Blair-Berater Roger Liddle: „Wir waren zu verliebt in die Märkte“

Roger Liddle war einer der führenden Strategie-Denker Tony Blairs. Patrick Diamond war bis zuletzt Head of Policy Planing im Office von Premierminister Gordon Brown. Kommenden Montag habe ich beide zu Gast in meiner Reihe „Genial dagegen“ im Kreisky-Forum. Im Vorfeld führte ich mit Liddle schon mal dieses Interview. Falter, 2. Juni 2010

 

Termin: Montag, 7. Juni. Roger Liddle & Patrick Diamond: The Only Way To Renew European Social Democracy. Kreisky-Forum, Armbrustergasse 15, 1190 Wien, 19 Uhr


Vor 13 Jahren eroberte Tony Blairs „New Labour“ die Macht in Großbritannien, jetzt wurde Blair-Nachfolger Gordon Brown abgewählt. Doch schon seit geraumer Zeit machen sich die Labour-Vordenker in ihren „Think Tanks“ Gedanken, wie die europäischen Sozialdemokratien wieder auf eine neue Spur kommen können. Roger Liddle, Chef des Londoner „Policy Networks“, war einer der einflussreichsten Strategie-Denker Tony Blairs. Gemeinsam mit Peter Mandelson schrieb er schon 1996 die Quasi-Programmschrift „The Blair-Revolution“. Vor einigen Monaten veröffentlichte er gemeinsam mit Co-Autoren wie Patrick Diamond, der bis zuletzt Head of Policy Planing im Office des Premier Ministers war, ein Paper voller kluger Gedanken über „die Erneuerung der europäischen Sozialdemokratie“. Kommenden Montag stellen Liddle und Diamond ihre Ideen im Wiener Kreisky-Forum zur Diskussion.

 

Wieso läuft es eigentlich so schlecht für die europäischen Sozialdemokraten?

 

Liddle: Ja, man könnte annehmen, dass in einer fatalen Krise des internationalen Finanzsystems linke Antworten an Legitimation gewinnen. Da stellt sich natürlich die Frage, warum die Linken in Europa keinen Vorteil aus dieser Situation ziehen können. Einer der Gründe scheint mir zu sein, dass die Bürger das Vertrauen in die Fähigkeiten des Staates verloren haben, ökonomische Krisen zu meistern – und das auch, weil wir in den vergangenen zehn Jahren zu viel an Marktliberalisierung akzeptiert haben.

 

Die Leute haben das Vertrauen in den Staat verloren – oder doch eher in die Sozialdemokraten?

 

Liddle: Zunächst einmal haben sie das Vertrauen verloren, dass der Staat irgendetwas ökonomisch Positives vermag. Und dann haben sie sie Zutrauen in die Politik verloren, aus verschiedenen Gründen. Immigration, das Sicherheitsgefühl der Bürger, all diese Aspekte spielen da hinein.

 

Ist nicht das Hauptproblem, dass viele Menschen finden: Wir wissen nicht mehr, wofür die Sozialdemokraten stehen?

 

Liddle: Ich denke, sie wissen schon, wofür wir stehen – aber sie trauen uns nicht zu, dass wir umsetzen können, wofür wir stehen. Um das an unserem Beispiel zu verdeutlichen: New Labour hat sich für die Modernisierung des öffentlichen Dienstes und dem Kampf gegen Armut stark gemacht und diese Themen sind immer noch populär. Es gibt auch keine Unterstützung in der öffentlichen Meinung für eine „Weniger-Staat“-Ideologie. Aber die Bürger haben uns nicht zugetraut, dass wir die schrecklichen Budgetdefizite bekämpfen können. Deswegen wurde Labour abgewählt.

