Israel, die Linken und der Krieg

Zwischen dem Antiimperialismus der dummen Kerle und kriegsgeilen Kiebitzen: Über die linken Verwicklungen mit Israel.

Zackzack, November 2023

Die wunderbare Stefanie Sargnagel hat unlängst einen ihrer Cartoons mit der Titelzeile versehen: „Jonas löst den Nahostkonflikt.“ Dabei sieht man einen jungen Mann, rücklings am Sofa, das Smartphone in der Hand, wie er eine – vermutlich – wichtige Meinung in Social Media schreibt. Wie immer bei guten Cartoons hatte die Zeichnung gleich mehrere Bedeutungsebenen. Sesselfurzer haben eine starke Meinung zu allen möglichen Weltkonflikten und schreien bei jeder Rakete „Hurra“. Sie nerven. Das trifft ins Schwarze. Man neigt dazu, laut aufzulachen und Sargnagels Kritik zuzustimmen. Aber zugleich spürte ich eine Reserviertheit. Ich fand den Cartoon gut und weniger gut zugleich. Aber warum? Weil es sehr nah an Provinzialismus schrammt, von der Art: Wir können hier bei uns sowieso nichts Sinnvolles beitragen, also ist es völlig unerheblich, sich überhaupt mit Geschehnissen anderswo zu beschäftigen, ganz egal ob in Ghana, Peru oder Israel. Das Sumpertum eben, für das man hier besonders anfällig ist.

Mir ist jeder lieber, der sich zur Welt eine Meinung bildet, als jemand, der sich hinterwäldlerisch für nichts interessiert, sogar dann, wenn das zunächst einmal eine etwas unterschlaue Meinung ist.

Ich erinnere mich, wie ich als junger Teenager Informationen über alles Mögliche herangeschafft habe, was seinerzeit, in den frühen achtziger Jahren, übrigens deutlich schwieriger war als heute. Etwa zur, nur als Beispiel, imperialen Ausbeutung Lateinamerikas durch die USA. Gerade jährte sich ja zum 40. Mal der Überfall der US-Army auf Grenada, eine kleine Insel, auf der ein sozialistisches Experiment gestartet worden war.

Gegen den Provinzialismus

Was macht man in solchen Fällen, wenn man sich nicht mit Phrasen begnügt? Man liest sich vielleicht die Geschichte der US-Interventionen in Lateinamerika an, aber auch ein wenig ökonomische Hintergründe über (post-)koloniale Ausbeutung, über Wirtschaftsbeziehungen, bei denen Machtungleichgewichte zu ungleichem Tausch führen, was auch immer. Möglicherweise studiert man, welche verschiedenen politischen Strömungen es in dem Land – Grenada oder welches auch immer – gibt, und möglicherweise geht das bloße Informiertsein irgendwann über in eine Haltung, dass man die Analysen und Strategien der einen Strömung richtiger findet als die einer anderen, weshalb man dann möglicherweise sogar mit dieser Strömung mitfiebert. Quasi: Wenn ich dort wäre, bei welchem Grüppchen wäre ich dabei? Natürlich kann man sagen, dass das völlig verrückt und strunzegal ist.

Aber es ist eben genau der Weg, schlauer zu werden.

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Es geht dabei ja nicht allein um die Weite der Welt, sondern letztlich auch um das Innerste: Wer will man sein? Haltungen und Identitäten entwickelt man, indem man sich mit der Welt beschäftigt.

Mit einem Wort: So verrückt ist das nicht, als „Unbetroffener“ mit den Problemen anderer mitzufiebern. Und wenn man Ideen wie etwa „internationaler Solidarität“ anhängt, gibt es sowieso keinen anderen Weg.

Aber zurück zum Nahostkonflikt, den Jonas natürlich nicht löst.

Massenpsychologische Ansteckungsketten

Heute ist die Dichotomie Betroffener/Nichtbetroffener sehr fragwürdig. Gewiss, die vom Hamas-Massaker Ermordeten, die davon Terrorisierten sind in eklatanten, furchtbaren Sinn „Betroffene“, genauso wie die Bewohner von Gaza, die im Raketen- und Bombenhagel sind, die Zivilisten, die zerfetzt werden. Verglichen mit denen sind alle anderen „nicht betroffen“. Aber schon generell sind in regionalen Konflikten, die das Zeug zu einem größeren Flächenbrand mit globaler Wirkung haben, alle in unterschiedlichem Grad „Betroffene“.

