Der Terror des Politischen

Der rote Faden, meine Kolumne in der taz, Juli 2018

Vorgestern in Innsbruck: Matteo Salvini, Faschistenführer und jetzt italienischer Vizepremier, Horst Seehofer und der österreichische Hetzschlumpf, der Politscharfmacher Herbert Kickl von der FPÖ. Und das war nicht die Jahresversammlung des Horrorclowns e.V., sondern der Rat der Innenminister der Europäischen Union, der die drei zusammen brachte. Der wahre Kontrollverlust in Europa ist, dass solche Typen in Ministerämter geraten sind.

Das Abendessen musste kurzfristig verlegt werden, da es in einer Bude gebucht war, die vor kurzem in die Schlagzeilen geriet. Jahrelang war nämlich ein Hitler-Bild im Schankraum gehangen – mit der Adolfvisage zur Wand, aber bei besonderen Geselligkeiten wurde es umgedreht. Zyniker meinen, die Location wurde wohl gemieden, weil da jetzt kein Hitler-Bild mehr hängt.

Seehofer hatte zuvor blödfeixend kundgetan, dass zu seinem 69. Geburtstag 69 Afghanen nach Kabul abgeschoben wurden. Wirklich fies von einem der Geburtstagsafghanen, dass er sich gleich erhängte und dem Minister damit die Party versaute. Reinstes Mobbing.

Das Video von Seehofers Gekichere war so ein What-the-Fuck-Moment. WTF! So, wie wenn große Zeitungen debattieren, ob man Ertrinkende nun retten oder ertrinken lassen soll. Oder wenn Söder und Dobrindt die Sprache des Hasses übernehmen und jeden Tag den Diskurs versauen, von „Asyltourist“ bis „Asylindustrie“. WTF.

Von Salvini bis Orban, von Seehofer bis Strache, von Sebastian Kurz bis was weiß ich wo hin: Sie alle produzieren im Stundentakt WTF-Momente. In Österreich soll den ORF-Journalisten ein Knäbelerlass umgehängt werden (WTF), in einer Wiener Schule marschiert das halbe Ministerkabinett um eine Direktorin einzuschüchtern, die sich gegen segregierte Deutschklassen für Ausländerkinder ausgesprochen hat (WTF), der Kanzler selbst sagt, die Financial Times habe sich entschuldigt, dass sie ihn „Far Right“ genannt habe und flunkert außerdem, die Arbeiterkammer bezahle Gewerkschaftsdemonstranten, was sich beides als dreiste Unwahrheit herausstellt (WTF). Dazwischen paar Tweets von Trump. WTF WTF WTF.

Es wird im Tagesstakkato Stimmungsmache betrieben, Lüge, Propaganda, autoritäre Maßnahmen prasseln auf einem nieder. Ein permanenter Wahlkampfmodus etabliert sich, das Aufganseln, das Operieren mit Unwahrheiten wird auf Dauer gestellt. Bei vielen Menschen hat die schiere Dichte dieser WTF-Nachrichten, die auf sie niedergehen, verstörende Wirkung. Mal stacheln sie Empörung an, mal passivieren sie, weil man das alles nicht mehr hören kann. Wieder andere arrangieren sich, auch emotional. Weil die Menschen sich nach Normalität sehnen, reden sich biegsame Charaktere ein, das sei doch alles durchaus im Rahmen des Normalen, und richten ihre Aggression auf die, die das nicht normal finden, weil die ihnen täglich ihre Rückgratlosigkeit vor Augen führen. Man muss das verstehen, dieser emotionale Opportunismus ist eine menschliche Sache.

Die Polarisierung der politischen Landschaft hat eine Folgeerscheinung, die bislang noch unterbelichtet ist: Sie etabliert einen Terror des Politischen. Man muss sich drei Mal am Tag aufregen. Man kann all das schwer ignorieren. Kann man sich noch einen schönen, unbeschwerten Abend mit Freunden machen, ohne schlechtes Gewissen, wenn rundherum die Welt unter geht? Sollte man nicht stattdessen etwas tun, kämpfen, was dagegen machen?

Brecht hat in seinem Gedicht „An die Nachgeborenen“ geschrieben: „Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“ Und falls da jetzt die Dauererregten von „Welt“ oder AfD mitlesen: Nein, das ist kein unpassender Holocaust-Vergleich. Denn Unrecht fängt nicht erst in Gaskammern an, und auch nicht mit der Etablierung einer normalen, finsteren Diktatur. Es gibt schon noch unterhalb dieses Levels genug Widerstehenswürdiges, für das dann gilt: Darf man sich, wenn Lage und Klima so kippen, noch mit Poesie, mit Kunst, mit klugen Ideen, aus denen kurzfristig nichts folgt, beschäftigen? Oder ist das Eskapismus? Und kann man das überhaupt noch, sich die Aufmerksamkeit dafür bewahren, wenn das Politische seinen Terror entfaltet?

Manche haben früher ja eine langweilige Politik beklagt, bei der es nur eine Auswahl zwischen, sagen wir: Kohl und Schröder gab. Der eine war einem vielleicht sympathischer als der andere, man musste sich davon aber emotional nicht allzu sehr berühren lassen. Man konnte das gut ignorieren alles. Das waren gar keine so schlechten Zeiten, sage ich Euch.

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