„Heute schon gearbeitet, Herr Engler?“

Nach drei Jahrzehnten Massenarbeitslosigkeit sollten wir den Glauben an die Lohnarbeitsgesellschaft aufgeben, meint der Berliner Kulturphilosoph Wolfgang Engler. Die Gleichung "Arbeit = Leben" geht nicht mehr auf. Falter, April 2005

 

Wolfgang Engler, 53, Kulturphilosoph an der Regie- und Schauspielschule "Ernst Busch" in Berlin, hat mit seinem Buch "Bürger, ohne Arbeit", den Sachbuch-Renner der Saison geliefert. Die "Zeit" feierte ihn als Autor einer "neuen Utopie", auch die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" pries Engler in höchsten Tönen, während die "Süddeutsche Zeitung" an der mäandernden, "ungestalten" Gedankenbewegung des Gesellschaftskritiker herummäkelte.

 

Heute schon gearbeitet?

 

Engler: Noch nicht…

 

Es ist knapp vor Mittag!

 

Engler: Ich kann ganz gut auch nichts tun.

 

Wir leben ja in einer Welt des Arbeitsglaubens. Nur wer arbeitet, gehört dazu, wer nicht arbeitetet, gehört nicht dazu.

 

Engler: In der Tat. Es gab eine Zeit, vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts, in der – in unseren Breiten jedenfalls – Arbeit für alle zugänglich war, die ihren Lebensunterhalt durch lohnförmige Arbeit begründen wollten. Das scheint im Rückblick eine Sondersituation.

 

Arbeit war über Jahrtausende etwas, was man vermeiden wollte: Arbeit war etwas für die Unterschichten, schmutzig und beschwerlich. Befreiung von der Arbeit oder, wechselweise, Befreiung in der Arbeit waren die Themen der Sozialutopie. Und heute?

 

Engler: Es gibt heute eine Befreiung in der Arbeit, in einem Ausmaß, das jemand wie Karl Marx sich nicht hätte träumen lassen. Es gibt mehr Selbstständigkeit, die Arbeitnehmer sind in Prozesse eingebunden, in denen sie selbstbestimmter arbeiten können. Die Anforderungen sind anspruchsvoller, breite Schichten können sich mit dem, was sie tun, identifizieren. Gleichzeitig wird die Arbeit rar. Es sind also zwei Prozesse, die parallel miteinander laufen. Es ist heute leichter, was die sachliche Seite betrifft, sich mit seiner Arbeitstätigkeit zu identifizieren, andererseits ist es zunehmend absurd, leben und arbeiten zu identifizieren.

 

Dass man seine Kreativität, Emotionen an seinen Arbeitsplatz investiert, ist das nur falsches Bewußtsein?

 

Engler: Man kann das so sehen. Es gibt in Berlin etwa diese Gruppe, die sich "Die glücklichen Arbeitslosen" nennt. Und André Gorz hält die Transformation der Betriebsführungstechniken nur für Maskerade, zum Zwecke des besseren Gedeihens der jeweiligen kapitalistischen Fabrik. Ich glaube nicht, dass sich dieses Phänomen in solchen Deutungen erschöpft. Ich denke doch, dass hier ein bedeutender Wandel vor sich gegangen ist. Das, was bisher nur kleine Milieus in unseren Gesellschaften geprägt hat – unsereins, gewissermaßen -, dass das Schöpferische hochgehalten wurde, ist zumindest als Anspruch Majoritär geworden: dass man in der Arbeit bei sich sein, authentisch bleiben, seine Fähigkeiten entwickeln soll.

 

Und da es fast niemanden vollständig gelingt, wächst mit den Spielräumen nicht die Zufriedenheit, sondern die Unzufriedenheit.

 

Engler: Daran zeigt sich: Die Gleichung "Arbeit = Leben" kann nicht aufgehen.

 

Was verliert der, der Arbeit verliert? Doch nicht nur Einkommen?