Im konkreten Fall kommt noch hinzu: Juden und Jüdinnen in Österreich, mit emotionaler oder familiärer Bindung an Israel, sind sehr betroffen. Wenn dann Antisemitismus eskaliert, sind sie gleich doppelt betroffen. Wenn in Teilen der muslimischen Bevölkerung das Gefühl vorherrscht, „ihr habt nur mit Euren Toten Mitgefühl, muslimische Opfer sind Euch egal“, dann ist das auch eine Art von Betroffenheit, die man nicht einfach wegwischen kann, wenn aber umgekehrt aus dieser Empfindung Israelhass und Antisemitismus entsteht, sind wiederum die jüdischen Landsleute Betroffene. Und alle anderen dann leider auch. Wir müssen die Grade und Abstufungen der „Betroffenheit“ hier jetzt nicht mit der Goldwaage wiegen, es ist jedenfalls klar, dass die emotionale Involvierung eine andere ist, als die, die die meisten von uns – beispielsweise – beim Unrecht verspüren, das den Uiguren vom chinesischen Regime angetan wird. Und übrigens ist emotionale Indifferenz auch in solchen Fällen keine Tugend, sondern eine unschöne Tatsache.

Die Linken und Israel

Gerade in diesen Tagen ist viel von einer speziellen „emotionalen Involviertheit“ die Rede, die unter der Überschrift firmiert: „Die Linken“ und Israel bzw. die Palästinenser. Gelegentlich wird auch vom linken Antisemitismus gesprochen, oder ein solcher unterstellt. Diese spezielle linke Involviertheit lässt sich natürlich nicht bestreiten, ist aber eine kompliziertere Sache, als man denkt.

Es gab in Teilen der Linken immer einen Antisemitismus, auch wenn der nicht unbedingt ein „linker Antisemitismus“ war. Schon die Anführer der Sozialdemokratie – von Victor Adler abwärts waren davon viele Juden – verspürten bei den eigenen Leuten Antisemitismus. Das waren aber eher Linke, die auch Antisemiten waren oder infiziert von antisemitischen Stereotypisierungen, die in ihren Gesellschaften vorherrschten, etwa über die „verschlagenen, gierigen Juden“, die dann gleich als Klischee für Kapitalismuskritik herhalten mussten. Später gab es einen kommunistischen Antisemitismus, der seinen Ursprung aber auch eher im „russischen“, „polnischen“ etc. Antisemitismus hatte. Im Stalinismus und Post-Stalinismus war der virulent. Antistalinistische Strömungen wurden gerne als „jüdisch“ dargestellt und jüdische Kommunisten sogar umgebracht oder vertrieben, wie etwa nach 1968 im kommunistischen Polen.

Das ist aber nur die halbe Geschichte. Viele Linke wiederum haben Israel lange Zeit auch als sozialistisches Modell angesehen, wegen der solidarischen Kollektivwirtschaft der Kibbuzniks, aber auch wegen der langen Dominanz der Arbeitspartei. Sowieso waren Juden in linken Parteien immer überrepräsentiert, was wiederum den Hass der Rechten verdoppelte. Schlagwort: „Jüdischer Bolschewismus.“

Julius Raab, heute ein ÖVP-Säulenheiliger, hat Otto Bauer im Parlament noch als „Saujud“ beschimpft.

Aber zurück zu frühen Israel-Liebe der Linken. Linke sind ja sehr für Gerechtigkeit und damit auf der Seite der Schwachen. Da hält man intuitiv zu „David gegen Goliath“. Bis 1967 war das Israel. Aber danach hat sich das geändert. Und plötzlich war Israel Goliath. Und die Palästinenser waren David.

