Fundstücke eines Alleslesers – Blogkolumne 2 .
Leserin Paula Z. hat zum gestrigen Fundstück ("Vaginageruch?") auf meinem taz-blog angemerkt, dass auch die "Selbstsorge" des Konsumenten, einmal in den Mittelpunkt der Werbung gerückt, "abschreckende Wirkung haben kann". Paula: "Der Slogan ‚Ich will so bleiben, wie ich bin!‘ beispielsweise …
….hatte zur Folge, dass die so beworbenen fettreduzierten Lebensmitteln niemals eine Chance hatten, in meinem Einkaufswagen oder Kühlschrank zu landen… Denn ’so zu bleiben, wie man ist‘ bedeutet doch nichts anderes als sich nicht zu verändern, nicht zu entwickeln – Stillstand also. Und zu den Leuten, die sich so etwas zum Ziel setzen, wollte ich nicht gehören!"
Das ist eine schönes Beispiel für die Aporien dessen, was heute wohl im Zentrum vieler Lebensstrategien (und damit auch Konsumstrategien, somit auch Marketingstrategien) steht: Die Authentizitätssehnsucht. Eine etwas pausbäckige Vorstellung von Authentizität läßt sich ja so zusammenfassen: Es gibt da innen drin in uns ein vorgängiges, inneres "ICH", demgegenüber man sich durch Anpassung an Umwelt, Kapitalismus, Konsumgesellschaft (whatever more), oder indem man "Rollen" spielt, nur "entfremden" kann. Die Frankfurter Philosophin Rahel Jaeggi hat nun in ihrem klugen Buch "Entfremdung" gezeigt, dass Begriffe wie Authentizität oder Entfremdung nur dann treffsicher sein können, wenn sie sich von einem solchen essentialistischen Kernmodell befreien.
Dabei, so Jaeggi, kann doch jemand "er selbst" bleiben, "selbst wenn er im Verlauf seinesLebens grundlegende Kehrtwendungen bezüglich fundamentaler Aspekte seines Lebens macht, also wichtige Bindungen aufgekündigt oder wichtige Projekte aufgegeben hat (…) Die Frage ist, wie sie (die Menschen) sie aufgeben, wie der Prozess der Veränderung vonstatten gegangen ist. Entscheidend ist dabei, ob man den Prozess nachvollziehen und in die eigene Lebensgeschichte bzw. das eigene Selbstverständnis … integrieren kann."
Tricky, heißt das doch: Man kann authentisch "bei sich" bleiben, und doch nicht "bleiben wie ich bin". Man kann sogar noch weiter gehen, wie Paula Z. nahelegt: dass man nur bei sich bleiben kann, indem man nicht bleibt, wie man ist. Es ist also mit der Authentizität vertrackter, als man glaubt.
Eine ausführliche Kritik von Jaeggis Buch findet sich übrigens hier.