Eskalierende Predigten

Neuerdings mischen sich auch in Europa die Kleriker wieder mit Lust ins politische Geschehen ein. Die Kirchengranden nehmen sich an Ayatollahs und an Amerikas politisierenden Christen ein Vorbild. profil, 5. März 2007

Am Anfang war das Wort. Aber das ist lange her. Heute zählt der Soundbite, die scharfe Ansage, die Schlagzeilen garantiert. Das haben mittlerweile auch die Kleriker gelernt. Die neue Familienpolitik der deutschen Christdemokraten, verkündete vorvergangene Woche der Bischof von Augsburg, Walter Mixa, degradiere Frauen zu „Gebärmaschinen“.

Eine „Spracheskalation“ („Vanity Fair“), die den Bischof, der bisher unterhalb der Wahrnehmungsschwelle predigte, auf die Titelblätter brachte. Dass Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) rund 500.000 zusätzliche Kinderbetreuungsplätze schaffen will – für Mixa ist das „einseitig auf eine aktive Förderung der Erwerbstätigkeit fixiert“.

 

Auch Mixas Kollege Karl Kardinal Lehmann, der Chef der deutschen Bischofskonferenz, mischt sich neuerdings im Tagestakt in die Politik ein. Dass Horst Seehofer, Landwirtschaftsminister mit Ehefrau und Familie in Bayern und einer angeblich schwangeren Lebensgefährtin in Berlin für das Amt des Chefs der christsozialen CSU kandidiert, findet Lehmann einfach nur mehr widerlich: „Wie will er denn Vorsitzender einer christlichen Partei werden? Wie weit sind wir eigentlich gekommen?“

 

Doch auch für Lehmann ist dieser Tage Ursula von der Leyen die Hauptfeindin: deren Familienpolitik verleitete den Kardinal zu den Aussage, man solle bitte nicht vergessen, „dass es noch nicht so lange her ist mit einer fatalen Dominanz des Staates in der Kindererziehung“. Gemeint war die frühere DDR. Ursula von der Leyen – für Lehmann offenbar eine Art Margot Honecker der Christdemokratie.

 

Fast zeitgleich warfen sich die italienischen Kirchenführer ins Gefecht. Das italienische Episkopat wetterte – mit tatkräftiger Unterstützung des Vatikans – gegen zwei geplante Gesetze der Regierung Romano Prodis. Die Kirchengranden liefen einerseits gegen die Einführung einer „eingetragen Partnerschaft“ für Homosexuelle und Lesben Sturm, andererseits gegen das Gesetz, das auch heterosexuellen Lebensgemeinschaften ohne Trauschein bestimmte Rechte garantieren sollte – praktische Dinge, wie etwa das Erbrecht oder die Übernahme von Mietverträgen durch den Lebensgefährten.

 

Papst Benedikt XVI. selbst nannte die Gesetzesvorhaben eine „Bedrohung der Familie“. Kardinal Camillo Ruini, Chef der italienischen Bischofskonferenz, kündigte gar einen Hirtenbrief an, der gläubige Politiker „bindend verpflichten“ sollte, gegen das Gesetz zu stimmen.

 

Doch eine derartige Brandpredigt von den Kanzeln brauchte es gar nicht mehr. Dass Romano Prodi bei der Senatsabstimmung über ein ganz anderes Thema – den Afghanistaneinsatz –  scheiterte, führen Insider auf das gekonnte Intrigenspiel des Vatikans zurück. Zwar gingen Prodi auch Senatoren seiner Koalition von der Fahne, aber mit den Stimmen der Senatoren auf Lebenszeit hätte er eine bequeme Mehrheit gehabt. Dass die Senatoren Giulio Andreotti, Oscar Luigi Scalfaro und Sergio Pininfarina – alles langgediente Christdemokraten – den Premier stolpern ließen, dürfte Folge eines zynischen Kalküls gewesen sein: Wenn Prodi scheitert, liegen auch die umstrittenen Gesetze erstmals auf Eis. Und tatsächlich: Unter den 12 Punkten, auf die Prodi seine Koalitionäre vergangene Woche verpflichtete, fanden sich die Regelungen nicht mehr. „Homoehe gestrichen, Kardinal zufrieden“, hieß es prompt auf der Homepage von „Radio Vatikan“.

