Was ist kitschig an der Gedenkkultur, Herr Diedrichsen?

Gedenken. Diedrich Diederichsen über das deutsche Holocaust-Mahnmal, den Hitler-Hype im TV, neue Mythen und alten Vergangenheitsbewältigungskitsch. Falter, Juni 2005

 

 

In Österreich überschatten Kampl und Gudenus das Gedenkjahr, anderswo muss man mit subtileren Peinlichkeiten vorlieb nehmen. Dabei werden etwa in Deutschland neue Geschichtsmythen unter die Leute gebracht. Hitler ist auf allen Kanälen, indessen klopft sich das Land auf die Brust: Toll, wie wir unsere Vergangenheit bewältigt haben. Und: Alle waren Opfer. Solche subtilen Abgründe sind das Leibthema von "Kritikerpapst" Diedrich Diederichsen. Der 48jährige war in den achtziger Jahren Zentralgestirn der deutschen Poplinken, führender Kopf der einflussreichen Zeitschrift "Spex". Seit den 90er Jahren unterrichtet er an diversen Kunsthochschulen. Kommenden Donnerstag, 23. Juni, spricht er um 19.30 in der Charim-Galerie (1, Dorotheergasse 12) im Rahmen der von Isolde Charim kuratierten Veranstaltungsreihe "Wahrer als Wahr – Neue Mythen des Gedenkens".

 

Darf ich Sie nach den auffälligsten Widerwärtigkeiten der heutigen Gedenkpolitik befragen? Was würde Ihnen denn da als erstes einfallen?

 

Diederichsen: Die Frage ist, wie weit man das Wort "Gedenkpolitik" interpretiert. Aber die Trailer zu den jeweils neuen Guido-Knopp-Dokumentationen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sind schon kaum zu übertreffen. Wenn eine Reporterstimme aus dem Off zu Nu-Metal-Musik Schwarz-weiß-Footage kommentiert: "1943 – die KZs wurden noch grauenhafter". Besonders abstoßend – das ist nichts Neues, sondern eher eine Konstante – sind natürlich gegenständliche Mahnmahle. Auch da gibt es Abstufungen: In Berlin Charlottenburg gibt es ein Mahnmal, das ich eigentlich immer für eine abstrakte Skulptur gehalten habe: sich kreuzende, konstruktive Modelle. Irgendwann wurde mir klar, dass es sich dabei um Leichen handeln soll. Ganz schauerlich ist natürlich gewissermaßen der Klassiker: Hrdlickas Denkmal vor der Albertina.

 

Was ist daran so schlimm?

 

Diederichsen: Die naturalistische Zur-Schau-Stellung von Demütigung, Folter, körperlichen Leiden als Denkmal behauptet, unmittelbares Erschrecken vor der Gewalt sei die Quelle einer geeigneten Katharsis. Dabei sind Bilder von Gewalt und Demütigung an sich ganz unspezifisch. Man kann ebenso gut eine schaulustige Position einnehmen oder sich gar mit dem Täter identifizieren. Hinzu kommt, dass ein Denkmal als künstlerische Gattung immer in gewisser Weise ja sagt, zu dem was es gegenständlich zeigt, Affirmation ist Bestandteil seiner künstlerischen Rhetorik. Außerdem ist ein Nein oder ein anderes simples Zeichen der Negation im Zusammenhang mit einer gestaltreichen, gegenständlichen Darstellung immer das schwächere Zeichen.

 

Wenn die Knopp-Dokumentationen an Katastrophenfilme erinnern – gibt es da mehr an Analogie? Krieg und Vernichtung als Katastrophe, die "über uns" kam wie eine Flut oder ein Erdbeben?

 

Diederichsen: Das ist ein häufiges Resultat von NS-Aufarbeitung. Wobei diese Filme zunächst einmal das Geschehen als "geil", totalen "Thrill" markieren. Da gehört die Hintergrundmusik dazu, die Steigerung der Dynamik, der Kick.

 

Das Berliner Mahnmal ist das genaue Gegenteil von Naturalismus. Macht es Sie glücklich?

 

Diederichsen: Nein. Das wäre natürlich einfach, zu sagen: Das Gegenteil von Hrdlicka, und schon ist man glücklich. Ich würde es zwar gegen seine antimodernen konservativen Kritiker verteidigen. Das Berliner Mahnmal hat aber andere Probleme. Die liegen eher in de Frage: Ist es überhaupt sinnvoll, ein neues Mahnmal zu errichten? Inwieweit werden künstlerische Mittel, die in den Bezugsräumen der Kunst funktionieren, problematisch, wenn dieser Bezugsraum fehlt? Hinzu kommt, dass die künstlerische Sprache, die beim Berliner Mahnmal zum Einsatz kommt, mittlerweile auch schon wieder fast ein Jargon ist. Der Minimalismus als zunächst asemantische künstlerische Sprache erhält durch den Kontext den klaren Sinn, dass er von einem ’nicht-benennbarer Schrecken‘ spricht. Aber die eigentlichen Probleme liegen ohnehin anderswo. Die Frage ist: Wer redet da? Wer erinnert sich da woran?

