Wir müssen mit einer schweren Rezession rechnen. Die Regierung wird gigantische Budgetdefizite in Kauf nehmen müssen, um eine Pleitewelle zu verhindern. Es muss darauf geachtet werden, dass nicht abermals die einfachen Leute alleine dafür bezahlen.
Für „Arbeit und Wirtschaft“, das Online-Magazin von AK und ÖGB
Geschäfte schließen vollständig, außer die kritische Infrastruktur. Auch das sonstige Wirtschaftsleben wird auf ein Minimum hinunter gefahren. Im Tourismus brechen die Einnahmen völlig weg, in der Gastronomie ebenfalls, und in vielen Branchen stehen Freelancer, Einpersonenunternehmer*innen, Künstler*innen, Bühnenpersonal und unzählige mehr von einem Tag auf den anderen ohne jedes Einkommen da. Die ökonomischen Folgen der Corona-Krise haben eine bisher nie dagewesene Dimension. Wir können sie noch nicht einmal oberflächlich überblicken. Aber wir müssen mit einem wirtschaftlichen Schock gigantischen Ausmaßes rechnen. Und wir können von bisherigen Krisen einiges lernen, aber eben auch nicht besonders viel. Denn diese Lage ist völlig anders.
Zunächst einmal hat diese Wirtschaftskrise keine ökonomischen Ursachen, die Ursache ist, wie wir alle wissen, eine außerökonomische, nämlich eine Epidemie. Im Fachjargon der Ökonomie spricht man in so einem Fall von einem exogenen Schock.
Die ersten Wellen dieses exogenen Schocks erreichten uns schon vor einigen Wochen. Durch die Ausbreitung des Virus in China und die dortigen Quarantänemaßnahmen lagen Fabriken still und die Güter – oft Vorprodukte für die Unternehmen bei uns – wurden nicht mehr produziert. Flüge aus China wurden gestrichen, sodass Waren nicht mehr geliefert werden konnten. Auch die Cargo-Schiffe mit ihren hunderttausenden Containern lagen in den Häfen fest. Das betrifft Waren für den täglichen Gebrauch, Teile für die Autoindustrie, aber auch Medikamente, die in China hergestellt werden.
Ökonomen sprechen in diesem Fall von einem „Angebotsschock“, weil nicht die Nachfrage nach Gütern fällt, sondern das Angebot von Gütern.
Wir haben aber zugleich auch einen „Nachfrageschock“, weil durch die Gesundheitskrise, die Verunsicherung der Bevölkerung, die Quarantänemaßnahmen und die Einkommensausfälle die Menschen nicht mehr einkaufen können oder es nicht mehr im gewohnten Maße tun.
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Eine Kombination von Angebots- und Nachfrageschock ist schon einmal eine schlimme Sache. Noch schlimmer ist es natürlich, wenn man weiß, dass dieser Schockzustand auf unbestimmte Zeit anhalten wird. „Es geht um alles“, kommentiert die „Süddeutsche Zeitung“, und fügt hinzu: „Den totalen Crash zu verhindern – darauf kommt es jetzt an.“
Dies unterscheidet sich von allen Krisen, mit denen wir in den vergangenen Jahrzehnten konfrontiert waren. Diese waren meist einfache konjunkturelle Krisen, gelegentlich ausgelöst von halb-ökonomischen, halb-politischen Ereignissen, wie etwa dem „Ölpreisschock“ der siebziger Jahre, oder sie hatten ihren Ursprung in einer Finanzkrise, wie in den Jahren 2008 und der darauf folgenden „Großen Depression“.
