„Ein klasser Bursch“

Bei den österreichischen Sozialdemokraten könnte Andreas Babler, ein geerdeter Anti-Establishment-Politiker, das Rennen um den Parteivorsitz gewinnen.

WOZ, April 2023

Einer altbackenen linken Redewendung zufolge ist die Sozialdemokratie der Arzt am Krankenbett des Kapitalismus, doch in Österreich muss die Partei selbst bald in die Notaufnahme. Und in diese Lage hat sie sich in den vergangenen Monaten vornehmlich selbst gebracht.

Das Land ist in einer schweren politischen Krise, die Staatsanwaltschaften ermitteln gegen die Hälfte der rechts-konservativen Kamarilla, den Boulevard und sonstige „Stützen der Gesellschaft“, aber dennoch ging es mit der Oppositionspartei SPÖ nach einem kurzzeitigen Hoch in den Umfragen stetig bergab. Bei einigen Landtagswahlen setzte es herbe Verluste. Bundesweit dümpelt die Partei dahin, in allen Erhebungen wäre gegenwärtig die rechtsextreme FPÖ stärkste Partei. Jetzt ist die Führungskrise in der SPÖ offen ausgebrochen. Ein Mitgliedervotum soll klären, wer die Partei anführen soll.

Doch plötzlich ist so etwas wie Aufbruchsstimmung aufgekommen. Rund 9.000 neue Mitglieder sind praktisch über Nacht der Partei beigetreten. Und ein geerdeter, bodenständiger linker Anti-Establishment-Kandidat hat realistische Chancen, den Wettstreit zu gewinnen: Andreas Babler, gerade eben 50 geworden, Bürgermeister der Kleinstadt Traiskirchen am Rande Wien.

Allgemein ist er schon als „der gute Mensch von Traiskirchen“ bekannt. Er hat den Zuspruch der Parteibasis, die sich nicht mehr gehört fühlt, er ist ein Linker, der sich in Menschenrechts-Fragen gegen den rechten Mainstream stellt, aber zugleich kultiviert der frühere Maschinenschlosser und Fabrikarbeiter seine Volksnähe. Darin ist er authentisch, dadurch wird er auch in weiten Teilen der arbeitenden Klassen als „einer von uns“, und „unsere Stimme“ wahrgenommen. Auf der Links-Rechts-Achse ist er links, auf der nicht minder wichtigen Oben-Unten-Achse verkörpert er das „Unten“ gegen „das Establishment“. Vor sieben Jahren holte er in seiner 19.000-Seelen-Kommune sagenhafte 73 Prozent der Stimmen, vor zwei Jahren verlor er auch nur unwesentlich auf knapp 72 Prozent.

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Dass es überhaupt so weit kommen konnte, dass ein Hoffnungsträger aus der zweiten Reihe in eine Mitfavoriten-Rolle geriet, hat viel mit der Vorgeschichte des aktuellen Geschehens zu tun. Die amtierende Parteichefin Pamela Rendi-Wagner wurde 2019 im Spitzenamt installiert, als Verkörperung einer frisch-modernistischen Sozialdemokratie (tatsächlich war sie erst 2017 der Partei beigetreten). Sie konnte aber ihre Autorität nie behaupten. Von Beginn an hatte sie auch einen innerparteilichen Rivalen, der ihr in schöner Regelmäßigkeit öffentlich ans Bein trat, den Ex-Polizisten, früheren Verteidigungsminister und heutigen Landeshauptmann des Burgenlandes, Hans-Peter Doskozil. Doskozil favorisiert einen wirtschafts- und sozialpolitischen Linkspopulismus und einen scharfen Rechtskurs in der Migrationspolitik, ähnlich des Modells der dänischen Sozialdemokratie.

Rendi-Wagner machte häufig eine unglückliche Figur, umgab sich mit einem inferioren Team, ihr Kontrahent wiederum agierte mit stets augenfälliger intriganter Böswilligkeit. Nachdem der Konflikt dann vor rund einem Monat restlos eskalierte, war daher naturgemäß eine weit verbreitete Stimmung in der Partei: Bitte, bitte, keinen von beiden.

Wie die Sache ausgeht, wagt heute kaum jemand einzuschätzen. Manche Auguren gehen von einem offenen Dreikampf aus, andere wiederum schätzen, dass der Wettstreit auf ein Duell Doskozil gegen Babler hinausläuft, die amtierende Parteichefin also mittlerweile deutlich hinter den beiden Mitbewerbern liegt. Wirklich wissen kann das niemand, denn wie die ganz normalen Parteimitglieder abstimmen werden, die gar nicht am Parteileben teilnehmen, ist unvorhersehbar.

