Der Rote Faden, meine Kolumne aus der taz. November 2020.
Natürlich, sagte Heiner Müller einmal, „ist eine Diktatur für Dramatiker farbiger als eine Demokratie“, in ihr werde Macht direkt ausgeübt, Menschen widersetzen oder entziehen sich oder passen sich an, oder sie machen irgend etwas dazwischen. Das Existentielle ist buchstäblich existentieller. „Der Aufenthalt in der DDR war in erster Linie ein Aufenthalt in einem Material.“
Auch der Aufenthalt in einer Katastrophe ist für einen Autor Aufenthalt in einem Material, es gibt hier viel zu sehen, was ansonsten unsichtbarer bliebe. Ich winke also aus Österreich, der Katastrophenzone, aktuell der globale Corona-Hotspot. Seuchenweltmeister.
Wir hocken im Stubenarrest, Geschäfte, Schulen, Kneipen, alles hat zu, wir dürfen zwar raus, um ein wenig Luft zu schnappen. Die Infektionszahlen gehen dennoch nur sehr langsam zurück, da man die Epidemie kriminell lange laufen ließ. In den Pflegeheimen sterben die Leute wie die Fliegen, die Intensivstationen quellen über und dafür ist nicht zuletzt ein Kanzler verantwortlich, ein Angeber und Aufschneider, der monatelang damit prahlte dass wir „die Besten“ seien, was die Leute zu Halligalli ermuntert hat. Nicht einmal Donald Trump hat so ein Desaster anrichten können, jedenfalls wenn man die Todeszahlen in Relation zur Bevölkerung als Indiz heranzieht.
Und dieser Irrsinn geht weiter. Regierung und Schiliftmafia träumen noch immer vom unbeschwerten Wintertourismus. Im meistverseuchten Land der Welt zigtausende in Hotels, in Restaurants, in Gondeln – was kann da schon schief gehen?
Nun gibt es gewichtige Gründe für diese Schnapsidee, schließlich trägt der Tourismus zu rund 15 Prozent des heimischen BIP bei, es hängen Unternehmensexistenzen und Arbeitsplätze daran. Aber auch andere Branchen haben eine harte Zeit. Die Freude am Wintersport und am Urlaub sei den Menschen auch unbenommen, nur: Andere Leute hätten auch gerne eine Freude. Doch Theater sind gesperrt, Clubs und Bars sowieso, die Leute hocken isoliert daheim, die Kinder gehen schon die Wände hoch. Und jeder weiß: wenn es in vier Wochen Weihnachtsferien mit Schiurlaub gibt, dann zahlen in acht Wochen alle die Zeche für den Tourismus und den Urlaub von einigen wenigen.
Das verletzt auf eklatante Weise Gerechtigkeitsinstinkte. So eine Pandemie ist sowieso schon ein Stresstest für eine Gesellschaft, da Regierungen sehr viel tiefer in die Gewohnheiten und die privateste Lebensführung der Bürger und Bürgerinnen hineinregieren als in „normalen“ Zeiten. Innen leben ist schlecht fürs Innenleben weiterlesen