 

Engler: Bisher war – und ist – es so: Nur wer arbeitet, ist eingebettet. Er hat den Austausch mit seinen Kollegen, die Arbeit liefert uns den Ansporn, uns weiterzubilden, unsere Fertigkeiten zu entwickeln. Wer Arbeit verliert, der verliert nicht nur sein Einkommen, der verliert auch seinen Weltbezug.

 

Sie fragen, wie können die Konsequenzen der Nichtarbeit erträglich gestaltet werden? Das ist ja noch nicht einmal eine besonders radikale Anforderung, aber auch an ihr scheitert unsere Welt konsequent.

 

Engler: Das ist ein Minimalanspruch, der in etwa die im Auge haben muss, die ihr Leben lang Lohnarbeit verrichtet haben, in deren prägenden Lebensphasen die Arbeit eine identitätsbildende Rolle spielte und die dann ihre Arbeit verlieren. Denen gegenüber wäre es wohl ein wenig schamlos, zu sagen, sie sollten ihre Lage auch als Chance empfinden, freie Tätigkeiten und Motivationen herausbilden. Diejenigen muss man, das ist das Minimum, anständig behandeln, und dafür schlage ich – wie viele andere – das von Arbeit unabhängige Grundeinkommen vor.

 

Die weitergehende Frage ist dann: Wie bestimmt sich die Identität von Menschen, wenn sie nicht mehr über den Beruf definiert wird?

 

Engler: Das ist das mit Abstand Schwierigste – Verhältnisse zu schaffen, aus denen die Menschen Befriedigung, gesellschaftliche Einbettung ziehen, jenseits der Arbeitsstelle. Aber es ist auch ziemlich klar, dass es nicht so weitergehen kann: Dass Millionen Menschen ohne Perspektive leben, vom Arbeitsamt auch noch schickaniert werden und gesellschaftlich vermittelt bekommen, überflüssige Parasiten zu sein.

 

Wo sollen Lösungen entstehen: Auf Seiten der Opfer, indem sie rebellische Impulse entwickeln, oder der politischen Eliten, indem sie endlich politische Phantasie entwickeln?

 

Engler: Das richtet sich zunächst an die politische Ebene. An die Politiker, an die Schulen, an die Lehrer, an die Familien, dass sie den Menschen Wege weisen sollen, Interessen vermitteln sollen, Pfade zeigen sollen, die aus dem Netz herausführen. Dass, wenn die Arbeit von ihnen abfällt, nicht jede Tätigkeit aufhört. Ohne Arbeit zu sein, heißt nicht passiv zu sein. Wir sind einfach von Bildern vom Menschen geprägt, die die Arbeit fast vergöttern. Das sind mächtige Bilder, aber es sind nicht die einzigen Bilder, die es historisch gab. Es gibt da, von der griechischen Antike über die Römische Republik, über die Klosterkultur durchaus Bilder, die einen Kontrast liefern, aber verschüttet sind.

 

Die Maßgaben der Lohnarbeitsgesellschaft sind eigentlich längst obsolet, wir denken nur falsch – so Ihre These. Haben wir wirklich, vereinfacht gesagt, nur ein Ideologieproblem?

 

Engler: Diese Kritik höre ich oft. In ihr kommt meist der Schulterschluss der Verteidiger der Lohnarbeitsgesellschaft zum Ausdruck – von Links bis Rechts, vom Unternehmerverband bis zu den Gewerkschaften.

 

Deswegen muss das noch nicht falsch sein…

 

Engler: Diese Kritik verteidigt einen Anachronismus. Die linkssozialistische PDS hat bei den letzten Wahlen in Deutschland Plakate flächendeckend kleben lassen, darauf stand: "Arbeit soll das Land regieren". Das ist doch ein totes Denken. Nach dreieinhalb Jahrzehnten Massenarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik, die man mit allen Konzepten – nachfrageorientiert, angebotsorientiert – bekämpft hat, ohne dass das irgendwelche nennenswerten Fortschritte gebracht hat, propagiert man immer noch die Illusion, man könnte Alle in Arbeit bringen. Man wiederholt unablässig Versprechen, die nicht halten können. Man hat den Menschen überhaupt nichts mehr zu sagen. Das ist schwer fahrlässig.

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