Von Moslems umzingelt

Zum paranoiden Stil der Abendlandverteidiger. Die rechten Moslemhasser sind in Abwehrstellung: Es soll versucht werden, echauffieren sie sich, jede Kritik am Islam zu verbieten. Und ein paar nützliche Idioten von links bis linksliberal springen ihnen auch noch bei und sagen, die These von der „geistigen Mittäterschaft“ sei Unsinn. Aber niemand will die „Islamkritik“ verbieten. Ein der Aufklärung verpflichteter Kritiker jeder Religion – und damit auch des Islam – wird sich nicht einmal angesprochen fühlen, wenn die Verbindungen zwischen Antimuslimismus, FPÖ und anderen Rechtspopulisten und dem Attentäter von Norwegen thematisiert werden. Denn er hat mit denen nichts zu tun, wenn er ein Religionskritiker ist, der der Aufklärung verpflichtet ist (einen tollen Artikel zu diesem Komplex gibt es hier). Im übrigen will ich überhaupt nichts verbieten. Nicht einmal die Hetze der Moslemhasser. Ich will nur, dass man diese politische Position in etwa so respektabel ansieht wie die Ansichten eines Maoisten nordkoreanischer Spielart: Als Ansicht, die schon geäußert werden darf, aber von der jeder weiß, es ist die Ansicht eines Spinners. Und niemand würde sie ernst nehmen. 

Um die Diskussion ein bisschen intellektuell zu grundieren hier ein Kapitel meines Buches „Politik der Paranoia“ aus dem Jahre 2009.  


Unlängst konnte man im der Monatszeitschrift „Le Monde diplomatique“ eine erheiternde Reportage lesen. Johann Hari, Kolumnist der britischen Tageszeitung „The Independent“, hatte sich auf einer Kreuzfahrt eingeschlichen, die das US-Magazin „National Review“ für seine treuesten Unterstützer, ausgesuchte Leser und seine prominentesten Autoren organisiert hat. Das „National Review“ ist eine Institution des amerikanischen Konservativismus und Hari wollte die Gelegenheit nutzen, in entspannter Atmosphäre herauszufinden, was „konservative Leute von sich geben, wenn sie glauben, dass sie unter sich sind“. Zu Beginn stellt er eine alte Dame vor, mit der er auf einem Landausflug, inmitten wunderschöner Felsbuchten, ins Gespräch kommt. „Haben Sie ein Kind, drüben in England?“ fragt ihn diese. Als Hari verneint, macht sie ein strenges Gesicht. „Dann wird es aber Zeit. Die Moslems pflanzen sich unentwegt fort. Bald werden sie ganz Europa haben.“ Solche Momente gibt es auf dieser Reise immer wieder, berichtet Hari: „Wenn ein jovialer Plausch auf einmal umschlägt in – ich kann nicht genau sagen, in was. Ich befinde mich auf einem strahlend weißen Kreuzfahrtschiff mit zwei Restaurants, fünf Bars und 500 Lesern der Zeitschrift National Review. Hier an Bord ist der Irakkrieg ‚ein toller Erfolg‘. Die globale Erwärmung findet nicht statt. Europa wird ein neues Kalifat. Und ich kann nicht weg.“  
Mal dreht sich ein Gespräch um Steuern, mal um die Homo-Ehe, dann wieder um Patriotismus. Aber kaum ein Dialog kommt ohne das eine Thema aus: Die Moslems. Wunderschön sei Paris, erzählt eine distinguierte Dame, um dann mit verdüstertem Gesicht hinzu zu fügen: „Aber dann machst du dir klar: Es ist von Moslems umzingelt. Sie lauern da draußen, und sie werden kommen.“ In den Seminaren, die von einflussreichen konservativen Denkern gegeben werden, dreht sich alles um die eine Causa Prima: den Kampf des freien Westens gegen den „Islamofaschismus“. Unnötig dazu zu sagen, dass allein die konservativen Amerikaner das Zeug dazu haben, diesen Kampf aufzunehmen: „Die Moslems verdammen uns, weil wir dekadent seien; die Europäer verdammen uns, weil wir nicht dekadent genug sind“, erläutert ein Referent. Und Norman Podhoretz, seit bald fünfzig Jahren eine der schrillsten Figuren der neurechten Szene, fügt hinzu. „Ich sage den Leuten immer, wir befinden uns im Vierten Weltkrieg.“
Man darf sich durch die eigenwillige konservative Methode der Weltkriegsnummerierung nicht verwirren lassen – Podhoretz pflegt den „kalten Krieg“ als Dritten Weltkrieg zu verbuchen, sodass er mit dem Kampf gegen die Islamgefahr schon bei Weltkrieg vier rangiert. Doch die überspannte Panik vor den Muslimen ist längst keine Marotte schrulliger amerikanischer Reaktionäre mehr. Der rumänisch-amerikanische Poet Norman Manea spricht von einem „Dritten Weltkrieg“. Mag man in Hinblick auf die Zahl der Weltkriege auch nicht ganz einig sein, in der Sache gibt es keinen Zweifel: der Islamismus ist der neue Faschismus, und die Unterschiede zwischen Islam und Islamismus sind etwa so groß wie zwischen „Terror und Terrorismus“, wie der Chef der rechtsextremen österreichischen Freiheitlichen Partei, Heinz Christian Strache, sagt. Fast wortgleich lehnt es auch der deutsche Radaupublizist Henryk M. Broder ab, zwischen Ahmed-Normalmoslem und dem harten Kern der Selbstmordattentäter groß zu differenzieren: Das erinnert, sagt er, „an das Gerede von der ‚kleinen radikalen Minderheit‘ vor gut dreißig Jahren, als es galt, die RAF zu isolieren – mit dem Unterschied, dass es damals niemanden gab, der auf der Unterscheidung von ‚Terror‘ und ‚Terrorismus‘ bestanden hätte.