Was, wenn wir Gemeinsamkeit und Optimismus gegen die Kräfte des Zankes und der Negativität stellen?
Zackzack, September 2023
Es gibt ja ein paar Paradoxien in unserer Welt. Der Rechtsextremismus und die Krawallkonservativen sind vor Angst zerfressen, vor Angst vor Zuwanderung, dem gesellschaftlichen Wandel, vor der Emanzipation der Frauen, dem Verlust von nationaler Homogenität und Identität, oder einfach von der Panik besessen, dass sie irgendwann nicht mehr mit einem Verbrennermotor fahren dürfen und irgendjemand ihnen ihr normales Leben verbieten würde. Die Linken, die Liberalen, und auch die demokratische Mitte sind wiederum voller Angst vor den Rechten und starren auf die Gefahr für die demokratische Lebensweise wie das Kaninchen auf die Schlange.
Wenigstens haben dann, seltsame Gerechtigkeit, alle Angst: die Rechten vor der Welt, alle Anderen vor den Rechten.
Aber es geht noch weiter: Der radikalisierte, autoritäre Konservatismus kultiviert ein Dagegensein, aber auch eine Panik vor dem Verfall (seit immer schon fürchten die Krawallkonservativen den „Untergang des Abendlandes“ oder den „Bevölkerungsaustausch“). Sie schrauben sich aber immer tiefer hinein in Ressentiment, kultivieren eine Bitternis, oft auch aufgeganselt durch die Überbietungszusammenhänge zeitgenössischer Medien und Polarisierungsunternehmer. Erfundene Schreckensmeldungen werden durch immer ärgere, erfundene Schreckensmeldungen ausgestochen, an die sie dann absurderweise sogar selbst glauben. Sie sind buchstäblich verliebt ins Negative, freudig erregt von der eigenen Bosheit, vom Schüren niedriger Instinkte werden sie ganz fickrig. Man sollte diese Lust am Bösen nicht unterschätzen, sie ist nicht unähnlich allen anderen Formen des Genusses an der Übertretung. Der Populist, der demonstrativ etwas Widerwärtiges sagt, hat einen Lustgewinn, der dem des Kleinkindes ähnelt, das das Kacki an die Klowand schmiert. Auch die Negativität stillt insofern ein Begehren. Die Linken wiederum kritisieren die Rechten, warnen aus guten Gründen von der totalitären Gefahr und einer rückwärtsgewandten Dystopie, prangern zudem an, dass es mit unseren Gesellschaften immer mehr bergab geht, dass die Reichen immer reicher werden, während alle anderen nicht mehr wissen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen. Am Ende haben alle zusammen das Bild einer Welt gezeichnet, in der einem nur Angst und Bang werden kann, wir in rauchenden Ruinen sitzen, Gangsterhorden, Mörder und Brandschatzer durch die Straßen ziehen, in denen Anarchie und Gewalt tobt (die Autos allerdings nur mehr Tempo 30 fahren) und die große Mehrheit dazu gezwungen ist, sich Nahrungsreste aus den Müllcontainern zu fischen.
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Was unsere Wirklichkeit ja auch wieder nicht ganz akkurat beschreibt, wenn wir ehrlich sind.
Getöse des Negativen
So gedeiht, es ist nicht ohne Merkwürdigkeit, gerade in den wohlhabendsten, zivilisiertesten, gewaltfreisten und liberalsten Gesellschaften der Menschheitsgeschichte eine Übellaunigkeit. Man muss die kritikwürdigen Aspekte unserer Wirklichkeit, den Verbesserungsbedarf des Status Quo nicht negieren, aber man sollte auch obiges Faktum nicht negieren.
Nun gibt in diesem ganzen Getöse des Negativen aber auch eine große Sehnsucht nach Hoffnung. Man würde gerne mal wieder mit Hoffnung wählen, beispielsweise. Es ist doch eigentlich grotesk. Unsere Gesellschaft ist so unendlich wohlhabender, sie ist gesellschaftlich pluraler als vor 120 Jahren, und gerade wir sollten es für unmöglich halten, mehr Gerechtigkeit, Wohlfahrt für alle und Liberalität und Respekt zu realisieren? Das ist doch absurd. Und natürlich gibt es existenzielle Bedrohungen – die Klimakatastrophe ganz an erster Stelle –, aber statt in Depression und Lähmung zu verfallen wäre das doch ein Grund mehr, unsere Infrastruktur ganz schnell zu modernisieren. Das wird nicht einfach, klar, aber wenn das geschafft ist, haben wir bessere Züge, gesündere Heizungen und bessere Luft, als wir heute haben, alles ist dann moderner und mein Smart-Meter spielt dann alle Stückerl und vielleicht bestellt mein Kühlschrank dann sogar eigenverantwortlich den nächsten Einkauf.
Probier‘s mal mit Optimismus
Das wäre eine Welt, die unsere Großeltern noch für das Paradies gehalten hätten. Neue Lebensweisen – ein Konsens, dass jeder und jede Anspruch auf Respekt, alle Kinder alle Chancen haben sollen, all das, was keine Utopie und kein Blütentraum ist, sondern sowieso schon überall in Keimen vorhanden –; das soll unmöglich sein? Lächerlich. „The Limit is the sky“, sagte einmal ein durchaus mächtiger europäischer Linkspolitiker zu mir, und ich finde, das ist keine ganz falsche Haltung.
„Ich bin Optimist durch und durch, aus Temperament und aus Prinzip“, schrieb Victor Adler einst aus dem Gefängnis an seinen Bruder. Was das Temperament anlange, meinte Adler, sei das eine Charaktersache, auf die der Einzelne natürlich wenig Einfluss habe, aber, so fügte er hinzu, „aus Prinzip, weil ich glaube, bemerkt zu haben, dass nur der Optimismus… was zuwege bringt. Der Pessimismus ist seiner Natur nach impotent.“
Gerechtigkeit und Gemeinsamkeit
Gewiss ist die Wut, der Zorn, die Verliebtheit ins Dagegensein eine starke Emotion. Aber auch die Hoffnung und der Optimismus sind Gefühle, die Schwung geben. Und es gibt eben auch ein wachsendes Leiden an der Dauerdeprimiertheit, die sich wie eine Tuchent aus Beton auf unserer Welt liegt.
Ich denke ja, die kommenden Auseinandersetzungen sollten als Wettstreit gesehen werden, bei dem auf der einen Seite die sind, die sich nach Gerechtigkeit, Gemeinsamkeit und Optimismus sehnen. Und auf der anderen die, die für Zank, Negativität und Gegeneinander stehen.
Lassen wir uns von denen nicht runterziehen.