Wie die „Springer“-Presse Yanis Varoufakis zum Judenfeind macht

Yanis KFDer griechische Finanzminister sei ein Antisemit, weil er einen ganz bösen Juden gut findet. Sie werden überrascht sein, wer damit gemeint ist. Ein Lehrbeispiel rechter Propagandalügen.

In den dunklen Seiten des Internets, rechter Blogs und Stürmers Springers Kampfpostillen ist gerade kein „Argument“ blöd genug, um die Schrecklichkeiten der Syriza-Minister anzuprangern. Eine besonders lustige Variante durfte man dieser Tage erleben: Da enthüllte ein antisemitisches Hetzblog, dass die „Syriza-Regierung von George Soros kontrolliert“ wird – weil Finanzminister Yanis Varoufakis immer wieder anerkennend über den Investor, Mäzen und Denker Soros spricht. Dabei hatte tags davor in Springers „Welt“ ein Nachwuchs-Agitprop-Autor Namens Thomas Weber noch herausgefunden, dass Varoufakis ein ganz fürchterlicher Antisemit ist („So judenfeindlich sind Tsipras und seine Leute“).

Wir dürfen also feststellen: Die Syriza-Leute sind Antisemiten, die von den Juden kontrolliert werden. Wahnsinn! Dass das nicht gleich aufgefallen ist.

Man könnte einfach darüber lachen und sollte es wohl auch. Da aber im Zitierkartell deutscher Neokons, die sich offenbar gerade zur üblem Nachrede gegenüber der Syriza-Regierung verschworen haben, das Spiel so abläuft, dass der eine hanebüchene Vorwürfe formuliert, und davon dann alle anderen abschreiben, und zwar ohne die Vorwürfe auch nur zu prüfen, wollen wir sie uns genauer ansehen. Das ist ja eine der übelsten Praktiken in dem Spiel: Wenn einer einmal etwas in einer Zeitung geschrieben hat, dann schreibt der nächste, wie zum Beispiel heute Jan Fleischhauer in „Spiegel-Online“, die „Welt“ habe „dargelegt, wie weit die Judenfeindlichkeit bei Tsipras und seinen Leuten geht“. Das heißt: Das ehrabschreibende Gerücht gilt dann plötzlich schon als wahr, nur weil es in einer Zeitung gestanden hat. Das ist ja eine üblichen Praxis der Denunzianten.

blogwert

Worauf stützt sich also der Vorwurf? Im Grunde auf nicht viel. Yanis Varoufakis, der ja nicht nur ein weltläufiger Mann ist, sondern auch australisch-griechischer Doppelstaatsbürger, hat in einer australischen Radioshow einmal die Mauer, die Israel von den besetzen Gebieten trennt, ein „Beton-Monster“ genannt. Darüber hinaus hat er noch ein paar andere Dinge gesagt, die jeder nachlesen kann und die in etwa der Haltung entsprechen, die auch die israelische Friedensbewegung einnimmt oder die bedeutendste seriöse Zeitung in Israel, Haaretz, in ihren Kommentaren vertritt. Ganz gewiss ist das nicht die Haltung, die von der israelischen Rechten oder Premier Benjamin Netanjahu vertreten wird. Aber nichts von dem, was Varoufakis sagte, kommt auch nur in die Nähe des antizionistischen Unsinns, den etwa Abgeordnete vom linken Rand der deutschen Linkspartei von sich geben, um nur ein Beispiel zu nennen.

Das hätte auch der „Welt“-Mann wissen müssen – nein, er weiß es, da er auf die völlig offene Quellenlage sogar verweist, indem er Links legt. Er hat ja diese Links wohl auch geöffnet und die Quellen gelesen. Das heißt: Er hat vorsätzlich ehrabschneidend agiert.