“  In der schrillen Angstlust vor den muslimischen Horden verbinden sich alte Stockkonservative, neue radikale Rechte, Ultraliberale mit ihrem Widerwillen gegen die linken „Gutmenschen“ und sogar ein paar überspannte Ex-Linke, die glauben, man verteidige die demokratischen Freiheiten des liberalen Westens am besten, wenn man gegen eine Minderheit unterprivilegierter Einwanderer hetzt. Ein Wort ergibt das andere, und wenn einmal eine schöne Metapher gefunden ist, dann verbreitet sie sich wie eine Sturzwelle. Die Europäer merkten gar nicht, „was für eine Tsunami-Welle auf sie zurollt“, hat Broder Ende 2007 geschrieben. Wenige Wochen danach sprach die FPÖ-Politikerin Susanne Winter im steirischen Landtagswahlkampf von einem „islamischen Einwanderungs-Tsunami“ und erklärte markig: „Der Islam gehört dorthin zurückgeworfen, wo er hergekommen ist – hinter das Mittelmeer.“
Das ist zwar normalerweise ein Niveau, von dem sich schöngeistige Schriftsteller abgestoßen fühlen – aber nicht, wenn es gegen die Muslime geht. So spricht der niederländische Autor Leon de Winter von der „multikulturellen Senkgrube“ und von türkischen oder arabischen Brautleuten, die in Westeuropa ankommen, „türkisch oder arabisch abgefasste Formulare ausfüllen, um Sozialhilfe zu beantragen und danach in ihrem eigenen subventionierten Ghetto verschwinden“. Dafür bekam der feine Herr die Buber-Rosenzweig-Medaillie verliehen, einen Berliner Völkerverständigungspreis. 
Im Ton nur eine Prise gemessener fragt Richard Wagner, der deutsch-rumänische Autor: „Sollen wir für Anatolien arbeiten?“  Im längst tobenden Kulturkampf „sind deutliche Worte gefragt“ , wirft sich Wagner in heroische Abwehrkampf-Pose, und folglich ist er um solche deutlichen Worte in seinem Werteverteidigungsmanifest mit dem mäßig eleganten Titel „Es reicht“ keineswegs verlegen. Europa ist von Einwandererhorden bedroht, die sich auch noch schrankenlos fortpflanzen, schüttelt es Wagner, von muslimischen Familienclans und deren notorischer „Inkompatibilität von Herkunftskultur und Ankunftsgesellschaft“. Dass die Familie in Europa nicht mehr zählt, ist für Konservative ein deutliches Vorzeichen des Untergangs – sofern es sich um christliche Familien handelt. Bei den türkischen Großfamilien hört es mit der konservativen Familienfreundlichkeit dagegen ganz schnell auf. Denn türkische Großfamilien dürfen keineswegs als Orte enger Bindung und des Zusammenlebens zwischen den Generationen (alles Dinge, die die Konservativen normalerweise an der Familie preisen) missverstanden werden, sondern sie sind eher so etwas wie Invasionsarmeen, vergleichbar den Reiterheeren aus den Türkenkriegen. Entsprechend geschwollen Wagners Aufruf: „Kommen wir zurück zur Selbstverständlichkeit, mit der Prinz Eugen von Savoyen 1716 in seinem Brief an Graf von der Schulenburg, den siegreichen Verteidiger von Korfu gegen die Osmanen, vom ,gemeinsamen Interesse der Christenheit‘ spricht.“  Bei Broder liest sich das so: „Nach den Niederlagen von Poitiers (732) und Wien (1683) sollen die Europäer nun mit den Waffen der Demografie besiegt werden.“
Liest man zu viel von solch kurioser Abwehrkampf-Prosa, kann man tatsächlich leicht den Eindruck gewinnen, Europa stehe inmitten eines Religionskrieges: hier das christliche Abendland, da die muslimischen Horden. Der Kampf gegen die „Islamisierung“ ist die neueste Lieblingsbeschäftigung rechter Populisten, weil ihnen das Thema ein Entré in Milieus verschafft, die bisher, vielleicht aus sozioästhetischen Gründen, mitrechter Radaupolitik nichts zu tun haben wollten – etwa in die eleganten Villenviertel der Bürgerbezirke, wo die hochtüpierte Notarsgattin lange mit grölenden Skinheads nichts zu tun haben wollte. Heute geht man gemeinsam demonstrieren, wenn es „gegen den Islam“ geht. „Daham statt Islam“, plakatierte die Freiheitliche Partei im Nationalratswahlkampf 2006. „Pro Köln“, lautet der unverfängliche, fast sympathische Name einer Bürgerbewegung in der Domstadt, die gemeinsam mit der neonazistischen NPD gegen Moscheebauten mobil macht. In Wien demonstrierte im Herbst 2007 ein rechter Mob, angeführt von der örtlichen konservativen Volkspartei, gegen eine geplante Moschee. Dabei sollte
es sich nur um eine Erweiterung eines unverdächtigen türkischen Kulturzentrums handeln, keineswegs um eine Gebetsstätte. „Anzünden, anzünden“, rief die marschierende Hetzmasse vor dem Bau, in dem die Türken verschüchtert die Türen verrammelten. Anderntags forderte der ÖVP-Generalsekretär mit dem hübschen Namen Missethon in Richtung Moslems, „die müssten unsere Spielregeln lernen“. Damit war natürlich nicht gemeint, dass die Muslime jetzt auch vor christlichen Kultureinrichtungen aufmarschieren und lautstark drohen sollten, diese niederzubrennen. 