 

Die Sozialdemokraten haben ein bisschen viel mit dem Zeitgeist geflirtet in den vergangenen Jahren. Wenn man Jahrelang die Marktlösungen preist, ist es etwas unglaubwürdig, wenn man dann sagt: ‚Wir haben es immer schon gewusst, freie Märkte sind nicht effizient.‘

 

Liddle: Ich denke, es gibt einen großen Unterschied zwischen Großbritannien und dem Kontinent. Wir mussten uns mit dem Thatcherismus herumschlagen. Also, wir haben wahrscheinlich zu viel von den Märkten in den neunziger Jahren akzeptiert, weil wir glaubten, es bleibt uns nichts anderes übrig. Am Kontinent, wo auch Christdemokraten von der „sozialen Marktwirtschaft“ sprechen, ist das doch ein wenig anders. In den letzten Jahren der Labour-Regierung haben einige, etwa mein Freund Peter Mandelson, versucht, diesen Kurs zu korrigieren, aber es war schon zu spät.

 

Statt „New Labour“ – ein bisschen mehr „Old Labour“?

 

Liddle: Nein. Aber man muss über ein anderes Kapitalismusmodell sprechen, ein verantwortlicheres Kapitalismusmodell, gerade in Großbritannien. Dass man vielleicht mehr auf Industrie und produktive Entwicklung setzt und nicht nur auf die Finanzbranche in der City of London.

 

Nach 13 Jahren Blairismus – was war gut und was war schlecht mit dem „Dritten Weg“, den New Labour auf seine Fahnen geschrieben hat?

 

Liddle: Es waren die erfolgreichsten Labour-Regierungsjahre, die wir jemals hatten. Großbritannien ist heute kontinentaleuropäischen Gesellschaften sehr ähnlich geworden, was das Sozial- und Wohlfahrtssystem betrifft, was den öffentlichen Dienst betrifft. Es war eine sehr erfolgreiche Regierungszeit. Wir haben nicht so viel erreicht, wie wir erreichen hätten können. Wir haben natürlich auch Fehler gemacht: Wir waren zu verliebt in die Märkte. Wir haben auch nicht begriffen, welches Unsicherheitsgefühl der soziale Wandel in der Mitte der Gesellschaft auslöst. Wir haben die Frage der Zuwanderung nicht gut gemanaged. Und wir haben es versäumt, die Briten für Europa zu gewinnen, obwohl es möglich gewesen wäre.

 

Hat die Niederlage Labour in eine Depression geworfen?

 

Liddle: Nun, die Niederlage war schon eine schwere Niederlage, aber die Moral in der Partei ist gut zur Zeit – zu gut, bin ich beinahe versucht zu sagen. Viele haben Schlimmeres erwartet. Ich denke, die Situation für Labour wird noch kompliziert, weil David Cameron die Konservativen sehr geschickt in die Mitte geführt hat und er wird, auch aufgrund der Koalition mit den Liberal Democrats, eine sehr unideologische Regierung der Mitte führen. Das macht den Platz für Labour eng.

 

Wohin geht es jetzt mit den krisengeschüttelten europäischen Sozialdemokraten? Wieder zurück zu den Ideen der siebziger Jahre?

 

Liddle: Es gibt die Gefahr, dass man sich in die Rolle des konservativen Verteidigers begibt. Das wäre desaströs. Wir müssen die Rolle des Staates in der Wirtschaft offensiv definieren. Der Staat muss die gemeinsamen Interessen aller verkörpern und darf kein Selbstbedienungsladen für die Partikularinteressen der Eliten sein. Wir müssen uns fragen, wie wir ein Maximum an sozialer Sicherheit erreichen können. Wir brauchen eine Story, ein politisches Narrativ. Man hat zu stark auf die „neue Mitte“ gestarrt. Sozialdemokraten müssen die Mitte im Auge haben, aber nicht, um sich irgendwo anzupassen, sondern die Mitte in eine progressive Richtung zu bewegen. Und die Sozialdemokratien sind viel zu sehr zu Parteien politischer Karrierebürokraten geworden. Wir müssen wieder mehr zu einer sozialen Bewegung werden, wie wir das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren.

 

Wenn man sich die real existierenden Parteimitglieder und Funktionäre ansieht, ist das ein ziemlich ehrgeiziges Ziel.

 

Liddle: Man muss deshalb Leute zum Mitmachen motivieren, die nicht Parteimitglieder sind. Wir müssen die Parteien sehr viel mehr öffnen. Wir in Großbritannien diskutieren gerade, ob wir nicht Vorwahlen im Stil der amerikanischen Primaries einführen.

 

 

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