 

Die Deutschen erinnern sich ihrer Opfer und sind ganz stolz darauf, dass sie so toll geläutert sind? Ist das das Problem?

 

Diederichsen: Sie machen sich doch gar nicht klar, dass das ihre Opfer sind. Sie erinnern sich an ‚eine Menschheitskatastrophe‘. Aber dass sie als Deutsche keineswegs zur Gemeinschaft der Opfer gehören, wird in keiner Weise klargemacht. Währenddessen wird auf anderen Ebenen sogar ganz stark versucht, auch die Deutschen zu Opfern des Krieges zu stilisieren und die tatsächlichen Schrecklichkeiten, die auch Deutschen passiert sind und den Vernichtungsfeldzug der Deutschen zu einem einzigen Geschehen zu machen. Beim Volksmund kommt das dann so an: ‚Ein schrecklicher Krieg. Möglicherweise hat’s die Juden noch ein bisschen schlimmer erwischt als uns.‘ Es wäre vielleicht besser, wenn das Mahnmal nicht zugänglich wäre. Am besten, man würde Stacheldraht herum machen. Dann wäre es sogar ganz gut. 

 

Man konnte, als das Mahnmal eröffnet wurde, kaum eine Kultursendung sehen, in der nicht angemerkt wurde, dass die Deutschen als einzige Nation der Welt im Zentrum ihrer Hauptstadt den Opfern ihrer Verbrechen ein Denkmal setzen. Da klang moralische Superiorität an, eine unglaubliche Getragenheit: Man nützt die Ermordeten noch, um heute gut dazustehen.

 

Diederichsen: Das Objekt selbst hat ja nichts mit Schande zu tun, es provoziert eher Assoziationsreihen von Gräber, Trauer etc. – also eine Empathie, die den Hinterbliebenen der Opfer, nicht den Rechtsnachfolgern der Täter zusteht. Von schonungsloser Selbstverurteilung ist doch keine Rede. Es gibt kein Modell, wie die Deutschen mit ihrer Täterschaft umgehen, aber es gibt ein Modell, wie sie mit den Opfern umgehen.

 

Sie schreiben, es wurde ein "zeitweiliger, nie selbstverständlicher, fragiler" Konsens in Deutschland erreicht. Worin besteht er? Ist er unter Druck?

 

Diederichsen: Leute wie Bernd Eichinger, der Produzent des "Untergangs" werfen diesem Konsens seine „Moral“ vor. Aber dieser Konsens war schon aus anderen Gründen fragwürdig. In ihm eingeschlossen war nämlich immer auch: Wir sind in Sachen Selbstbearbeitung und Vergangenheitsbewältigung die Weltbesten. In ihm war auch dieser falsche Stolz des Mitleidens enthalten, der Glaube durch Identifikation mit den Opfern ihren moralischen Status zu erhalten. Und man kann auch sagen, dass Moral nicht sehr hilfreich ist – im Sinne von Erkenntnis nämlich. Aber dieser Konsens hat wenigstens Verhaltensweisen ausgeschlossen, die heute wieder möglich sind: dass im "Untergang" die Hitler-Sekretärin und der Hitler-Junge fröhlich beschwingt auf dem Fahrrad aus Berlin wegfahren und ihr Überleben sie zu den Helden der Zukunft macht. Falsche Opfer-Identifikation ist immer noch besser als lebensfrohe Überlebende. Der alte Vergangenheitsbewältigungskitsch hatte sicher seine Peinlichkeiten, aber es wurde wenigstens noch klar unterschieden, was sind Opfer, was sind Täter.

 

Und jetzt? Im "Untergang" gehen die Bösen unter, deshalb sind die, die Überleben, automatisch die Guten?

 

Diederichsen: Das ist tatsächlich ohne jede Moral. Es wird natürlich nichts gerechtfertigt. Aber die, die da rauskommen, haben viel durchgemacht, sie haben jetzt ein gesteigertes Leben, spüren eine Intensität in sich. Das ist eigentlich der generelle Code bei all dieses Produkten: der Zweite Weltkrieg ist ein wahnsinniges Erlebnis, intensiv, natürlich auch böse und schrecklich. Ein großes Feuer.

 

Dass Kriege als letztes, echtes Erlebnis gedeutet werden, ist eine Konstante – diesen Kitsch kann man auch von den meisten eingebetteten Kriegsreportern hören.

 

Diederichsen: Aber beim neuen Umgang mit deutscher Geschichte geht es nicht um diese Ernst-Jüngerhafte Frontintensität, jetzt wird alles zu "einem Krieg" – die Front in Berlin, Auschwitz, die Arisierung und die Vernichtungsaktionen der Wehrmacht. Das, was die einen taten und den anderen passierte, schmilzt zusammen zu einem großen Intensitätsfeuer. Das gesamte Geschehen der Zeit ist eine Front, der alle gleichsam ausgesetzt waren.

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