Aber nicht nur in der Brigittenau entzündet sich der Volkszorn an Moscheen, die gar keine sind. So erklärte auch der irrlichternde Rechtspopulist und Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider bevor er im Vollrausch mit 142 km/h mit seinem Dienstauto von der Straße abkam und tödlich verunglückte, er werde Moscheepläne mit Minaretten in seinem Bundesland nicht genehmigen. Das war allein schon deshalb keine besonders mutige Ankündigung, da doch gar niemand den Plan hatte, in Kärnten eine zu errichten. Wie sehr sogar gemäßigte konservative Kreise von diesem Wahn infiziert sind, zeigte sich, als der ansonsten durchaus als zurechnungsfähig geltende niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll erklärte, Minarette seien „etwas artfremdes“. Damit soll natürlich nicht gesagt sein, dass alle Christdemokraten grundsätzlich etwas gegen Moscheen haben. Gar nichts haben die gegen Moscheen, sofern die einen Glockentum haben und ein Kreuz oben drauf.
Der Irrsinn hat seine schöne Zeit, und in den Kreisen der neuen Konservativen findet er einen fruchtbaren Humus. In Dänemark hat ein Verein namens „Stop Islamisering af Danmark“ das Verbot des Koran gefordert und dementsprechend Anzeige gegen die heilige Moslem-Schrift erstattet. Der Verein SOS-Abendland, den der FPÖ-Chef Heinz Christian Strache gegründet hat, fragte erschüttert: „Was ist eigentlich los in Europa, im freien Westen?“ Die Abendland-Retter hatte die Meldung schockiert, in Großbritannien würden die Sparschweine aus den Banken geräumt, „weil sie die religiösen Gefühle der Muslime verletzen könnten, die im Schwein ein unreines Tier sehen“. Blöd nur, dass die Sache völlig frei erfunden war. Die britische Halifax-Bank, um die es dabei ging, stellte dazu fest, „dass wir keine Sparschweine aus unseren Filialen verbannt haben – wir haben sie schon seit Jahren nicht verwendet.“ Weder als Kundengeschenk, noch zur Geldaufbewahrung – man nützt auch in britischen Banken dafür Computer und Tresore. Längst gibt es im Internet eine eingeschworene Gemeinschaft der Kämpfer gegen die „Islamisierung“, gegen „Eurabia“, die „Hinternhochbeter“ (so nennt man in diesen Kreisen die Muslime) oder schlicht den „Migrationsmüll“. 
Die Xenophoben haben den Begriff „Ausländer“ durch „Islam“ ersetzt, man ruft jetzt „Stop der Islamisierung“ statt „Ausländer raus“, was zu erheblichen Modernisierungstendenzen in ihrer Argumentationslinie und ihren Bündnisstrategien führte. Früher waren die klassischen Ausländerfeinde meist Parteigänger neofaschistischer oder rechtspopulistischer Parteien. Damit war praktisch immer einher gegangen: Antisemitismus, ein Ressentiment gegen die westliche Moderne, Abneigung gegen Amerika, Hass auf Israel. Aber anders als diese leicht angemoderten Altrechten sind die neuen Islamophoben keine Antiamerikaner, im Gegenteil, sie sehen sich mit den amerikanischen Neokonservativen, deren Paranoia ihrer eigenen ja tatsächlich sehr ähnlich ist, in einer Front des „Liberalismus“ gegen den islamischen „Totalitarismus“. Den in rechten Kreisen traditionell virulenten Antisemitismus haben sie durch bedingungslose Israelsolidarität ersetzt – klar, schließlich ist Israel von Moslems regelrecht umzingelt und, wenngleich von Juden bewohnt, in der Phantasiewelt der Kämpfer gegen den „Islamofaschismus“ gewissermaßen ein Vorposten des „christlichen Abendlandes“. So proklamiert das Anti-Moslem-Internetnetzwerk „Politically Incorrect“ in seiner Kopfzeile stolz seine Grundsätze: „Pro-amerikanisch – Pro-israelisch – Gegen die Islamisierung Europas.“ Getragen betont man das „jüdisch-christliche Erbe“ gegen den „artfremden“ Islam. 
