Dschihad und Pegihad

Die Pegida-Demonstration ist noch einmal gewachsen. Der „Geist von Dresden“ steht gegen den „Geist von Paris“.

taz, 14. Jänner 2014

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Die Schätzungen gehen auseinander, aber eines scheint klar zu sein: Rund 20.000 Leute haben wieder an der Dresdner Pegida-Demonstration teilgenommen. Es gibt also eine Menge Leute, die auch angesichts des Terrors in Paris (wenn nicht sogar wegen desselben) eine „Wir-gegen-Sie“-Strategie bevorzugen. „Abendland gegen Islamisierung“, wie das im verqueren Jargon der Pegihadisten heißt.

Gleichzeitig, und das darf nicht übersehen werden, sind die Dresdner Ereignisse aber auch ein Sonderfall: In Paris haben am Sonntag eineinhalb Millionen, in ganz Frankreich drei Millionen Menschen demonstriert. Und zwar exakt gegen den Geist des „Wir-gegen-Sie“. Es war ein Aufstand der Vernünftigen, getragen von Laizisiten, Christen, Muslimen, Juden, also salopp gesagt des bunten Frankreichs gegen jene, die einen Konflikt eingebildeter Identitäten schüren wollen. Und Montags haben in Deutschland nicht nur die 20.000 Pegihadisten in Dresden demonstriert, rund 100.000 haben in Berlin, Hannover, München und anderswo auch diesen „Geist von Paris“ auf die Straße getragen.

Das ist der Konflikt, der jetzt ausgetragen werden muss. Nicht Morgenland-Spinner versus Abendland-Spinner, sondern die plurale Mitte der Gesellschaft gegen beide.

Dschihad und Pegihad stehen nur in einem scheinbaren Gegensatz, in Wirklichkeit sind sie verfeindete Verbündete – oder, andersrum, verbündete Feinde. Die rechten Abendlandverteidiger und die muslimischen Extremisten haben viele Gemeinsamkeiten, die jedem auffallen sollten, der nicht völlig blind ist. Beide hängen eingebildeten Identitäten an: Hier die Dschihadisten-Identität, die sich eine Geschichte zusammenphantasiert, die bis zum Propheten und seinen Gefährten zurückreicht, da die christlich-europäischen Identitäts-Freaks, die sich in die Türkenkriege zurückphantasieren; überhaupt die Vorstellung, eindeutiger, klarer kultureller Identitäten; Antimodernismus und völlig geschlossene Weltbilder, die in einem regelrechten Tunnelblick enden. Sie sollten nicht gegeneinander demonstrieren, sondern miteinander. Sie sind Fleisch vom selben Fleisch. Sie brauchen sich auch gegenseitig: der Islamismus bezieht seine Attraktivität unter jungen Leuten aus der Diskriminierung, der Rechtsradikalismus aus dem Extremismus mancher Muslime. Beide stünden ohne Polarisierung und ohne den jeweils anderen ziemlich verloren da.

Natürlich, die Pegihadisten von Dresden köpfen niemanden – das tun die meisten Salafisten jedoch auch nicht. Aber beide Seiten haben eben ihre Ultraradikalen, die in ihrem Geist dann töten: Was für die eine Seite die Kouachi-Brüder und Konsorten, sind auf der anderen Seite Breivik, NSU oder Leute, die Brandsätze auf Asylbewerberheime werfen. Damit soll übrigens der Unterschied zwischen bloßem Wahn und Mord nicht verwischt werden. Aber auf beiden Seiten schüren die Gerade-noch-Friedlichen ein Klima, von dem sich die Gewalttäter ermutigt fühlen können.