Antiimperialismus für dumme Kerle

Die Zuneigung der Linken zu Israel schwand allmählich mit dem Sechs-Tage-Krieg, als Israel arabische Gebiete eroberte und besetzt hielt. Damit wurden die Israelis zu „Besatzern“. Über den gesamten Nahostkonflikt wurde von einigen die grobe Folie eines sowieso schon versimpelten „Antiimperialismus“ gelegt. In den ganz einfältigen Deutungen wurde das dann in ein manichäisches Weltbild gezwängt: Ganz böse ist der US-Imperialismus, der die Völker in die Zwangsjacke kolonialer Ausbeutung zwängt, und einer der führenden Hilfsbösewichte ist Israel, der, wie es gerne hieß, „Kettenhund des US-Imperialismus“. So wie auf Israel wurde auch auf die Palästinenser alles Mögliche projiziert, sie verwandelten sich zu einer Art verrücktem Idealbild antiimperialistischen Widerstands. Ein bisschen die moderne Art vom „edlen Wilden“, was, wie wir wissen, ja auch eine leicht rassistische Projektion ist, wenngleich halt eine positive statt eine negative. Gelegentlich wurde sogar das Existenzrecht Israels angezweifelt, das Land dann „zionistisches Gebilde“ genannt. Ganz schräge Schrullis haben das Wort „Israel“ gar nicht mehr ausgesprochen, so ähnlich wie Voldemort, ein Name, der nicht genannt werden darf.

Es gibt noch immer Schwundformen dieser Ideologie, aber das ist eher Restlverwertung.

Heute hat sich eingebürgert, all das auch als „linken Antisemitismus“ zu bezeichnen, obwohl das natürlich eine diskutable Charakterisierung ist, da diejenigen, die solche Thesen vertreten, ja selten eklatant judenfeindliche Aussagen machen. Deren Idee wäre ja, dass Juden und Araber in einem kommunistischen Utopia gemeinsam in der Region leben. Meist wird die Auffassung vertreten, wer derart obsessiv israelfeindlich sei, der wäre wohl von einem tiefsitzenden Antisemitismus motiviert, einem negativen Judenbild, das er oder sie still habe, aber nicht explizit ausdrücke, sondern als „Palästinasolidarität“ sublimiere. Das ist sicherlich keine unplausible Interpretation, leidet aber unter den üblichen Problematiken einer „Hermeneutik des Verdachts“, also der Unterstellung, dass jemand nicht das meint, was er sagt, sondern in Wirklichkeit etwas ganz anderes meint, was er oder sie nicht sagt: Man kann es vermuten, es ist aber schwer beweisen.

Heute wird mit dem Vorwurf des „linken Antisemitismus“ oft auch viel Schindluder durch Netanjahu-Propagandisten betrieben, da es nicht nur linke Spinner, sondern auch rechte und natürlich auch israelische Deppen gibt. So wird manchmal bereits als „antisemitisch“ verleumdet, wer an Israel andere Maßstäbe anlegt als an andere Nationen. Dabei ist es ganz selbstverständlich, dass man an eine Nation, die sich der Demokratie und Menschenrechten verpflichtet fühlt, andere Maßstäbe anlegt als, sagen wir, an Nordkorea. Ich muss auch nicht jeden Tag die „Medienpolitik“ Chinas kritisieren, um die viel demokratischere Ungarns dennoch glaubhaft anprangern zu können.

Aber zurück zu den linken Seltsamkeiten. Es sind halb-ideologisierte Vorstellungsreste von „Antiimperialismus“, die weitere Kreise zogen und bis heute wirksam sind: Dass der Konflikt Israel-Palästinenser ein Konflikt um Land zwischen Besatzer und Besetzten ist, und dass diese Besetzung innerhalb eines größeren Rahmens imperialer Herrschaft zu interpretieren ist. Dass daher der Kampf der Palästinenser eine Erscheinungsform antikolonialen Widerstandes ist. Und das ist, wie so vieles in der Welt, nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig, und vor allem hat eine ewig lange Konfliktgeschichte mehrere Dimensionen, die sich nicht einseitig in ein Schema pressen lassen.