Die australische Chose hatte ein unangenehmes Nachspiel, da die Pressure-Group ICJS eine Kampagne gegen Varoufakis startete: Er sei ein Antisemit, weil er Israels Regierung kritisierte. Dem Radio-Sender SBS war das danach so peinlich, dass er kleinlaut verkündete, ja, Kritik an Israel kann „negative Stereotypisierungen gegenüber Juden verstärken“, und sich für Varoufakis Äußerungen entschuldigte. Sogar die „Australischen Jüdischen Nachrichten“ zeigten sich überrascht, dass Kritik an der israelischen Regierungspolitik „erstmals von herausgehobener Stelle (also vom staatlichen Radio) als Sterotypisierung“ gegenüber jüdischen Menschen bezeichnet wurde.

Nun muss man, um das wirklich beurteilen zu können, eine ganze Fülle von Äußerungen Varoufakis durchlesen. Denn wir wissen ja: Es gibt Leute, die Israel kritisieren, und damit tatsächlich antijüdische Ressentiments schüren wollen, und es gibt Leute, die dasselbe kritisieren, ohne auch nur in den vernünftigen Verdacht kommen zu können, Antisemitismus zu promoten. Es kommt da sehr stark auf die Zungenschläge an. Vorschnelles Freisprechen kann genauso doof sein wie vorschnelles Verurteilen. Wir wissen aber auch: Es ist heute eine beliebte Praxis israelischer Regierungsstellen und ihrer Supporter geworden, jeden Kritiker, wenn er nichtjüdisch ist, als Antisemiten zu denunzieren, und wenn er jüdisch ist als Agenten der Antisemiten mundtot zu machen.

Wenn man Varoufakis‘ Äußerungen zum Thema liest, wird man sehr schnell feststellen, dass er über jeden Verdacht erhaben ist. Erstens weiß er, wovon er redet: Er war schon oft in Israel und auch in den besetzten Gebieten und fühlt sich der israelischen jüdischen Linken verbunden. In Reportagen, die er machte, erklärt er palästinensischen Taxifahrern, die mit der Hamas sympathisieren, dass sie mal nachdenken und begreifen sollen, dass sie Israel erst einmal anerkennen müssen, wenn sie ihre eigene Lebenssituation wirklich verbessern wollen. Er wirbt da einfach für Verständigung und Frieden, wie das jeder macht, der in der Region einen Beitrag zur Reduktion des Hasses leisten will. Man kann das naiv finden oder heroisch, das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass nichts daran auch nur entferntest antisemitisch ist.

Wie die Denunzianten von der „Welt“ arbeiten, sieht man an einem schönen Detailbeispiel. In der heftigsten Passage des Textes wird Varoufakis gar zum Feind „der gesamten Judenheit“ erklärt, weil er sich begeistert über antizionistische Juden äußert, die Israel abschaffen wollen. Das belegt der Autor zwar nicht im Text, aber er legt als Beleg einen Link. Was ist in diesem Link zu lesen? Wer sind diese füchterlichen Juden, über die Varoufakis so begeistert ist?

Der Beweis, dass Varoufakis ein Feind „der gesamten Judenheit“ ist, besteht darin, dass er Bruno Kreisky für einen großartigen Politiker hält. Dazu habe ich nun tatsächlich sogar ein wenig Insiderwissen beizutragen, weil ich daran beteiligt war. Ich habe Varoufakis 2012 ins Bruno Kreisky Forum eingeladen und er hatte sich sehr wohlwollend über die Kreiskysche Reformpolitik und die Leistungen der österreichischen Nachkriegssozialdemokratie geäußert. Er hatte gesagt, so etwas bräuchte Griechenland auch. Hinterher beim Heurigen Zimmermann haben wir noch lange darüber geredet. Ein gemeinsamer Freund hatte Varoufakis dann gesagt, er möge aufpassen, denn auch bei Kreisky war nicht alles Gold was glänzt. Kreisky habe Israel ungerecht kritisiert, sich mit Ex-Nazis als Minister umgeben und außerdem Simon Wiesenthal wüst beschimpft. Varoufakis hatte von all dem natürlich überhaupt keine Ahnung, sich danach aber sofort genau damit beschäftigt. Er schreibt dann in seinem Blog, wie er selbst Wiesenthal bewundert und wie er sich wünschen würde, „die beiden Männer (ie: Kreisky und Wiesenthal) hätten sich nicht dermaßen beschimpft“. Varoufakis stellt dann noch einige Überlegungen zum Verhältnis von Judentum, Sozialismus und Internationalismus im Denken Bruno Kreiskys an um dann zum Schluss zu kommen: „Ich bleibe bei meinem Enthusiasmus für den Mann Kreisky und bin weiter der Meinung, dass das Problem Europas darin besteht, dass wir heute keine Leute seines Formats in wichtigen Positionen haben.“