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Und noch eine Klarstellung: Natürlich kann man „verstehen“, welches Emo-Amalgam die jeweiligen Akteure und Mitläufer umtreibt. Pegida gäbe es in dieser Form nicht, würde sich nicht nackte Ausländerfeindlichkeit, die Reserviertheit gegenüber einer pluralen Gesellschaft mit allgemeinem Frust, Zukunftsangst, Zorn auf „die Politik“ und dem weitverbreitenen Gefühl verrühren, dass „die Eliten den normalen Leuten gar nicht mehr zuhören“. Natürlich kann man das verstehen, sofern verstehen nicht mehr heißt als Psychodynamiken zu verstehen, so wie der Analytiker die Psychosen seines Patienten versteht. Man kann das nicht nur verstehen, man muss das sogar, wenn man wirksame Gegenstrategien ergreifen will. Das selbe gilt aber natürlich auch für den radikalisierten jungen muslimischstämmigen Dschihadfan, den Diskriminierungserfahrungen, Entwurzelung, das Gefühl, keine Chance zu haben, für die Idee empfänglich macht, ein rigide verstandener Islam sei erstens die primäre Quelle seiner Identität und zweitens die einzige Möglichkeit, seine Schwäche in eingebildete Stärke zu verwandeln. Auch das kann man „verstehen“. Man kann (und muss sogar) jeden Unfug „ernst“ nehmen, sofern er nur auf eine nennenswerte Zahl von Menschen Einfluss hat. Das ist ja nicht der Punkt.

Man muss auch nicht einmal jede Berechtigung der jeweiligen Gedankenreihen bestreiten: So wie es die Diskriminierung und die antimuslimischen Ressentiments (die der Dschihadist instrumentalisiert), ja tatsächlich gibt, so existieren natürlich auch Integrationsprobleme oder Krisenerscheinungen unserer Demokratie wirklich (auf die der Pegihadist rekurriert). Nur lösen beide das Problem nicht – sie sind Teil des Problems und machen alles nur noch schlimmer. Und auf diesen wichtigen Schlüsselsatz sollte man dann doch nicht vergessen.

Beide sind verbündete Antipoden in einem Aufschaukelungszusammenhang, sie schrauben gemeinsam an der Eskalationsspirale, und die Panik, die angesichts dessen viele Leute packt, lässt den Eindruck entstehen, dass die Vernunft überhaupt keine Chance mehr hat. Gerade deshalb ist es so wichtig und ermutigend, dass in Paris, Leipzig, Hannover, München und vielen vielen anderen europäischen Städten die Vernünftigen den Arsch hochgekriegt haben.

Kurzum: Wer die „westlichen Werte“ verteidigen will – die in Gänsefüßchen gut aufgehoben sind, weil der verteidigungswürdigste Wert die Akzeptanz von Wertepluralismus ist -, der muss gegen beide Seiten zugleich kämpfen: Gegen einen rigiden Islamismus und gegen Rassismus und Islamophobie. Mag sein, dass das angesichts der eskalierenden Wirrköpfigkeit keine leichte Aufgabe ist, aber doch sollte es nicht so schwierig sein, wie es manchen heute scheint. Man kann den Islamismus ablehnen, ohne gleich jeden Muslim unter Generalverdacht zu stellen. Man kann den Terrorismus bekämpfen und gleichzeitig die Kopftuchträgerin gegen Anfeindungen in der U-Bahn verteidigen. Man kann den Rassismus bekämpfen ohne die Gefahr des Islamismus kleinzureden. Man kann auch verstehen, weshalb der Islamismus als Identitätsangebot unter deklassierten jungen Muslimen so attraktiv ist, und ihn dennoch bekämpfen. Man kann für sich die Richtschnur zurechtlegen: Beim paranoiden „Wir-gegen-Sie“ mache ich nicht mit.

Wir haben nichts zu fürchten außer die Mutlosigkeit der Vernünftigen.

Ein Gedanke zu „Dschihad und Pegihad“

  1. Danke für den Post, mir kam auch das Kriegsursachenmodell in den Sinn, das Klaus Theweleit in „Der Knall“ beschreibt. Fanatiker auf beiden Seiten (und Rüstungs- und Surveillancelobby) reiben sich die Hände, weil sie durch ihren Konflikt die demokratische Mitte (ihren eigentlichen gemeinsamen Feind) zermalmen. Und die Chef-Überwacher wittern Morgenluft, welche Ironie, dass ausgerechnet jemand, den die Überwacher eigentlich eh nicht unbedingt und prioritär schützen würden, denn ein kritisches Satiremagazin sollte man ja wohl eher überwachen als schützen, den Anlass gibt, die VDS wieder einzuführen.

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