Noch eines ist bemerkenswert am neukonservativen Islambashing: Man kann damit auch in christlichen Kreisen punkten. Waren die Kirchen wegen ihres Gebots der Nächstenliebe bis zur jüngsten Jahrtausendwende ein Wall gegen die klassische ausländerfeindliche Hetzerei, so stellt sich die Sache ganz anders dar, wenn man einen Kampf zweier religiös-kultureller Traditionen konstruiert. Die christlichen Milieus sind für den Wahn von der „Islamisierungs“-Gefahr viel anfälliger als sie es für die „Ausländer-Raus“-Slogans waren. Nach dem 11. September 2001, als die dschihadistische Terrorsekte al-Qaida Passagierflugzeuge in das World Trade Center und das Pentagon jagte, vermischte sich die Auseinandersetzung mit dem militanten Islamismus sehr schnell mit einer Religionskriegs-Rhetorik. „Wir sollten in ihre Länder einfallen, ihre Führer töten und sie zum Christentum bekehren“, schlug die neurechte Kampf-Polemikerin Ann Coulter schon kurz nach den Anschlägen von New York und Washington vor. In der Phantasiewelt der neuen Konservativen vermengt sich alles: Terrorismus mit Integrationsschwierigkeiten, der Patriarchalismus türkischer Familien, der demografische Wandel in Europa, die Abtreibungsdebatte, die Diskussionen um Krieg und Frieden. Alles wird über einen Kamm geschoren und in einen windschiefen Deutungsrahmen gepresst bis sich die Lage für neukonservative Gemüter so darstellt: Wir haben die Aufklärung und die Toleranz erfunden, die anderen sind intolerante Heißsporne. Wir werden weniger. Die werden mehr. Wir sind feige, „die“ sind gefährlich. Also müssen wir auch wieder richtig kriegerisch werden. Damit wir die Aufklärung gegen „die“ so richtig schneidig verteidigen können. Und wer nicht mitmacht, kommt nach Guantanamo. So wurde eine neue Geisteshaltung erfunden: die der aufgeklärten Intoleranz, Vorstufe zum plumpen Hass. Da kann es schon vorkommen, dass noch der rustikalste bayrische CSU-Pascha regelrecht zum Feministen wird: Wenn es um Kopftuchträgerinnen und in ihren Familien gegängelte Türkenmädchen geht, entdeckt selbst der letzte Macho aus dem Hinterwald sein Emanzenherz.
Dass sich dieser kampfeslustige Kriegsjargon mit panischen Untergangsphantasien mischt, ist eine der hübscheren Seltsamkeiten dieser politischen Pathologie. Das Christentum wird beschworen, aber ohne das schöne Basisprinzip der Evangelien, das schließlich lautete: „Fürchtet Euch nicht.“ Die neukonservativen Christentumsverteidiger fürchten sich nämlich ständig. Wer einen Zwei-Tage-Bart trägt und irgendwie fremd aussieht, der könnte schließlich einen Bombengürtel unter dem Hemd tragen. Wenn ein Ausländerkind im Park zu laut Fußball spielt, dann ist das neuerdings nicht mehr der Türkenbub, sondern der Moslem, der „nicht zu uns passt“. Und da Muslime mehr Kinder bekommen als die durchschnittliche europäische Wohlstandsfamilie, werden sie einmal in der Mehrheit sein und wir in der Minderheit. So fordert der ultrakonservative Salzburger Erzbischof Andreas Laun, man solle „christliche Einwanderer ins Land holen“, weil sonst „die Moslems aus Europa ein durch und durch islamisches Land machen“. Auch unter vernunftbegabteren Kirchenführern sieht man das grassierende antimuslimische Ressentiment durchaus als Gelegenheit, die eigenen Bataillone etwas besser aufzustellen. Katholische Denker überbieten sich neuerdings geradezu darin, den Islam als prinzipiell gewalttätige, das Christentum als grundsätzlich friedliebende Religion darzustellen, die aus sich heraus die Werte der Aufklärung, der Toleranz und die Säkularisierung entwickelt habe, als wären ihr diese nicht von den Aufklärern abgerungen worden – wofür die meisten übrigens Verfolgung durch den Klerus und seine staatlichen S
chutzmächte erdulden mussten. Man feiert die „Renaissance der Religionen“ und hofft in deren Zuge darauf, Europa, der „säkulare Kontinent“, könne seine „christliche Identität“ wieder schätzen lernen – in Abgrenzung zu den bösen Moslems. „Den Kulturen der Welt ist die absolute Profanität, die sich im Abendland herausgebildet hat, zutiefst fremd“, schrieb etwa Papst Benedikt XVI., als er noch Kardinal war. „Insofern ruft uns gerade die Multikulturalität wieder zu uns selbst zurück“, gibt sich der katholische Chefideologe überzeugt – „auf das christliche Erbe unseres Kontinents“. Darüber hinaus könnten Kulturkonflikte mit Angehörigen anderer Religionen die Glaubensintensität der Christen selbst wieder steigern, glaubt man in den Kreisen klerikaler Marketingstrategen. Studien zeigten immerhin, dass etwa in Großbritannien der Anteil derer, die sich selbst als „Christen“ bezeichnen, in Vierteln mit hohem Anteil an muslimischen Migranten signifikant ansteigt. 