Wir sehen also: Der griechische Finanzminister ist wirklich ein fürchterlicher Antisemit und Feind der gesamten Judenheit.

Update: 

Mittlerweile berichtet auch das Portal Carta-Info über den Skandalartikel und zwar hier. Es wäre wohl angebracht, dass sich die „Welt“ bei Yanis Varoufakis entschuldigt und den Text von der Website nimmt.

Links

Der Artikel in der Welt

Yanis Varoufakis über die Affäre mit der australischen Radioshow

Yanis Varoufakis über Bruno Kreisky und den Antizionismus

7 Gedanken zu „Wie die „Springer“-Presse Yanis Varoufakis zum Judenfeind macht“

  1. Lieber Herr Misik,

    zu Ihrem Text hier der Fairness halber ein paar Anmerkungen aus der Sicht unserer Autors:

    ”Wie die “Springer”-Presse Yanis Varoufakis zum Judenfeind macht”

    Unser Autor spricht über den radikalen Antizionismus von Varoufakis. Er berichtet sehr wohl, wie er von SBS eingeschätzt wurde (als Zitat!), schreibt aber selber explizit, dass Varoufakis von seinen Intentionen her nicht antisemitisch ist. Interessant, dass Sie dies Ihren Lesern vorenthalten. Sie erwähnen auch nicht, dass es in dem Artikel nicht nur um Varoufakis geht, sondern auch um andere Syrizaleute.

    ”DER GRIECHISCHE FINANZMINISTER SEI EIN ANTISEMIT, WEIL ER EINEN GANZ BÖSEN JUDEN GUT FINDET.”

    Das sagt der Artikel nicht. Der Artikel sagt, dass Varoufakis antizionistische Juden mag. Es geht um die Unterstützung der Position von solchen Juden, “[who] believed strongly that European Jews should not seek refuge in the creation of a nation-state in Palestine, by treating its Arab population as a non-people to be expelled violently, but that they should seek safety and their rightful place within their own European societies. In this sense, Kreisky belonged to a group of internationalist, non-Zionist or even anti-Zionist Jews, which included Albert Einstein and Hanna Arendt. Their view of themselves, as Jews, was that Jewishness is not a racially based identity (of blood and land) but a cultural and spiritual one that does not need the full panoply of a state, with borders, armies etc., in order to preserve itself. So, when he sometimes said that Jews are not a nation, or even a well defined race of people, he was proclaiming his Jewishness as a cultural notion, in sharp contrast to the Nazi-leaning view of a people as constituted by blood and soil.”

    Als nächstes sagt Varoufakis, dass seine eigene Einstellung seinem Griechensein gegenüber der Einstellung von anti-zionistischen Juden gegenüber Israel entspricht.

    Interessant ist auch der Hinweis auf „Nazi-leaning“. Varoufakis tut im Moment so moderat und ausgleichend. Aber er sagt ja hier, dass die jüdische Identität von Zionisten „Nazi-leaning“ sind. Anderswo beschreibt er die deutsche Außenpolitik als von „Neo-Lebensraum“-Plänen getrieben und bezeichnet alle Regierungen, die mit der Troika und/oder EU-Auflagen zusammengearbeitet haben (also die vorherige griechische, andere südeuropäische, die irische Regierung, usw.) als „Quisling“-Regierungen. Wie passt es zum Bild des moderaten und ausgleichenden Varoufakis, dass er politische Gegner immer wieder mit Nazis gleichstellt?

