Grün übermalte RAF

 

Gilles Kepel, franzöischer Dschihadisten-Experte, über die Anschläge von Taba, den Aufstand im Irak sowie die schwer zu beurteilende Frage, ob die Islamisten in der Offensive oder in der Defensive sind. Falter, taz, November 2004

 

Gilles Kepel, 49, ist einer der besten Kenner der militanten Islamistenszene. Seit seinem "Schwarzbuch des Dschihad" ist der Professer am Pariser Institut d’Etudes Politiques auch hierzulande eine feste Größe. Vorvergangene Woche präsentierte Kepel sein neues Buch "Die neuen Kreuzzüge" am Wiener "Institut für die Wissenschaften vom Menschen".

 

In ihrem "Schwarzbuch des Dschihad" hatten Sie die Krise des Islamismus analyisert. Nunmehr scheinen Sie nicht mehr so sicher zu sein, ob die Dschihadisten nicht aus dieser Krise herausgekommen sind.

 

Kepel: Ich bin mir aber auch nicht so sicher, ob sie jetzt so viel besser dastehen…

 

Sie agieren in Augenhöhe mit einer Supermacht. Das gibt doch Bedeutung: With a little help from their enemys, könnte man sagen.

 

Kepel: Im Dezember 2001 hat Ayman al-Zawahiri, der zweite Mann hinter Osama bin Laden, ein kleines Pamphlet geschrieben: "Ritter unter dem Banner des Propheten". Nach den Niederlagen, die der Dschihad in den neunziger Jahren einstecken musste, so seine Überzeugung, müsse man ihm neues Feuer zuführen. In den neunziger Jahren hätte die Avantgarde der Umma nicht die richtige Sprache gefunden, um die Massen zu erreichen, so sein Urteil.

 

Wohin ging der Strategiewechsel?

 

Kepel: Die neue Strategie war die Bekämpfung des "fernen Feindes" statt des "nahen Feindes". Interessant ist: Zawahiri kommt aus Ägypten, die Beispiele, die er bringt, beziehen sich vorwiegend auf Ägypten. Der Krieg gegen das Mubarak-Regime hat in furchtbaren Blutbädern und am Ende mit der Niederlage der Dschihadisten geendet.  Darum die neue Konzentration auf den "fernen Feind" – in diesem Fall die USA -, ein Strategiewechsel, der mit 9/11 für jedermann sichtbar wurde. Das Ziel war, mit spektakulären Aktionen die Massen aufzurütteln, die mit dem Kampf gegen den "nahen Feind" so offensichtlich nicht erreicht werden konnten.

 

Das hat doch ganz gut geklappt, oder?

 

Kepel: Das ist doch fraglich, finde ich. Die Macht haben die Dschihadisten jedenfalls nirgendwo übernommen. Im Gegenteil, das Taliban-Regime, das ihnen freundlich gesonnen war, wurde gestürzt. Und nun ist folgendes interessant: Mit den Anschlägen von Taba vor einigen Wochen schwingt das Pendel retour, der Dschihad kommt zurück nach Ägypten. Das waren immerhin die ersten großen terroristischen Aktivitäten seit 1997, die Ägypten trafen. Möglicherweise hat sich die Orientierung auf den "fernen Feind" doch als kurzlebig und ineffizient erwiesen.

 

Läßt sich Taba 2004 mit Luxor so einfach vergleichen?

 

Kepel: Nein, in den neunziger Jahren konnten die Islamisten in Unterägypten einige gewisse Anhängerschaft organisieren – unter Arbeitslosen, unter den Armen des Niltales. Sie hatten dort Rückzugsräume, Verstecke. Der Sinai ist komplett anders. Der schien absolut sicher. Er war im Grunde traditionell unbewohnt, was es dort gibt, etwa an touristischen Ballungsräumen, ist völlig artifiziell entwickelt worden. Niemand lebt dort, der nicht mit dem Tourismus zu tun hat. Normale Ägypter dürfen gar nicht so einfach hin, wenn sie da nichts verloren haben. 

 

Aber alles in allem scheint es doch so zu sein: Die Dschihadisten sind, weil sie vor allem Amerika und Israel ins Visier nehmen, bei weitem nicht mehr so isoliert von den moslemischen Massen.

