Das McKinsey-Syndrom

Gefühlszombies, die ihren eigenen Geschäftsbericht leben. Das Feindbild der "globalisierten Eliten" ist groß im Kommen. Falter März, 2004

 

 

Der Dichter hat ein Gespür für die große Geste. Vor ein paar Wochen hat Robert Menasse eine Philippika gegen den globalisierten Kapitalismus losgelassen und ein Plädoyer für Engagement gehalten, das einiges an Erstaunen auslöste. Jetzt ist er, hat er uns wissen lassen, Attac beigetreten – folgerichtig, wie man so sagt. Und hat in der "Zeit" noch einmal nachgelegt, hat das Bild einer neuen, grandiosen Dichotomie entworfen, das Bild von der Intensität eines neuen Kriegs der Klassen. Nicht mehr Proletariat und Bourgeoisie stehen sich, bereit zum historischen Showdown gegenüber, sondern "die Globalisierungseliten und die Globalisierungskritiker".

 

Chapeau. Man hat das von Robert Menasse nicht erwartet – und doch liegt er voll im Trend. Fast schleichend hat sich in den vergangenen Jahren ein Bild, eine Art der spontanen Weltdeutung durchgesetzt, das differenziert und sogleich auch simpel ist. Die feurigen Reden über den Homo Oeconomicus, die Politik von "Reform" und "Effizienz", das, was man die "Ökonomisierung aller Lebensbereiche" nennt, haben eine Abwehr gegen eine eindimensionale ökonomische Vernunft erzeugt. Und zugleich weiss natürlich jeder, dass auch die Kritiker des Kapitalismus keine Alternative zu diesen kennen; ja, dass es nicht die drei, vier, fünf Maßnahmen gibt, die man nur durchzusetzen habe, um den gesellschaftlichen Zug wieder auf ein besseres Gleis zu setzen; und dass es wohl eher um partielle Gegenstrategien, um Dissonanzen gehen wird, die kreuz und quer verlaufen, als um eine Konfrontation zwischen schroff geschiedenen Sphären von "Herrschenden" und "Beherrschten". Über diese komplexe Konstellation hat sich aber zugleich ein plakatives Bild gelegt: Hier die globalisierten Eliten in ihren grauen Business-Suits, in ihren Tagungs- und Konferenzhotels, Flughafenlobbies und Stahl-Glas-Bürohäusern, diesen Nicht-Orten erhöhter Mobilität, den Kulissen des Sozialen – jenseits von Raum und Zeit. Figuren ohne Eigenschaften, Gefühls-Zombies, die keine Biographie mehr haben, sondern nur mehr ihren eigenen Geschäftsbericht leben. Und da alle anderen, eine schillernde Buntheit aus Exkludierten, kleinen Leuten, Vorstadt-Kids, Künstlern und Lebenskünstlern – die nicht dazugehören, weil man sie nicht lässt, oder die nicht dazu gehören möchten, weil sie "das nicht leben" wollen, wie es in einem der René-Pollesch-Stücke heisst, die im Grunde von nichts anderem handeln.

 

Kurzum: Hier die McKinseys – und da die echten Menschen.

 

Denn McKinsey, die globale Unternehmensberatungs-Agentur, ist zur Metapher für einen außer Rand und Band geratenen Kapitalismus geworden. Die Consulter, die Firmen, Institutionen und Behörden beim Sparen, Outsourcen, Downsizen, Re-Engenieren, Redimensionieren helfen, und nichts als Zahlen und Effizienz im Kopf haben, geraten zum Phänotypen. Rolf Hochhuts Stück "McKinsey kommt", jüngst in Brandenburg uraufgeführt, ist da nur eines der Indizien. Das Stück, von der Kritik allgemein und zurecht verrissen (weil es wie ein Flugblatt oder ein Leitartikel wirkt, der mit verteilten Rollen verlesen wird), ist eine wüst raunende Verwünschung gegen die "Hydra" aus Banken, Konzernen und Beratern, die in der kaum verhohlenen Nostalgie nach einer Zeit mündet, in der "die Geldsäcke noch Schiß" hatten, "Terroristen würden sie entführen und plattmachen". Hochhut: "Es wird eine Revolution kommen."

 

Auch die junge (Austro-)Berliner Autorin Kathrin Röggla hat sich dem Thema zugewandt, und woran Hochhut scheitert, das gelingt der feinsinnigen, klugen 33jährigen mit Bravour – die innere Dynamik der McKinsey-Welt aufzuspüren. "Wir schlafen nicht", heißt ihr jüngstes Stück, eben in "Theater Heute" abgedruckt. Da sind Figuren, besser Textträger, denen keiner was vormachen kann, die das alles "auswendig runtersagen", können: "den inhalt der minibar, die streifen der tapete", die das alles kennen, "das lächeln der rezeption", "die blicke der sechs-uhr-flieger", die immer "auf adrenalin" sind und nicht mehr runterkommen können: "er suche sich lieber einen neuen streß, das sei viel weniger stressig, als runterzukommen."

