Passionen des Engagiertseins

Wenn unsere Argumente noch nicht richtig überzeugen, dann hilft es vielleicht, wenn wir lauter brüllen? Eher nein.

taz, das schlagloch, Oktober, 2024

Manchmal, nein, unglücklicherweise sogar eher häufiger, muss ich an die schöne Formulierung von George Orwell denken: „Wie bei den Christen sind beim Sozialismus seine Anhänger die schlechteste Reklame.“ Orwell dachte da an wirre Zausel, aber auch an Doktrinäre, an Besserwisser, die sich so gerne selbst reden hören und an Charaktere ähnlicher Art. Sie kennen das. Sie können gerne auch statt „Sozialismus“ eine ganze Reihe unterstützenswerter Anliegen einfügen. Sie stoßen bestimmt in jedem Fall auf ganze Bataillone von Anhängern, die „die schlechteste Reklame“ der jeweiligen Sache sind. Nun mag es so sein, dass jede gute Sache auch Schrullis und Spinner aller Art anzieht wie das Licht die Motten. Hinzu kommt, dass jede echte Überzeugung und die Leidenschaftlichkeit, mit der man für sie eintritt, die Gefahr der Über-Überzeugtheit schon in sich trägt und damit das Risiko, in einen Tunnelblick zu geraten. Damit geht die Gefahr einher, den Rest der Welt nur mehr in Verbündete und Feinde zu unterscheiden, eine andere, dass wir womöglich glauben: Wenn unsere Argumente noch nicht wirklich überzeugen, wird es vielleicht besser, wenn wir besonders laut und ohrenbetäubend brüllen. Grundsätzlich sind wir Menschen sowieso gut darin, die Fehler der anderen krass wahrzunehmen, den eigenen Unzulänglichkeiten gegenüber aber große Nachsicht walten zu lassen. Für die eigenen Fehler, sofern wir ein Bewusstsein für diese überhaupt zulassen, finden wir stets mildernde Umstände, eine Milde, mit der die jeweils Anderen nicht unbedingt rechnen können.

Ganz nebenbei gesagt, um hier nicht selbstgerecht zu erscheinen, glaube ich ja, dass es eine ausgesprochen herausfordernde Aufgabe ist, für die Sache, der man sich verschreibt, eine gute Reklame zu sein. Dies nur als eine Bemerkung, damit niemand glaubt, ich rede nur über spinnerte Andere und sei selber mal wieder fein raus.

In Österreich hatten wir ja gerade Nationalratswahlen, ich fürchte, sie haben schon davon gehört. Von Österreich hört man ja immer nur wenn wieder einmal etwas mit Nazis ist oder mit gestörten Männern, die Frauen in Keller einsperren. Wie soll ich sagen? Bei den Nationalratswahlen war nicht das mit den Kellern, sondern das andere. Die Rechtsextremisten landeten mit rund 29 Prozent auf Platz eins, die Konservativen stürzten auf 26 Prozent ab und retteten sich auf Platz zwei und die Sozialdemokraten landeten weit dahinter, bei 21 Prozent.

Ich habe nicht nur die Sozialdemokraten unterstützt, sondern explizit deren neuen Vorsitzenden, Andreas Babler. Aus mehreren Gründen, deren wichtigster davon: In einer orbanistischen Quasi-Diktatur will ich nicht leben, also muss man alles tun, um sie zu verhindern.

In den Medien spricht man jetzt gerne von „Verlusten“ der Konservativen und von einem „Debakel“ der Sozialdemokraten, weshalb viele andere Unterstützer von Andreas Babler jetzt erklären, dass schon diese Formulierung eine fiese journalistische Verschwörung ist. Schließlich habe man nicht nennenswert verloren, die Konservativen schon.

Ich verfolge diese Verbissenheit mit einer gewissen Fremdscham für die eigenen Leute. Denn: 21 Prozent sind natürlich ein Fiasko, und der Umstand, dass schon die Wahlen vor fünf Jahren ein Debakel waren, macht es nicht wirklich kleiner. Manche versteigen sich gar in die Ansicht, es sei ein Erfolg, da trotz „schwieriger Umstände“ das Ergebnis gehalten habe. Oh mein Gott, wenn ich das höre, will ich gleich versinken. Wenn man selbst stagniert, gleichzeitig die Grünen verlieren – und man alles, was man an Stimmen von diesen gewinnt in gleichem Umfang ins Nichtwählersegment verliert dann ist das, sorry my french, richtig Oarsch.

Wenn wir dieses Geschehen als Fingerzeig nehmen, der nicht nur für Österreich ein paar Lektionen bereit hält, dann müsste man daran herumzugrübeln beginnen: eine Erwartung war ja, dass man mit einem geerdeten, volkstümlichen, vom Habitus her „proletarischeren“ Parteivorsitzenden und einer energetischen Unterstützerbasis die Vertrauensverluste in jenen Milieus ein wenig gut machen kann, die sich von den „abgehobenen“ Progressiven in den letzten Jahrzehnten „verlassen“ fühlten. Fakt ist: man hat hier gar nichts gewonnen, und in der „Mitte“ – in eher bürgerlichen, konservativen Arbeitnehmermilieus – sogar verloren. Ziemlicher Mist. Gewiss: Dass Babler und sein Team von Teilen der eigenen Partei teilweise sabotiert wurden, hat dazu auch beigetragen. Das ist übrigens das Blöde an der Realität, das es auch so schwer macht, aus Erfahrungen zu lernen: Sie ist multikausal. Sie ist komplex. Es sind immer verschiedene Dinge zugleich wahr. Was es erleichtert, dass sich alle den für sie bequemsten Aspekt des Wahren herauspicken.

Weil es ein so schwieriges Geschäft ist, sich einer Sache mit Leidenschaft zu verschreiben, und weil es irgendwie oft auch uncool ist, für etwas einzutreten und dann auch auf Spur zu bleiben, wenn einem der Wind ins Gesicht bläst, ziehen manche Leute ja den Schluss, dass es besser ist, für nichts einzutreten. Viele ziehen diesen Schluss ja mehr intuitiv.

Das ist natürlich nicht cool, sondern die billigste Haltung überhaupt. Wir kennen ja diesen Typus der neutralen Unberührtheit, der sich die Ironie und Sarkasmus in alle Richtungen erlaubt und glaubt, der „Unabhängigismus“ wäre auch noch eine intellektuell besonders überlegene Position. Bei Reinald Goetz habe ich dazu gerade sehr schöne Zeilen in seinem Journalband „wrong“ gelesen. „Spießertum“, nennt er diese „Weltdistanz“, und „außerdem ist aufregenden Dingen gegenüber die kühle, unaufgeregte Reaktion der Souveränität auch ganz einfach FALSCH, defizitär“. Sie sei „Kompetenzmangel, die Unfähigkeit nämlich, auf Anlässe adäquat zu reagieren. Die Machtgeste der inneren Unabhängigkeit interessiert die Welt gar nicht, sie schränkt nur die eigene Resonanzfähigkeit ein, das weltadäquate Erkennen und Verstehen. Und die Stilisierung dieses Defizits zum überlegenen Verfahren verhindert, dass man die Passionen des Involvements und der Hitze und deren Schönheit entdeckt.“

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