Schüssel ist weg, die Luft ist besser. Was kommt, wird die Zukunft zeigen. Wider die Jeremiaden vom „Verhandlungsdesaster“.
Ein Kommentar zur Amtseinführung von Österreichs neuem Bundeskanzler Alfred Gusenbauer.
Standard, 11. Jänner 2007
Wenn Alfred Gusenbauer heute als österreichischer Bundeskanzler angelobt wird, dann ist zunächst das Bedeutendste am Amtsantritt der neuen Regierung der Abtritt der alten. Schließlich geht damit fast beiläufig und betont lässig zu Ende, was vor sieben Jahren mit Dramatik, Pathos und viel Emotion begonnen hatte. Denn auch wenn es beinahe schon vergessen erscheint: Die Regierung, die da abgeht, ist jene ÖVP-FPÖ-Regierung, deren Bildung im Jahr 2000 im Österreich zu Massendemonstrationen führte, Europa in eine schwere Krise stürzte und bilaterale Sanktionen der – damals 14 – anderen Mitgliedsländer der Europäischen Union nach sich gezogen hatte.
Man soll zum Abtritt noch einmal daran erinnern: Wolfgang Schüssel hat die Rechtsradikalen in die Regierung geholt, dafür musste er unterirdisch zur Vereidigung. Und es wurde knallhart rechts regiert. Das Land war in der Mitte gespalten – und blieb es in den sieben Jahren. Hier der schwarz-blaue Block – da alle anderen. Regierungsziel: „Die roten Gfrieser“ (Andreas Khol) wegräumen. All dies fand bis zuletzt statt, wenn auch aus zwei Gründen zunehmend unterhalb der Wahrnehmungsschwelle: Einerseits weil den Haiderleuten durch den Niedergang und am Ende der Spaltung ihrer Partei die Kraft zum Bössein verloren ging, andererseits aber auch, weil man sich an manches, was andernorts ein Skandal wäre, einfach gewöhnt hatte.
Vor diesem Hintergrund ist der Amtsantritt der neu gebildeten Großen Koalition von SPÖ und ÖVP mehr als nur ein Regierungswechsel. Mag man den Begriff „Ende einer Ära“ gelegentlich inflationär bei der Hand haben, so gehen in diesem Fall doch einige ziemlich düstere Jahre zu Ende. Schüssel, der sich als der eigentliche böse Geist der österreichischen Innenpolitik erwiesen hatte, ist weg. Das macht die Luft besser. Ciao, Bello.
Angesichts dessen relativieren sich die kritischen Kommentare schon ein bisschen, die den neuen Kanzler Alfred Gusenbauer ins Amt begleiten. Er habe sich vom gefinkelten Schüssel, der künftig kein Regierungsamt mehr bekleiden wird, bei den Verhandlungen Hemd und Hosen ausziehen lassen, ist da unisono zu lesen. Leitartikler nennen Gusenbauer einen „roten Kanzler unter einer schwarzen Regierung“. Peter Warta verstieg sich an dieser Stelle sogar zu dem kuriosen Superlativ, dies wäre ein Desaster, „das alles übertrifft“, was der SPÖ in der Zweiten Republik widerfahren sei.
Gemach, gemach. Stimmt schon, die ÖVP wird ebenso viele Minister stellen wie die SPÖ, die traditionellen Prestigeposten Finanzen, Inneres und Äußeres bleiben unter Kontrolle der Volkspartei. Zudem mussten sich die sozialdemokratischen Verhandler bei einer Reihe von Themen der konservativen Seite beugen.
Freilich, wie schon im Vorjahr in Deutschland, erwies sich auch in Wien nun: Wenn zwei praktisch gleich starke Parteien eine Große Koalition bilden und die eine den Kanzler stellt, lässt sich die andere den Eintritt in den Juniorstatus versüßen. Das ist für alle, die eine prononciertere Linkswende erhofft haben, sicherlich unerfreulich – aber, angesichts der Sitzverteilung im Parlament, auch keine Superüberraschung.
Doch rücken wir die Relationen zureckt: Mit dem Ausscheiden der beiden freiheitlichen Spaltprodukte BZÖ und FPÖ aus der Regierung ist der direkte Zugriff xenophober Radaubrüder auf die Politik für’s erste gestoppt, ihre symbolische Promotion zu Staatsrepräsentanten Vergangenheit. Und das ist ein gehöriger zivilisatorischer Fortschritt. Aber auch die österreichischen Konservativen dürften wohl wieder mehr in Richtung des liberalen Mainstream der europäischen Christdemokratie rücken. Dafür spricht nicht nur der sanfte Relaunch der ÖVP-Regierungsriege, sondern vor allem der Abgang von Wolfgang Schüssel. Nachfolger Wilhelm Molterer, was immer man von ihm halten will (und was immer er selbst wollen mag) wird für weiteres Liebäugeln mit Rechtsaußen für geraume Zeit jedenfalls die Kraft fehlen. Zudem wird, auch wenn der Übergang scheinbar wie geschmiert lief, die Abbrechung mit der Ära Schüssel wohl bald mit aller Wucht einsetzen.
Spätestens dann wird der Spielraum von Alfred Gusenbauer deutlich größer sein. An die superschlauen Kommentare dieser Tage über das „Verhandlungsdebakel“ wird sich dann schon niemand mehr erinnern wollen. Mag sich Gusenbauer in den Regierungsverhandlungen auch bis zur Selbstaufgabe konziliant gezeigt haben, er hat noch immer die gute Möglichkeit, eine Regierungspolitik mit eigener Handschrift zu entwickeln. Anders als in den meisten Ländern Europas werden die Sozialausgaben in den nächsten Jahren jedenfalls nicht zusammengestrichen, sondern erhöht. Die paktierte Grundsicherung von 726 Euro ist ein Herzstück der Regierungsvereinbarung. Bessere Schulen, Investitionen in Bildung wird wohl der Schwerpunkt der Regierungsarbeit, zumal sich das Bildungsthema überraschenderweise als wahlentscheidend erwiesen hatte. Insofern hat Gusenbauer, auch wenn er sich das Verhandlungsergebnis notgedrungen schönreden will, nicht ganz unrecht, wenn er sagt, mit dem Infrastruktur-, dem Bildungs- und dem Sozialministerium habe er genau die Ressorts zur Verfügung seiner Partei, die er für seine Politik braucht.
Wahrscheinlich hätte Gusenbauer mit mehr Verhandlungsgeschick mehr herausholen können. Aber letztlich sind das Petitessen. Über den Erfolg oder Misserfolg des Bauarbeitersohnes und Ex-Juso-Vorsitzenden wird weniger die Besetzung prestigiöser Ministerien entscheiden noch der eine oder andere Absatz im Regierungsprogramm. Entscheidend dafür wird sein, ob die „neue soziale Frage“ und die Gerechtigkeitsschere auf eine Weise angegangen werden, die den rechten Populisten den Wind aus den Segeln nimmt. Denn die haben von wachsender Chancenarmut, Zukunftsangst und der Gereiztheit der Unterprivilegierten bisher prächtig profitiert.
Kurzum: Über Erfolg und Misserfolg Gusenbauers wird entscheiden, was er, was die Buchingers, Schmieds, Faymanns & Co. aus ihren Posten machen – und nicht, welche Posten „die anderen“ haben.