    ”Wir dürfen also feststellen: Die Syriza-Leute sind Antisemiten, die von den Juden kontrolliert werden. Wahnsinn!“

    Siehe oben: Der Autor sagt explizit, dass die Intentionen wohl nicht antisemitisch sind. Und für Beiträge von anderen, nach denen Varoufakis von Juden wie Soros kontrolliert werde, kann er ebenfalls nichts.

    „Wenn einer einmal etwas in einer Zeitung geschrieben hat, dann schreibt der nächste, wie zum Beispiel heute Jan Fleischhauer in “Spiegel-Online”, die “Welt” habe “dargelegt, wie weit die Judenfeindlichkeit bei Tsipras und seinen Leuten geht.“

    Interessant, dass Sie sich auf Fleischhauer stürzen und nicht etwa auf Paul Lendvais Kolumne über „Zeitbomben in Athen“. Die Kolumne ist in „Der Standard“ erschienen, für den Sie selbst ja auch schreiben. Aber dass ein Holocaustüberlebender einen Beitrag mit diesem Titel in Ihrer eigenen Zeitung schreibt, passt natürlich nicht ins Bild, wenn man das Schreckensbild von Springer, Neokons & Co. aufbauen will.

    „Yanis Varoufakis, […], hat in einer australischen Radioshow einmal die Mauer, die Israel von den besetzen Gebieten trennt, ein „Beton-Monster“ genannt. Darüber hinaus hat er noch ein paar andere Dinge gesagt, die jeder nachlesen kann und die in etwa der Haltung entsprechen, die auch die israelische Friedensbewegung einnimmt oder die bedeutendste seriöse Zeitung in Israel, Haaretz, in ihren Kommentaren vertritt.“

    Interessant, dass Sie sich nur diese Sache herauspicken und z.B. nicht darauf eingehen, dass Varoufakis voller Empathie (nur um es noch einmal klarzustellen, da unserem Autor anderswo etwas anderes in den Mund geschoben wird: Es geht um Empathie, also Verständnis oder Einfühlvermögen. Es geht nicht um Sympathie!) über Selbstmordanschläge schreibt oder dass er die Bürger Israels und alle Juden der Diaspora in eine Reihe stellt. Auch wird nicht erwähnt, dass Varoufakis nicht nur von einem „Beton-Monster“ spricht, sondern im Gegensatz zur israelischen Friedensbewegung in der Mauer ausschließlich ein Instrument zum Zusammenklau von Land sieht.

    Sie erwähnen auch nicht, dass Varoufakis für sein „Globalizing Wall“-Projekt mit einem Hamas-Mitglied das Westjordanland bereist hat. Uns ist weder bekannt, dass die israelische Friedensbewegung viel mit der Hamas am Hut hat, noch dass sie mit Empathie auf Selbstmordattentate blickt.

    „Dem Radio-Sender SBS war das danach so peinlich, dass er kleinlaut verkündete, ja, Kritik an Israel kann “negative Stereotypisierungen gegenüber Juden verstärken”, und sich für Varoufakis Äußerungen entschuldigte.“

    Sie liefern keine Beweise dafür, dass die interne Untersuchung bei SBS „kleinlaut“ beigegeben habe. Was gibt es für einen Anlass daran zu zweifeln, dass SBS dies ernst meinte? Davon abgesehen, sagt der Autor doch dann selbst im Artikel, dass Varoufakis von seinen Intentionen her nicht antisemitisch ist (siehe oben).

    „Sogar die „Australischen Jüdischen Nachrichten“ zeigten sich überrascht, dass Kritik an der israelischen Regierungspolitik „erstmals von herausgehobener Stelle (also vom staatlichen Radio) als Sterotypisierung“ gegenüber jüdischen Menschen bezeichnet wurde.“

    Vielleicht sollten Sie dazu einmal den Artikel in der Primärquelle, den „Australian Jewish News“, lesen und nicht nur das inhaltsverzerrende Zitat auf Varoufakis’ Blog. Hier ist die entsprechende Textstelle aus dem Originalartikel der „Australian Jewish News“:

    “[…] Ralph Zwier, also a member of the ICJS executive, told the AJN the apology was significant. ‘It is the first acknowledgment by SBS that portraying Israel in a bad light is the same as negative stereotyping of blacks or women, that it does harm to people.’ He added that SBS’ reaction ‘is an example of a complaints process working at its best’ and said the ABC should emulate it.”

