„Unglaublich cool“

Interview. Paul Nolte, der führende Neokonservative unter Deutschlands Intellektuellen, über Angela Merkels Politikstil und die nüchterne Art, mit der die Große Koalition ihre Geschäfte aufnimmt. profil, Oktober 2005

 

 

profil: Der Großen Koalition war zum Amtsantritt nicht gerade eine gute Presse gegönnt. Es wird überall gespart, aber große Reformen wird es nicht geben, es herrscht das Prinzip des kleinsten gemeinsamen Nenners. Ist das nicht ein bißchen gar miesepetrig?

 

Nolte: Nein. Man kann sich mit dem, was da vereinbart worden ist, nicht zufrieden geben. Aber natürlich gibt es auch die übliche Kritelei. Klar ist, man muss auch die positiven Seiten sehen: Ein neuer Realismus zieht ein. Einige Probleme wurden deutlich wie nie zuvor: die dramatische Haushaltslage etwa. Aber die Antworten auf die Probleme, die jetzt realistisch gesehen werden, wurden auch nicht gegeben. Da gibt es eine Lücke.

 

Beispielsweise?

 

Nolte: Man sieht die dramatische Haushaltslage – und man begegnet dem, indem man noch mehr Schulden macht.

 

Das geht vielleicht nicht von heute auf morgen…

 

Nolte: Das zieht sich durch. Nehmen wir nur die Arbeitsmarktpolitik. Da wurde im Wahlkampf heftig darüber gestritten, und weil es großen Dissens zwischen den beiden Partnern gibt, findet sich nicht viel im Koalitionsvertrag – das einzige, was verabredet wurde, ist eine vorsichtige Flexibilisierung beim Kündigungsschutz. Das wird nicht reichen. Zur Frage, wie man mehr Menschen in den Arbeitsmarkt integriert – nichts! Zur gesellschaftlichen Krise Deutschlands – nichts!

 

Das klingt jetzt ein bißchen dramatisch. Worin besteht die denn?

 

Nolte: Wir stecken nicht nur in einer ökonomischen oder demographischen Krise. Es gibt nicht nur diese Krisensymptome, die sich exakt messen lassen. Immer mehr Menschen sind frustriert, kehren der Gesellschaft den Rücken, trauen der Politik nichts mehr zu. Es gibt eine große Lähmung. Viele Menschen sind nicht mehr fähig, ihre Kinder zu erziehen – diese Krisensymptome zeigen sich in vielen Sphären der Gesellschaft. Das übersetzt sich in Bildungsdefiziten.

 

Die neoliberale Antwort war: Es braucht mehr Risikobereitschaft, mehr Eigenverantwortung. Gerade einem solchen Programm haben die Wähler aber doch eine Abfuhr erteilt. Ist das dann nicht demokratisch folgerichtig, dass sich das im Programm der Koalition auch niederschlägt?

 

Nolte: Einverstanden. Nur: Es wird auch keine andere Antwort gegeben. Und die Debatte, wie man die Fähigkeiten der Menschen stärkt, ein selbstverantwortliches Leben zu führen, wurde ja nicht nur von den Neoliberalen geführt – da gibt es einen Konsens, der weit in die SPD hineinreicht, auch weit in die Partei der Grünen übrigens.

 

Die Große Koalition tritt ohne jedes Pathos an. Ist das nicht überraschend? Man hätte da doch auch sehr viel Möglichkeiten für symbolische Politik gehabt, Marke: ‚Wir packen das jetzt gemeinsam an‘.

 

Nolte: Ach, das wundert mich nicht. Das Gerede von den historischen Momenten ist doch auch schon etwas verbraucht. Alle paar Jahre gibt es jetzt schon historische Momente. Es gibt in der Koalition mittlerweile einen Geist der Kooperation. Das ist bemerkenswert, das ist erfreulich. Man kann das an der Mimik der neuen Führungsspitze ablesen.

 

Die Tatsache, dass erstmals eine Frau ins Bundeskanzleramt einzieht, wird seltsam unaufgeregt vollzogen – so als wär’s die alltäglichste Sache der Welt. Erstaunlich, oder?