Die Befürworter Bablers sind kritische Parteimitglieder, die der Maxime folgen, „wir holen uns die Partei Victor Adlers zurück“, aber auch Aktivisten und Funktionäre, denen das Gegeneinander der vormaligen Top-Kandidaten einfach auf die Nerven geht. Dazu kommt natürlich ein Gutteil der 9000 neueingetretenen Parteimitglieder. Der Traiskirchner Bürgermeister ist aber nicht nur der Kandidat der Jungen und Linken, mittlerweile haben auch regelrechte Parteilegenden zur Wahl Bablers aufgerufen, wie etwa der populäre Ex-Finanzminister Ferdinand Lacina, der sowohl in den Regierungen unter Bruno Kreisky als auch Franz Vranitzky amtierte.

Mittlerweile ist es eine veritable Woge, die Babler trägt: Wo er hinkommt, gibt es volle Säle. Vor zwei Wochen musste er in Wien eine Rede sogar zweimal halten, einmal für die Teilnehmer im Versammlungssaal, ein zweites Mal für die hunderten anderen auf der Straße, die in den Saal nicht hineingepasst haben. In den kommenden drei Wochen wird Babler durch das Land reisen, in kleinen und großen Städten sprechen und geschätzt 10.000 Parteimitgliedern direkt begegnen. Auch das wird seine Chancen signifikant heben, bedenkt man, dass der Gewinner des Mitgliederentscheids voraussichtlich rund 35.000 Stimmen benötigen wird. „Wir müssen Politik wieder von unten denken“, ist eine seiner häufig wiederholten Leitlinien. „Wir werden nicht gewählt, nur weil wir weniger schlimm als die anderen sind“, sagt Andi Babler, und: „Wir dürfen uns als Sozialdemokratie nicht unsere DNA nehmen lassen, wir sind immer auch Protestbewegung gewesen. Wir kommen aus einer Bewegung, die um Rechte gekämpft hat.“ Bablers großes Ass ist, dass er als bodenständiger, hemdsärmeliger Typ, der in der Sprache der ganz normalen Leute spricht, glaubwürdig als die Stimme derer auftreten kann, die keine Stimme haben – und damit auch Nichtwähler, aber sogar Protestwähler für sich wird gewinnen können. Hinzu kommt seine praktische, erfolgreiche Bilanz als Bürgermeister. Babler ist dauernd auf Achse, er ist ein freundlicher, stets zu Scherzen aufgelegter Kerl, der an den Wochenenden gern in Fußballstadien in der Fankurve sitzt und von dem die Leute sagen: „Der ist ein klasser Bursch.“ Und wenn in der legendären Disco U4 mal wieder eine Falco-Nacht am Programm steht, ist er bis zwei Uhr Nachts dabei und singt mit, wenn es heißt: „Ganz Wien / Ist so herrlich hin, hin, hin“.

Aus den Lagern seiner Gegenspieler versucht man dagegen Bablers „Electability“ in Zweifel zu ziehen, also seine Wählbarkeit. Rund eineinhalb Jahre vor dem nächsten regulären Nationalrats-Wahltermin verbreitet sich eine gewisse Hypernervosität, da ein rechter Wahlsieg und die Neuauflage einer Rechts-Ultrarechts-Koalition droht. Doskozils Anhänger werben mit der Botschaft, nur ihr Kandidat könne ausreichend Stimmen gewinnen, um das zu verhindern. Babler wird daher von seinen Gegenspielern in einer Art von „Negative Campaigning“ als linker Zausel dargestellt. Babler wäre, so die Botschaft, so eine Art Corbyn, der Wählerinnen und Wähler der Mitte verschrecken würde. Dabei ist Babler natürlich Pragmatiker genug, um zu wissen, dass man ein großes populares Zelt bauen muss, wenn man mehrheitsfähig sein will. Die liberale, bürgerliche Mitte wird er sowieso leichter halten können als sein rechter Rivale Doskozil. Denn der ist für die Mitte ein rotes Tuch, und längst ist keineswegs ausgemacht, ob er unter rechten Wählern auch nur annähernd soviel gewinnen kann, wie er links und in der urbanen Mitte verlieren würde.

Spaziergang wird es für keinen der Aspiranten werden, die SPÖ zurück auf die Siegerstraße zu führen. Babler hat im Unterschied zu seinen Rivalen immerhin den Vorteil, dass er mit dem verbissenen Gegeneinander, in das sie seit Jahren verstrickt sind, nichts zu tun hat. Dass er einen glaubwürdigen Neubeginn verkörpern würde – und dass er die in feindliche Lager zerrissene Partei daher noch am ehesten wieder versöhnen könnte.

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