Lagerhaltung

Gibt es eine Große Koalition, wird gegeneinander regiert. Warum hassen sich in Österreich Konservative und Sozialdemokraten eigentlich so? Falter, 23. Juli 2008

 
„Links und Rechts, das gibt’s doch gar nicht mehr“ – so lautet eine zeitgenössische Weisheit, die man nicht selten zu hören bekommt. Oft braucht es nur einen Augenblick bis zum nächsten Gemeinplatz: dass das mit dem Lagerdenken ganz schlimm sei. Aber wie passen diese beiden Allerweltweisheiten eigentlich zusammen? Wieso gibt es ein Lagerdenken, wenn „Links“ und „Rechts“ angeblich nichts mehr zu besagen haben?
 
Dass die Große Koalition im Debakel gescheitert ist, hat auch damit zu tun, dass sich Volkspartei und Sozialdemokraten unvermindert hassen. Gewiss gibt es Anzeichen dafür, dass sich auch die Lagermentalität aufweicht – etwa, dass kleine Parteien aus dem Boden schießen und die großen so groß nicht mehr sind; auch dass die Wechselwähler mehr werden. Doch die Tatsache, dass die Kernschichten, auf die sich die beiden Traditionsparteien ÖVP und SPÖ stützen, kleiner werden, führt gerade nicht zu einem Verblassen der Animositäten. Eher im Gegenteil. Übrigens, so neu ist dieses Paradoxon nicht, schließlich fragt der Historiker Ernst Hanisch schon in Hinblick auf die frühe Phasen der Lagermentalität zu Beginn dieses Jahrhunderts: „Wie passt das zusammen?“ Einerseits war von jeher der Typus des „unpolitischen Österreichers“ dominant, andererseits änderte das nichts an der „tiefen Fragmentierung der politischen Kultur“.
 
„Lagermentalität“ – das hat historisch natürlich mit einer Spaltung zu tun, die ganze Lebenswelten umfasste. Hier die sozialdemokratische Welt mit ihren Parteien, Vereinen, der Gewerkschaft, ihrem dicht gesponnenen Netz an Vorfeldorganisationen, ihren Gemeindebauten: Wer hier hineingeboren war, der musste diese Welt bis zum Tod nicht mehr verlassen. Und da der konservative Orbit, mit Pfarre, freiwilliger Feuerwehr, Partei, den Honoratioren der „besseren“ Gesellschaft. Zwei Welten mit ihren Ritualen. Für die Schwarzen waren die Roten die Proleten, die Parvenüs, die sich nicht einbilden sollten, dass sie was zu reden haben. Für die Roten waren die Schwarzen die, die glaubten, das Land gehöre ihnen.
 
Wer eine Ahnung davon zu bekommen will, wie sehr diese Mentalitäten bis in die jüngere Geschichte nachwirkten, muss sich nur die Bilddokumente von der ersten Regierungserklärung Bruno Kreiskys im Parlament ansehen. Kreisky ist streckenweise kaum zu versehen, weil die ÖVP-Abgeordneten ihn mit Zwischenrufen und Bekundungen der Missgunst traktierten: Sie waren schlicht empört, dass sich ein Sozialdemokrat einbildete, er könne Regierungschef sein. Die ÖVP sah sich schlicht als die „natürliche“ Regierungspartei. Umgekehrt gibt es kaum eine so emotionale Parlamentsszene wie die aus dem Jahr 1982. Die ÖVP hatte gegen das Wiener Konferenzzentrum ein Volksbegehren gestartet, und Kreisky vorgeworfen, er würde die Demokratie nicht ernst nehmen. Mit bebender Stimme erwiderte der SPÖ-Kanzler, dass es schließlich „die rechte Seite dieses Hauses“ gewesen sei, die die Demokratie in Österreich zerstört hat. Da war mehr als ein Hauch von ’34 im Hohen Haus.
 
„Normale“ Menschen, von denen die meisten von dieser Geschichte und vom Innenleben von Parteien heute keine Ahnung haben, würden annehmen, je pragmatischer und ähnlicher sich die Parteien in ihrer Politik werden, umso mehr müssten die alten Kamellen in Vergessenheit geraten. Freilich, Parteien haben ihre eigenen Funktionsgesetze: Gerade weil durch die Aufweichung der Programmatik die aktuellen Unterschiede geringer werden, bleiben die historischen Ressentiments wichtig für die stabile Identitätsbildung und den Zusammenhalt einer Partei. Mangels Programmkonflikt bleibt nur das Ressentiment. Er könne „die roten G’frieser“ nicht mehr sehen, bekundete Andreas Khol zur Feier der Schwarz-Blauen-Koalition. „Es ist sehr erstaunlich, wie wirkmächtig die Lagermentalität in Österreich noch ist“, meint der Schriftsteller und Essayist Franz Schuh.
 
All dies ist nur halb eine österreichische Eigenart. Dass Entideologisierung nicht automatisch weniger Polarisierung bedeutet, kann man in jüngster Zeit in vielen Ländern beobachten. Allen voran in den USA, wo der Grabenkrieg zwischen dem liberalen und dem konservativen Amerika in den vergangenen zwanzig Jahren nahezu pathologische Ausmaße angenommen hat: Eine Spaltung, die das Land praktisch in zwei Teile trennt.

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