Eine Finanzkrise bricht dann aus, wenn Vermögenswerte in den Keller rasseln, Unternehmen oder Privatpersonen in der Folge überschuldet sind und Kreditverpflichtungen in großem Rahmen nicht mehr bedient werden können. Dann sind in einem nächsten Schritt die Banken und andere Finanzinstitutionen überschuldet und praktisch bankrott. Firmen, Banken oder ganze Staaten können aber allein deshalb von Geldmittel abgeschnitten sein, weil Unsicherheit herrscht. Dann stockt der ökonomische Kreislauf völlig. Das erlebten wir im Jahr 2008 und das kann natürlich auch jetzt blühen. Versicherungen können zusammenbrechen, und auch Bankhäuser, Staaten wie Italien können niemanden mehr finden, der ihnen Geld leiht. Kein Mensch kann voraus sagen, ob uns so etwas nicht in den nächsten Wochen auch noch blühen könnte.
Was kann man nun in einer solchen Situation tun?
Im Falle einer Finanzkrise haben die Notenbanken Mechanismen im Arsenal. Liquidität kann in die Banken gepumpt werden, Wertpapiere wie zb. Staatsanleihen können von den Notenbanken aufgekauft werden, wenn deren Werte in den Keller fallen, all das auch noch in viel größeren Stil, als es schon in der Finanzkrise geschah. Banken können auch verstaatlicht werden. Es gibt hier gerade für die mächtigsten Notenbanken der Welt, die amerikanische Fed und die Europäische Zentralbank, im Grunde unbegrenzte Möglichkeiten. Zwar existieren regulatorische Beschränkungen, aber das sind letztlich auch nichts anderes als Gesetze, die im Notfall flott geändert werden können und müssen. Denn eine Finanzkrise können wir im gegenwärtigen Augenblick nicht gebrauchen. Und die regulatorischen Beschränken haben nur die Aufgabe, Budgetdiziplin bei den Regierungen durchzusetzen. Ausgeglichene Budgets sind auf der Liste der wichtigsten Aufgaben gerade eher ganz weit unten.
Das heißt, glasklar: Die europäischen Institutionen sollten von vornherein unmissverständlich klar machen, dass ein Land, wenn es in Finanzprobleme kommt, einen problemlosen Zugang etwa zu Mitteln des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) erhält, und zwar ohne der üblichen Bedingungen und Zwangskorsette.
Die zweite Aufgabe besteht darin, die Realwirtschaft zu stabilisieren. Die Regierungen müssen erstens viel Geld ins Gesundheitssystem pumpen, denn das Wichtigste ist, dass jetzt die Spitäler und die Gesundheitsberufe funktionieren. Das ist natürlich nur begrenzt möglich: es gibt eben nicht unbegrenzt Beatmungsgeräte und intensivmedizinische Ausrüstung am Markt, und genauso wenig gibt es endlose Heerscharen unterbeschäftiger Ärzte, die jetzt angestellt werden können, und selbiges gilt für Pflegepersonal.
Zweitens müssen die Firmen liquide gehalten, ihr Geschäftsgang möglichst stabilisiert und die Einkommen der Beschäftigten garantiert werden.
Die deutsche Bundesregierung hat in einem Notbeschluss Mittel für direkte Konjunkturmaßnahmen und indirekte Kreditgarantien für Unternehmen geschnürt, die im Endausbau beinahe 600 Milliarden Euro betragen können. „Das ist unsere Bazooka“, sagte Berlins Finanzminister Olaf Scholz. Das ist eine phantastische Summe. Etwas von dieser Art hat es noch nie gegeben.
Österreichs Bundesregierung hat in einem ersten, holprigen Schritt vier Milliarden zur Verfügung gestellt, die in Form an direkten Hilfen an Unternehmen und deren Arbeitnehmer gehen sollen. Dieser Plan, als erster Notschritt gedacht, um ihn schnell durch das Parlament zu bringen, war schon innerhalb weniger Tage Makulatur. Stand heute liegen wir bei Hilfsprogrammen und Kreditgarantien von 38 Milliarden.