Das nährt bei einem kleinen Teil der deutschen und österreichischen, bei einem größeren Teil der globalen Linken eine pro-palästinensischen Haltung, die im schlimmsten Fall zu Kaltherzigkeit und Empathielosigkeit gegenüber israelischen Opfern führt. Wobei, das nur nebenbei, sich in Deutschland und Österreich in den vergangenen 35 Jahren sowieso eine pro-israelische Linke herausbildete, die mittlerweile weitgehend dominant ist, und in Sachen schrulliger Einseitigkeit der antiimperialistischen Verirrung oft in nichts nachsteht.

Gegen jeden Krieg!

Wir sollen aber auch einen zweiten Aspekt nicht völlig ignorieren, der die Haltung von Linken gegenüber dem Israel-Palästina-Konflikt beeinflusst: Linke sind in aller Regel eher gegen den Krieg. Von den Anti-Kriegs-Haltungen der frühen Sozialisten über die „Gegen-den-imperialistischen-Krieg“-Rhetoriken der Kommunisten, bis zu den Werthaltungen der meisten Sozialisten nach 1945: Man war, einerseits aus ideologischen Gründen, andererseits aus Erfahrung, meist gegen Krieg. Zwar wurden Befreiungskriege unterdrückter Völker oder antifaschistische Kriege (wie der der Alliierten gegen Hitler) von den meisten hochgehalten, aber es saß auch ein gemäßigter Pazifismus sehr tief. „Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne Frieden nichts“, sagte Willy Brandt, und das entsprach dem weit verbreiteten, tiefen Empfinden. Auch Kriege für eine gerechte Sache verheeren Länder, zerstören Leben, und es sind die normalen, einfachen Leute, die den Preis zahlen – das war in etwa immer die Auffassung. Deswegen setzte man eher auf Diplomatie, Entspannungspolitik, auf Friedensvermittlungen statt auf Militäraktionen zur Bekämpfung des Bösen. Weil man auch gelernt hatte: Wenn es einmal brennt, dann fällt es verdammt schwer, das Feuer wieder zu löschen – und am Ende sind vielleicht Millionen tot. Da verhandelt man besser viele Nächte mit dem Teufel und seiner Großmutter, wenn dadurch ein Krieg vermieden werden kann.

Nichts davon ist falsch. Alles daran ist richtig.

Es führt aber auch dazu, dass diese Spielart der moderaten, vernünftigen Linken stets versucht, in Konflikten die Gesichtspunkte aller Seiten zu sehen, da man diplomatische Lösungen nicht finden kann, wenn man Eskalation auch noch durch anfeuernde Zurufe an eine Konfliktpartei bestärkt. Auch das spielt in die intuitiven Haltungen der Linken in Situationen wie dieser hinein.

Nichts ist falsch an dieser Intuition. Aber sie ist nicht immer eine zuverlässige Landkarte durch schwieriges Gelände.

Waffenstillstand – ja oder nein?

Beispiel: Es ist aus linker Perspektive geradezu zwingend, jetzt auf einen Waffenstillstand zu dringen. Das Bombardement von Gaza kostet tausenden Menschen das Leben. Die Eskalation verstärkt Hass. Und auch wenn im Moment niemand einen realistischen Pfad für eine Versöhnung und Friedenslösung kennt, braucht man einen Plan für eine gerechte Lösung. Andere wiederum würden einwenden, dass es mit der Hamas nie eine Friedenslösung geben könne, dass also deren militärische Vernichtung jetzt einfach vollendet werden soll, auch wenn es unschuldige zivile Opfer kostet.

Das Blöde an der Sache ist, dass beide Argumente nicht völlig unplausibel klingen. Schlimmer: Sie sind irgendwie beide wahr.