Anders gesagt: Das Moslem-Bashing hilft, das eigene Profil zu schärfen. Am rechtskatholischen Narrensaum ist man längst mit Verve bei der Sache. Weil die „lauen, kraftlosen Christen des dekadenten Westens“ nichts gegen den „Baby-Holocausts“ unternehmen, werden die Muslime bald die „Schlacht der Penisse“ gewinnen, graut es den Machern des Internet-Portals „kreuz.net“. Dabei enthalte der „Kampfschrei der Moslems gegen den ‚gottlosen Westen'“ auch eine Wahrheit, geben die krausen Christen zu bedenken: „Sind wir nicht wirklich dekadent?“ Bei aller Panik vor den „Muselmanen“ wird manches Gute bei an ihren Aktivitäten gewürdigt: Etwa wenn in einer zwielichtigen Dschihadisten-Zeitung Homosexuelle attackiert werden – „Homo-Perverse“, wie man in den geistigen Katakomben der Ultrakatholiken meist sagt. „Homo-Unzüchtige seien auch häufiger von Krebserkrankungen betroffen“, zitiert kreuz.net und fügt zustimmend hinzu: „Darum empfiehlt der Artikel, einem Sodomisten nicht mehr die Hand zu geben: ‚Man weiß nie, was für Bakterien und Keime sich an seiner Hand befinden.'“
Prima, mit solchen kämpftenden Christen werden in neukonservativen Zirkeln neuerdings gemeinsam die „westlichen Werte“, Aufklärung und Säkularismus verteidigt. Der Gerechtigkeit halber sei hinzugefügt: Es kommt immer vor, dass ein paar Irre auf einen Zug aufspringen, dem Diktum des ultrareaktionären kolumbianischen Autors Gómez Dávila entsprechend: „Die Parteigänger einer Sache sind in der Regel die besten Argumente gegen sie.“ Gewiss sind die verstockten Reaktionäre vom rechten Kirchenrand nicht für die Durchschnittchristen repräsentativ und diejenigen, die den Radikalismus oder etwa das anachronistische Verhältnis zu Frauenrechten kritisieren, wie sie in Teilen der moslemischen Welt anzutreffen sind, sind nicht für den bunten Kessel an Spinnern verantwortlich, die beim Moslembekämpfen mitmachen wollen. Und es ist auch nicht zu leugnen, dass unter Muslimen nicht tatsächlich radikaler Wahn grassiert: Der 11. September war das Werk militanter Islamisten, und viele Menschen in der islamischen Welt hegten lange offene oder klammheimliche Sympathie für die Terroristen. Der moslemische Furor, wie er sich im Karikaturenstreit manifestiert ist offenkundig, ebenso die patriarchale Unterdrückung in traditionsverbundenen Einwandererfamilien, die im Einzelfall bis zu „Ehrenmorden“ gehen kann. All dies darf nicht hingenommen werden und was „nicht hinnehmen“ heißen kann, darüber muss diskutiert werden. Es wird wohl ein kluger Mix an Politik gebraucht: eine Stärkung der der modernistischen und säkularen Kräfte in der muslimischen Welt, Hilfe für die Kinder aus deklassierten Einwandererfamilien, damit sie dem Kreislauf aus Armut, Chancenlosigkeit und Radikalisierung entkommen – aber auch einen entschlossenen Kampf um die Werte des säkularen, westlichen Staates und, wenn nötig, polizeiliche Härte, wenn es um Verbrechen geht, ja als ultima Ratio auch Kriege, wenn Terroristen Massenmorde begehen oder gar an nichtkonventionelle Waffen herankommen wollen. All das braucht kluge Abwägung. Weder dürfen wir Dinge, die wir in anderen Fällen als Menschenrechtsverletzungen charakterisieren würden, als „kulturtypisch“ für den Orient bagatellisieren, noch ist es ratsam, alle Muslime zu Terroristen oder deren Sympathisanten zu stempeln. Das würde, erstens, mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben und zweitens wäre es auch keine Erfolg versprechende Strategie, Menschen unter Generalverdacht zu stellen und fortwährend zu diskriminieren, wenn man sie für die eigenen Werte der Toleranz und des Liberalismus gewinnen will. 
Es braucht, kurzum, einen klaren Blick auf die reale Welt. Klingt betulich und so pragmatisch, dass es schon wieder fad ist? Macht nichts: Die Wirklichkeit ist nun einmal komplex, und Lösungen, die faszinierend einfach klingen, sind in aller Regel zu simpel, um mit den Problemen der wirklichen Welt zu Rande zu kommen. Freilich, eine solche vernünftige Haltung wird von den neuen Konservativen schon als gefährliche Abwiegelungs-Strategie, als Einknicken vor dem „Islamofaschismus“ verunglimpft. Der leiseste Versuch, zu ergründen, warum in manchen Weltgegenden die US-Armee nicht als bewaffneter Arm von Amnesty International angesehen wird, gilt den neuen Konservativen schon als verdammenswertes „Appeasement“. Ein perfider Vorwurf übrigens: Denn „Appeasement“, zu deutsch: „Beschwichtigungspolitik“, nannte man in den dreißiger Jahren den untauglichen Versuch britischer Staatsführer, der Aggression des deutschen Nazi-Regimes mit Diplomatie zu begegnen. Sie hatten nicht verstanden, dass einer wahnhaften rassistischen Welteroberungspolitik nur mit militärischer Gewalt beizukommen ist. Die neuen