Aber diese Summe wird natürlich nie und nimmer ausreichen. In den
Jahren 2008 und folgende stellte der Staat 15 Milliarden an Kapital und rund
100 Milliarden Garantien zur Verfügung. „Was immer es auch kosten wird“, sagt jetzt auch die Regierungsspitze, es werde zur Verfügung gestellt. „Whatever it takes“, auf österreichisch. Begrenzt ist da höchstens durch die Kreditaufnahmefähigkeit des Staates, also durch die Finanzmärkte. Aber, siehe oben: Auch die können letztlich gänzlich ausgeschaltet werden, wenn etwa Zinssätze nach oben gehen – dann muss letztendlich die Europäische Zentralbank intervenieren.
Das wichtigste Instrument, das haben Deutschland und Österreich während der Großen Depression vorexerziert, ist die staatliche Subvention von Kurzarbeit. Unternehmen müssen, wenn das Geschäft einbricht, ihre Beschäftigten nicht entlassen, sondern sie erhalten einen Teil der Löhne vom Staat. Das hilft nicht nur kurzfristig den Unternehmen und den Beschäftigten, die dadurch Arbeitslosigkeit vermeiden, es ist vor allem eine Garantie dafür, dass die Qualifikationen der Beschäftigten erhalten bleiben und es nach dem Ende der Krise wieder schneller bergauf geht. Es ist ja leicht verständlich: die Beschäftigten arbeiten auf Sparflamme weiter und nach der Krise kann der Regler ganz schnell wieder nach oben gedreht werden.
Es gibt aber etwas an der gegenwärtigen Situation, für das es so kaum Vorbilder gibt. Staatliche Konjunkturmaßnahmen, üblicherweise etwa Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, sollen in gewohnten Krisen die Auftragslage für Unternehmen stabilisieren und die Rezession bekämpfen. Das ist aber jetzt ziemlich unmöglich. Kein staatliches Konjunkturprogramm kann die Auftragslage der Unternehmen verbessern, wenn die großflächig geschlossen sind. Und selbst wenn die Läden nicht geschlossen wären – viele Konsumenten würden jetzt keine Autos kaufen, weil sie andere Sorgen haben.
Wirtschaftsankurbelung, oder, wie die Ökonomen sagen, „Fiskal Stimulus“, wird in klassischer Form für’s erste natürlich nicht funktionieren.
Alles was jetzt getan wird, hat im Grunde nur ein Ziel: Massenentlassungen und Masseninsolvenzen auf Pump zu verhindern, bis die Krise wieder vorbei ist. Dabei ist vielleicht die implizite Hoffnung, dass Unternehmen danach einen Teil der Einbußen zurück holen. Das ist gar nicht völlig undenkbar: Schließlich werden jetzt Lagerbestände abgebaut, und Teile davon werden hinterher wieder aufgefüllt werden müssen. Aber grosso modo wird ein Großteil dessen, was jetzt verloren wurde, nie mehr zurück kommen.
Realistischerweise müssen wir damit rechnen, dass die globale Rezession, in die wir jetzt stürzen, schlimmer wird als nach der Finanzkrise. Wenn die Staaten massiv und mutig reagieren, werden wir Budgetdefizite haben, die wir noch gar nicht abschätzen können. Haushaltdefizite von rund zehn Prozent werden in diesem Jahr wohl eher die Regel sein – und das ist jetzt auch nur eine grob illustrierte Größenordnung.
