Interview. Gore Vidal, der zornige alte Mann der US-Literatur,
über den „Despoten“ Bush, die verlorenen Tugenden Amerikas und die
Schwierigkeiten beim Schreiben seiner Autobiografie. profil, 2004
profil: Herr Vidal, in den achtziger Jahren haben Sie einen
Verfassungszusatz vorgeschlagen, wonach keinem Präsidenten erlaubt
sein sollte, an ein Leben nach dem Tod zu glauben.
Vidal: Ja, da war ich meiner Zeit voraus.
profil: Jetzt haben Sie immerhin einen Präsidenten, der Jesus
schon einmal begegnet ist.
Vidal: Jesus kümmert sich wirklich um unsere Trunkenbolde.
Wahrscheinlich ist er Bush in einer Bar begegnet.
profil: Sie haben keine allzu hohe Meinung von Ihrem Präsidenten,
stimmt’s?
Vidal: Natürlich nicht, ich kenne auch keinen intelligenten
Menschen, der eine gute Meinung von ihm hat. Er stiehlt uns unsere
Freiheiten, unsere berühmte Bill of Rights. Er kann anordnen,
jemanden ohne Anklage ins Gefängnis zu stecken, wenn der des
Terrorismus verdächtig ist. Er kann sogar Amerikanern ihre
Staatsbürgerschaft aberkennen und sie aus dem Land deportieren. Das
sieht alles der Patriot Act vor. Dafür alleine würde Bush die
Amtsenthebung verdienen.
profil: Despotismus haben Sie das genannt – ein ziemlich hartes
Wort.
Vidal: Wie soll ich das sonst nennen? Da wird einer Präsident, um
die Interessen der Öl- und Gasindustrie zu vertreten, mit dem Plan in
der Schublade, Saddam Hussein anzugreifen – und nützt den 11.
September schamlos aus. Dann bricht er einen Krieg vom Zaun, in dem
amerikanische Soldaten getötet werden und amerikanisches Geld
verpulvert wird.
profil: Despoten nennt man üblicherweise Leute wie Hitler oder
Stalin; ist es nicht ein wenig gewagt, Bush da dazu zu zählen?
Vidal: Hitler wurde gewählt, und die Deutschen wussten zu Beginn
auch nicht, wohin das führt. Stalin war anfangs nur einer der
üblichen orientalischen Despoten. Ich finde, die Typen gleichen sich
ziemlich.
profil: Bush steht für Sie gegen all das, was Amerika verkörpert?
Vidal: Vor 150 Jahren hätte man Bush und Justizminister John
Ashcroft nicht einmal als amerikanische Bürger betrachtet, weil sie
so quer zu den Werten der amerikanischen Republik liegen. Sicher, wir
hatten immer einen Streit darüber, wohin das Land sich entwickeln
soll. Schon vor 1856 haben wir Mexiko überfallen, um uns Kalifornien
zu holen. Aber wir hatten noch nie so ein radikales Regime. Das sind
Plünderer.
profil: Allerdings haben Sie jede US-Regierung in den vergangenen
50 Jahren kritisiert …
Vidal: Das ist doch nicht wahr. Ich habe immer den imperialen Zug
unserer Politik kritisiert.
profil: Würde es einen Unterschied machen, wenn John Kerry
Präsident wird?
Vidal: Es würde einen Unterschied machen. Allerdings ist auch
Kerry ein Imperialist. Er ist nicht prinzipiell gegen außenpolitische
und militärische Abenteuer. Er redet auch vom Krieg gegen den Terror.
Dabei gibt es diesen Krieg doch nur in Bushs Kopf. Bush will das
Krieg nennen, denn in Kriegen konnte der Präsident immer schon fast
alles machen, was er wollte. „Ich bin ein Kriegspräsident, ich bin
ein Kriegspräsident!“, schreit Bush immerzu.
profil: Aber die Amerikaner …
Vidal: … haben ihn nicht gewählt, wie Sie sich erinnern.
profil: Jetzt haben sie sehr wohl den Eindruck, dass sie im Krieg
sind und Bedrohungen ausgesetzt sind.
Vidal: Weil ihnen das die Medien einreden, die von der
Geschäftswelt kontrolliert werden. Natürlich müssen wir uns gegen
Leute wie Bin Laden verteidigen. Wie tut man das am besten? Man geht
zu Interpol, die sind dafür da! Wenn die Mafia eine Bank ausraubt,
bombardieren wir ja auch nicht Palermo.
profil: Gibt’s keine Hoffnung?