Konservativen bezeichnen nun alle Versuche, mit anderen Mitteln als mit Waffen auf Gefahren zu reagieren, als solch wankelmütiges Geschwächle. Jeder Versuch, der Diplomatie eine Chance zu geben, und jeder Hinweis, dass Gut und Böse in der realen Welt nicht immer eindeutig und klar verteilt sind, wird mit dem Appeasement-Vorwurf abgeschmettert: Egal, ob es um autoritäre Regimes wie das von Saddam Hussein geht, um antiwestliche Fundamentalisten wie die Hamas in Palästina oder die Hisbollah im Libanon, um das iranische Atomprogramm um die autokratischen und neoimperialen Tendenzen in Wladimir Putins Russland, um gewalttätige Jugendbanden in Neuköln oder um serbische Warlords in Bosnien, um gescheiterte Staaten in Afrika oder um herrschsüchtige Türkenpaschas in Ottakring – wer nicht ohne Wenn und Aber für’s Draufhauen ist, der betreibt „Appeasement“, so der Tenor der militanten Abendlandverteidiger. Ganz nebenbei wird dabei übrigens auch das Nazi-Regime bagatellisiert, denn jedes globale oder lokale Problem, mag es durchaus erst- oder auch zweitrangig sein, wird sofort moralisch auf eine Ebene mit jener Terrorherrschaft gestellt, die den größten Völkermord der Geschichte verbrochen hat. „Am aktuellen Appeasement arbeiten die Gutmenschen aller Art“ , schreibt der Schriftsteller Richard Wagner, dem man einst ein weniger plumpes Verhältnis zur deutschen Sprache nachsagte. Weil linksliberale Abwiegler nicht bedingungslos jeden Krieg des Westens gegen den Rest der Welt unterstützen, halten uns islamische Fundamentalisten mit Recht „für schwach, dekadent und nicht einmal bedingt abwehrbereit“, klagt Henryk M. Broder.  Den Bedenkenträgern fehle es einfach an Entschiedenheit, meint auch Ann Coulter, die langmähnige amerikanische Ultrakonservative, die wenigstens nicht vorgibt, sich an irgendwelchen schriftstellerischen oder intellektuellen Standards zu orientieren. „Gefährliche Regime, die von verrückten Leuten regiert werden und Probleme machen, ja, ich finde, wir sollten sie niederhauen“, lautet ihr Vorschlag. Aber diese frische, heroische Entschlossenheit, können die vergreisten und verzärtelten Europäer einfach nicht verstehen, meint auch Robert Kagan, einer der führenden amerikanischen neokonservativen Publizisten: „Die Europä
er sind von der Venus, die Amerikaner sind vom Mars.“ Soll heißen: Die Europäer verhalten sich, als würden sie den Planeten der Liebensgöttin bewohnen, die Amerikaner dagegen, als würden sie auf dem Planeten des Kriegsgottes leben. Selbstverständlich, so legt Kagans einfältige Dichotomie nahe, ist die raubeinige, martialische Mentalität der Amerikaner der Realität einer gefährlichen Welt viel angemessener als die gemessene Verständnishuberei der Europäer. Jahrelang hat Kagan die Propagandatrommel für den „Krieg gegen den Terror“ gerührt und jetzt, wohl weil dieser so ein toller Erfolg wurde, will er den Westen in eine neue Schlacht führen und den Kampf gegen die autokratischen Großmächte Russland und China aufnehmen. 
Sagen wir es offen: Die neukonservativen Haudrauf-Publizisten haben in ihrer Problemanalyse nicht durchweg unrecht. Der islamische Fundamentalismus ist tatsächlich ein globales Problem, und viel zu viele Muslime sind vom Virus des Radikalismus infiziert. Es ist auch gewiss nicht nur eine Freude, Bürger einer un- oder halbdemokratischen Autokratie wie Russland oder China zu sein. Zudem sind diese beiden Großmächte Rivalen des Westens im Wettbewerb um Märkte und Rohstoffe geworden. Aber das Verständnis der neuen Konservativen für politische Prozesse ist, um es freundlich auszudrücken, unterkomplex. In ihrer Phantasie-Ideologie stellt sich die Welt in etwa so dar: Der Westen hat liberale Demokratie, Freiheit und Marktwirtschaft verwirklicht. Doch da und dort gibt es Leute – antiwestliche Staatsführer, verhetzte Massen, oder gar irgendwie Andersartige – die uns unsere Lebensart vermiesen wollen. Sie verstehen nur die Sprache der Gewalt. Aber es gibt eine Möglichkeit, die Probleme aus der Welt zu schaffen: Man muss nur mit westlichen Armeen in diese Problemzonen einmarschieren, die Bösen wegräumen und die westliche Demokratie und Lebensart exportieren. Dies ist erstens praktikabel und zweitens menschenfreundlich, denn die Mehrheit der Bürger überall in der Welt lechzt danach, von uns befreit zu werden. Mag der Akt der Befreiung für diese Freiheitsliebenden auch etwas unkomfortabel sein – schließlich kommen wir nicht darum herum, ihnen ein paar tausend Sprengsätze auf den Kopf zu werfen und Marschflugkörper um die Ohren zu jagen -, so werden sie das Resultat schon zu schätzen wissen. Zumindest die, die die Befreiung überleben. Kurzum: Sind die üblen Kerle einmal gestürzt und unschädlich gemacht, dann wird alles gut. 