    Hier endet der Artikel. Man muss ja der Einschätzung von Zwier nicht zustimmen. Aber man kann nun wirklich nicht daraus ablesen, dass sich die „Australian Jewish News“ „überrascht” über das Urteil von SBS gezeigt hätten.

    „Es ist heute eine beliebte Praxis israelischer Regierungsstellen und ihrer Supporter geworden, jeden Kritiker, wenn er nichtjüdisch ist, als Antisemiten zu denunzieren, und wenn er jüdisch ist als Agenten der Antisemiten mundtot zu machen.“

    Ja, das gibt es tatsächlich manchmal, aber nicht in diesem Artikel.

    „In Reportagen, die er machte, erklärt er palästinensischen Taxifahrern, die mit der Hamas sympathisieren, dass sie mal nachdenken und begreifen sollen, dass sie Israel erst einmal anerkennen müssen, wenn sie ihre eigene Lebenssituation wirklich verbessern wollen. Er wirbt da einfach für Verständigung und Frieden, […]“

    Dabei handelt es sich wohl um den Bericht über Varoufakis’ Westjordanreise für „The Globalizing Wall“. Zum einen geht es in dem Bericht um ein Hamasmitglied und nicht nur um jemanden, der mit Hamas sympathisiert. Außerdem sagt Varoufakis auch etwas, das etwas anders ist – und auf dieses „Etwas“ kommt es an. Denn Varoufakis sagt dem Hamasmitglied, dass ihnen nichts anderes übrigbleibt, als mit Israel zu reden, da sie nicht die Macht dazu hätten, Israel militärisch zu vernichten. Es ist also lediglich eine taktische Aussage, die besagt, dass Hamas nicht die Macht habe, zu tun, was es tun möchte. Unmittelbar darauf folgt übrigens Varoufakis einfühlsame Schilderung der Sichtweise des Hamasmitgliedes auf den Stand der Dinge.

    „In der heftigsten Passage des Textes wird Varoufakis gar zum Feind „der gesamten Judenheit“ erklärt, weil er sich begeistert über antizionistische Juden äußert, die Israel abschaffen wollen.“

    Nein, das sagt unser Autor nicht. Sie verknüpfen hier zwei separate Aussagen, die nicht unmittelbar verknüpft gehören und die auch auf unterschiedlichen Quellen beruhen. Die Verknüpfung der Bürger Israels und der Juden der Diaspora, also ein Bezug auf „die gesamte Judenheit“ wie der Autor schreibt, bezieht sich auf die SBS-Episode. Die Aussage über seine Begeisterung über nichtzionistische Juden ist aus einer anderen Quelle, was auch deutlich aus dem Artikel hervorgeht.

    Es wird ja nun so getan, als ob – abgesehen von Sakorafa (also der Syriza-EP-Abgeordneten und Hamas-Sympathisantin) – alle bei Syriza ganz moderat gegenüber Israel wären. Wie verträgt sich das damit, dass am 17. Juli 2014 Syriza dazu aufrief, am Abend vor der israelischen Botschaft zu demonstrieren und ein paar Stunden später vor der israelischen Botschaft israelische Fahnen verbrannt wurden? Natürlich kann man argumentieren, dass Syriza da vielleicht etwas außer Kontrolle geraten war. Aber Tsipras und Syriza haben munter weitergemacht. Ein paar Tage später riefen sie erneut zu einer Demonstration auf, auf der dann auch Tsipras selbst mit einem Pali-Tuch bekleidet gesprochen hat. Außerdem nahm er während der Tage an einer antiisraelischen Veranstaltung in Rom teil. Und seine Tweets riefen nicht dazu auf, das Verbrennen israelischer Fahnen sein zu lassen, sondern dazu, gemeinsam Druck auf EU-Institutionen auszuüben – damit sich die EU-Politik gegenüber Israel ändere.