 

Kepel: Das ist die große Frage. Das ewige Problem des Terrorismus ist: Wie übersetzt man Gewalt in politischen Erfolg? Betrachten wir es einmal aus ihrer Perspektive. Was waren die Rückschläge und was waren die Fortschritte nach dem 11. September? Die Rückschläge: Sie haben die Talibans verloren. Al-Qaida wurde schwer angeschlagen, auch wenn al-Zawahiri und wahrscheinlich auch Osama bin Laden am Leben und in Freiheit sind. Andererseits sind ihnen eine Reihe spektakulärer Anschläge gelungen, in Bali, Casablanca, Istanbul, Madrid etwa. Sicherlich haben sie den Kreis ihrer Sympathisanten ausgeweitet. Ob sie die Massen erreichen können, ist ein anderes Thema.

 

Spielt nicht der Aufstand im Irak eine Schlüsselrolle?

 

Kepel: Der Irak sollte das neue Land des Dschihad werden. Das ist ganz klar. Aber ist er es? Oder ist er nicht eher das Land der Fitna? Das heißt in arabisch Chaos, Zerwürfnis, Zerfall der Gesellschaft. Fitna ist traditionell der Alptraum der Ulema, der islamischen geistlichen Führung. Die Frage ist schon, ob die durchschnittlichen Iraker eher dem Dschihad zustimmen, weil er sich gegen die Amerikaner richtet, oder ob sie sich eher gegen die Gewalt wenden, weil diese die gesamte Gesellschaft zerstört. Das alles ist sehr ambivalent und schwer abzuschätzen. Aber wir dürfen auch nicht vergessen: Diese Dschihad-Strategie hat, wenn überhaupt, nur in den sunnitischen Regionen eine Chance. Diese erinnern sehr stark an die Regionen Algeriens, in denen die Dschihadisten in den neunziger Jahren stark waren. Und die sind, wie wir wissen, untergegangen, weil sich die Gesellschaft gegen sie gestellt hat.

 

Aber im Irak könnte das anders sein: Hier haben die Dschihadisten die Chance, ihre Ziele mit denen eines nationalistischen Aufstandes gegen eine Besatzung zu verbinden.

 

Kepel: Ja, und das ist gewiss das, was sie versuchen. Das ist es ja übrigens auch, was sie in Hinblick auf Israel versuchen. Gegen Amerika, gegen Israel, das sind die beiden Parolen, mit denen die Dschihadisten bei der einfachen Bevölkerung punkten können. Aber wiederum ist es in beiden Fällen nicht leicht, das in politischen Erfolg zu übersetzen.

 

Wenn man die Texte liest, aus denen Sie in ihrem neuen Buch zitieren ("Die neuen Kreuzzüge", Piper-Verlag), etwa den von al-Zawahiri, denn fühlt man sich stark an westliche Revolutionstheorien erinnert. Wie stark sind die Dschihadisten von diesen beeinflusst? Immerhin ist da von der Avantgarde die Rede und von der Sorge, sie könne sich von den Massen isolieren. Das klingt ja wie bei…

 

Kepel: …Baader-Meinhof…

 

…oder auch wie bei Lenin!

 

Kepel: In den siebziger Jahren waren Gruppen wie die RAF oder die Roten Brigaden der Meinung, die Massen wären in tiefem Schlaf versunken, die Avantgarde müsse sie wachrütteln. Daran fühlt man sich mit Recht erinnert. Andererseits spielen Islamisten auf einem viel weiteren Klavier. Sie bieten ganzen Kohorten junger, verarmter, zukunftsloser Menschen eine Weltanschauung an.

 

Ist diese Gedankenreihe von Avantgarde, Massen, Intervenieren um Bewußtsein zu schaffen etc. etwas, wohin jede radikale Formation gleichsam automatisch kommt, oder sind die Dschihadisten buchstäblich vom den modernen Revolutionstheorien beeinflußt?

 

Kepel: Schwierige Frage, die ich mir selbst schon oft gestellt habe. In jedem Fall ist letzteres bei jenen Dschihadisten der Fall, die von dem ägyptischen Islamisten Sayyed Qutb beeinflußt sind. Der wird viel rezipiert. Al-Zawahiri steht eindeutig in seiner Tradition. Qutb hat viel westliche Polit-Strategie – um das nicht Theorie zu nennen – in die arabische Welt transformiert. Er hat sich das Nützliche herausgefiltert und gewissermaßen grün übermalt. Auf der anderen Seite haben wir auch die salafistische Tradition, die bin Laden offenbar viel stärker geprägt hat – die ist eigentlich überhaupt nicht daran interessiert, was denn in der westlichen Geisteswelt so vor sich geht. 

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