So in etwa sollte das Szenario auch im Irak ablaufen. Aus Gründen, die jeder Mensch, der nicht unter völligem Realitätsverlust leidet, voraussehen konnte, lief die Sache dann doch nicht so rund. Selbst wenn sie mit ihrer diktatorischen Regierung nicht einverstanden sind, funden die Bürger eines Landes es keineswegs nur toll, wenn ihre Nation von einer anderen Macht besetzt wird. Zweitens entwickelt Besatzung ihre eigene Dynamik: Die alte, diktatorische Ordnung zerfällt, doch eine neue, demokratische Ordnung ist nicht leicht zu etablieren. Meist folgt zunächst Chaos, ein Zustand der Herrschaftslosigkeit, ein Machtvakuum, in dem sich Banden, Milizen und Warlords breit machen. Die Besatzungsmacht ist zunehmend Angriffen ausgesetzt: von den Anhängern des alten Regimes, von neuen politischen Akteuren, die aus patriotischen Gründen die „Invasoren“ aus dem Land werfen wollen, von Terroristen, die ihr eigenes Süppchen kochen, oder einfach von Kriminellen, für die das Chaos eine hervorragende Geschäftsgrundlage ist. Bald können die Besatzer kaum mehr unterscheiden, wer sie aus welchen Gründen angreift, ja, ob der Passant, der gerade die Straße überquert ein harmloser Bürger oder ein gefährlicher Feind ist. Man schießt als ersterund fragt erst später. Die Besatzung verroht – den Besatzer. Und diese Rohheit bringt wiederum jene Bürger des besetzten Landes, die lange indifferent die Sache verfolgten, gegen die „Invasoren“ auf. Dass die Besatzer vorgeben, die „Freiheit“ als Geschenk im Gepäck mitzubringen, finden die Bürger des besetzten Landes bald nur mehr lachhaft. Drittens führt die Diskreditierung jedes Versuchs, andere Mentalitäten und Kulturen zu verstehen, schnell zu einem Tunnelblick: Man verweigert sich der bloßen Vorstellung, dass andere die eigenen „guten“ Absichten nicht als selbstlose Freundlichkeit verstehen könnten. Man ist zwar martialisch, gibt sich kriegerisch entschlossen und wirft sich gegenüber den Bösen in die Drohgebärde, aber man droht ja für das Gute, man bombardiert zwar, doch für eine friedliche Welt und, ja, im Notfall foltert man für die Liberalität. Und dann ist man echt verwundert, dass Fremde das eigene Vorgehen als aggressiv, bedrohlich, einschüchternd wahrnehmen. Dabei ist durchaus erwägenswert, dass manche Regime aggressive Handlungen nur deshalb begehen, weil sie sich bedroht fühlen – beispielsweise, dass sie alles unternehmen, um in den Besitz einer Atombombe zu kommen, weil sie glauben, die Weltmacht des Guten so vor einer Invasion abschrecken zu können. 
Es ist fast ein Treppenwitz, über den man herzhaft lachen könnte, wenn er nicht so traurig wäre: Weil die neuen Konservativen besessen sind von der Vorstellung, wir lebten in einer gefährlichen Welt, in der die Probleme-Macher nur mit militärischer Entschlossenheit in die Schranken gewiesen werden können, produzieren sie oftmals erst viele Probleme und Gefährdungen. Sie lieben martialische Töne und wundern sich, dass es aus dem Wald schallt, wie man in ihn hinein ruft. Sie erklären ganze Gesellschaften zu einem Hort des Bösen, und sind ganz betroffen, dass ihnen aus diesen keine Zuneigung entgegenschlägt. Sie imaginieren eine Welt, in der hinter jeder Ecke eine Gefahr droht, gegen die man nur gerüstet ist, indem man sich bis an die Zähne bewaffnet – und machen die Welt dadurch erst richtig gefährlich. Die neuen Konservativen sind, was immer sie sich subjektiv einbilden mögen, eine Gefahr für die Freiheit, den Frieden und die Liberalität. 
Übrigens soll man die subjektiv guten Absichten der neuen Konservativen keineswegs überbewerten. Selbstverständlich wäre es übertrieben, sie als Menschen mit hehren Zielen darzustellen, die bloß irregeleitet sind und die Untauglichkeit der von ihnen favorisierten Mittel nicht einsehen, als liebenswürdige Narren sozusagen. Denn es sind gerade und vor allem diese Mittel, in denen sich die Eigentümlichkeiten der neuen Konservativen erweisen. Die neuen Konservativen sind Schreibtischgeneräle, Möchtegernmachos, die sich Kriege ausdenken, für die andere sterben müssen. Obwohl die Konservativen die Schlachtfelder, auf die sie andere kommandieren, nie betreten, fühlen sie sich doch sehr männlich, wenn sie von ihren Offices aus die Welt mit ihrem Jargon des Einmarschierens, Draufhauens, des entschieden Zupackens überziehen. Sie sind auf seltsame Weise fasziniert von ihrer eigenen Rhetorik der Härte, sie sind ganz ergriffen von den Gefährdungen, die sie sich in ihren Schreibstuben ausmalen, von den Abenteuern, die sie in ihren Phantasien ausleben. Sie sehnen sich nach einem „Ernst“ des Lebens, nach Situationen, in denen ihre Männlichkeit noch einer existenziellen Prüfung unterzogen werden könnte. Ihre gesamte politische Publizistik ist ja, wie wir schon gesehen haben, von Kriegsmetaphern durchzogen, etwa wenn sie die Härte des Wirtschaftslebens preisen, den Kampf jeder gegen jeden am freien Markt, den sie sich als einen gefährlichen Ort phantasieren, an dem die Gesetze des Dschungels herrschen. Die irre Welt der neuen Konservativen ist nicht zuletzt eine Männerphantasie, und auch wenn sich zwischen den Schreibtischsheriffs gelegentlich eine Frau findet, so ist diese doch mehr eine Projektionsfläche des Männlichkeitsideals, vergleichbar der Revolverheldin Calamity Jane im Wilden Westen, die zwischen all den Banditen, Raubeinen, Gangstern und schießwütigen Gesetzeshütern auch nur die Ausnahme darstellte, die die Regel zu ihrer Bestätigung braucht. 