 

Nolte: Das kann man eben auch als gutes Zeichen sehen – man mißt dem nichts dramatisch Außergewöhnliches zu. Außerdem ist das am Ende auch nicht mehr so überraschend: Seit vier Jahren ist Angela Merkel CDU-Chefin, seit 2002 wußten wir, dass sie diejenige sein wird, die als Kanzlerkandidatin antreten wird. Dass sie eine gute Chance hat, irgendwann dieses Amt zu bekleiden, ist also seit drei Jahren bekannt gewesen. Da ist es dann natürlich keine so große Sensation mehr, wenn es wirklich dazu kommt. Und sie selbst geht damit auch sehr nüchtern um. Sie hatte im Wahlkampf ja auch Schwierigkeiten, Frauen zu überzeugen. Sie wurde ja wirklich nicht von Frauen dafür gewählt, dass sie eine Frau ist.

 

Hat sie zu Frauenpolitik nichts zu sagen?

 

Nolte: Doch, doch. Sie hat dezidierte Vorstellungen, was der Platz der Frauen in der Gesellschaft sein soll. Sie hat aber einen unaufgeregten Stil der selbstverständlichen Gleichberechtigung. Die CDU ist in ihrer Führungsspitze viel moderner, als man das von außen wahrnimmt. 

 

Wie gefährlich können die ehrgeizigen, jungen Männer in der CDU Merkel denn noch werden? Extrem gestärkt ist sie aus den Wahlen ja nicht gerade hervorgegangen…

 

Nolte: Die jungen Männer sind auch in ihrem Alter – deshalb sind sie ja so harte Konkurrenten. Einmal mehr hat man gelernt, dass man Angela Merkel nie unterschätzen darf. Sie hat eigentlich in unglaublich cooler Weise das beste aus dieser Position relativer Schwäche gemacht, in die sie durch das Wahlergebnis geraten war. Sie ist für’s erste einmal schwer angreifbar.

 

Und die SPD? Die letzte Große Koalition in den sechziger Jahren endete damit, dass der Juniorpartner – auch damals die SPD – das Bündnis zum Sprungbrett an die Macht nutzte. Wird es diesmal ähnlich kommen?

 

Nolte: Man kann das nicht vergleichen. Damals war die Große Koalition im Grunde der Übergang von der langen Adenauerära zur langen sozialliberalen Ära. Damals waren Regierungswechsel noch mit langandauernden Pendelschwüngen verbunden, auch mit dem Wandel des Zeitgeistes. Deshalb ist die Situation heute viel offener: Aber gewiss hat Mathias Platzeck, der neue SPD-Vorsitzende, alle Chancen.

 

Eine ganze Generation tritt ab: Die 68er, die Juso-Seilschaften der 70er Jahre. Von diesen großen Alphatieren – Gerhard Schröder, Oskar Lafontaine – spielt keiner mehr eine Rolle in der SPD. Und Joschka Fischer ist auch weg. Freut Sie das?

 

Nolte: Das ist kein Anlass für Häme. Ich werde denen nicht spöttisch hinterherrufen. Aber der Abgang war überfällig. Es ist allerdings in der SPD sehr fraglich, ob die junge Generation der heute Vierzigjährigen es schafft, die Partei für einen neuen, nüchternen Reformpragmatismus zu gewinnen – oder ob sich nicht doch diejenigen durchsetzen, die immer noch die alten linken Antworten geben.

 

Interview: Robert Misik

 

Zur Person

 

Paul Nolte, 42

ist Geschichtsprofessor an der Freien Universität Berlin. Vor allem aber ist er bekannt als intellektueller Vordenker eines modernen Konservativismus. Gelegentlich wird jugendlich-forsche Wissenschaftler auch als Deutschlands führender Neocon bezeichnet. Besonders den 68ern wirft er seit Jahren mit Lust den Fehdehandschuh hin, zuletzt in seinem Buch "Generation Reform" (Beck-Verlag, München, 2004)

 

 

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