Vidal: Die imperiale Politik wird aufhören, wenn wir bankrott
sind.
profil: Warum sind Sie so pessimistisch? Es gibt Gore Vidal, es
gibt Noam Chomsky, es gibt Michael Moore, und jetzt gehen sogar Bruce
Springsteen und R.E.M. auf Anti-Bush-Tour. Die Kulturszene ist doch
erstaunlich vital.
Vidal: Unter anderem deshalb, weil ich alle Präsidenten der USA
mit Ausdauer kritisierte, was Sie mir jetzt vorhalten. Ich werde
nicht müde, zu sagen, was dieses Land einmal war, was es heute ist
und was es sein sollte.
profil: Sie wurden berühmt als Autor historischer Romane, aber
auch als Modernist. „The City and the Pillar“, 1948 erschienen, war
der erste große Homosexuellenroman der USA. Sind Sie nun ein
progressiver Linker oder ein nostalgischer Konservativer, der den
Tugenden des alten Amerika nachtrauert?
Vidal: Ach, die europäischen Intellektuellen, die leider auch
ziemlich selten sind, wollen für jeden eine Kategorie und am besten
ziemlich einfache: „Er ist ein Linker“ oder „Er ist nur ehrgeizig“.
Wir hatten in Amerika nie eine Linke, und wenn es eine gäbe, bin ich
nicht sicher, ob ich dazugehören wollte. Was für mich allein zählt,
sind die Freiheitsrechte.
profil: In letzter Zeit haben Sie aber weniger mit Romanen oder
literarischen Essays für Aufsehen gesorgt als mit Ihren politischen
Pamphleten. Elektrisiert Sie Politik heute mehr als früher?
Vidal: Ich habe vor fast fünfzig Jahren zwei-mal für ein
politisches Amt kandidiert, einmal sogar für den Kongress. Die
Vereinigten Staaten sind einfach mein Thema, immer schon. Einer muss
ja warnen.
profil: Sex war auch immer Ihr großes Thema. Zuletzt haben Sie mit
Ihrer Autobiografie Einblicke in Ihr Privatleben gewährt.
„Palimpsest“ handelt von den ersten 39 Lebensjahren und ist eine
Liebeserklärung an Ihren ersten Lover Jimmie Trimble.
Vidal: Ich hatte große Schwierigkeiten damit. Über mich zu
schreiben passt gar nicht zu mir. Das ist mir zu persönlich.
profil: Dafür haben Sie aber ziemlich viel von sich hergegeben.
Vidal: Ach, das ist gar nicht wahr. Aber wenn man mit dem
Schreiben einer Autobiografie beginnt, muss man es eben ordentlich
machen.
profil: Wird es eine Fortsetzung geben?
Vidal: Ich weiß nicht: Alles Interessante spielt sich in den
ersten vierzig Jahren ab, der Rest ist Wiederholung.
profil: 1972 sagten Sie in einem Interview: „Es gibt kein Problem,
das nicht gelöst werden könnte, wenn die Leute auf meinen Rat hören
würden.“
Vidal: Oh nein, da habe ich doch nur einen Witz gemacht! Alle
waren empört: „Er glaubt, er weiß alles! Und er ist nicht einmal ein
Professor!“ Dabei habe ich nur gescherzt.
profil: Was wäre nun Ihr Ratschlag: Wie kommt Amerika aus dem
Schlamassel im Nahen Osten wieder raus?
Vidal: Raus, sofort. Wir sind kaum fähig, uns selbst zu regieren,
geschweige denn andere.
profil: Wenn die Amerikaner abziehen, gibt es Chaos.
Vidal: Um Gottes willen! Wie schrecklich!
profil: Wäre es um den Nahen Osten besser bestellt, wenn die
Amerikaner abziehen?
Vidal: Soll ich Ihnen etwas sagen? Es interessiert mich nicht! Wir
haben dort nichts verloren. Und man will uns dort auch nicht. Das
reicht.
Interview: Robert Misik
Zur Person
Gore Vidal, 79, ist einer der großen Polemiker der US-Literatur.
Er stammt aus alteingesessener Oberschicht, ist ein Vetter von
Ex-Vizepräsident Al Gore und mit Jacqueline Kennedy verwandt. Er ist
Autor zahlreicher Romane, Theaterstücke und Filmdrehbücher („Ben
Hur“) sowie unzähliger literarischer und politischer Essays. In einer
Reihe historischer Romane setzte er sich mit der US-Geschichte
auseinander („Lincoln“, „Empire“). Vergangene Woche präsentierte er,
auf Einladung der SPÖ, seinen jüngsten Essayband „Die vergessliche
Nation“ in Wien.