    In dem Artikel geht es also nur darum, den radikalen Antizionismus von Syriza hervorzuheben und davor zu warnen, dass dieser radikale Antizionismus dazu führen wird, dass die griechische Regierung versuchen wird, die EU-Nahostpolitik aus der Bahn zu werfen. Syriza hat ja in den letzten beiden Jahren immer wieder die vorherige Regierung harsch dafür kritisiert, dass sie versuchte, die bilateralen Beziehungen mit Israel zu verbessern. Wenn Syriza nun so tut, als ob sie auf einmal ganz moderat wäre und ein idealer Makler zwischen Israelis und Arabern sei, fällt es schwer, das zu glauben. Natürlich wird manchmal ein Saulus zum Paulus. Aber dass auf einmal Dutzende von Syrizapolitikern über Nacht zu Paulusen geworden sind, erscheint unwahrscheinlich. Eher scheint es so, als ob hier der Bock zum Gärtner gemacht wird.

    Eine grundsätzliche Anmerkung noch zum Ton Ihres Textes: Sie werfen unserem Autor „rechte Propagandalügen“ vor und bezeichnen ihn als „Nachwuchs-Agitprop-Autor“ und „Neocon“. Woher kommt eigentlich dieser aggressive Ton? Für eine sachliche Debatte ist das beim besten Willen nicht förderlich.

