Wenn unsere Argumente noch nicht richtig überzeugen, dann hilft es vielleicht, wenn wir lauter brüllen? Eher nein.
taz, das schlagloch, Oktober, 2024
Manchmal, nein, unglücklicherweise sogar eher häufiger, muss ich an die schöne Formulierung von George Orwell denken: „Wie bei den Christen sind beim Sozialismus seine Anhänger die schlechteste Reklame.“ Orwell dachte da an wirre Zausel, aber auch an Doktrinäre, an Besserwisser, die sich so gerne selbst reden hören und an Charaktere ähnlicher Art. Sie kennen das. Sie können gerne auch statt „Sozialismus“ eine ganze Reihe unterstützenswerter Anliegen einfügen. Sie stoßen bestimmt in jedem Fall auf ganze Bataillone von Anhängern, die „die schlechteste Reklame“ der jeweiligen Sache sind. Nun mag es so sein, dass jede gute Sache auch Schrullis und Spinner aller Art anzieht wie das Licht die Motten. Hinzu kommt, dass jede echte Überzeugung und die Leidenschaftlichkeit, mit der man für sie eintritt, die Gefahr der Über-Überzeugtheit schon in sich trägt und damit das Risiko, in einen Tunnelblick zu geraten. Damit geht die Gefahr einher, den Rest der Welt nur mehr in Verbündete und Feinde zu unterscheiden, eine andere, dass wir womöglich glauben: Wenn unsere Argumente noch nicht wirklich überzeugen, wird es vielleicht besser, wenn wir besonders laut und ohrenbetäubend brüllen. Grundsätzlich sind wir Menschen sowieso gut darin, die Fehler der anderen krass wahrzunehmen, den eigenen Unzulänglichkeiten gegenüber aber große Nachsicht walten zu lassen. Für die eigenen Fehler, sofern wir ein Bewusstsein für diese überhaupt zulassen, finden wir stets mildernde Umstände, eine Milde, mit der die jeweils Anderen nicht unbedingt rechnen können. Passionen des Engagiertseins weiterlesen