 

Angesichts der vielerorts verkündeten „Rückkehr der Religionen“, politisierender Mullahs im Islam und dem Aufstieg evangelikaler Christen zu erheblichem Einfluss in den USA fühlen offenbar auch Europas Kleriker wieder ihre Berufung, sich ins praktische Geschehen einzumischen. Fast hilflos wirken Appelle wie die der – katholischen – italienischen Familienministerin Rosy Bindi, die Kirche solle mehr vom lieben Gott und weniger von Gesetzen reden.

 

Auch in Portugal, wo gerade ein Referendum über die Einführung der Fristenlösung an der zu geringen Wahlbeteiligung scheiterte, macht die Kirche ihren Einfluss geltend, und in Österreich sorgte der ultrakonservative Salzburger Weihbischof Andreas Laun in den vergangenen Wochen gleich mehrmals für Aufsehen. Zuerst erklärte er Richard „Mörtel“ Lugner für exkommuniziert, weil der Räume an eine Abtreibungsambulanz vermietete; dann forderte er die Abschaffung der Fristenlösung, nicht ohne dem pikanten Hinweis, mangels christlicher Kinder sei die Islamisierung Österreichs unaufhaltsam; zuletzt kommentierte er den „Gebärmaschinen“-Sager von Bischof Mixa mit dem Satz: „Er hat da völlig Recht“.

 

Was ist das alles? Eine zufällige Häufung? Einerseits sind es gewiss einfach Rückzugsgefechte. Dass die konservativen Rezepte in der Familienpolitik nicht mehr taugen, ist so offensichtlich, dass sie jetzt auch von den traditionellen christdemokratischen Parteien über Bord geworfen werden. Denn wenn man Frauen nicht die Möglichkeit gibt, eine berufliche Laufbahn und den Kindersegen unter einen Hut zu bringen, dann ist das nicht nur für die Karriereaussichten der Frauen schlecht – es werden dann auch schlicht weniger Kinder geboren. In jenen Ländern Europas, in denen ausreichend Krippenplätze existieren, gibt es auch die höchsten Geburtenraten – in Frankreich, in den skandinavischen Ländern. Wo eine Familienpolitik im Kirchensinn gemacht wird, gibt es die niedrigsten Geburtenraten. Da diese Fakten nicht ignoriert werden können, schwenken jetzt auch die christdemokratischen Parteien um. Das bringt die Kirchen im politischen Feld um ihre Fürsprecher.

 

Zudem dürfte sich der Klerus beflügelt fühlen, seitdem auch in Europa die „Rückkehr der Religionen“ ausgerufen wird. Zwar werden die Kirchen nicht voller, aber der Papst verzeichnet bei seinen Massenaudienzen am Petersplatz „eine enorme Zunahme der Pilgerströme“ (so Walter Kardinal Kasper, der Chef des päpstlichen „Einheitsrates“). Aufmerksam wird registriert, dass der langfristige Trend zur Säkularisierung in Europa abgebrochen ist – der Anteil derer, die sich als areligiös bezeichnen, hat in den vergangenen zwanzig Jahren nicht mehr zugenommen. Und da in Afrika, USA, Nord- und Südamerika alle Religionen einen Aufschwung erleben, wird der Bedeutungsverlust der Religion nicht mehr als allgemeiner Trend der Modernisierung empfunden, sondern allenfalls als europäischer Sonderweg. Sogar auf moslemische Migranten setzt man Hoffnungen: Einerseits, weil Studien zeigen, dass sich mit dem Auftauchen religiöser Minderheiten auch die christliche Mehrheit „christlicher“ fühlt, andererseits, weil bigotte Mullahs Bündnispartner gegen moderne Übel wie Hedonismus und „Werterelativismus“ sein können.

 

So kann Bischof Laun der drohenden „Machtübernahme“ des Islam in Europa sogar etwas Positives abgewinnen: „Wahrscheinlich werden die Moslems die Fristenlösung abschaffen".

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