„Ökonomisches Long-Covid“

Die akute Krise hat die Regierung mit Hilfsprogrammen bekämpft. Aber die langfristigen Folgen können schlimmer sein, als wir denken.

In den mittlerweile zwei Pandemiejahren haben die Regierungen in vielen Staaten der westlichen Welt mit Hilfsprogrammen die Unternehmen und Arbeitsplätze gerettet – etwa mit der Kurzarbeitsregelung, mit Umsatzersatz und anderem – und mit Konjunkturpaketen die Wirtschaft gestützt. Dabei wurden hohe Budgetdefizite akzeptiert – in Österreich 2020 rund neun Prozent, für 2021 dürfte das Defizit bei sieben Prozent gelegen sein. Dadurch ist ein totaler Absturz der Wirtschaft und Massenarbeitslosigkeit verhindert worden. In einzelnen Sektoren waren Beschäftigte dennoch hart getroffen, und einzelne Beschäftigtengruppen fielen stark durch das Hilfsnetz, wie etwa Soloselbständige, Künstler*innen, Freiberufler*innen. Viele Unternehmen haben verloren, einige auch massiv gewonnen (Stichwort: Überförderung). Dass es dabei alles andere als gerecht zuging, zeigt schon ein oberflächlicher Blick auf die „volkswirtschaftliche Gesamtrechnung“, wie sie etwa die Arbeiterkammer vorlegte. Im ersten Krisenjahr ist das Bruttoinlandsprodukt um rund 20 Milliarden Euro gesunken. Doch in dieser Zeit sind zugleich die Unternehmenseinkommen um rund 5,1 Milliarden Euro gewachsen, während die Arbeitnehmerentgelte um 5,5 Milliarden gesunken sind.

Ein Einbruch bei den Einkommen der normalen Leute, der sich durch wachsende Arbeitslosigkeit, Lohnverluste durch die Kurzarbeit oder auch den Ausfall von Überstunden erklärt. Für viele ist das einigermaßen verkraftbar, für viele andere heißt das, dass sie Schwierigkeiten haben, ihre Rechnungen noch zu bestreiten – und für die Gesellschaft als Ganzes bedeutet es, dass im Massenkonsum sehr viel Geld fehlt. Schmerzhaft – aber noch keine Wirtschaftskatastrophe.

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Aber das dicke Ende könnte noch kommen, warnen jetzt Ökonomen. Denn eines ist auch sonnenklar: Es ist nicht gerade ein Umfeld, in dem Unternehmen besonders optimistisch investieren. Selbst wenn die Gewinne sprudeln: Wer würde da schon darauf wetten, dass die Absatzchancen demnächst so rosig aussehen, dass sich der Bau neuer Fabriken, Innovation, der Kauf neuer Maschinen, die Schaffung neuer Arbeitsplätze rechnen würde? „Die Investitionstätigkeit hat durch die Krise am stärksten gelitten, was lange nachwirken wird“, sagt der deutsche Starökonom Jens Südekum, einer der Berater der deutschen Regierung. „Das ist so etwas wie ökonomisches Long-Covid.“

Hinzu kommt: Nicht nur die Unternehmen halten sich jetzt schon seit zwei Jahren und wohl noch für die nächste Zeit mit Investitionen zurück – auch Städte und Gemeinden haben durch Covid-19 und die vielen Kosten, die dadurch entstanden, noch angespanntere Budgets als ohnehin bereits hatten. In Österreich hat die Bundesregierung erst unlängst beschlossen, die Städte und Gemeinden zusätzlich mit einigen hundert Millionen Euro zu stützen, aber ob das den Ausfall wirklich ausgleichen kann, ist fraglich. Zu befürchten ist, dass nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Gemeinden in den nächsten Jahren weniger investieren als sie im Normalbetrieb getan hätten. All das kann sich – quasi so „klein-klein“ – über die kommenden Jahre zu zig-tausend Arbeitsplätzen summieren, die normalerweise geschaffen worden wären, jetzt aber nicht geschaffen werden.

Südekum, Professor an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, hat vor einigen Tagen im deutschen Bundestag seine Analyse vorgelegt und dafür plädiert, unbedingt auch künftig die Schuldenbremse auszusetzen oder zumindest zu umgehen, da ohnehin ein wirtschaftliches Langzeit-Siechtum drohe, „das sich durch diesen initialen Schock ergeben hat“, durch den initialen Schock der pandemiebedingten Krise. Würde die Investitionslücke nicht geschlossen, dann ergibt sich ein Wohlstandsverlust, der sich noch lange vor uns herschiebt. Ohnehin haben Krisen bekanntermaßen langfristige negative Auswirkungen, die nachhängen, auch wenn die Krise anscheinend schon vorbei ist: Junge Leute, die gerade ins Berufsleben einsteigen wollen, finden nicht so leicht Jobs, müssen sich mit niedrigeren Einkommen begnügen, steigen langsamer auf, treten vielleicht etwas später ins Berufsleben ein, weil sie wegen mangelnder Job-Aussichten noch ein Studium anhängen. Noch nach 15 Jahren kann man das dann auf ihrem Gehaltszettel nachlesen.

Ein Gedanke zu „„Ökonomisches Long-Covid““

  1. Die ökonomischen Folgen der Pandemie werden wir im Frühling wieder daran feststellen können, dass sämtliche Gastronomiebetriebe händeringend nach Personal suchen. Doch die fähigen Servicekräfte arbeiten mittlerweile in anderen Branchen oder haben umgeschult. Jetzt kann man sagen, dass es doch nur das Café um die Ecke trifft oder das kleine Restaurant am Ende der Straße. Aber wir werden erleben, dass sich Innenstädte verändern. Vieles wird teuerer werden und das trifft die jungen Leute, die es schwer haben, in Unternehmen zu starten, die wiederum keine Investitionen tätigen wollen. Das ist ein extrem komplexes Gebilde, was kaum einer in Gänze erfassen kann. Die Krise wird uns deshalb noch länger beschäftigen.

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