Ein Jahr Propaganda der Lüge, des Hasses und der Herabwürdigung
tageszeitung, Berlin, November 2016
Ich bin schon seit Mittwoch nervös, aber jetzt haben wir es ja gleich geschafft: Morgen, Sonntag, geht die österreichische Bundespräsidentenwahl in die – höchstwahrscheinlich – allerletzte Runde. Nach dem ersten Durchgang im April, der ersten Stichwahl im Mai, nach der Aufhebung des Ergebnisses durch den Verfassungsgerichtshof, nach der Verschiebung des planmäßigen Wiederholungstermins, weil die Briefwahlkuverts auseinander fielen, nun also der endgültige Bundespräsidentenstichwahlwiederholungsverschiebungs-Termin!
Die Leute von den internationalen Fernsehstationen und Reporter aus allen Weltecken stehen sich gegenseitig auf den Zehen, alle laufen natürlich der Story nach: Wählt Österreich einen rechtsradikalen Kandidaten zum Bundespräsidenten? Schafft es Norbert Hofer, der FPÖ-Mann, die Mehrheit zu gewinnen, und gehen dann, nach Brexit-Überraschung und Trump-Schrecken neue Schockwellen (zumindest) durch Europa?
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Es ist ja sehr gut möglich, dass es nicht so kommt. Es ist ja sehr gut möglich, dass der frühere Grünen-Chef Alexander van der Bellen, Hofers Konkurrent, die Mehrheit gewinnt – vielleicht sogar deutlicher als im Mai, als er nur arschknapp mit 31.000 Stimmen Vorsprung gewann. Zigtausende junge und auch nicht so junge Leute haben für van der Bellen Wahlkampf gemacht, die meisten davon Leute, die so etwas noch nie getan haben – es war eine begeisternde zivilgesellschaftliche Grassrootskampagne. Grüne Parteileute, sozialdemokratische Politiker, konservative Bürgermeister, und viele andere mehr haben sich gemeinsam für van der Bellen ins Getümmel geworfen.
Um Hofer zu verhindern. Um den Sieg der Rechtspopulisten zu verhindern. Um die FPÖ aufzuhalten.
Aber selbst wenn das jetzt doch noch gelingt, und nicht vergessen, ich bin schon seit Mittwoch nervös, und das wäre ich nicht, wenn nicht eine große Gefahr bestünde, dass es nicht gelingt, also, selbst wenn das noch einmal gelingt, dann ist natürlich nichts gut.
Hofer wäre verhindert. Aber das ist auch schon Teil des Problems: Sobald die rechten Radauparteien eine gewisse Größe überschreiten, dreht sich praktisch alles um sie. Progressive Parteien führen dann selbst beinahe nur mehr Negativ-Wahlkämpfe, deren implizite Hauptparole lautet: Wählt uns, damit die anderen nicht gewinnen. Auch wenn man mit so etwas wie einem eigenen Weltbild und ein paar eigenen Ideen antritt, schieben diese sich in den Hintergrund. Es geht nur mehr ums Verhindern.
Blickt man auf diesen Wahlkampf, dann ist das so ähnlich wie mit diesen Vexierbildern, die jeweils etwas anderes abbilden, je nachdem, wie man blickt.
Ja, es ist begeisternd, mit welcher Verve zigtausende Leute darum kämpften, den Sieg eines rechtsradikalen Kandidaten zu verhindern, ihr Land nicht vor die Hunde gehen zu lassen. Welchen Spaß sie dabei auch hatten, wieviel Elan sie entwickelten.
Aber zugleich bietet sich auch ein ganz anderes Bild: In einer einjährigen Dauerwahlkampf-Kampagne bombardierte die FPÖ das Land mit Lügen, mit ihren täglichen Verhetzungsgeschichten, mit den Gruselstorys, dass Migrantenhorden plündernd und vergewaltigend durch das Land ziehen, die Lügenpresse die Wahrheit verschweige, die Eliten sich zu einem Kartell gegen das Volk verschwörten, welches nur in der FPÖ seinen Fürsprecher hat.
Je nach Kanal variierte sie diese Botschaften: Via Social Media wurden die Hass-Botschaften verbreitet, die die eigene Stammklientel in eine immer tiefere Paranoia treiben sollen, der willfährige – de fakto mit der FPÖ verpartnerte – Boulevard bereitete die paranoiden Phantasien für die breite Masse auf, und in den Fernsehdebatte verspritzte der Kandidat Hofer sein Gift mit sanfter Miene und Dauerlächeln. In einer Internet-Flüsterkampagne verbreitete man, van der Bellen habe Krebs, und vor laufenden Kameras insinuierte der FPÖ-Kandidat, sein Rivale sei vergesslich und dement, weil van der Bellen langsam spricht und 72 Jahre alt ist. In einem abschließenden Drecksschleudergang behauptete er sogar, der grüne Wirtschaftsprofessor sei in den siebziger Jahren ein Spion gewesen.
Hass schüren, Diskurse zerstören, das Klima aufschaukeln, das Land polarisieren, solange Irrsinniges behaupten, bis niemand mehr die bizarrste Absurdität von der Wahrheit unterscheiden kann – das hat die FPÖ in diesem Wahlkampf schon erreicht, egal wie es am Sonntag ausgehen mag.
Und nach der Wahl ist vor der Wahl. Ab Montag beginnt das Rennen um den Hauptgewinn. Bei der nächsten Nationalratswahl, die spätestens 2018, möglicherweise aber schon 2017 stattfinden wird, will die FPÖ stärkste Partei werden. Die Propaganda des Hasses und der Lügen geht also weiter.
Es gibt in pluralistischen Demokratien kaum eine Möglichkeit, das zu verhindern, und zugleich ist das das Gift, das den Organismus der pluralistischen Demokratie zerstört.