Das Lied von der männlichen Härte, das die neuen Konservativen in hohen Tönen singen, ist freilich eines der bedrohten, der verunsicherten Männlichkeit. Daher der Spott über das „verweichlichte“ Europa, daher auch der Hass auf den Feminismus, der Männer angeblich „feminisiere“. Nicht selten erwecken sie den Eindruck von Muttersöhnchen, die unbedingt einmal etwas Aufregendes erleben wollen. Es geht da um Politik, gewiss, aber auch um die emotionale Struktur derer, die sich von so etwas leicht fesseln lassen: da ist die Faszination vor dem Raubeinigen, die Bewunderung für die Entschiedenheit dessen, der nicht nach rechts und links schaut und keine Bedenken kennt. Und da ist auch der Widerwille gegenüber einer komplexen, komplizierten Welt, in der die einfachen Lösungen des einsamen Helden nichts mehr zählen. Der neue Konservativismus ist auch eine eigene Art politischer Ästhetik. Seine Protagonisten verachten den Diplomaten wegen dem Unheroischen, das er repräsentiert, und sie lieben den Marlboro-Mann, der sich den Weg freischießt und in den Sonnenuntergang reitet. Sie lieben die Ästhetik der Härte, auch wenn diese schon von der Ferne als groteske Maskerade zu erkennen ist: Geradezu ein Sinnbild dafür war es, als sich der damalige US-Präsident George W. Bush wenige Wochen nach Beginn des Irakkriegs in Air-Force-Uniform auf einem Flugzeugträger zeigte. Jener George W. Bush, der sich sogar um den Dienst bei der Nationalgarde drückte und in seinem Leben höchstens mal riskierte, betrunken die Stufen runterzufallen. 
Aber die wirkliche Welt ist kein Boxring, und sie ist auch kein Dschungel. Mit dieser Politik der hemdsärmligen Härte kann man das liberale, auf Gleichheit, Gerechtigkeit und Respekt begründete Wertefundament des Westens nicht verteidigen – im Gegenteil, sie untergräbt diese Werte. Gewiss muss auch in Richtung eines blauäugigen Pazifismus gesagt werden: Es hat in der Vergangenheit und es wird auch in Zukunft Fälle geben, wo man in allerletzter Konsequenz nicht umhin kommt, diese Werte mit Waffengewalt zu verteidigen – wo man Blutsäufern und Menschenschindern in den Arm fallen muss. Aber eine Politik der ständigen Drohungen, des Einmarschierens, des Einschüchterns wird das System der liberalen Demokratie des Westens nicht gerade attraktiv machen. Und die demokratischen Rechtsstaaten werden nicht an Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn sie fortgesetzt auf das Recht des Stärkeren setzen. Man überzeugt niemanden von der moralischen Überlegenheit der eigenen Werte, wenn man ihn fortwährend diskriminiert. Umgekehrt gilt dagegen: die liberalen Demokratien des Westens fuhren immer dann am besten, wenn sie sich auf ihre sanfte Macht, auf ihre „soft power“ verließen. Die „Toleranz“ und der „Dialog“ sind keine falschen Werte für verweichlichte Zivilisten, die Konflikten aus dem Weg gehen wollen. Sie sind Werte an sich, aber sie sind mehr als das: Sie sind das Betriebssystem der Demokratie, und so gibt, wer auf sie auch in schwierigen Situationen setzt, immer auch ein Beispiel. Es gab Phasen, da setzte der Westen auf Überzeugung und Vorbildwirkung. In der globalen Ost-West-Konkurrenz wurde ein blockübergreifender Verständigungsprozess in Gang gesetzt, darüber hinaus bestach der Westen durch sein überlegenes System, das Wohlstand und soziale Absicherung für weite Bevölkerungsteile verwirklichte, eine liberale Demokratie aufbaute, in der niemand wegen seiner Meinungen Angst um Leib und Leben haben musste und in dem ungeliebte Regierungen abgewählt werden konnten. Der Westen „führte“ die Welt durch Überzeugung, nicht durch Einschüchterung. Dort, wo er von diesen Prinzipien abwich, stieß er auf heftigsten Gegenwind – etwa in Lateinamerika, wo die USA in den siebziger und achtziger Jahren finstere Diktatoren stützten und mithalfen, demokratisch gewählte Regierungen zu stürzen. Wo er sich aber an diese Prinzipien hielt, gewann er die Blockkonkurrenz als strahlender Sieger – allen voran in Europa, dem Kontinent „von der Venus“. Eigentlich ist es ganz simpel: Man wird die Sache der Gerechtigkeit mit ungerechten Mitteln schwer voranbringen. Man wird die Gewalt nicht aus der Welt schaffen, indem man sie mit Bombenteppichen überzieht. Und man wird die Menschenrechte kaum schützen können, wenn man Menschen gegeneinander aufhetzt. 
Die meisten Menschen verstehen das. Nur die Konservativen, die können das aus irgendwelchen Gründen nicht verstehen. 

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