Ist Qualität romantisch?

Die Rezeptionsprobleme von Richard Sennetts neuem Buch sind womöglich ein Beispiel für strukturelle kulturelle Missverständnisse. taz, 4. März 2008

 
Unlängst hatte ich in Wien die Ehre, die Präsentation von Richard Sennetts Buch „Handwerk“ zu moderieren. Sennett ist ein freundlicher Herr mit Pfeife im Mundwinkel. Weil die Amerikaner angeblich im Winter keine „Non-Fiction“-Bücher kaufen, ist sein neuer Großessay zunächst auf Deutsch erschienen, erst im April kommt die englische Originalausgabe auf den Markt. Herr Sennett ist ein bisschen unglücklich über die Aufnahme seines Buches im deutschsprachigen Raum und er fragt sich, ob es nicht ein fataler Fehler war, dass seine hiesigen Verleger sein Buch „Hand-Werk“ genannt haben. Damit kommt man hierzulande ja in so ein Fahrwasser: „Handwerk“, das ruft Bilder wach, vom Meister in seiner Werkstatt, von der guten alten Zeit, die regelmäßig heraufbeschworen wird. Und gelegentlich auch kapitalisiert: In Gestalt der „guten Dinge“, die das „Manufaktum“-Versandhaus an die kommerzkritischen Wohlstandslagen verschickt. Ja, ich glaube, ganz im Inneren fragt sich Sennett mittlerweile ein bisschen, ob die Deutschen sein Buch nicht notwendigerweise missverstehen müssen. „Im Deutschen versteht man unter Handwerk eher manuelle Arbeit und nicht prozess-orientierte Arbeit. Das unter Handwerk zu begreifen, ist für deutschsprachige Ohren offenbar sehr fremd. Die Deutschen haben im Prozess der Aufklärung einen sehr rationalen Zugang entwickelt und Praxis unterbelichtet.“
 
Sennetts neues Buch wurde im Feuilleton mit bemerkenswertem Hohn besprochen, bedenkt man, dass es gegenüber den Global Celebrities in der Geistesgrößen-Branche normalerweise ja eine gewisse Beißhemmung gibt – gerade unter Theorie-Rezensenten ist es schließlich üblich, kritische Bemerkungen zwischen Satzgirlanden der Respekterweisung zu platzieren. Sennett komme „vom kleinen Befund zum großen Begriff“, hieß es in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, das Hohelied auf den Handwerker habe „ein wenig was von Heidegger“. Erneuerung komme „nicht aus der Beschwörung der ‚guten Dinge’ oder bedrohter Tugenden“, hielt Matthias Greffrath in der Zeit Sennett vor. „Gründlich gescheitert“, urteilte Soziologenkollege Wolfgang Sofsky in der Welt und Thomas Macho ätzte in der Neuen Zürcher Zeitung: „Das Lob der Tat entsteht regelmäßig am Schreibtisch.“
 
Nun halte ich Richard Sennetts neues Buch auch weder für das tollste Werk, das ich je gelesen habe, noch für das bedeutendste Buch, dass der Autor geschrieben hat, aber die Frage ist wirklich interessant, ob es in der Rezeption ein strukturelles kulturelles Missverständnis gibt. Es ist sicher ein Manko des Buches, dass man nicht so recht weiß, was der Autor einem jetzt genau sagen will: Ist es eine nostalgische Geschichte vom Verlust handwerklicher Fähigkeiten, oder ist es eine eher „zeitlose“ soziologische Analyse über das, was es braucht, damit Menschen Fertigkeiten vervollkommnen können? Dafür, so Sennett, braucht es Praxis, Zeit, die Bereitschaft Fehler zu machen, Kooperationsgeist und eher den Wunsch Probleme zu lösen als Perfektionsdrang. Das hat natürlich einen gesellschafts- und kulturkritischen Stachel, steht doch die Frage im Raum: Sind die Imperative des flexiblen Kapitalismus dem günstig? Wird die Entwicklung von „Skills“ belohnt oder eher bestraft? Man muss nicht unbedingt in altmodische Werkstätten schauen, sondern eher in die coolen Offices der „New Economy“ und der „Creative Industries“, wenn man hier weiter denken will. Flexibilität und das grassierende Selbstunternehmertum führen gewiss nicht notwendigerweise zu Qualifikationsverlusten, aber es fehlt in ihnen an Anreizen zur Qualitätsproduktion. Im Journalismus, wo ich mich ganz gut auskenne, ist das ja so: Der „Content“, wie das heute heißt, kommt immer öfter von prekären Selbstunternehmern, die pro Artikel bezahlt werden. Wenn die an so einem 70-Euro-Ding arbeiten, bis es gut ist, sagen wir drei Tage lang, dann sind sie selber schuld, wenn sie hungern. Da sie aber gerne Qualität produzieren würden, sind sie chronisch unzufrieden. Dieser ökonomische Druck ist eine Folge des Wettbewerbes am Markt. Und dann sagt man uns aber, Konkurrenz steigere die Qualität. Das ist natürlich Unsinn.
 
Romantik, das ist, wie Rüdiger Safranski unlängst schrieb, eine „deutsche Affäre“ – als Epoche ist sie vergangen, „das Romantische als Geisteshaltung ist aber geblieben“. Ich frage mich, ob es neben der spezifisch deutschen Versuchung zum Romantischen auch eine Art inverse Romantik gibt – den „Romantikverdacht“, die Bereitschaft, „romantisches“ in Texte hineinzulesen und auf diese dann mit Abwehr zu reagieren. Vielleicht liegen darin die programmierten Rezeptionsprobleme eines Buches, auf dessen Cover das Wort „Handwerk“ prangt.

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