    Beste Grüße

    Ulf Poschardt

    1. Lieber Ulf Poschardt,

      ich danke Ihnen für Ihre ausführliche Antwort, die ich für im wesentlichen sachlich halte. Dass Sie sich natürlich auch ein bisschen herausreden wollen im Nachhinein, ist menschlich verständlich, Sie werden aber auch verstehen, dass ich das nicht durchgehen lassen kann. Ich will daher nur knapp ein paar Stellen herausarbeiten, man muss ja nicht in alle Details gehen.
      1. Sie behaupten, Ihr Autor wirft Varoufakis nicht Antisemitismus vor, sondern nur radikalen Antizionismus. Das ist jetzt natürlich schon ein lustiger Trick in einem Artikel, der mit „So Judenfeindlich sind Tsipras und seine Leute“ überschrieben ist und wesentlich und vorwiegend aus Vorwürfen gegen Varoufakis besteht. Nun sagt ihr Autor, wie ich anderswo zwischenzeitlich feststellte, der Titel sei nicht von ihm. Gut, das lasse ich gelten. Shit happens, und dass Redakteure bescheuerte Titel auf Artikel draufpoppen, kommt vor. Macht die Sache aber nicht schöner.
      2. Ist Varoufakis wahrscheinlich – wir wollen unsere Zeit jetzt auch nicht ewig mit Varoufakis-Exegese totschlagen -, nicht einmal ein „radikaler Antizionist“, obwohl ja auch das kein Verbrechen wäre. Ist er aber nicht, soweit ich das sehe. Wer für eine Zwei-Staaten-Lösung und mutal understanding ist, ist kein Antizionist.
      3. Sie sagen, Ihrem Autor war die Fragwürdigkeit der Quelle ICJS bewusst – interessant, dass er sich im Spin dann völlig von der fragwürdigen Quelle treiben lässt.
      4. Sie werfen mir vor, dass ich Fleischhauer als Beispiel für die Kreise, die Ihr Text bereits zieht, ins Treffen führe und nicht Lendvai und insinuieren, ich täte das, weil wir bei der gleichen Zeitung beschäftigt sind. Erstens wäre es keineswegs schlimm, wenn ich das täte, aber es ist einfach so, dass ich erst heute nachmittag erfahren habe, dass Ihnen auch Lendvai auf den Leim ging. Sonst hätte ich genauso gut auch ihn anführen können. Das Frivole ist ja übrigens, dass ihr Autor nur insinuiert, Varoufakis sei ein fürchterlicher „Feind der Judenheit“ und dann auf Antizionisten hinweist, die Varoufakis toll findet. Wie gesagt, das wird nur mit einem Link belegt, und diesen Link hat Herr Lendvai sicher nicht geöffnet. Ich glaube, der Kreisky-Fan Landvai und der Kreisky-Fan Varoufakis würden sich nämlich bestens verstehen, wenn sie sich begegnen würden. Gerade in der Berurteilung Kreiskys dürften sie keine große Differenz haben.
      5. Lesen Sie doch den Text Varoufakis‘ über Kreisky einmal durch. Hier blitzt doch zwischen den Fakten auch sein emotionales Verhältnis zu diesen Fragen durch. Auch seine Empathie für Figuren wie Kreisky und Wiesenthal. Und dann sagen Sie mir bitte, ob Sie die Karikatur, die Ihr Autor von Varoufakis gezeichnet hat, wirklich für guten Journalismus – nein, schlimmer: für zulässigen Journalismus – halten.
      6. Sie fragen mich vorwurfsvoll, warum ich nicht auch die Kritik an anderen Syriza-Funktionären geißle? Das kann ich Ihnen sagen: Weil ich nicht weiß, ob Ihr Autor mit diesen nicht recht hat. Die habe ich nicht recherchiert, also gestehe ich ihm fürs erste einmal zu, dass die möglicherweise richtig sind. Ich konzentriere mich auf die Ungeheurlichkeiten in diesem Text, die ich beurteilen kann. Da es in einer breiten, auch bisschen zusammengewürfelten linken Partei, die aus Modernisten und Altlinken zugleich besteht, sicherlich auch einige antizionistische Dummköpfe gibt, wird das schon so sein. Der Punkt ist: Varoufakis ist keiner von ihnen.
      6. Sie schreiben über meinen Satz, wonach es heute eine beliebte Praxis israelischer Regierungsstellen und ihrer Supporter geworden sei, jeden Kritiker, wenn er nichtjüdisch ist, als Antisemiten zu denunzieren, und wenn er jüdisch ist als Agenten der Antisemiten mundtot zu machen: „Ja, das gibt es tatsächlich manchmal, aber nicht in diesem Artikel.“ Das kann man natürlich leicht behaupten. Ich behaupte: Genau das wird hier betrieben, ihr Autor stützt sich ja eben auch primär auf Gewährsleute, die genau das betreiben.
      Wie auch immer, ich finde, so leicht können Sie sich da nicht herauswinden. Ich verstehe schon, dass Sie die Reputation Ihres Blattes und auch Ihres Autors jetzt irgendwie noch retten wollen, denke mir aber, dass dafür die vielleicht bessere Vorgangsweise wäre, einfach zu sagen: Sorry, wir haben Mist gebaut, entschuldigen Sie, Yanis Varoufakis.
      Fehler macht jeder mal. Ist ja nicht so schlimm. So ein Sorry tut doch gar nicht weh und ist gerade in Zeiten, in denen sich unser Berufstand viel Kritik anhören muss wahrscheinlich die bessere Strategie.
      Mit besten Grüßen, Ihr Robert Misik

  2. Während Sie Varoufakis zurecht verteidigen, blasen Sie doch ins gleiche Horn mit der beiläufigen Unterstellung „antizionistischen Unsinns, den etwa Abgeordnete vom linken Rand der deutschen Linkspartei von sich geben“. Welcher „Unsinn“ soll das sein, oder ist Antizionismus per se Unsinn? Wenn man keinen Sinn darin sieht, ist es natürlich nicht weit, Antisemitismus dahinter zu vermuten, also rücken Sie hier Abgeordnete der Linkspartei auch in die Nähe des Antisemitismus.

  3. Oho, Herr Misik! Sieh einer an – da haben Sie ja glatt Post direkt aus dem Herzen des Propagandaministeriums bekommen. Sie scheinen den Herrschaften von der „Informationswiederbeschaffung“ gehörig auf den Zeiger zu gehen. Bravo! Weiter so!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.