörung" aufgetragen ist. Er ist, wie jeder Held, ein halber Gott – ein Weltschöpfer. Folgerichtig, dass der deutsche Soziologe Heinz Bude von diesem Sozialtypus als den "Helden des kapitalistischen Unternehmertums" spricht. 

 

Eine Welt ohne Helden? Die herrschende Ideologie wird täglich über Figuren transportiert, die Hab und Gut oder Leben riskieren, um Märkte zu erobern, (Firmen-)Imperien aufzubauen, die Diktatoren stürzen oder die Freiheit gegen ihre Feinde verteidigen. Und auch der Einspruch gegen die je herrschende Ideologie wird entlang solcher Heldengeschichten formuliert – von Rosa Luxemburg über Vaclav Havel bis Fjodor Chodorkowski.

 

Einstehen für das, was man für richtig hält, seinen Weg gegen Widrigkeiten gehen, auch wenn man dafür mit dem Tod bedroht wird – das sind Geschichten, die immer wieder aufs neue erzählt werden. Eben tingelte Ayaan Hirsi Ali durch alle TV-Studios, die aus Somalia stammende Ex-Muslima, die heute im niederländischen Parlament sitzt und gegen Frauenunterdrückung und Fundamentalismus im Islam kämpft. "Auch demokratisch verfasste Zivilgesellschaften", meint der deutsche Politikwissenschafter Herfried Münkler, "können auf Dauer auf die Vermittlung heroischer Werte nicht verzichten. Ohne Opferbereitschaft funktionieren auch jene gesellschaftlichen Systeme nicht, die Leistung in der Regel nur über Geld belohnen".

 

Womöglich gerade diese. Wo alles für Geld zu haben ist, zählt umso mehr, was man nicht kaufen kann. Sind nicht Filme wie "Die fetten Jahre sind vorbei", aber in gewisser Weise auch "Gegen die Wand", Symptome für die Suche nach einer Idee, die den existentiellen Einsatz lohnen würde? So leben wir mitten im postheroischen Zeitalter in einer Welt voller Helden. Das erweist schon die Sprache. Von "stillen Helden" ist da die Rede, von "Helden des Alltags" und "Helden der Menschlichkeit". Frau Bock gilt ebenso als Heldin wie der Chirurg in der Notaufnahme.

 

Ist das Heroische schon nicht vergangen, so ist es doch demokratisiert. Jeder kann, jeder will ein Held sein. Ein Held hebt sich heraus aus dem Mainstream. Nichts ist eine größere Beleidigung für die Einzigartigkeit des Subjekts, als Mainstream zu sein, Durchschnitt. So passt sich die Sehnsucht, etwas Besonderes zu sein, in den Zeitgeist ein, auch wenn sie gegen diesen rebelliert. Ist das Heldische auch das Letzte, was nicht im Supermarkt zu kriegen ist, steht die Verallgemeinerung des Außergewöhnlichen doch im Einklang mit den Imperativen der neoliberalen Subjektivierung. Jeder soll ein Held sein – und bringt es mit solchem Heldentum dann auch nur zur Ich-AG.

 

"We can be Heroes", sang schon David Bowie, "just for one day."

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