Vladimir Putin galt als Demokrat und bewunderte Augusto Pinochet. Nachdem er sich ins Präsidentenamt trickste, beginnt er mit einer Seilschaft hartgesottener KGB-Leute, Russland zur autokratischen Despotie umzuwandeln.
Ich habe in den vergangenen zwei Monaten viele tausend Seiten an Unterlagen und Büchern über die Vladimir Putins Aufstieg, seine Ideen, sein Selbstbild, seine Selbstzeugnisse gelesen, über das Machtnetzwerk, das er etabliert hat, über Ideologie und Weltbild der wichtigsten Figuren – einfach um die Situation, in der wir sind, selbst besser zu verstehen. Ich werde hier jetzt in loser Folge in vier oder fünf Teilen aufschreiben, was mir am Interessantesten erscheint. Ich beginne mit Putins Aufstieg und seinem Machtnetzwerk, werde mich in Folge zwei der großrussischen Ideologie widmen, die mehr und mehr zu einem lupenreinen faschistischen Weltbild wurde und dann den Netzwerken, mit denen der Westen korrumpiert, manipuliert und infiltriert wurde. Bleiben Sie dran. Und wenn Ihnen diese Serie etwas Wert ist – dankeschön. Link ist unten.
„Ein Hooligan“, sei er gewesen, erzählte Vladimir Putin in einem Interview vor mehr als zwanzig Jahren, auf seine Jugendtage angesprochen. Auf die ungläubige Frage des Interviewers, ob er damit nicht ein wenig übertreibe und flunkere, erwiderte Putin: „Wollen Sie mich beleidigen? Ich war ein echter Schläger.“ Masha Gessen, die amerikanische Journalistin russischer Herkunft, erinnert in ihre Biografie „The Man Without a Face: The Unlikely Rise of Vladimir Putin“ an diesen Wortwechsel.
Putin selbst ist immer wieder auf diese Geschichten zurückgekommen, hat die Straße „meine Universität“ genannt. Er habe viele Schläge einstecken müssen und auch entwürdigende Erfahrungen gemacht und mehrere Schlüsse daraus gezogen, erzählt er gerne, etwa, dass man einen guten Grund brauche, um eine Schlägerei zu beginnen. Unter den vier Grundsätzen, die er aus seiner Gangsterzeit mitgenommen habe, ist auch „Schluss Nummer drei: Ich habe gelernt, dass man – egal ob ich im Recht war oder nicht – stark sein müsse. Ich musste in der Lage sein, dagegenzuhalten… Schluss Nummer vier: Es gibt keinen Rückzug, du musst bis zum Ende kämpfen. Letztendlich war es das auch, das ich später im KGB gelernt habe, aber im Grunde wurde mir das schon viel früher beigebracht – in diesen Kämpfen als Junge“ (zitiert nach: Mr. Putin: Operative in the Kremlin, by Fiona Hill and Clifford G. Gaddy).
Vielleicht gibt uns diese Geschichte einen Einblick in das Denken von Vladimir Putin, wie er „tickt“. Vielleicht aber auch nur, wie er gesehen werden will. Denn, daran erinnern Fiona Hill und Clifford G. Gaddy in ihrem Buch „Mr. Putin: Operative in the Kremlin“, es sind die Geschichten, wie sie Putin selbst erzählt. Vieles aus Putins Vergangenheit liegt im Dunkeln, ist von Geheimniskrämerei umgeben, voller schwarzer Flecken, und der KGB-Mann (und Kontrollfreak) Putin lässt ja nichts zufällig raus. Er erzählt Geschichten nicht ohne Absicht, seit Beginn seines Aufstiegs basteln er und seine Entourage und seine Spin-Doctoren auch am öffentlichen Image von Putin herum. Dabei wird nichts dem Zufall überlassen, nichts ist ohne Absicht. Wenn Putin hier das Bild eines Mannes zeichnet, der als Straßengangster begonnen hat, nie aufgeben wird und eine Schlägerei bis zum bitteren Ende führen wird, weil Aufgeben keine Option sei – dann will er genau so wahrgenommen werden, sprich, er will, dass andere vor ihm Angst haben.
Man muss das bei den Quellen, die uns zur Verfügung stehen, immer mitbedenken. Bei jeder „Entdeckung“, die man in den Archiven macht, muss man im Kopf haben, dass er möglicherweise will, das wir diese „Entdeckung“ machen.
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