 

Die McKinseys sind zur Metapher einer neuen, globalisierten "Herrenschicht" geworden. Das ist die neue Melodie. Nur sollte man nicht übersehen, dass das auch ein ziemlich plumpes Lied sein kann. Soweit das Prinzip McKinsey als Chiffre genommen wird, als Chiffre für totale Ökonomisierung oder als repräsentativer Typus einer neuen, global aktiven Hyperklasse, ist dagegen wenig einzuwenden. Aber sobald McKinsey, das eher ein Symptom für Umstrukturierung ist, als deren eigentlicher Motor gesehen wird, kippt das Motiv in eine ziemlich plumpe Art Antikapitalismus. Man muss sich dann nicht mehr mit den Imperativen und ökonomischen Prozessen eines digitalisierten, globalen Netzwerk-Kapitalismus auseinandersetzen, in dem kaum einer noch Macht im engeren Sinn hat und auch der Mächtigste nur eine Marionette der großen Welt-Wirtschafts-Maschine ist, man hat dann endlich wieder konkrete Personen, auf die man mit dem Finger zeigen kann – diese smarten Klons, die alle gleich aussehen und alle das gleiche blödsinnige Zeug reden ("Diversifizieren", "Konzentration auf das Kerngeschäft", "Unique Selling Proposition" …).

 

Unlängst wurde ich von einem Berliner Theater zu einer Diskussion mit dem Spiegel-Redakteur Dirk Kurbjuweit eingeladen, der ein Buch geschrieben hat, das "Unser effizientes Leben" heißt (und zwar, weil der ursprünglich geplante Titel "Die McKinsey-Gesellschaft" von McKinsey untersagt worden war). Thema der Abends: "McKinsey und Marx". In seinem Buch beschreibt Kurbjuweit pointiert und amüsant, welche Auswirkungen der "Terror der Ökonomie" hat – berichtet von Pfarrern, die ihre Predigt "eine Dienstleistung am Kunden" nennen, und sich als Anbieter "auf dem Markt für Sinn-Angebote" sehen, und er weist darauf hin, dass heute auch der, der "nicht von McKinsey beraten wurde, denkt und handelt, als sei er von McKinsey beraten worden". Und sein Lamento, dass das Authentische verloren gehe, wenn alles auf Effizienz getrimmt ist, ist gewiß sympathisch.

 

Das Frappierende ist aber etwas anderes. Jenseits dessen, gewissermaßen als Globalperspektive, die sich über diese Beobachtungen legt, entwirft er ein allgemeines Panorama, das sich etwas verkürzt etwa so zusammenfassen läßt: Die Welt wäre schön, es gäbe noch Inseln der Langsamkeit und Nischen, in denen das Kommerzprinzip nicht herrschen würde, wenn es nicht die Unternehmensberater gäbe. Diese, eine verschworene Sekte, montieren alles um und unterziehen jeden einer Gehirnwäsche, bis auch der kleinste Pförtner wie ein Betriebswirt denkt. Nur mehr ganz, ganz wenige sperren sich gegen diese innere Kolonisierung, aber bald wird sich das McKinsey-Prinzip auch durch diese letzten Unangepaßten durchgefressen haben. Eine ziemlich plumpe These, die nach Verschwörungstheorie schmeckt, und das bekannte Motiv aus Sci-Fi-Filmen variiert, von den Außerirdischen, die wie Menschen aussehen, die Erde kolonisieren und fatal unbemerkt ihre Alien-Gesellschaft errichten. Komischerweise schienen nicht Wenige im Publikum das durchaus plausibel gefunden zu haben.

 

So sympathisch die Anklagen gegen Ökonomismus und die Pamphlete für soziale Gerechtigkeit auch sind, so ist das doch ein Reduktionismus, der einem fast die Worte raubt. Wären die Individuen vollends an die kapitalistische Weltmaschine angeschlossen, gäbe es kein Unbehagen. Gewiß gibt es diesen Mechanismus von äußerer Dressur und innerer Selbstdressur, der erst ermöglicht, dass die Menschen funktionieren wie Unternehmen: jederzeit änderungsbereit. Es gibt die Zurichtung aller Existenz durch Kommerz und Ökonomisierung, aber es gibt auch ein waches Bewußtsein darüber und die vielen, stetigen, kleinen Versuche, sich dem Herdentrieb zu entziehen.

 

McKinsey ist seit längerem schon eine Chiffre für Ökonomisierung. Aber es scheint, dass es heute fast schon auch das Gegenteil ist: Chiffre für die Revolte der Subjekte gegen diese Ökonomisierung.

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