Die Angelegenheit wird noch einmal zusätzlich durch die unerfreuliche Tatsache verkompliziert, dass sich die Welt, auch wenn es den gegenteiligen Anschein haben mag, nicht nur um die Linken dreht. Und auch Österreich und Deutschland nicht der alleinige Nabel der Welt sind. Und ob einem das gefällt oder nicht: Meinungen zu dem Konflikt sind in einem Großteil der Welt in den allgemeinen politischen Öffentlichkeiten anders als in Österreich und Deutschland nicht strikt pro-israelisch. In vielen Ländern sind sie explizit anti-israelisch. In einigen sind sie zumindest gespalten. In vielen Ländern wird die israelische Position schon alleine deshalb mit Skepsis betrachtet, weil die USA auf der Seite von Israel sind. In vielen muslimischen Ländern gibt es mindestens eine intuitive Solidarität mit den Palästinensern. Selbst in vielen westlichen Ländern sind große Teile der Bevölkerung auf Seiten der Palästinenser. Neuerdings ist schon eine Mehrheit der Wähler der US-Demokraten eher Pro-Palästinensisch als Pro-Israelisch – das wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen. Und viele Länder des Globalen Südens interpretieren die Auseinandersetzung zwischen Israel und den Palästinensern im Rahmen des „postkolonialen“ Schemas, das ich oben schon skizziert habe. Alles zusammen ergibt das leider eine erdrückende Mehrheit.

Dass an der Spitze Israels gerade in diesem gefährlichen Moment ein verantwortungsloser Egozentriker wie Benjamin Netanjahu steht, der auch noch in einer Koalition mit Faschisten regiert, macht die Sache nicht gerade leichter.

Der taumelnde Westen

Das ist leider eine Tatsache, die man nicht aus der Welt schaffen wird, indem man sie auf Twitter oder in kriegsgeilen Kommentaren anprangert. Gerade wenn Israels Feldzug gegen die Hamas erfolgreich sein soll, wird man auch bisher Nicht-Überzeugte überzeugen müssen. Man nennt das: Allianzen bilden. Den Weg dahin nennt man: Diplomatie. „Der Nahostkonflikt bringt die Menschen in vielen Staaten gegen den Westen auf“, formulierte der „Spiegel“ in einem großen Report. Und fragt bang: „Zerbricht die Weltordnung?“

Man könnte jetzt zurückfragen: Welche Weltordnung? Denn: Selten war der Westen so isoliert wie in diesen Tagen. Und das Ende seiner Hegemonie so spürbar.

Man muss sich Umständen nicht beugen, aber man kann sie nur verändern, wenn man sie zur Kenntnis nimmt. Was ist also eine linke Haltung zu all dem? Sie muss den Idealen von Freiheit, des Antitotalitarismus, von Gerechtigkeit und Frieden folgen und alles Denkmögliche unternehmen, so viele Verbündete wie möglich zu gewinnen. Das ist schwierig und verlangt staatsmännisches Geschick. Katastrophal wäre, potentielle Verbündete ins antiwestliche Lager zu treiben. Auch arabische Staaten haben ein Interesse an Frieden und Stabilität und daran, die Hamas zu schwächen. Auch zentralasiatische Staaten haben ein Interesse, sich Richtung Europa zu orientieren, um nicht geopolitisch unter der Kuratel von Russland und vor allem China zu enden. Mögen lateinamerikanische Gesellschaften auch eine historische Aversion gegen US-Hegemonie und Geneigtheit zu antikolonialistischen Rhetoriken haben, so sind demokratisch-linke Staatspräsidenten wie Lula da Silva (Brasilien) und Gabriel Boric (Chile) natürlich notwendige Verbündete für eine gerechte und demokratische Weltordnung. Aber die Allianzen, die es bräuchte, werden nicht von selbst entstehen. Dieser Krieg, schrieb Thomas Friedman vergangene Woche in der New York Times, ist nur zu gewinnen „mit einer Koalition aus Menschen und Nationen, die in demokratische Werte und das Selbstbestimmungsrecht aller Völker glauben.“ Israel wird es schwer haben, „solange es nicht eine Regierung bildet, die eine solche Koalition schmieden kann“.

Es wäre der Moment für eine ambitionierte Außenpolitik, welche die Gesichtspunkte der jeweils anderen zu verstehen versucht, eigene Positionen in die Sprache anderer politischer Kulturen übersetzt und ohne Eifer und Fanatismus dicke Bretter bohrt. Simpel gesagt: Es wäre der Moment für echte Außenpolitik.

Die muss noch nicht einmal „links“ sein. Ein bisschen „vernünftig“ würde schon reichen.

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