Mit diesem Geld wird der „Blutkreislauf“ der Wirtschaft aufrechterhalten, sodass alle Wirtschaftssubjekte ihren Zahlungsverpflichtungen weiter nachkommen können. Oder simpler formuliert: Es werden die Banken gerettet, die Vermögenswerte derer, die solche Vermögenswerte besitzen, die Unternehmen, und die Arbeitsplätze der Beschäftigten, die in diesen Unternehmen arbeiten. Es wird Beschäftigte geben, die jetzt besonders leiden – etwa freie Dienstnehmer*innen, die gesamte Kultur- und Kreativbranche, Beschäftigte in Tourismus und Gastronomie; es wird Unternehmen geben, die besonders leiden – der gesamte Handel, kleine Modeläden, Restaurants. Es wird Beschäftigte geben, die besonders safe sind (etwa im öffentlichen Dienst), und es wird Unternehmen geben, die jetzt sogar florieren (von der Medizintechnik bis zu Zustelldiensten und der Gig-Ökonomie wie etwa Mjam). Und ganz generell gilt natürlich: Wer mehr hat, dem wird mehr geholfen. Die einen haben einen Arbeitsplatz zu verlieren, die anderen ein ganzes Unternehmen. Werden beide „gerettet“, profitiert letzterer objektiv mehr.
Und vor allem müssen wir aufpassen, dass niemand vergessen wird. Dass über großen Konzernen die große Gießkanne ausgegossen wird, während kleinen EPUs und prekären Scheinselbständigen, gerade einmal ihre Steuerzahlungen und Sozialversicherungsbeiträge gnadenhalber ein paar Monate gestundet werden (was heißt: sie müssen sie ja später trotzdem zahlen), das kann nicht sein. Deren Einkommen fallen ja jetzt quasi über Nacht auf einen Bruchteil des Üblichen.
Es wird sehr darauf zu achten sein, dass nicht wieder nur den Großen geholfen wird und die Kleinen hängen gelassen werden. Sonst erleben wir, was wir schon im Zuge der Finanzkrise sahen: Eine weitere Konzentration, sogenannte „Marktbereinigungen“, bei denen nur die Großen übrig bleiben, auch noch aufgepeppelt mit öffentlichem Geld aus den Steuertöpfen.
Und noch eines: Irgendwann ist diese Krise vorbei. Und dann werden die Krisenkosten bezahlt werden müssen. Man braucht kein großer Prophet sein, um zu wissen: im allerbesten Fall (also, falls ein Totalkollaps verhindert wird), werden wir in den nächsten Jahren die jetzt angehäuften Defizite nicht nur zurück fahren, sondern zurück zahlen müssen. Wenn sich die Staaten jetzt verschulden, dann bei Menschen oder institutionellen Anlegern, die erstens ihre Geld zurück bekommen und zweitens dafür Zinsen erhalten. Bei den gegenwärtigen Zinssätzen werden das zwar keine astronomischen Summen sein, aber auch das ist nicht zu vernachlässigen. Dass Vermögende an der Krise noch verdienen, während man gleichzeitig ihre Vermögen mit Steuergeld rettet – das ist zwar nicht zu verhindern. Aber man sollte sich zumindest Teile der Gewinne dann wenigstens hinterher durch Steuern auch zurück holen.
Die Auseinandersetzung über eine gerechte Lastenteilung wird dann zu führen sein. Und auch wenn Sebastian Kurz und seine türkis geführte Regierung im Krisenmanagement jetzt eine ganz passable Figur macht, so dürfen wir nicht vergessen: diese Regierung wird dann alles tun, dass die normalen Beschäftigten die Krisenkosten zahlen, einerseits in Form ihrer Steuerzahlungen, andererseits in Form von Kürzungen, querbeet durch alle Budgetposten. Genauso sicher können wir sein, wen ein Kanzler Sebastian Kurz ungeschoren lassen wird, wenn es nach ihm geht – die mächtigen Wirtschaftlobbys, die Konzerne, und seine großen Gönner. Jetzt, im Orkan, ist Sebastian Kurz, wie so viele Konservative vor ihm schon, ein „Schlechtwetterkeynesianer“ – weil es einfach alternativlos ist. Und hinterher werden sie den einfachen Leuten wieder das Sparen predigen.
Bildlich gesprochen: Jetzt wird einmal Geld in Tonnen vom Helikopter abgeworfen. Aber wir müssen jetzt, und noch mehr nach der Krise, darauf achten, dass das auch gerecht zugeht.